193.43 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 20.II.1935
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 21.FEB.1935
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich habe Ihnen den Empfang Ihresgesch. Briefes vom 8. d.M., sowie des eingesendeten FackelheftesNr. 876 bis 884 nicht bestätigt und trage dies hiemit nach.Nach abermaliger Lektüre des Aufsatzes „Hüben und Drübenkomme ich wiederum zu der Erkenntnis, dass es unmöglich ist,die Prosa des Herrn Kraus in einer einigermassen befriedigendenWeise zu übersetzen. Es hätte auch kaum einen Sinn, einigeStellen des Aufsatzes „Hüben und Drüben“ dem Gerichte in tsche-chischer Uebersetzung vorzutragen, da sich offenbar wiederumdie Situation ergeben würde, die im Prozesse gegen den „AUFRUFeingetreten ist. Das Gericht wird voraussichtlich erklären, eskönne sich aus den Zitaten selbst kein Bild über die Tendenzund den Inhalt des betreffenden Aufsatzes machen, weswegen dieVorlage einer genauen und vollständigen Uebersetzung aufgetra-gen wird. Es ergibt sich dann die Frage, wen man mit der Ausar-beitung dieser Uebersetzung betrauen könnte und wer fähig wäre,die Aufsätze des Herrn Kraus derart in die tschechische Sprachezu übertragen, dass sie nicht an der Bildhaftigkeit der Ausdrucks-weise und Kraft der Darstellung einbüssen. Ueberdies müsste jedochdie Uebersetzung derart sein, dass ihre Richtigkeit von einemGerichtsdolmetsch beglaubigt werden könnte.

Nun beglaubigen Dolmetsche bekanntlich nur jene Ueber-setzungen, die den übersetzten Text wörtlich wiedergeben.Einen Text von Karl Kraus wörtlich zu übersetzen, ist abernicht nur unmöglich / wie könnte man das Bild und den Ausdruckfolgender Stelle auch nur einigermaßen entsprechend wieder-geben: Ausdruck des steten Würdebewusstseins mit vergnügtenSinnen, das von den Zinnen der Partei wie von einem Lug- undTrug-ins-Land auf alles Untertänige hinabschaut. /, sondernmüsste eine Darstellung ergeben, die den wahren Inhalt desTextes verzeichnet und die Kunst der Sprache nicht erkennenlässt.

Man müsste also, um dem Gerichte den Inhaltdes Aufsatzes „Hüben und Drüben“ zur Kenntnis zu bringenund um den beabsichtigten Zweck zu erreichen, nämlich zu beweisen, dass dieser Auf-satz die gleiche Tendenz hatte wie jener, durch den derSchreiber des inkriminierten Artikels zu dessen Verfassungprovoziert worden sein will, doch Sachverständige heranziehen.

Ich glaube, dass als einziger Prof. Dr. OtokarFischer in Betracht käme, weiss jedoch nicht, ob es Herrn Kraus genehm wäre, dass ich ihn als Sachverständigen beantrage undkann schliesslich nicht einmal dafür garantieren, dass ihn dasGericht als Sachverständigen zuliesse. Diese Bedenken sind beimir durch den Verlauf der Hauptverhandlung gegen ButschowitzDr. Bill entstanden, resp. noch vergrössert worden.

Ich habe nämlich bei dieser Verhandlung konstatie-ren müssen, dass es beinahe unmöglich ist, dem Gerichte das Wesendes Prozesses verständlich zu machen und dass man, wenn man nacheiner Hauptverhandlung den Eindruck hatte, das Gericht wüsste

jetzt, worum es sich handelt, bei der nächsten zur Ueberzeu-gung gelangen muss, alles, was man früher gesagt hat, sei ohneWirkung geblieben und man müsse von vorne anfangen. Das istausserordentlich deprimierend vor allem deshalb, weil jedesmalzu konstatieren ist, dass das Gericht mit grösster Bereitwillig-keit jede Gelegenheit ergreift, die Sache zu vertagen, sodass esgar nicht abzusehen ist, wann es zu einer Urteilsfällung kommenwird. Dabei muss ich sagen, dass die Richter der beiden Presse-senate keine schlechten Juristen sind und in den üblichen Presse-streitigkeiten verhältnismässig gut und auch gerecht judizieren.Sobald aber ein Prozess Probleme zum Inhalte hat, die den Richternfremd sind und in die sie sich einarbeiten müssten, stösst manauf einen Widerstand, den zu überwinden beinahe unmöglich erscheint.

Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass mir die Auf-wendung der bisher vergeblichen Mühe gar nichts ausmacht und dassich jederzeit gerne bereit bin, in Sachen des Herrn Kraus meinebescheidenen Kräfte, soweit eben diese reichen, einzusetzen. Esbedrückt mich nur das Bewusstsein, dass ich nicht weiterkomme,und auch die Furcht vor einem ähnlichen Fehlurteil, wie wir esin der Berichtigungsangelegenheit bereits erlebt haben.Diese Furcht wäre natürlich weitaus geringer, wenn es sich nichtum Prozesse des Herrn Kraus handelte und um Pressesachen, dieaus sprachlichen Gründen den Richtern nicht begreiflich gemachtwerden können. Trotzdem könnte ich nicht dazu raten, einem Antrageauf Delegierung eines deutschsprachigen Gerichtes zuzustimmen,weil die Richter eines solchen Gerichtes voraussichtlich auchnicht gescheiter sein werden, als die des Prager-Pressesenates

und weil bei jenen eine bei den Prager-Richtern immerhin vorhan-dene Eigenschaft, nämlich die Unvoreingenommenheit, nicht unbe-dingt vorauszusetzen ist.

Es wird sich also darum handeln, sich zu ent-scheiden, ob der Aufsatz „Hüben und Drüben“ übersetzt werdenoder ob man nicht lieber über den Inhalt dieses Aufsatzes einSachverständigengutachten einholen soll. Entscheidet man sichfür die zweite Eventualität, steht man vor der Frage der Wahldes Sachverständigen.

Ich bitte daher, Herrn Kraus zu befragen, ober damit einverstanden ist, dass ich mich an Herrn Prof. Fischer wende und zwar sowohl wegen der Uebersetzung, als auch wegen der evtl.Uebernahme des Sachverständigenamtes oder ob er sonst irgendwelchediesbezügliche Wünsche hat. Dabei bemerke ich, dass mir geradeheute die Ladung zur Hauptverhandlung für den 1.III. d.J.zugestellt wurde.

Ich habe alle diese Mitteilungen nicht nur fürden Prozess gegen den „Sozialdemokrat“ sondern auch für alle an-deren anhängigen Streitfälle vorgetragen, um Herrn Kraus und Ihnen,sehr geehrter Herr Doktor, zur Kenntnis zu bringen, welche Schwie-rigkeiten hier bestehen. Trotzdem wollte ich dadurch nichtetwa zum Ausdrucke bringen, dass ich die Prozesse für aus-sichtslos halte oder dass ich dazu rate, in allen Fällen einenVergleich anzustreben, sondern vielmehr heute schon daraufvorbereiten, dass mit einer baldigen Beendigung der Prozessenicht zu rechnen ist.

Indem ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, bitte,diese Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen und Herrn Kraus zurKenntnis zu bringen und ihm meine ergebensten Grüsse zu bestellenzeichne ich mit dem Ausdrucke

vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenerDr. Turnovsky

21. FEB. 1935KrausSozialdemokrat