193.19 Übersetzung [Schriftsatz in Sachen Kraus ca. Sozialdemokrat] (RA Egon Schwelb [an das Strafkreisgericht Prag])

Materialitätstyp:

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Datum: 27. November 1934
Seite von 13

Uebersetzung.

Bei der Hauptverhandlung habe ich mich dafürzu verantworten, dass in dem inkriminierten Artikel über denPrivatkläger folgende Behauptungen aufgestellt, resp. gegenihn nachfolgende Ausdrücke vorgebracht wurden.

1./ Dass die Zeitschrift FACKEL eine faszistische Hetz-schrift ist.

2./ Dass an dem Privatkläger seine 60 Jahre nicht spurlosvorübergegangen sind.

3./ Dass sich der Privatkläger dazu versteigt, wilde undzugleich läppische Ausfälle gegen den Marxismus und die Sozial-Demokratie zu unternehmen.

4./ Dass der Privatkläger den Arbeitern nicht verzeihenkönne, dass sie ihm den elektrischen Strom abgeschnitten haben.

5./ Dass im letzten Fackelhelf schon keine Spuren des ehe-maligen Kämpfers und Satirikers Karl Kraus vorzufinden sind,auch nicht was den Stil anbelangt.

6./ Dass es sich um einen Verfall handelt, der in der Tiefedes Absturzes noch den des Gerhard Hauptmann übertrifft.

7./ Dass der leitende Gedanke die kurzsichtige Erwägung ist,dass der Fascismus in Oesterreich und Italien die Juden unge-schoren lässt und daher das kleinere Uebel gegenüber demHitlerfascismus darstellt.

8./ Dass es der Privatkläger versucht hat, die tschecho-slovakischen Behörden gegen die österreichische Emigrationund gegen einzelne Schriftsteller aufzuputschen und dass dietschechoslovakische Politik noch nicht durch die Ressentimentsund Interessen der Wiener-isrealitischen Kultusgemeinde be-stimmt wird.

9./ Dass der Privatkläger bereits zu verblendet ist, umin dem Spiel der Fey, Starhemberg und Schuschnigg die Kopieder deutschen Metzeleien zu erkennen.

10./ Dass der Privatkläger den Weg der Gleichschaltunggegangen ist.

Zu den einzelnen Punkten des inkriminiertenArtikels führe ich an:

ad 1./ Insoferne sich der Artikel mit der ZeitschriftDie Fackel“ verfasst, kann es sich überhaupt um keine straf-bare Handlung handeln, weil gemäss § 5 des Gesetzes über denEhrenschutz ausländische oder im Auslande herausgegebene Zeit-schriften überhaupt keinen Ehrenschutz geniessen. Diese ge-setzliche Vorschrift kann auch dadurch nicht umgangen werden,dass die Klage nicht namens der Zeitschrift, sondern im Na-men des Eigentümers oder Redakteurs überreicht wird.

In diesem Zusammenhange weise ich darauf hin, dass auch in-ländische Zeitschriften den Ehrenschutz ausdrücklich hinsicht-lich der in den §§ 2 und 3 des Gesetzes angeführten Handlungengemessen, keinesfalls auch hinsichtlich des Vergehens nach§ 1 und umsoweniger bezüglich der Uebertretung der pflicht-gemässen Sorgfalt gemäss § 4 des Pressgesetzes.

Da ich den inkriminierten Artikel weder geschrieben, nochgelesen, noch in Druck gegeben habe, ist die aktive und passiveLegitimation in diesem Prozesse in höchstem Masse strittig.

