193.18 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 28.XI.1934
Betreff: Karl Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 6

Heute fand die Hauptverhandlung in demoben bezeichneten Pressprozess statt. Der Angeklagte, Dr.Emil Strauss, ist nicht erschienen und war durch den hiesigenAnwalt Dr. Schwelb vertreten. Dieser überreichte bei der Ver-handlung einen Schriftsatz, in welchem er seine Einwendungengegen die Anklageschrift, resp. seine Verteidigung festge-legt hat und hat nur einige juristische Momente in mündli-chem Vortrage herausgehoben, sich jedoch im übrigen aufden Inhalt des Schriftsatzes berufen.

Ich erklärte, dass ich mangels Kenntnisdes Inhaltes des Schriftsatzes zu den Ausführungen des Be-klagten heute keine Aeusserung abgeben könne, mir eineschriftliche Aeusserung vorbehalte und zu deren Ueberrei-chung eine 4-wöchige Frist erbitte. Dr. Schwelb führte an,der inkriminierte Artikel begründe nicht den Tatbestanddes Vergehens gegen die Ehre und insofern dieser Tatbestandgegeben sei, trete er den Wahrheitsbeweis an und zwar in derim Schriftsatze angeführten Form.

Das Gericht verkündete den Beschluss,nach welchem die vom Verteidiger beantragten Beweise zugelas-sen werden und beauftragte diesen, alle Hefte der FACKEL und die übrigen schriftlichen Beweisstücke in beglaubigter

Uebersetzung ins Tschechische binnen 4 Wochen vorzulegen.Mir wurde zur Ueberreichung einer Aeusserung zu dem vomVerteidiger vorgelegten Schriftsatze eine 4-wöchige Frist er-teilt und die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.

Der Vorsitzende des Pressesenats Oberlandesge-richtsrat Svoboda, der heute als Votant fungierte, währendden Vorsitz O.G.R. Tisek führte / die Richter wechseln imVorsitz ab / zeigte für den Prozess grosses Interesse und er-klärte, er kenne zwar den Namen Karl Kraus, müsse jedoch ge-stehen, keines seiner Werke gelesen zu haben. Deswegen werdees für den Senat sehr schwer sein, in die Materie des Prozes-ses einzudringen, umsomehr als nach dem Sprachengesetze dieDurchführung der Beweise durch in deutscher Sprache abgefassteSchriften unzulässig sei. Er selbst und die anderen Mitglie-der des Senates beherrschten zwar die deutsche Sprache, könntenjedoch das Sprachengesetz nicht umgehen und deswegen müsseder Beklagtenanwalt beglaubigte Übersetzungen der von ihmzum Beweise angebotenen Schriften vorlegen. Dr. Schwelb er-widerte darauf, dass es ganz unmöglich sei, Übersetzungender zum Beweise beantragten FACKEL beizubringen und selbstwenn es möglich wäre, würden die Uebersetzungskosten wenigstens25.000.–– Kč betragen. Darauf bemerkte der Vorsitzende, dieParteien mögen darüber erwägen, ob nicht die Delegierung einesdeutschsprachigen Gerichtes, resp. eines Gerichtes, bei wel-chem die deutsche Sprache als Verhandlungsprache zulässig ist,beantragt werden soll. Oberlandesgerichtsrat Svoboda bemerkte

ausdrücklich, dass er diese Anregung nicht vielleicht deswegengegeben habe, um diesen Prozess, für den er sich interessiere,loszuwerden; im Gegenteil, die Prozessmaterie sei ihm interes-santer als die der meisten anderen vor seinem Senate geführtenProzesse, aber er sehe die Unmöglichkeit der Einhaltung derSprachenverordnung ein.

Da Dr. Schwelb zu dieser Anregung keineStellung nahm, hatte ich keinen Anlass, mich jetzt schon zuäussern, glaube jedoch, dass man einer Delegierung nicht zu-stimmen sollte, umsomehr als ich annehme, dass die Voraussetzungendes § 62 Str.P.O. nicht gegeben sind.

