192.27 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: am 27.V.1936
Betreff: Kraus – Melantrich

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Doktor.

Heute fand die Berufungsverhandlung inder Angelegenheit FACKELMELANTRICH statt. Referent in die-ser Angelegenheit war Gerichtsrat Dr. Dohnálek, mit dem ichnoch vor einigen Tagen gesprochen und den ich gestern nochbei Gericht gesehen habe. Heute ist er im Amte nicht erschie-nen und hat sich krank gemeldet, das Referat hat ein Ersatz-richter übernommen, welcher erklärte, in der kurzen Zeitnicht in der Lage gewesen zu sein, den Fall eingehend zu stu-dieren. Der Vorsitzende, der den Fall nur oberflächlich kannte,bemerkte, der Referent habe empfohlen, von amtswegen die Durch-führung des Sachverständigenbeweises über die im Kommissions-buchhandel geltenden Gewohnheiten / Usancen / anzuordnen.

Der Berufungssenat hat dann auch nach kurzer Beratung von amts-wegen die Durchführung dieses Beweises angeordnet und als Sach-verständigen Eduard Weinfurter, den Inhaber einer grossentschechischen Verlagsbuchhandlung, bestellt. Die Berufungsver-handlung wurde auf den 17.VI. d.J. vertagt.

Ich habe mich zwar bemüht, das Gericht davon abzubringen, diesen Beweis zuzulassen, indem ich daraufhingewiesen habe, dass hier ein Vertrag existiert, dessen In-halt ganz klar ist und dass die Streitangelegenheit eben nach

diesem Vertrage und keineswegs nach irgendwelchen Usancen be-urteilt zu werden hat. Das Gericht hat jedoch trotzdem aufdiesen Beweis erkannt, offenbar vorwiegend deswegen, weil esohne den Referenten das Verfahren nicht durchführen wollte.

Was nun die Person des bestellten Sachverständi-gen anbelangt, wäre folgendes zu bemerken: Kommerzialrat Wein-furter ist ein betagter Mensch und seit Jahrzehnten Inhabereiner grossen Buchhandlung und Vorsitzender des Gremiums derBuchhändler und Verlagsanstalten. Politisch steht er der national-sozialistischen Partei, welcher der Melantrich-Verlag angehört,keineswegs nahe, er ist im Gegenteil Mitglied der national-demo-kratischen Partei, d.i. einer extrem bürgerlichen Partei, diemit den Nationalsozialisten in altem Streite lebt. Er wird alssehr rechtschaffener Mann geschildert, der sich des grössten An-sehens erfreut, aber nicht im Rufe besonderer Gescheitheit steht.Ich habe die Möglichkeit, mich bei ihm durch einen ihm befreun-deten Parteigenossen einführen zu lassen und ihm den Fall klar-zulegen. Es ist mir immerhin lieber, dass dieser Mann zum Sach-verständigen bestellt worden ist, als wenn ein anderer Fachmannaus dem Buchhandlungsfach zu diesem Amte bestellt worden wäre,zumal ich bei Weinfurter überzeugt bin, dass er zum Melantrich-Verlag keinerlei freundschaftliche politische Beziehungen unter-hält. Ich hoffe also, dass es möglich sein wird, von diesem Sach-verständigen ein gerechtes, schlimmstenfalls ein indifferentes Gut-achten zu erwirken.

Indem ich bitte, Herrn K. meine besten Grüsse zu be-stellen, bin ich mit besten Grüssen an Sie und in vorzüglichster

Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausMelantrich 28. MAI 1936