ad 2./ Die Behauptung, dass an den Privatkläger seine60 Jahre nicht spurlos vorübergegangen sind, enthält überhauptkeinen strafbaren Tatbestand, sondern es handelt sich um dieblosse Konstatierung einer naturwissenschaftlich evidentenTatsache, die vom Standpunkt des Ehrenschutzes durchausirrelevant ist. Allein selbst wenn man annehmen wollte, dassdurch diese Konstatierung der objektive Tatbestand einer derDelikte gegen die Ehre erfüllt ist, so wäre die Strafbarkeitdoch gemäss § 6 Absatz 1 ausgeschlossen, weil die Grenzeneiner sachlichen Beurteilung der künstlerischen Leistung desPrivatklägers nicht überschritten wurden. Schon in diesem Zu-sammenhange sei angeführt, was übrigens auch für alle weitereninkriminierten Ausdrücke zu gelten hat, insoferne in ihnenper inconcessum der Tatbestand der Ehrenbeleidigung zu er-blicken ist, dass der Beklagte sich der Handlung nur ausUebereilung und Aufregung, verursacht durch das unmittelbarvorangegangene herausfordernde oder ärgerniserregende Benehmen

des an der Ehre Gekränkten schuldig gemacht hat und dieArt und Weise, wie die Handlung begangen wurde, durch dieUmstände entschuldbar ist.

Beweis: Heft 890 bis 905 der FACKEL.

ad 3./ Wilde und läppische Ausfälle gegen denMarxismus und die Sozialdemokratie:

Das letzte Fackelheft vom Juli 1934 ent-hält unzählige wilde und zugleich läppische Ausfälle gegenden Marxismus und die Sozial-Demokratie und gegen einzelnesozialdemokratische und sozialistische Funktionäre undParteimänner. Ich greife nur folgende heraus: Seite 172: Nationalsozialdemokratie: Seite 173: Unterhäusler, Ober-stübchen, benommener Stratege . Seite 174: Gerettete Führer,die ein ruhm- und heilloses Handwerk weitertreiben. Moralischgehemmt. Parvenu. Auto sind sie gern gefahren . Seite 175: Brett vor dem Kopf. Bestialität. Seite 176: einmal eins. Seite 177: Aeusserster Abscheu vor menschlicher und staats-bürgerlicher Undankbarkeit. Paralyse . Seite 178: Dass es auchein kleineres Uebel, als die Sozialdemokratie gibt . Seite 179: Der tote Esel. Gewerbsmässige – Nun erst – Rechthaber.Frei von Mitleid mit den Opfern auf beiden Seiten. DieSozialdemokratie nichtig von ihrem Ursprung an. Verfalls-reif und absurd schon neben der grösseren Konstruktion desKommunismus. Verunehrung, Gastfreundschaft, intellektuellzu missbrauchen, Winkeladvocatus diaboli, Bureauvorstandder zweiten Internationale . Seite 180: Nationalsozialdemo-kratie . Seite 181: Dass die sozialpolitischen Dinge, welcheja im Grunde mehr die Arbeiterschaft, als die Intellektuel-len betreffen, / und wahrscheinlich auch die geistigen Dinge /bei Faulhaber, Innitzer und Mercier in besserer Obhut seindürften, als bei Hilferding, Bauer und Blum . Seite 182: Abschaum, Verrat. Seite 184: Ideo- und Termino-Lügner,Heuchler, nie zuvor ist … dermassen gelogen worden.

Die Lügner. Seite 185: Doppelte Buchhaltung „Niedermachen“Unfähigkeit, mit einem Parteiorgan auf zwei Bluthochzeitentanzen / Anspielung auf ein volkstümliches Wort, sich miteinem Hintern an zwei Hochzeiten zu beteiligen /. Seite 187:Hier verspottet der Privatkläger den Kampf der Sozialdemo-kratie für die Erhaltung der Demokratie. Seite 189: ObszönPollakwitz . Seite 191: Hier spottet der Pr.Kl. die Zeit-schrift „Arbeiterzeitung“, weil diese infolge VeränderterVerhältnisse in kleinem Format erscheint. Seite 193: Hierwirft der Pr.Kl. den sozialdemokratischen Führern persönli-chen Oppotunismus vor. Seite 196: dreisteste Lüge. Seite 197: Blutschuld. Seite 199: Der logische Pallawatsch. Seite 200: Des konzentrischen Feuers der Lüge, Seit der Erfindung derLüge wurde kaum jemals so offener Gebrauch von diesemVerkehrsmittel gemacht . Seite 201: Kommunismus … nichtin einem Atem mit der Sozialdemokratie nehmen. Dummheits-unterschiede zwischen den Linksgruppen, die noch heutewähnen, dass die Bretter vor den Stirnen die Welt bedeuten .Seite 206: Presslumperei. Seite 210: Weltorganisation desUnvermögens . Seite 211: Mut der Taktlosigkeit, Bürosekretärder Revolution . Seite 212: Tollhäusler, die für die Arbei-terschaft und für sich viel getan haben. Emporkömmlings-allüren . Seite 213: Scheuel und Greuel. Seite 214: erlogen.Seite 218: Verleumdungen. Seite 220: die bewussten undgrundsätzlichen Vertreter der Eigenschaft, die Götter solangevergebens bekämpfen, bis Hitler gewinnt . Seite 221: Trotz-buben / Wortspiel auf Rotzbuben /.

