193.24 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 6.XII.1934
Betreff: Karl Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 7.DEZ.1934
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich erhielt Ihren Brief vom 5. d.M. und übersende Ihnen das Original der deutschen Fassung derKlage gegen den „Sozialdemokrat“, das ich zur Hand hatte,als ich mit Herrn Kraus diese Prozessangelegenheit im Restau-rant Zoufalý besprach. Wir haben den Text gelesen und ichhabe die von Herrn Kraus gewünschten Korrekturen gleich be-zeichnet. Sie betrafen eigentlich nur stilistische Verbesse-rungen – so ist beispielsweise auf der 3. Seite des Textes dasWort „ worden“, das nicht hineingehört, gestrichen worden,auf der 2. Textseite das Wort ‚Nummer‘ durch das Wort ‚Hefte‘ersetzt worden, auf der 3. Seite das Wort „ Ressentimentsmit Anführungszeichen versehen worden.

Ausserdem machte ich mir Notizen über Bemerkungen des HerrnKraus zu der Stelle „ Lassalle – Zuchthäusler“, bezeichnete,dass bei der Stelle, die über die Gleichschaltung GerhartHauptmanns handelt, die Worte „von der antifaszistischenPresse vorgeworfen wird“ auszulassen sind und was Herr Kraus zu dieser Stelle bemerkte und schliesslich was zu der Stelleüber die Ressentiments und Interessen der Wiener jüdischenKultusgemeinde gesagt wurde.

Beim Passus über die Ausfälle gegen den Marxismus und dieSozialdemokratie haben wir uns bei der Besprechung leidernicht aufgehalten, sonst wäre sicher darüber gesprochen worden,inwiefern in der letzten FACKEL Angriffe auf den Marxismusund die Sozialdemokratie unternommen worden sind.

Die hier beigeschlossene Klage bitte ich,wenn Sie sie nicht mehr brauchen, wieder zu retournieren,da ich sonst kein deutsches Exemplar hier habe und eine Ab-schrift heute nicht mehr anfertigen lassen kann, da sonstder Brief nicht rechtzeitig expediert werden könnte und ichdoch gerne Herrn Kraus möglichst bald informieren möchte, umihm die Entscheinung zu erleichtern, ob er nach Prag kommenmuss.

In der Kostenfrage gestatte ich mir zu bemer-ken: Zur Durchführung des Wahrheitsbeweises über die Stellewilde und zugleich läppische Angriffe …“ wurde vom Gegner nur die Fackel Nr. 890 bis 905 beantragt. Dieser Beweissoll auch bezüglich der anderen Punkte herangezogen werden,sodass nach meiner Ansicht die Zurücknahme der Klage oderein Freispruch gerade in dem Punkte „wilde und zugleichläppische Ausfälle gegen den Marxismus und die Sozialdemokratieauf die Kostenfrage keinen Einfluss ausüben kann.Ich glaube nach wie vor nicht, dass es überhaupt zur Ueber-setzung der angebotenen Schriften des Herrn Kraus kommen wird.

Das Gericht hat einen so umfangreicnen Be-weisbeschluss, wie ich glaube, deswegen gefasst, weil esden Beweisantrag des Dr. Schwelb nicht gelesen hat und beider Verhandlung nicht lesen wollte, andererseits erkannte,dass es sich um einen Fall handelt, der von den Parteien

sehr ernst genommen wird, voraussichtlich bis zum oberstenGericht geführt werden dürfte und weil es daher vermeidenwollte, durch Einschränkung der beantragten Beweise einenVerfahrensmangel herbeizuführen.

Der Artikel „Hüben und Drüben“ ist mirnoch in lebhafter Erinnerung, ich werde ihn aber jedenfallsnochmals genau lesen, um für die Informationsaufnahme vor-bereitet zu sein.

Mit der Bitte, mich Herrn Kraus aufs bestezu empfehlen, zeichne ich

mit vorzüglicher Hochachtungergebener:Dr. Turnovsky

P.S.

Ich konnte mich mit Herrn HeinrichFischer heute telefonisch nicht ver-binden und daher nicht ermitteln, ober in seiner Wohnung bereits ein Pri-vattelefon besitzt. Seine Station istjedenfalls im Telefonbuch bisher nichtverzeichnet. Er ist auch sehr schwerzuhause anzutreffen und jedenfallsam besten in der Urania unter Nummer61623 zu errufen. Soviel mir bekanntist, ist er sowohl vormittags, sicheraber am Nachmittag zwischen 4–8 Uhrdort zu erreichen.

KrausSozialdemokrat 7. DEZ. 1934