193.56 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 7.XII.1935
Betreff: Kraus Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 9.DEZ.1935
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich berufe mich auf unsere wieder-holten telefonischen Rücksprachen in dieser Angelegenheit.Ich hatte bereits alle Vorkehrungen getroffen, um heute in derNacht nach Wien zu fahren und zu diesem Zwecke die für Montagund Dienstag angesetzten Konferenzen für heute Nachmittag an-geordnet. Nun bekam ich im letzten Augenblicke die Ladung zueiner Beweisaufnahme in einem nicht unwichtigen und bereitslänger als ein Jahr anhängigen Prozesse für Montag früh. Da ich in dieser kurzen Frist eine Substituten in die Prozess-materie nicht entsprechend hätte einweihen können, musste ichmich entschliessen, die geplante Reise aufzugeben und die Beweis-tagsatzung selbst zu versehen. Ich hätte also für die Besprechun-gen in Wien nur den Sonntag zur Verfügung, eigentlich nur den Nach-mittag, da Herr K. vormittag sicherlich mit mir die Angelegenhei-ten nicht besprechen könnte. Unter diesen Umständen glaube ichauf eine mündliche Besprechung verzichten zu müssen, was mirnicht nur deswegen leid tut, weil ich so auch bei der Vorlesung,auf die ich mich schon sehr gefreut hätte, nicht anwesend sein kann.

Wie Sie, sehr geehrter Herr Doktor, wissen,

wurde mir bei der am 27.XI. d.J. abgehaltenen Hauptverhandlungzur schriftlichen Aeusserung zum Delegierungsantrage des Ange-klagten und zu dem Beschlusse des Gerichtes, mit welchem dieVorlage der Akten an das Obergericht verfügt wurde, eine acht-tägige Frist erteilt. Bei dieser Hauptverhandlung fungierte,wie es bei uns üblich ist, wenn der Vorsitzende nicht selbstdas Referat hat, dieser, nämlich Herr OberlandesgerichtsratSvoboda als Votant und der den Vorsitz führende Referent O.L.G.R.Tisek, hat die 8-tägige Frist bewilligt, nachdem ihm der Senats-vorsitzende empfohlen hatte, dies zu tun. Da ich beide Richterkenne und weiss, dass sie immer sehr entgegenkommend sind, habeich nicht daran gezweifelt, dass mir eine Fristverlängerung ge-währt werden wird, wenn ich darum ansuche. Ich muss bemerken,dass eine schriftliche Aeusserung zu dem Delegierungsantrag undzu dem Beschlusse, mit welchem die Entscheidung des Obergerich-tes unter Vorlage der Akten als zulässig erklärt wird, in derProzessordnung nicht vorgesehen ist und dass ich, um die Bewil-ligung, resp. Zulassung dieser Aeusserung nur deswegen ange-sucht habe, um meine kurze Entgegnung zu dem gestellten Antrageund zu dem verkündigten Beschlusse entsprechend ausführen zukönnen. Dass mir die Ueberreichung dieser Aeusserung auch inder über mein Ansuchen zu verlängernden Frist möglich sein wird,konnte ich umsoeher voraussetzen, als O.G.R. Svoboda, als ichbei ihm vorsprach, mitteilte, er werde zwar in den nächstenTagen den Vorsitz des Pressesenates aufgeben, weil er zum Vor-sitzenden des Jugendgerichtes ernannt worden sei, er nehme je-doch an, dass O.G.R. Dr. Tisek, sein Nachfolger und Referent indieser Sache, die Frist ohne weiteres bewilligen werde.

Dr. Tisek war gerade krank und so habe ich vor Ablauf der Fristein Fristgesuch überreicht, die Vorsteherin der Kanzlei ersucht,es Herrn Dr. Tisek sofort nach seiner Rückkehr vorzulegen undmich telefonisch zu verständigen, bis er ins Amt zurückkehrt.Dies ist heute früh geschehen und ich fuhr nach Pankrac hinaus,um Herrn Dr. Tisek nochmals mündlich zu ersuchen, er möge dieFrist bewilligen. Zu meiner nicht geringen Ueberraschung erklär-te er, die Fristverlängerung nicht bewilligen zu können. Erbegründete dies damit, dass er persönlich die Unzulässigkeiteiner schriftlichen Aeusserung gleich anlässlich des von mirgestellten Antrages erkannt habe, jedoch dem damaligen Senats-vorsitzenden nicht habe widersprechen wollen, als dieser sichfür die Erteilung der Frist geäussert habe. Jetzt wolle eraber, als nunmehriger Senatsvorsitzender, eine Verlängerung derFrist nicht mehr zulassen, umsoweniger, als nach seiner Ansichtdie Aeusserung überhaupt nicht hätte zugelassen werden sollenund als die Unterlassung einer Aeusserung für den Antragsteller,resp. für den Privatkläger, keinerlei prozessuale Nachteile zurFolge haben könne und er überzeugt sei, dass das Obergericht die Bewilligung der Fristbewilligung unbedingt rügen würde.