verkrachte Pfuscher. Seite 224: Sozial-Demokratie – kleineresUebel. Beim Lügen . Seite 227: Trotz besserem Eisen. Seite 230: Schamlos / Angriff auf die Zeitschrift des AngeklagtenSozial-Demokrat“ /. Unverantwortlicher Redakteur / Persönliche Beleidigung des Angeklagten / Seite 231: Nutzniesser

Grundlüge . Seite 232: Das Delirium eines Wettlaufs allerEinzellügen., … ob der Verfasser … bei Bewusstsein war .Seite 234: Hier regt sich der Pr.Kl. darüber auf, dass

es angeblich verboten war, in der Zeitschrift „Sozialdemokratweitere Hymnen auf den Pr.Kl. zu schreiben und verwendet dabeidiese Ausdrücke: kraft des infamsten Gesetzes, das jemalseine Redaktion gegen geistig Selbstständige erlassen hat.Parteityrannei. In Eisenbahncoupés gewahrt man die Aufschrift,die mehr der Hygiene als der Sprachlehre entspricht: „Es wirdersucht, nicht in den Waggon zu spucken“. Bei Redaktionenmüsste sie jedenfalls aussen angebracht sein .

/ Dies alles, weil die Zeitschrift des Angeklagten angeblich auf-gehört hat, günstige Kritiken über die Vorträge des Pr.Kl. zuveröffentlichen. /

Lügen wird man immer dürfen. Seite 236: Demagogen. Seite 237: Kopfblätter – Herzblätter. / Anspielung auf die ZeitschriftSozialdemokrat“ und seine sogenannten Kopfblätter.

Seite 238: Was aber die zweite Internationale – durch einenGaskrieg zu verhindern hofft. Das Absurdum einer Partei .

Seite 239: Die Herren vom Bürovorstand der zweiten Internationale.Dilettantismus . Seite 245: schmähliche Abhängigkeit der Parteivon einem Erpresser. Bezirksbonze . Seite 246: Kadavergehorsam.Demagogie oder Lumperei schlechthin, Beauftragte der Korruption,Bonzenschaft, kulturgeschichtliche Schande . Seite 247: selbstwenn es der Sozialdemokratie nicht gelingen sollte, ihn durchden Gaskrieg zu verhindern .

Dann folgt die Beschuldigung, die Sozialdemokratenhätten das Testament des verstorbenen Abgeordneten und JournalistenAusterlitz beseitigt. Seite 248: Mundwerker. Seite 249: Gewissenlosig-keit der Auslandskämpfer . Seite 250: Propaganda der Lüge, Dumm-heit der Ueberlebenden . Seite 251: alle Verachtung schuldigerParteiphraseure . Seite 252: Freiheitstrottel. Seite 255: Verlo-genste Parteijournalistik der Welt . Seite 257: in Tollhäusernder prinzipiellste Blödling . Seite 259: Diktator, Banalität.Seite 261: Pleite, das Einmaleins. Schätzer. Seite 263: Sinddiese Intellektuellen schon so ganz dem Intellekt abtrünnig,dass sie den klarsten Sachverhalt von Fähigkeit und Leistung

