193.77 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 7.II.1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat / Dr. Strauss /

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 8.FEB.1936
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich habe die Einvernahmsprotokolle derZeugenaussagen Heinrich Fischer, Dr. Franzel und Dr. Brügel ge-lesen und in Abschrift genommen und sende Ihnen eine Uebersetzung ein, die ich möglichst wörtlich gehalten habe. Herr Fischer teil-te mir mit, dass der Richter von ihm nichts anderes hören wollte,als die Antwort auf die an ihn gestellten Fragen, die er so aus-führlich gegeben hat, als es möglich war.

Die Aussage des Dr. Franzel ist infam genug,die des Dr. Brügel jedoch eine unerhörte Frechheit.

Ich nehme an, dass nunmehr die Hauptverhand-lung in kurzer Zeit stattfinden wird und ich glaube, dass esgut wäre, schriftliche Beweisanträge zu stellen, und Beweise anzubieten, durch die dieBehauptungen der Zeugen Franzel und Dr. Brügel widerlegt werdensollen. Diesen Weg schlage ich deshalb vor, weil ich mich über-zeugt habe, dass trotz grösster Energie eine genaue Protokollie-rung der mündlich vorgebrachten Anträge nicht zu erzielen istund ich doch gerne eine Aeusserung zu den Aussagen der beidengegnerischen Zeugen in den Akten haben möchte. Es ist sicher

unzulässig, von Zeugen Meinungsäusserungen abgeben und proto-kollieren zu lassen, anstatt sie über Tatsachen zu befragen.Ob sich jemand gleichgeschaltet hat, darüber kann man ein Urteilabgeben, dies jedoch nicht als Tatsache bestätigen. Die Zeugenhätten also nur befragt werden dürfen, in welcher mündlichenoder schriftlichen Aeusserung Herr K. Lassalle für etwas Geringeres er-klärt hat als einen Zuchthäusler oder – und das wäre schon sehrweit gegangen – aus welcher Aeusserung des Privatklägers der Zeu-ge schliessen kann, dass sich Herr K. gleichgeschaltet hat.„Gleichschaltung“ ist ja überhaupt nur ein Begriff und nochdazu ein sehr unklarer und keine Tatsache, über die allein Zeu-gen aussagen können. Man wird also gegen diese Art der Einver-nahme auch Einspruch erheben müssen. Es wäre natürlich das Beste,wenn Herr K. selbst aussagen könnte, nur ist es mit der Spracheso schwer. Ein Dolmetsch wird kaum die Worte des Herrn K. getreuübersetzen können und die Richter werden sie leider voraussicht-lich, überhaupt nicht verstehen. Ob man wird durchsetzen können,dass Herr K. in Wien einvernommen wird, weiss ich nicht; ichwürde jedenfalls, wenn er dies möchte, mit dem Vorsitzenden undReferenten darüber sprechen. Damit aber genügend Zeit bleibt,die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen, bitte ich, mirmöglichst bald bekanntzugeben, was Herr K. und Sie zu unterneh-men gedenken, insbesondere ob Sie es auch für richtig halten,eine schriftliche Aeusserung abzugeben und in dieser Beweisan-träge zu stellen.

Indem ich bitte, Herrn K. meine besten Grüssezu bestellen und Sie selbst herzlichst grüsse, bin ich

in vorzüglichster HochachtungIhr ergebener:Dr. Turnovsky

1 Beilage.

P.S.

Ich bemerke noch, dass mich Herr Fischer gefragt hat, ob erDirektor Frankl von der URANIA mitteilen soll, dass er michals Anwalt des Herrn K., von der Vergleichsanregung durchFrankl unterrichtet hat. Ich sagte ihm, er möge, wenn sie daraufzu sprechen kommen, antworten, dass er mir davon gesagt habe,dass ich ihm jedoch erwidert hätte, ich könne derlei privateAnregungen nicht zur Kenntnis nehmen und an meinen Mandanten weiterleiten, da sich daraus Komplikationen ergeben könnten,die ich vermeiden will.

Dr. T

KrausSozialdemokrat 8. FEB. 1936