193.71 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift
  • Oskar Samek, roter Stift
  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 23.I.1936

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 24.JAN.1936
Seite von 4

SuchronyVII u: Vozcoky Čp 12/187080

Sehr geehrter Herr Doktor.

In der Angelegenheit Kraus ca: „Sozialdemokrat/ Dr. Emil Strauss / fand, wie Sie wissen, heute die fortgesetzteHauptverhandlung statt. Wie vorauszusehen war, hat der Verteidi-ger, Dr. Schwelb, neue Beweisanträge gestellt und an Stelle desgescheiterten Beweises durch Vorlesung der Publikationen desHerrn K. über die in seinem Beweisantrage behaupteten Tatsachenden Beweis durch die Zeugenaussage des Dr. Wolfgang Brügel undDr. Emil Franzel beantragt.

Ich habe mich gegen die Zulassung dieserBeweise energisch verwahrt und auf die Methode der Prozessführungdes Angeklagten, durch welche die Verschleppung der Angelegenheitund Verzögerung der Urteilsfällung angestrebt wird, eindringlichhingewiesen. Hiebei habe ich die im Entwurfe für die Aeusserunggegen den Delegierungsantrag angeführten Umstände, soweit es indiesem Rahmen möglich war, zur Sprache gebracht.

Die Protokollierung gibt wiederum kein vollständiges Bild des Ver-laufes der Verhandlung, enthält aber immerhin in gedrängterForm das Wesentliche. Ich gebe Ihnen den Wortlaut des Protokollesin deutscher Uebersetzung wieder und möchte zu den Anträgen des

Verteidigers, sowie zu dem erflossenen Beweisbeschluss, fol-gendes bemerken:

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtes kannder Wahrheitsbeweis auch durch Tatsachen erbracht werden, dieerst nach der beleidigenden Handlung erfolgt sind. Ich habe– was nicht protokolliert wurde – dagegen remonstriert, dass zumWahrheitsbeweis behauptete Tatsachen herangezogen werden sollen,die selbst nach den Angaben der Verteidigung lange nach demErscheinen des inkriminierten Artikels eingetreten sein sollen,sodass die Wahrheit der inkriminierten Behauptungen durch dieseTatsachen keinesfalls bewiesen werden könnte. Trotzdem hat dasGericht, eben unter Berufung auf die Judikatur des Obersten Ge-richtes, die beantragten Beweise zugelassen.

Der Passus über den Präsidenten der Republik ist für die nieder-trächtig demagogische Prozessführung der Gegenpartei bezeichnend.Präsident Beneš ist bekanntlich Nationalsozialist, also Mitgliedeiner Partei, die trotz ihrem Namen absolut nicht marxistisch,sondern eher antimarxistisch ist. Heute fühlen sich die HerrenSozialdemokraten durch eine Bemerkung über den damaligen nationalsoziali-stischen Aussenminister in ihren patriotischen Gefühlen offenbarverletzt! Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich HerrDr. Franzel bei seiner Einvernahme benehmen wird und wie er aufdie zu erörternde Tatsache reagieren wird, dass er nicht langevor Erscheinen des inkriminierten Artikels den zum Beweise zu-gelassenen Huldigungsartikel verfasst und veröffentlicht hat.

Ich bitte mir mitzuteilen, was Sie und Herr K. davon halten, dass an diese beiden Zeugen die Frage gestellt wird,

ob sie den inkriminierten Artikel nicht verfasst haben.

Bei dieser Gelegenheit bitte ich zur Kennt-nis zu nehmen, dass die Vergleichstagfahrt im zweiten Prozessgegen den „Sozialdemokrat“ für den 27. d.M. angeordnet wurde.Da ich annehme, dass Herr K. mit diesen Leuten keinen Vergleichabschliessen will, werde ich bei der Tagfahrt nicht inter-venieren, was gleichbedeutend ist mit der Ablehnung einesVergleiches. Sollte Herr K. jedoch wünschen, dass interveniertwerde, dann bitte ich um Weisungen über den Wortlaut einerzu akzeptierenden Satisfaktionserklärung.

Ich weiss nicht, ob Sie bei der Einvernahmedes Herrn K. in Sachen Melantrich zu intervenieren gedenken,sende Ihnen aber für alle Fälle eine Substitutionsvollmachtein.

Indem ich Sie bitte, Herrn K. meine bestenGrüsse zu bestellen und Sie selbst herzlich grüsse, zeichne ich

in vorzüglicher Hochachtung:Dr. Turnovsky

2 Beilagen

Franz Ferdinand.Brügel, Radiovortrag abgesagt.persönlich angegriffenFranzel, Im Auftrag geschriebenKraus – als Zeuge

KrausSozialdemokrat 24. JAN. 1936