nicht nur zu leugnen vermögen, sondern sich erfre-chen, den der sieht und nicht lügt, zur Rede zu stellen?Sind sie wirklich so undankbar oder so grausam dumm, ver-logen . Seite 264: Grundsätzliche Lügerei. Seite 265: LügnerischeHetze. Böswillige Agitatoren, gutartige Schätzer, Trotz-buberei . Seite 266: Lüge, Lügner. Seite 267: Infamie. Seite268: faustdicke Presslüge. Lügengebäude. Seite 269: IdiotischeTaktik . Seite 270: Radaupresse. Idiotie. Seite 271: Tropf.Seite 272: Linker Wisch. Seite 273: Trottelei. Seite 275: Hetzende Flüchtlinge. Seite 276: Ueber die Beseitigung desParlamentarismus äussert sich der Pr.Kl. folgend: dass ichdie Abschaffung der „legalen Tribüne“, auf der all derKohl gepflanzt werden konnte, für einen Segen halte . Seite 277: Dummheit. Belästigung, Erpressung und scham-lose Gewissenpfändung. Sozialdemokratisches Verbrechen .Seite 281: Hier beantragt der Pr.Kl., durch eine Notverordnungdie Prügelstrafe für „ Unverantwortliche“ Redakteure ein-zuführen. Seite 282: Schwachköpfe. Seite 285: Simpl.

Seite 286: Chuzbe, frech. Seite 288: Tatsachenlügen. Stuss,Dummheit, Orgien der Verlogenheit . Seite 289: Sozialdemo-kratische Mache . Seite 290: Lüge. Seite 291: Wut eines un-zulänglichen Brandstifters, verpfuschte Untat . Seite 293: Bestialität, Pack, ramponierte Demagogen, lügt, Lüge.Seite 294: Lüge. Seite 295: Lüge. Tölpl. Seite 296:Hier befasst sich der Privatkläger mit Dingen des Privat-lebens des französischen Politikers Felix / ? / Faure.Seite 312: Intellektuelle Ausbeuter.

Schon diese Beispiele aus der Nummer 890 bis905 der Zeitschrift „Die Fackel ermöglichen in ihrerGesamtheit ein Urteil darüber, was von der Behauptungder Anklageschrift zu halten ist, dass in diesem Fackel-hefte gegen den Marxismus und gegen die Sozialdemokratiekeine Ausfälle, daher weder wilde noch läppische unter-

nommen worden sind, sondern dass bloss die Haltung undPolitik der Führer der österreichischen Sozialdemokratieim Kampfe der Regierung gegen den Nationalsozialismuseiner durchaus berechtigten Kritik unterworfen wurde.

Ein Schriftsteller, welcher sich eine solche Spracheerlaubt, wie aus der ansehnlichen Reihe der oben angeführtenZitate hervorgeht, muss sich nach der bescheidenen Ansichtdes Beklagten gefallen lassen, dass seine Handlung vonden durch ihn Angefallenen entsprechend kritisiert werde.

Beweis: Fackel Nr. 890 bis 905.

ad 4/ Die Behauptung, der Pr.Kl. könne es den Arbei-tern nicht verzeihen, dass sie ihm den elektrischen Stromdurchgeschnitten haben:

Im Hefte der Fackel vom Juli 1934 wird aufSeite 74 bis 75 mit Erbitterung konstatiert, dass der Pr.Kl. am 12.II.1934 um 11 Uhr angeblich gerade die letzteKorrektur eines fertiggestellten Fackelheftes vornehmenwollte, als infolge eines Generalstreikes die Vornahmedieser Korrektur dadurch vereitelt wurde,dass das elektri-sche Licht ausgeschaltet wurde. Die Behauptung, dass derPrivatkläger nichts geschrieben habe, was die Annahmebegründet erschienen liesse, er sei gegen die Arbeiterwegen der Störung der elektrischen Leitung aufgebracht,ist daher im Widerspruch zu dem letzten Hefte der FACKEL.

