193.154 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 8.IX.1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat, Dr. Emil Strauss

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Doktor.

In dieser Angelegenheit, die bekanntlichnoch beim Obersten Gerichte liegt, habe ich durch Vermittlungder Kollegen Dr. Herrmann & Gallia wiederholt Erkundigungen ein-gezogen. Wie Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, bekannt ist, liegtein Parallelfall vor, der von der Kanzlei des ehemaligen Justiz-ministers Dr. Meissner behandelt wird. Auch ein dritter Fall sollin der Slowakei vorgekommen sein. Im Falle des Dr. Meissner wurdedie Einwendung des unterlassenen Vorbehaltes vom Angeklagten erstin einer nach Ueberreichung der Nichtigkeitsbeschwerde an dasOberste Gericht gerichteten Eingabe erhoben. Dr. Meissner hat, wiemir sein Sozius heute mitteilt, die Verständigung erhalten, dassdie Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen wird, dass jedoch mit Rück-sicht auf die Grundsätzlichkeit der nachträglich erhobenen Ein-wendung über diese Einwendung eine öffentliche Verhandlung ange-ordnet wird. Diese Verhandlung soll im Laufe dieser Woche statt-finden. Dr. Sommer, d.i. der Sozius des ehemaligen Justizministers,fährt persönlich zu dieser Verhandlung und hat auch das Terrainbereits sondiert. Es muss im Senate eine Kampfabstimmung statt-gefunden haben, bevor es zur Anordnung dieser Verhandlung gekom-

men ist. Die Generalprokuratur soll unserem Standpunkte voll-kommen Recht geben, während einige Senatsmitglieder den ent-gegengesetzten Standpunkt einnehmen und sich dabei auf diemir bekannte Publikation des Brünner Strafrechtlers Kallab stützen. Durch diese Publikation scheint diese ganze Verwir-rung entstanden zu sein. Interessant ist, dass Dr. Steiner, einbekannter juristischer Schriftsteller, dermalen Richter desObersten Gerichtes, in seiner zweiten Publikation über dasEhrenschutzgesetz schon auf den Fall des § 18 in unserem Sinnehinweist. Auch Entscheidungen des alten österreichischen Ober-sten Gerichtshofes zum § 57 St.P.O. deuten auf die Unrichtigkeitder Auslegung des § 18 seitens des Prozessgerichtes hin.Ich habe mit Dr. Sommer den Fall noch einmal eingehend bespro-chen und er wird seine und meine Argumente bei der Verhand-lung geltend machen. Es scheint also Aussicht zu bestehen,dass die Angelegenheit günstig erledigt werden wird, woranmir, wie Sie begreifen werden, sehr viel gelegen ist.Ich bin froh, dass Dr. Sommer als Erster die Angelegenheitbeim Obersten Gerichte vortragen und dass nicht der slowaki-sche Fall zuerst vorgetragen wird, weil ich den slowakischenAnwalt nicht kenne, dagegen von der Tüchtigkeit des Dr. Sommer überzeugt bin. Er beschäftigt sich schon lange mit dem Ehrenschutz-gesetz und ist auch ein namhafter juristischer Schriftsteller,dabei Gesellschafter des ehemaligen Justizministers Dr. Meissner,welcher gleichfalls ein hervorragender Jurist ist.

Ich werde nicht ermangeln, Ihnen nach Rückkehr des Dr.Sommer zu berichten wie die Sache ausgefallen ist.

Mit vorzüglichster Hochachtung und besten GrüssenIhr sehr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat9. SEP. 1936