189.72 Brief RA Johann Turnovsky an Kraus

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 24. August 1934

Empfänger

An: Herrn | Karl Kraus
Vrchotovy Janovice
Seite von 3

Verehrter Herr Kraus!

Ich hatte die Absicht, Sie während der DauerIhres Erholungsurlaubes nicht zu stören und in der Angelegenheitder besprochenen Klagen gegen den „Sozialdemokrat“ und „Gegen-angriff“ mit Ihnen nicht zu korrespondieren. Da Herr Dr. Samek als Ihr langjähriger Vertreter eine grössere Erfahrung inProzessen, in denen Sie als Kläger auftreten, besitzt als ich,habe ich ihn die Entwürfe der zu überreichenden Klagen zur Be-gutachtung eingesendet. Er sandte mir jedoch diese Entwürfe mitden Bemerken zurück, ich möge sie Ihnen doch vor der Ueberrei-chung der Klagen zur Genehmigung vorlegen. Er hat ausserdemnoch den Vorschlag gemacht, den ersten Absatz der Widerrufs-klage abzuändern. Den Entwurf dieser Abänderung habe ich demKonzepte der Widerrufsklage beigeheftet.

Zu den von Ihnen gewünschten Berichtigungen ein-zelner Behauptungen der im „Sozialdemokrat“ erschienenen Notiz gestatte ich mir zu bemerken:

Ich habe mir jene Stellen der Fackel, auf welchedie Sätze Bezug nehmen wollen, deren Berichtigung Sie gewünschthaben, genau durchgesehen und konstatiert, dass ihre Berichti-

gung sehr schwer wäre. Wie Sie wissen, interpretiert unser Be-richtigungsrichter den Berichtigungsparagraphen in der Weise, dasssich die verlangte Berichtigung auf die Negierung der berichtig-ten Tatsache, sowie auf deren Antithese in’s positive beschränkenmüsse. Wenn daher vermieden werden soll, dass der Wortlaut desBerichtigungschreibens vom Gegner oder vom Gerichte beanständetwerde, dann dürfte man – um nur ein Beispiel anzuführen – denSatz „obendrein kann er es den Arbeitern nicht verzeihen, dass sieihm den elektrischen Strom abgeschnitten haben“ nur in folgenderWeise berichtigen: „Es ist unrichtig, dass ich es den Arbeiternnicht verzeihen kann, dass sie mir den elektrischen Strom abge-schnitten haben. Richtig ist, dass in dem in der Notiz besprochenenArtikel der ‚Fackel‘ bemerkt war, dass am 12. Februar, 11 Uhrvormittags, in der Minute, da wir den letzten Korrekturstrich an-brachten, der selbe Typus, der gefragt hatte, warum die Fackel nichterscheint, uns das Licht abgedreht hat.“

Diese Form der Berichtigung wäre – wie ich glaube –unwirksam, weil für einen Leser, der weder die Fackel, noch denberichtigten Artikel, oder nur diesen gelesen hat, unverständlich.

Da ich es nicht riskieren möchte, eine andere Formdes Berichtigungsschreibens zu wählen, möchte ich vorschlagen,von der geplanten Berichtigung abzusehen. Herr Dr. Samek ist inder Frage der Berichtigungen derselben Ansicht.

Ich bitte, mir bekanntgeben zu wollen, ob Sie trotz-dem die Berichtigung der anlässlich unserer Unterredung bezeich-neten Sätze wünschen und ob Sie mit der Fassung der Klagen ein-

verstanden sind.

Verzeihen Sie, dass ich Ihren Urlaub, der Ihnenhoffentlich volle Erholung bringen wird, durch diese Anfragestöre. Sie werden sicherlich verstehen, dass ich mit Rück-sicht auf die grosse Publizität Ihrer Prozesse Bedenken tra-ge, eine Klage ohne Ihre Genehmigung des Textes zu überreichen.

Ich wünsche Ihnen auch weiterhin die beste Erho-lung und bin mit besten Grüssen

Ihr ergebenerDr. Turnovsky

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