Beweis: Fackelheft 890 bis 905.

ad 5./ Die Behauptung, an der letzten Nummer derFackel sei nicht mehr viel vom Kämpfer und Satiriker KarlKraus zu erkennen, bildet keinen strafbaren Tatbestand,sondern ist nur eine zulässige Kritik einer künstlerischenLeistung:

Beweis: Fackelheft Nr. 890 bis 905.

ad 6./ Was die Vergleichung des Privatklägers mit Ger-hart Hauptmann betrifft, ist es dem Gerichte überlassen zuentscheiden, ob in dieser Behauptung eine Ehrenbeleidigungzu erblicken ist. Insofern darin eine Anspielung daraufenthalten ist, dass der Privatkläger, ebenso wie GerhartHauptmann in seinem Alter die Ideale verlassen hat, für diebeide / Hauptmann und Kraus / in früherer Zeit gekämpfthaben, so wird über diese Behauptung der Wahrheitsbeweisin Verbindung mit dem Beweise über die anderen inkriminier-ten Stellen geführt werden.

ad 7/ Dass der Privatkläger den österreichischen unditalienischen Faszismus gegenüber dem Hitlerfaszismus des-halb für das geringere Uebel hält, weil jene die Judenungeschoren lassen, muss einem jeden klar sein, der dieFackel vom Juli 1934 liest. Aber auch dieser Vorwurf begrün-det nicht den Tatbestand der Ehrenbeleidigung, da im Ehren-beleidigungsprozesse nicht entschieden werden kann, welchesvon den faszistischen Systemen das kleinere Uebel darstellt,das reichsdeutsche, italienische oder österreichische.

Es ist das Recht des Privatklägers als Juden, den faszisti-schen Systemen den Vorzug zu geben, die die jüdischen Interes-sen weniger berühren, als der reichsdeutsche Faszismus.Dagegen ist es auch Recht des Beklagten, als Redakteur derArbeiterzeitung SOZIALDEMOKRAT, die die Interessen allerBedrückten und nicht nur der bedrückten Juden wahrt, einederartige Konzeption als kurzsichtig zu bezeichnen.

Ad 8/ Darüber, dass es der Pr.Kl. versucht, dietschechoslovakischen Behörden gegen die österreichischeEmigration aufzuhetzen, beantrage ich den Wahrheitsbeweisdurch die Fackel vom Juli 1934, in welcher zum Beispiel aufSeite 218 der Privatkläger die Tatsache kritisiert, dass dastschechoslovakische Volk den Emigranten Gastfreundschaft

gewährt. Eine weitere Denunziation der österreichischenEmigranten ist auf Seite 291 enthalten und in gleicherArt äussert sich der Privatkläger auch auf Seite 275. Alleindie Denunziation der österreichischen Emigranten ist auchan anderen Stellen der Fackel zu konstatieren, nämlich auchdort, wo nicht ausdrücklich an die tschechoslovakischen Be-hörden appeliert wird. Bei der Beurteilung dieses Vorgehensdes Privatklägers muss erwähnt werden, dass dieser dem reichs-deutschen Schriftsteller Alfred Kerr im Jahre 1928 eineeigene Nummer von 208 Seiten, betitelt „Der grösste Schuftim ganzen Land“ gewidmet hat, in welcher er den Beweisdarüber führt, dass der Schriftsteller Kerr dem Privatkläger in einem in einem Zivilprozesse überreichten Schriftsatz bei derdeutschen Oeffentlichkeit dahin denunziert habe, er / KarlKraus / sei kein deutscher Patriot. Wurde im inkriminiertenArtikel bemerkt, dass die tschechoslowakische Politik bishernicht durch die Ressentiments und Interessen der israeliti-schen Kultusgemeinde bestimmt werde, so kann in dieserBehauptung keine Beleidigung des Privatklägers erblicktwerden. Es wird vielleicht dem Zentralorgan eine Regie-rungspartei der tschechoslovakischen Republik gestattet sein,sich gegen die Einmischung eines Ausländers in innerpolitische Verhältnisse der tschechoslovakischen Republik und gegendas Bestreben zu verwahren, die tschechoslovakische Innen-und Aussenpolltik möge sich den Wünschen der reichen Wiener-juden anpassen, die / übrigens zum Unterschied von der überwiegenden Mehrheit der österreichischen Bevölkerung /mit der dort heute herrschenden Diktatur zufrieden sind,einverstanden sind, mit der Vernichtung der Koalitions- undOrganisationsfreiheit der Arbeiterschaft, mit der Auflösungder Arbeiterparteien und Gewerkschaftsorganisationen, mitder Vernichtung der demokratischen Freiheit und mit einerPolitik, die zur Restauration des österreichisch-ungarischenMonarchie unter der Führung des Geschlechtes der Habsburger