Ich habe mich sehr bemüht, ihn von dieser Absicht abzubrin-gen und nur soviel erreichen können, dass er mir zusagte, erwerde noch darüber erwägen, evtl. auch noch den Vorsitzendendes zweiten Pressesenates über seine Ansicht befragen. Mit die-sem konnte ich heute jedoch nicht sprechen, da er nicht im Amtewar. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Herr O.L.G.R. Dr. Tisek

das Fristgesuch abweisen wird. Wiewohl ich den mir am 5. d.M.zugestellten Entwurf des Schriftsatzes ohnehin nicht hättefristgemäss übersetzen und überreichen können, ist es mir aus-serordentlich peinlich, dass es mir nicht möglich war, HerrnDr. Tisek umzustimmen und dass daher aller Wahrscheinlichkeitnach die Ueberreichung des Schriftsatzes wird unterbleibenmüssen. Dies hat wohl keine prozessualrechtlichen Folgen, immer-hin wäre es mir sehr lieb gewesen, wenn die Aeusserung abgege-ben worden wäre, weil sie für die Entscheidung des zweitinstanz-lichen Gerichtes wohl gewisse Richtlinien enthalten hätte.

Ich werde trachten, den Vorsitzenden des Senates beim Oberge-richt zu veranlassen, er möge dem Delegierungsantrage nichtstattgeben. Gegen eine verfügte Delegierung kann man beimKassationshofe Beschwerde führen und diese Beschwerde kann undmuss jene Ausführungen enthalten, die man durch die beabsichtig-te Aeusserung, deren Vorlage voraussichtlich nicht zu errei-chen sein wird, dem Obergerichte zur Kenntnis bringen wollte.

Da die Beschwerdefrist gemäss § 63 St.P.O. 3 Tagebeträgt, muss die Beschwerde für alle Fälle jetzt schon vorbe-reitet werden. / Ich glaube annehmen zu dürfen, dass das Oberge-richt dem Delegierungsantrage kaum stattgeben wird / Für dieseBeschwerde möchte ich die in Ihrem Schriftsatze enthaltenenAusführungen mit Auslassung der blau eingeklammerten Stellenverwenden. An Stelle des blau-rot eingeklammerten Passus möchteich eine Ueberleitung zu den nachfolgenden Ausführungen einfügen:Den ganzen Schriftsatz möchte ich möglichst kürzer fassen, weilich der Ansicht bin, dass die Gerichte vor so umfangreichen

Schriftsätzen einen gewissen Horror haben, der auf die Entschei-dung vielfach einen nicht unwesentlichen Einfluss ausübt.

Sollte mir also, was ich wohl annehmen muss,die Abweisung des Fristgesuches zugestellt werden, dann werdeich gleich nach Vorlage der Akten an das Obergericht mit demVorsitzenden des Rekurssenates verhandeln und Ihnen möglichstbald für den Fall, dass das Obergericht dem Delegierungsantragestattgeben sollte, den Entwurf der gegen den diesbezüglichen Be-schrift zu überreichenden Beschwerde an das Obergericht vorlegen.

Ich schliesse Ihren Schriftsatz bei undbitte um Ihre Aeusserung, ob Herr K. mit der Auslassung der blaueingeklammerten Stellen einverstanden ist.

Da ich demnach nicht die Möglichkeit habenwerde, die anhängigen Angelegenheiten mit Herrn K. und Ihnen zubesprechen, bitte ich, mir bekanntgeben zu wollen, ob Herr K. die Ueberreichung der Ehrenbeleidigungsklage gegen Dr. Schwelb wegen der am 27.XI. d.J. mir gegenüber abgegebenen Aeusserungenund der Presseklage gegen Dr. Strauss wegen des Artikels vom30.XI. d.J. wünscht. Ferner bitte ich um Ihre gefl. Mitteilung,wie sich Herr K. in der Frage der Einvernahme im Prozesse gegenMelantrich entschieden hat.

Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie leides mir tut, dass ich mich über die Aussichten für das Fristver-längerungsgesuch getäuscht habe. Aber Sie werden wohl selbsteinsehen, dass ich da unschuldig bin und nach den vorliegendenUmständen absolut nicht annehmen konnte, dass das Fristgesuchabgewiesen werden konnte.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Doktor, Herrn K. meine besten Empfehlungen zu bestellen und bin mit besten Grüs-sen und dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung

ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat 9. DEZ. 1935