193.23 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 5. Dezember 1934
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat
Diktiersigle: Dr.Sa/Ma.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, | Advokat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich danke Ihnen vielmals für Ihre freundlichenSchreiben vom 28. November und 1. Dezember 1934 und fürdie mit dem ersteren Schreiben übersendete Uebersetzungdes gegnerischen Schriftsatzes. Auch Herr Kraus lässtIhnen herzlichst danken und Sie bestens grüssen. Er meint,dass es doch sehr schwer werden wird, auf brieflichem Wegedie Angelegenheit zu erledigen und wird aller Voraussichtnach noch Ende dieser oder in der nächsten Woche nach Prag kommen. Da wir seinerzeit noch nicht die Vereinbarung ge-troffen hatten, dass Entwürfe in doppelter Ausfertigung anmich gesendet werden, kann ich nicht mehr rekonstruieren,wie die Klage gegen den „Sozialdemokrat“ gelautet hat.Ich habe aus den Akten festgestellt, dass ich den Entwurfder Anzeige oder die Klage gesehen haben muss und Ihnenempfahl, Sie Herrn Kraus noch vor der Einbringung vorzu-legen. Herr Kraus kann sich aber auch nicht mehr erinnern,was damals mit Ihnen besprochen worden ist und wundert sich,dass er auch die im gegnerischen Schriftsatz unter 5, 6 und 7angeführten Punkte in die Klage aufnehmen liess, wenn erschon mit der Anklage im Punkt 3 einverstanden war, wassicherlich nur in der Meinung geschah, dass für dieSchmähung „läppische Ausfälle“ ein Wahrheitsbeweis nichtmöglich sei, der schon wegen seiner Uferlosigkeit in diesemPunkte zu vermeiden gewesen wäre.

Ich bitte Sie, mir für jeden Fall eine Abschriftder Klage einzusenden, die allerdings nicht unbedingtnotwendig ist, wenn Herr Kraus nach Prag kommen sollte.

Er fragt mich aber soviel, dass ich ihm nic[ht ¿¿¿]stehen kann, wenn ich die Klage nicht habe. Was ihn am [Mei-]sten interessiert ist die Frage, ob er die Kosten der Ueb[er-]setzung zu tragen hat, wenn eine Zurücknahme der Klage oderein Freispruch in dem Punkt „wilde und zugleich läppischeAusfälle gegen den Marxismus und die Sozialdemokratieerfolgt. Insbesondere auch, ob der Beweisbeschluss sichlediglich auf diesen Punkt bezieht, oder ob nicht auch derBeweisbeschluss für den Punkt „ Karl Kraus könnte sich soden Ruhm erwerben, aus dem Dichter der ‚Letzten Tage derMenschheit der Zutreiber des österreichischen Henkersgeworden zu sein“ erfolgte. Allerdings finde ich zu diesem Punkt inder Uebersetzung des gegnerischen Schriftsatzes keinenBeweisantrag. Vielleicht könnten Sie, sehr geehrter HerrKollege, mir freundlichst die Rechtslage bezüglich derKostenseparation schon beantworten, ehe es feststeht, obHerr Kraus nach Prag kommen wird oder nicht. Sie vermutenzwar, dass Herr Dr. Schwelb es wohl vermeiden wird, für dieUebersetzung, die ja überhaupt kein Dolmetsch vornehmenkönnte, Geld auszugeben, aber eine Gewissheit wird man wohlnicht haben können. Der Artikel im „Sozialdemokrat lässteher darauf schliessen, dass die Gegner beabsichtigen, dieUebersetzung herstellen zu lassen. Es würde mich auch sehrinteressieren, einen Bericht über Ihre Eindrücke zu bekommen,aus welchem Grunde das Gericht einen so umfangreichen Beweis-beschluss fasste, da ja eigentlich für die Ehrenbeleidigunggleichgiltig ist, was Herr Kraus früher geschrieben undgedacht hat und selbst, wenn man den wichtigsten Punkt derAnklage, dass aus dem Dichter der ‚Letzten Tage der Mensch-heit der Zutreiber des österreichischen Henkers gewordenist, in Betracht zieht, so sind doch dafür hauptsächlichdie Beweise notwendig, dass er der Zutreiber des Henkersgeworden ist, nicht aber was in den ‚Letzten Tagen derMenschheit ‘ steht. Es würde also eigentlich genügen, dass dieFackel Nr. 890–905 dem Gericht vorgelegt wird.

Für sehr wichtig hält Herr Kraus die Tatsache,dass alles das, was gegen die Sozialdemokraten in dem letztenHeft vorgebracht worden ist, schon im Oktoberheft 1932 imArtikel „Hüben und Drüben“ gesagt ist. In Kenntnis dieses

Artikels erschien aus Anlass des 60. Geburtstages imSozialdemokrat“ ein Aufsatz, worin trotz der Einstellunggegen die Sozialdemokratie und gegen den Marxismus dasWerk Karl Kraus’ begeistert anerkannt wurde. Ich würde Ihnenempfehlen, sich den Artikel aus der Oktobernummer derFackelHüben und Drüben“ anzusehen, da er für die Be-sprechung, die Herr Kraus mit Ihnen haben wird, oder auchfür die schriftliche Festlegung des einzubringenden Schrift-satzes von Wichtigkeit sein wird.

Sie werden in den nächsten Tagen von mir Weitereshören, bis dahin zeichne ich mit dem Ausdrucke

vorzüglichster kollegialer HochachtungIhr ergebener

P.S. Sehr geehrter Herr Kolleg!

Ich benötige die Prager Telefonnummer des HerrnDir. Heinrich Fischer und erlaube mir die Anfrage, obSie so freundlich wären, sie zu erkunden und sie mirmitzuteilen. Im voraus bestens dankend

KrausSozialdemokrat / 5.12.34