193.22 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
Materialitätstyp:
- Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Schreiberhände:
- Johann Turnovsky, schwarze Tinte
Sender
JUDr. JOHANN TURNOVSKY | AdvokatVodičkova 33
Prag
Empfänger
An: P.T. | Herrn Dr. Oskar SamekReindorfgasse 18
Wien – XIV
Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich berufe mich auf unsere heutigetelefonische Unterredung und gestatte mir folgendes mitzuteilen:
Die Klage gegen den ‚Sozialdemokrat‘ habeich Ihnen in deutscher Uebersetzung mit meinem Briefe vom 21.8.d.J. eingesendet, dem auch die Klagsentwürfe in der Angelegenheit„Gegen-Angriff“ und zwar sowohl die Widerrufsklage als auch dieEhrenbeleidigungsklage beigeschlossen waren.
Sie haben mir diese Klagsentwürfe, mit einigen Korrekturen versehen,im Briefe vom 23.8. d.J. zurückgeschickt und empfohlen, sie HerrnKraus noch vor Einbringung der Klagen vorzulegen. Dies ist imrekommandierten Brief vom 24.8. d.J., den ich nach Vrchotovy-Janovice sandte, geschehen und die Klage wurde erst nach der Rücksprache mitHerrn Kraus überreicht, der gegen die Fassung jener Stelle, in welcher derinkriminierte Satz „wilde und zugleich läppische Ausfälle gegenden Marxismus und die Sozialdemokratie“ behandelt wird, keine Be-denken geäussert hat.
Ich glaube nicht, dass es überhaupt zurUebersetzung der vom Gegner als Beweis angebotenen Schriften desHerrn Kraus kommen wird. Dr. Schwelb wird es wohl vermeiden, für dieUebersetzung, die ja überhaupt kein Dolmetsch vornehmen könnte, Geldauszugeben, da er sich bewusst zu sein scheint, dass der Sozialdemokrat
wenigstens in einigen Klagspunkten sachfällig wird. Wenn HerrKraus glaubt, dass man Ausfälle gegen den Marxismus und dieSozialdemokratie zugeben muss, so kann dies in einer Form ge-schehen, die irgendwelche Nachteile in der Kostenfrage aus-schliesst.
Ich hatte den Eindruck, dass es sich in denletzten Fackelheften – abgesehen von der Stelle, in welcher derVergleich zwischen der Konzeption des Kommunismus und der derSozialdemokratie zu Ungunsten der letzteren gezogen wird – aus-schliesslich um eine Kritik der Führung der sozialdemokratischenParteien Oesterreichs und Deutschlands handelt und dass dieAngriffe daher nicht gegen den Marxismus und die Sozialdemokratieals solche gerichtet sind , sondern gegen die Führer der sozial-demokratischen Partei. Im Uebrigen kann es ja einem Autor nichtverwehrt werden, auch die politischen Ideen des Marxismus und derSozialdemokratie einer Kritik zu unterziehen und es bleibt dannimmer noch die Frage, ob man den Kritiker durch die Behauptung,diese Kritik beinhalte wilde und läppische Ausfälle, nicht belei-digt hat.
Es wird leider nicht möglich sein, dass ich nachWien fahre, so gerne ich auch bei der Perichole-Vorlesung seinund Herrn Kraus die Mühen einer Reise nach Prag ersparen möchte.Ich habe gerade jetzt eine Reihe von aktuellen Angelegenheitenin der Kanzlei zu erledigen und kann, da ich seit einiger Zeitohne Konzipienten arbeite, unmöglich wegfahren. Wenn es HerrnKraus nicht zu sehr anstrengt, nur wegen der Besprechung dieserAngelegenheit hereinzukommen, dann werde ich ihn gerne hierbegrüssen. Andernfalls glaube ich jedoch, dass sich die Art, wie
man die von Herrn Kraus gewünschte Abänderung des betreffendenPassus der Anklageschrift vornehmen soll, auch schriftlich ver-einbaren könnte.
Dies wollte ich Ihnen noch vor Einlangender von Ihnen avisierten Briefe mitteilen und Herrn Kraus zurKenntnis bringen.
Mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtungergebener:Dr. Turnovsky
Kraus – Sozialdemokrat 3. DEZ. 1934