führt, sowie mit den Bemühungen, durch welche die auf demGebiete des ehemaligen Oesterreich-Ungarn entstandenenNationalstaaten gefährdet erscheinen. Verwahrt sich der Pri-vatkläger als neugebackener österreichischer Patriot dagegen,dass sich das Ausland um österreichische Ereignisse kümmert,so kann sich das Blatt des Beklagten mit weitaus grössererBerechtigung gegen die unzulässigen Eingriffe des Pr.Kl. in die tschechoslovakische Politik verwahren, allein voneiner Beleidigung des Privatklägers kann hiebei keine Redesein. Beweis: Die Fackel Nr. 890 bis 905, 787 bis 794.

ad 9./ Ob Fey, Starhemberg und Schuschnigg Faszistensind oder nicht, ob ihr Regime für den europäischen Friedenzuträglich ist oder ob sich diese heutigen Herrscher Oester-reichs in die Dienste der Habsburger und der übrigen Frie-denstörer begeben haben, kann nicht Gegenstand dieses Pro-zesses sein. Die Zeitschrift „Sozialdemokrat“ ist der An-sicht, die Herren Fey, Starhemberg und Schuschnigg seien eineKopie des deutschen Regimes und das österreichische dikta-torische Regime sei nur dadurch möglich gewesen, dassim benachbarten deutschen Reiche die nationalsozialistischeDiktatur zur Macht gelangt ist. Wenn der Privatkläger ent-gegengesetzter Ansicht ist, dann ist dies seine Sache. DieZeitschrift „Sozialdemokrat“ hat das Recht, diese Ansichtdes Privatklägers als unrichtig, resp. als verblendet zubezeichnen. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Ansichtender Parteien kann in diesem Prozesse nicht entschiedenwerden. Eine Beleidigung kann jedoch nicht dadurch gegebensein, dass vom Privatkläger behauptet wird, er habe eineirrige verblendete Ansicht über eine konkrete politischeSituation. Beweis: Fackel Nr. 890 bis 905.

ad 10/ Ich überlasse es der Beurteilung des Gerichtes,ob eine Ehrenbeleidigung darin zu erblicken ist, dass sichder Privatkläger gemäss der Regierungseines Staates gleichgeschaltet hat.

Der Privatkläger erklärt auf Seite 170 bis 315 des Fackel-heftes vom Juli 1934, dass und warum er ein glühender An-hänger des österreichischen Regimes ist. In diesem Hefte billigt der Privatkläger alles, was das jetzige österreichi-sche Regime verbrochen hat, von der verfassungswidrigen Auf-lösung des Parlaments und der Aufhebung der demokratischenVerfassung angefangen bis zur Kanonade gegen die Arbeiter-häuser und Hinrichtung der Arbeiterführer und Arbeiter.

Die Zeitschrift „Die Fackel“ vom Juli 1934 ist eine ein-zige Hymne auf die vermeintlichen Verdienste der österrei-chischen Regierungskreise und der österreichischen Generali-tät und eine ununterbrochene Kette von Verunglimpfungender Arbeiter und der politischen Arbeiterbewegung.

