193.93 Brief Samek an Prager Tagblatt (verantw. Red. Harry Klepetar)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 16.IV.1936

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur des „Prager Tagblattes“ Herrn Dr. Harry Klepetař
Pánská
Prag
Seite von 3

Abschrift.

Als Rechtsanwalt des Herrn Karl Kraus, Heraus-gebers der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien, ersuche ichim Sinne des § 11 der Pressgesetznovelle um die Veröffent-lichung der nachstehenden Berichtigung.

Hochachtungsvoll

Pressberichtigung

der in No. 90 des „Prager Tagblatt“ vom 16. April 1936 unter dem Titel „Prozess Karl Kraus – ‚Sozialdemokratveröffentlichten Nachricht.

Es ist unwahr, dass gesternvon einem Senat des Strafgerichtes in Prag unter Vorsitz desObergerichtsrates Tisek ein Prozess beendet wurde, welchen derEigentümer und Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien Karl Kraus gegen den verantwortlichen Redakteur der ZeitschriftSozialdemokrat“ in Prag Doktor Emil Strauss wegen des Inhalteseines Artikels vom 10. August 1934 anhängig gemacht hat,

wahr ist vielmehr, dassbei der am 15. April 1936 abgehaltenen Verhandlung der Prozessnicht beendet, sondern aus einem formalen Grunde ein Urteil ge-

fällt worden ist, gegen welches die Nichtigkeitsbeschwerde ange-meldet wurde.

Es ist unwahr, dass sich der Pri-vatkläger insbesondere durch den Vorwurf, dass er sich dem österreichischen Regime gleichgeschaltet habe, beleidigt fühlte,

wahr ist vielmehr, dass erin gleichem Masse sowohl diese, als auch zahlreiche andere,dem wahren Sachverhalte widersprechende Behauptungen für be-leidigend erachtet und deshalb die Klage überreicht hat.

Es ist unwahr, dass das Gericht bei einer Reihe von Hauptverhandlungen die von beiden Parteienangebotenen Beweise teilweise durchgeführt hat,

wahr ist vielmehr, dass beiden Hauptverhandlungen nur die Beweise durch Verlesung des inkri-minierten Artikels, sowie eines am 28. April 1934 im „Sozialdemokrat“erschienenen, dem Privatkläger huldigenden Artikels angetreten wordensind und dass weder die beantragten, noch diese Beweise bisherGegenstand der Beurteilung waren.

Es ist unwahr, dass bei der gestrigenletzten Hauptverhandlung der Verteidiger des Dr. Emil Strauss seine Ausführungen durch den Hinweis auf den Umstand ergänzte,dass der Privatkläger bei Erledigung eines anderen Prozesseszwischen den gleichen Parteien sich die Fortsetzung diesesProzesses überhaupt nicht vorbehalten und daher gemäss § 18des Gesetzes über den Schutz der Ehre das Klagerecht verlorenhat,

wahr ist vielmehr, dass derVerteidiger des Dr. Emil Strauss schon vor der Verhandlung

in einer schriftlichen, nach fast zweijähriger Fortführungdes Prozesses überreichten Eingabe, auf die er bei der Ver-handlung hinwies, zur Verteidigung des Angeklagten angeführthat, der Kläger sei des Klagerechtes gemäss § 18 des Ehren-schutzgesetzes verlustig geworden; und zwar, weil er sichbei der Verhandlung in einem später vom Privatkläger gegen denAngeklagten angestrengten Prozesse, in welchem sich der Ange-klagte zur Veröffentlichung des Widerrufes ähnlicher Beleidi-gungen, zur Bezahlung der Verfahrens – und Anwaltspesen undzu einer Busse zu Gunsten der Arbeitslosen der Hauptstadt Prag verpflichtete, die Weiterverfolgung der im ersten Prozesseunter Anklage gestellten Beleidigungen nicht vorbehalten habe.Diesen Vorbehalt hat der Anwalt des Klägers in der Bestimmungdes § 18 des Ehrenschutzgesetzes, welcher sich ausdrücklichund ausschliesslich auf „Gegenseitige Klagen“ bezieht, nichtfür begründet erachtet.

Karl Kraus.