193.145 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 8.VI.1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat | Berichtigung

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

In der oben angeführten Angelegenheithat heute die Verhandlung über den Antrag nach § 14 Press-gesetznovelle stattgefunden. Es wurde konstatiert, dass die La-dung an Dr. Strauss nicht zugestellt werden konnte, da dieseram Tage der versuchten Zustellung abwesend war und laut Mit-teilung des Dienstmädchens bis 8. oder 9. d.M. ausserhalb Prags weilt. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Richter, einem jungensehr entgegenkommenden Referenten, über die Sache zu sprechen.Er ist der Ansicht, dass die Berichtigung in ihrem zweitenTeile dem § 11 nicht entspricht und zwar deshalb, weil durchsie die in der zu berichtigenden Nachricht enthaltenen Tat-sachen weder richtiggestellt noch widerlegt werden. Er findetkeine Antithese darin, dass wir der Behauptung, Dr. Strauss seivollinhaltlich freigesprochen worden, die Tatsache gegenüber-stellen, er sei ausschliesslich aus dem formalen Grunde des§ 18 freigesprochen worden. Damit hat der Richter nun recht,und man hat ja bei der Verfassung des Berichtigungschreibensdamit gerechnet, dass dieser zweite Teil der Berichtigung imSinne des § 14 Absatz 4 der Pressgesetznovelle einer Neufassungunterzogen werden wird.

Der Richter hat mich aber auf einen Umstand auf-merksam gemacht, der die Abweisung des Antrages nach § 14Absatz 1 auch bezüglich des ersten Teiles der Berichtigungzur Folge haben könnte. Bekanntlich muss nach § 13 die Berich-tigung nicht veröffentlicht werden, wenn sie das dreifache Aus-mass der ursprünglichen Nachricht übersteigt. Bisher wurde unterNachricht der ganze berichtigte Artikel verstanden. Nach einerjüngst erflossenen Entscheidung des Kreis-Strafgerichtes alsRekursinstanz ist unter „Nachricht“ nicht der ganze zu berich-tigende Artikel, sondern nur jene Behauptung zu verstehen,deren Berichtigung verlangt wird. Wird also nur ein Teil desursprünglichen Artikels berichtigt, so darf die Berichtigungdas dreifache Ausmass dieses Teiles nicht übersteigen. DasRekursgericht ist so weit gegangen, dass es das zulässigeGrössenverhältnis durch Feststellung der Anzahl der Buchstabenkonstatiert und erkannt hat, die in dem betreffenden Falleverlangte Berichtigung sei mit Recht verweigert worden.

Ich habe daher vorsichtshalber auch die Buchsta-ben unseres Berichtigungschreibens gezählt und festgestellt,dass die berichtigende Stelle dieses Schreibens die berich-tigte Behauptung ihrem Ausmasse nach um mehr als das Dreifacheübersteigt, sodass die Gefahr besteht, dass der Antrag kosten-pflichtig abgewiesen wird.

Wir könnten, da die zweimonatige Frist des § 13Zahl 1 erst am 16. d.M. abläuft, Dr. Strauss ein neues Berichti-gungschreiben einsenden, in welchem auf die obige, wiederumsehr geistreiche Entscheidung gebührend Bedacht genommen wird.

Ich bitte, darüber zu erwägen und die Wei-sung des Herrn K. einzuholen. Ich müsste allerdings die Ant-wort möglichst bald erhalten, damit ich die Frist einhaltenkann.

Sollte Herr K. die Einsendung eines neuen,entsprechend gekürzten Berichtigungsschreibens mit vollständi-ger Auslassung der Berichtigung der zweiten Behauptung überden vollinhaltlichen Freispruch nicht wünschen, dann wäre esvielleicht besser, den Antrag überhaupt zurückzuziehen.

Ich sehe Ihrer gesch. Rückäusserung gerneentgegen und zeichne in vorzüglichster Hochachtung und mit

besten Grüssen, Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

10. JUNI 1936Kraus Sozialdemokrat