Dieser Standpunkt des Privatklägers istin absolutem Widerspruche zu alldem, das der Privatkläger Jahrzehnte hindurch verkündet und geschrieben hat. Allgemeinbekannt ist der vom Privatkläger geführte übermenschlicheliterarische Kampf gegen das alte Oesterreich, insbesonderein Kriegszeiten und sein Werk „Die letzten Tage der Mensch-heit“ ist unbestritten eines der hervorragendsten Werkeüber den Krieg der Weltliteratur überhaupt. Insbesondere hatder Pr.Kl. in diesem seinem hervorragenden Werke Oesterreich,die in Oesterreich herrschenden Kreise, den österreichischenMonarchismus, den österreichischen Militarismus und die österreichische Justiz seiner Kritik unterworfen. Auch ineiner unendlichen Reihe von Artikeln und Gedichten, die erin vielen Jahrgängen seiner Zeitschrift veröffentlicht hat,war der Privatkläger ein Kämpfer gegen Oesterreich und alleseine Gebrechen. Es ist daher höchst auffallend, dass derPr.Kl. zum Bewunderer des heutigen österreichischen Regimesund aller von ihm verübten Greuel geworden ist, zumal esfeststeht, dass dieses Regime nicht nur auf einer die Gewalttätigkeiten der österreichischen Monarchie übersteigen-den Gewalt aufgebaut ist, sondern dass dieses Regime als

Hauptziel die Restauration eben dieser vom Pr.Kl. unzähligemalemit Recht verfluchten Monarchie anstrebt.

Am 15. Juli 1927 gab es bekanntlich in Wien Unruhen und diePolizei hat die Demonstranten beschossen. Damals war derPrivatkläger der glühendste Kämpfer gegen den damaligen Poli-zeipräsidenten Schober und den damaligen Kanzler Seipl.

Der Privatkläger liess ein Plakat anbringen, mit welchem derPolizeipräsident Schober zum Rücktritt aufgefordert wurde.Den Ereignissen vom Juli 1927 widmete der Pr.Kl. eine gan-ze Reihe von Heften seiner Zeitschrift, insbesondere dieNummer 766 bis 770 „Der Hort der Republik“ vom Oktober 1927 Nr. 771 bis 776 vom Dezember 1927 „Mein Abenteuer mit Schober Nr. 777 Jänner 1928 „das Ereignis des Schweigens“ und Nr.778 bis 780 Mai 1928 „Blut und Schmutz oder Schober entlarvtBekessy. Ueberdies hat der Privatkläger ein ganzes Dramamit 4 Akten gegen Schober verfasst betitelt „die Unüberwind-lichen“. In allen diesen Schriften und in vielen anderen nochhat der Privatkläger Schober und Seipl, die Polizei, Regierungund die herrschende Christlich-soziale Partei in überausscharfer Weise angegriffen. Insbesondere war der Privatkläger ein eifriger Gegner der Heimwehr und des HeimwehrführersStarhemberg. In der Zeit vom Jahre 1927 bis 1932 hat der Pr.Kl. den Sozialdemokraten ununterbrochen vorgeworfen, ihr Kampfgegen Schober und die Christlich-Sozialen sei jetzt und frühernicht genügend energisch gewesen. Es existiert eine gewaltigeMenge von Artikeln und Gedichten des Privatklägers, inwelchen diese Kritik der Sozialdemokratie als zu massvollerPartei zum Ausdrucke gebracht wurde.

Nach den Ereignissen vom Feber 1934 ist der Pri-vatkläger trotz dem, was hier angeführt wurde, zu einem eifri-gen Verteidiger des jetzigen Regimes geworden, wiewohl dieEreignisse vom Feber 1934 weitaus schrecklicher waren, alsdie vom Juli 1927 und trotzdem, dass nach dem Feber 1934 ein-gesetzte resp. sich entwickelnde Regime vom Standpunkte dervom Pr.Kl. verfochtenen Ideale im Vergleiche zum Jahre 1927

wesentlich ärger ist, als die Regierung Seipls aus demJahre 1927 und die Schoberherrschaft aus dem Jahre 1929.Beweis: Die Fackelhefte 766 bis 770, 771 bis 776, 777, 778bis 780, Die Dramen „Die letzten Tage der Menschheit“,Die Unüberwindlichen“, die Gedichtsammlung „Zeit-strophen“ einerseits, andererseits die FACKEL Nr. 890 bis 905.

Prag, am 27. November 1934.

Dr. Emil Strauss gez. Dr. Schwelb.