193.72 Übersetzung [Protokoll der Hauptverhandlung]

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 23. Januar 1936
Seite von 4

Uebersetzung:

Der Verteidiger bringt dasselbe vor, wiein seiner Eingabe Bl.Z. 20–28 mit dem, dass er auch bezüg-lich des Punktes III / wilde und läppische Ausfälle gegen denMarxismus und die Sozialdemokratie / den Wahrheitsbeweis an-biete, wenn auch die Anklage in dieser Richtung zurückgenom-men worden ist, weil auch die Beweisführung über diesen Punktfür die Beurteilung des Zusammenhanges des inkriminiertenArtikels wichtig ist und führt über die in seiner Eingabeangeführten Tatsachen die Zeugen Dr. Wolfgang Brügel, Prag – XIVFibichova 40, und Dr. Emil Franzel, Redakteur, Prag – XII, Fochova 62.Ferner gibt er an, dass er über Punkt X / Gleichschaltung /dieselben Zeugen auch noch darüber führt, dass sich derPrivatkläger gemäss den Verhältnissen in Oesterreich tatsäch-lich gleichgeschaltet hat, weil er vor dem im Feber 1934 er-folgten Umsturze und schon längst vorher ein eifriger Gegnerder österreichischen Dynastie und des österreichischen Monar-chismus gewesen ist und sich nach dem erwähnten Datum voll-kommen den österreichischen Verhältnissen angepasst und inseinen im Mai und August 1935 veröffentlichten Artikeln desHabsburger-Geschlechtes angenommen hat, er äusserte sich da-hin, dass die Rückgabe der Güter an die Habsburger der Rück-erstattung des Hauses an den Hausherrn gleichkomme. Er hateine Wiener-Zeitung nur deshalb scharf kritisiert, weil sieeine Agitationsrede des Heimwehrführers, Obst. Adam nicht voll-ständig veröffentlicht hat und er ist in seiner Anpassung andie in Oesterreich herrschenden monarchistischen und ständisch-faszistischen Ideen sogar so weit gegangen, dass er grundlosden jetzigen Präsidenten der Č.S.R. und damaligen Aussenmini-ster wegen seiner staatsmännischen Tätigkeit beleidigt undüber die Demokratie der Č.S.R. angeführt hat, dass sie nochdie beispiellose Dummheit der englischen Arbeiterpartei über-

troffen habe.

Der Vertreter des Privatklägers beharrtbei seinen bisherigen Anträgen, insbesondere bei den inder letzten Hauptverhandlung vorgebrachten, und beantragt,die vom Verteidiger heute angebotenen Beweise nicht zuzu-lassen, da sie nicht dem Wahrheitsbeweise dienen und ver-spätet sind. Gemäss § 6 Abs. 2/a/ des Gesetzes über denEhrenschutz ist der Angeklagte nicht strafbar, wenn er be-weist, dass die von ihm angeführten oder mitgeteilten Tat-sachen wahr sind. Der Angeklagte wird deswegen verfolgt,weil der inkriminierte Artikel darauf gerichtet ist, dassder Leser die Ueberzeugung gewinne, der Privatkläger habeseine Gesinnung aus niedrigen und unehrenhaften Beweggrün-den geändert. Die Gesinnungsänderung als solche ist keinebeleidigende Tatsache, weil sie auf Grund einer gewonnenenUeberzeugung erfolgt sein kann. Der Angeklagte wird nichtdeswegen verfolgt, weil der inkriminierte Artikel dem Pri-vatkläger Gesinnungsänderung zum Vorwurfe machte, wiewohlauch diese Behauptung unwahr ist, sondern deshalb, weil indem inkriminierten Artikel die Behauptung enthalten ist,dass diese Gesinnungsänderung auf den in dem Artikel an-geführten verächtlichen Beweggründen beruht. Der Wahrheits-beweis könnte nur dadurch erbracht werden, wenn daß behauptetund bewiesen würde, dass eine Aenderung der Gesinnung desPrivatklägers auf Grund niedriger und unehrenhafter Beweg-gründe erfolgt ist, z.B.: dass der Privatkläger seine Gesin-nung deswegen geändert habe, weil er von dem in Oesterreich herrschenden Regime bestochen ist oder aus Feigheit, Opportu-nismus oder aus einem anderen unehrenhaften Motiv.

Der Vertreter des Privatklägers stelltden Antrag, der Angeklagte möge darüber einvernommen werden,

wer mit dem ausgewachsenen Zuchthäusler, den der Privat-kläger nach dem inkriminierten Artikel über Lassalle stellt,gemeint ist.

Nach Beratung verkündete der Vorsitzende den Beschluss, dass die von der Verteidigung geführtenBeweise und zwar durch Einvernahme des Dr. Wolfgang Brügel und Dr. Franzel über die Behauptung der Verteidigung / Ein-gabe Bl.Z. 20 /, sowie über das heutige Vorbringen des Ver-teidigers und durch die Einvernahme des Zeugen HeinrichFischer, Dr. Emil Franzel, sowie durch Verlesung des im„Sozialdemokrat“ vom 28.4.1935 erschienenen Artikels überdas Vorbringen des Vertreters des Privatklägers zugelassenwerden.

Der Antrag des Vertreter des Privatklägers,dass der Angeklagte darüber einzuvernehmen sei, wen er mitdem Zuchthäusler, der nach dem inkriminierten Artikel vomPrivatkläger über Lassalle gestellt wird, meint, wird abge-wiesen , weil es Sache des Gerichtes ist, den Inhalt desinkriminierten Artikels vom Standpunkte des durchschnitt-lichen Lesers auszulegen. / ein Zitat aus einem Judikat /

Der Vertreter des Privatklägers legt denzum Beweise angebotenen Artikel vor, der Verteidiger an-erkennt, dass dieser Artikel etwa im April 1934 im „Sozial-demokrat“ erschienen ist.

Zur Durchführung der zugelassenen Beweisewurde die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.

N.B.: Die eingeklammerten Bemerkungen stehen nicht im Protokoll.

KrausSozialdemokrat 24. JAN. 1936