Es wurde über die zur Disposition ste-henden geistigen Probleme gesprochen, weil sich das Gericht dafür interessierte, wobei ich Gelegenheit hatte, ohne dengegnerischen Schriftsatz studiert zu haben, die vom Verteidi-ger im mündlichen Vortrag aufgestellten Behauptungen zu wider-legen oder zumindest zu bekämpfen und dem Gerichte einen Be-griff davon zu geben, wie unsinnig es ist, gerade Herrn Kraus als Arbeiterfeind und Verfasser einer faszistischen Hetzschriftzu bezeichnen. Diese Ausführungen geschahen ausserhalb der Ver-handlung, wurden auch nicht protokolliert und ich habe auchausdrücklich angeführt, nicht in der Lage zu sein, autentischeInterpretationen der in den Schriften des Herrn Kraus enthal-tenen Probleme geben zu können, hiezu auch nicht ermächtigtzu sein, sondern als Vertreter des Privatklägers nur gegendie Ausführungen des Verteidigers Stellung nehmen zu müssen.

Ich sende Ihnen eine Uebersetzung des

gegnerischen Schriftsatzes mit der Bitte ein, ihn Herrn Kraus vorzulegen und zu bemerken, dass etwaige Tippfehler und sprach-liche Unrichtigkeiten damit entschuldigt werden mögen, dassich aus Zeitmangel gezwungen war, den Schriftsatz bei derersten Lektüre direkt in die Schreibmaschine zu diktieren.Dasselbe gilt von diesem Briefe, den ich deshalb noch heuteexpedieren will, damit Herr Kraus meinen Bericht noch frühererhält, bevor er Prozessberichte den Prager-Zeitungen entneh-men muss.

Da der Gerichtsaalreferent des Prager-Tagblatt anwesend war und der Prozess den „Sozialdemokrat“ betrifft,nehme ich an, dass in diesen Zeitschriften Berichte über denProzess sein erscheinen werden. Ausserdem bemerkte ich unter den Zuschauernauch Ing. Butschowitz, der offenbar erschienen ist, um sichfür seinen Prozess vorzubereiten.

Zu den juristischen Ausführungen des Schrift-satzes möchte ich bemerken: Die Anklageschrift ist, was dasMeritum betrifft, in der gleichen Weise verfasst, wie dieStrafanzeige, die ich Ihnen vor deren Überreichung einge-sendet habe und die Sie in Ihren Akten haben. Sie werden alsoselbst ersehen können, dass ich die Ueberschrift des inkrimi-nierten Artikels zwar nicht ausdrücklich unter Anklage ge-stellt habe, sondern sie nur zur Bezeichnung des Artikels und zur Illustrierung des strafbaren Tatbestandes zitiere.Deshalb ist die Einwendung der mangelnden Klagslegitimationunrichtig. Ganz abgesehen davon, wird jedoch nicht namens derFACKEL, sondern im Namen des Herrn Kraus geklagt und die Ueber-schrift des inkriminierten Artikels ist für diesen zweifellos

beleidigend, da Herr Kraus Eigentümer, Herausgeber und einzigerRedakteur der FACKEL ist, die Bezeichnung dieses Blattes alsfaszistische Hetzschrift daher die Qualifizierung des Privat-klägers als faszistischen Hetzers involviert.

Es ist richtig, dass periodische Druckschriften den Ehrenschutz bloss gegenüber den im§ 2 u § 3 angeführten strafbaren Handlungen / Nachrede, Verleum-dung / geniessen, dagegen glaube ich, dass der verantwortlicheRedakteur auch für Handlungen gemäss § 1 des Gesetzes überden Schutz der Ehre gemäss § 4 des Pressgesetzes haftet.

Es ist sicherlich ganz überflüssig, dass ichzu den meritorischen Einwendungen des gegnerischen Schrift-satzes Ihnen gegenüber eine Aeusserung abgebe, da ich selbstverständlichderen Widerlegung nicht im entferntesten so wirksam verfassenkönnte, als es Herr Kraus tun wird. Ich bitte daher, HerrnKraus zu bitten, er möge mir seine Weisungen zur Beantwortungder meritorischen Einwendungen erteilen.

Ich bin leider noch nicht dazugekommen, Ihnendie Anklageschrift in Sachen gegen Dr. BillVerneau im Entwurfeeinzusenden, hoffe es aber bald tun zu können. Die Frist zurUeberreichung der Anklageschrift läuft bis zum 8.XII. d.J.,sodass noch genügend Zeit bleiben wird, auch diesbezüglichdie Genehmigung des Herrn Kraus einzuholen.

Ich bitte also vorläufig diese Mitteilungen zurKenntnis zu nehmen und sie Herrn Kraus zur Kenntnis zu bringenund zeichne

mit den besten Empfehlungen an diesen undin vorzüglicher Hochachtung ergebenerDr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat 29. NOV. 1934