193.158 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 28.XII.1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat | / zweiter Pressprozess gegen Dr. | Schwelb, Dr. Strauss wegen des | Prozessberichtes

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

In der obigen Angelegenheit wurde, wieSie wissen, die Presseklage überreicht und da zur Vergleichs-tagfahrt niemand erschienen ist, habe ich die Anklageschriftvorgelegt.

Heute erhielt ich von der Advokatenkam-mer eine Disziplinaranzeige des Herrn Dr. Egon Schwelb, zu derich mich innerhalb einer 8 tägigen Frist zu äussern habe.Dr. Schwelb beklagt sich darüber, dass die allgemeinen Interes-sen des Advokatenstandes durch das Vorgehen des Herrn Kommer-zialrates Josef Kraus und durch mein Vorgehen verletzt wordensind und ersucht die Advokatenkammer, ihn in seiner Abwehrgegen dieses Vorgehen, welches an die Grundrechte der Advoka-tur und der freien Verteidigung rührt, zu unterstützen. Erführt aus, dass er Herrn Dr. Emil Strauss im Pressprozesse gegenHerrn Karl Kraus verteidigt hat und dass am 15.4.1936 bei derHauptverhandlung sein Mandant freigesprochen und der Privat-ankläger zum Kostenersatze verurteilt wurde. Dieser hat gegendas Urteil die Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und ausgeführt.

Eine Entscheidung ist bisher nicht herabgelangt. Ueber dieHauptverhandlung und über das bei ihr gefällte freisprechendeUrteil erschien in der Zeitung SOZIALDEMOKRAT vom 16.4.1936 ein Bericht, der vom Beschwerdeführer vorgelegt wird.Wegen des Inhaltes dieses Berichtes überreichte Herr KarlKraus, vertreten durch mich, eine neue Presseklage und zwarnicht nur gegen den verantwortlichen Redakteur der Zeitung,sondern auch gegen dessen Anwalt als angeblichen Autor desGerichtssaalberichtes. Herr Josef Kraus ist als Bruder desverstorbenen Privatanklägers in den Prozess eingetreten.

In der Anklageschrift heisst es wörtlich:

Der Angeklagte ad 1. ist nicht nur der Informator der Zei-tung SOZIALDEMOKRAT, sondern auch der Autor des inkriminiertenArtikels, was zweifellos aus der Tatsache hervorgeht, dassbei der am 15.4.1936 abgehaltenen Hauptverhandlung, über wel-che in dem inkriminierten Zeitungsberichte referiert wird,ausser den Richtern, dem Privatkläger, dem Angeklagten und demVertreter des Privatklägers niemand im Verhandlungsaal an-wesend war, sodass der Artikel nur vom Angeklagten ad 1/ her-rühren kann. Der Angeklagte ad 2/ ist nicht nur verantwort-licher Redakteur der Zeitung SOZIALDEMOKRAT, sondern auch einführender Funktionär der Partei, deren Hauptorgan diese Zei-tung ist, sowie ein massgebender Mitarbeiter und Mitgliedder Redaktion dieses Hauptorganes der deutschen sozialdemo-kratischen Partei. Der diesbezügliche, von seinem Genossenund Verteidiger, d.i. vom Angeklagten ad 1./ verfasste Bericht hat die Sache des Angeklagten ad 2/ betroffen, sodass es keinem

Zweifel unterliegen kann, dass der inkriminierte Artikel mitWissen und mit Einwilligung des Angeklagten ad 2/ veröffent-licht wurde und dass diesem, ebenso wie den anderen Angeklag-ten die Unwahrheit der im inkriminierten Artikel angeführtenTatsachen bekannt sein musste.

Der Privatkläger glaubt also berechtigt zusein, einen Anwalt deswegen wegen des Vergehens der Ehrende-leidigung, Nachrede und Verleumdung in Anklagezustand zu ver-setzen, weil dieser dem Zeitungsunternehmen, welches er ver-tritt, pflichtgemäss den Bericht über das Ergebnis einerHauptverhandlung erstattet hat und weil in der Zeitung dannein Gerichtsaalbericht erschien, in welchem das Resultat derVerhandlung dargestellt war, von welchem die Redaktion desSozialdemokrat“ nur durch den Verteidiger erfahren habenkann. Oder mit anderen Worten: „Nach Auffassung des Privatanklä-gers Josef Kraus und seines Anwaltes ist der Advokat straf-rechtlich dafür verantwortlich, wenn er seinem Klienten oderdem Unternehmen seines Klienten einen Bericht über einen Pro-zess erstattet und eine dritte Person u.a. diesen Bericht zueiner Nachricht in einer Zeitung verarbeitet.

Ich gebe Ihnen den Inhalt dieser Eingabe des-wegen bekannt, weil Sie mir ein Kuriosum zu sein scheint undweil in ihr von Herrn Kommerzialrat Kraus die Rede ist, gegenwelchen die Advokatenkammer allerdings nichts unternehmen kannund der mit der Sache eigentlich garnichts zu tun hat. Die Ein-gabe, auf welche ich in einer Aeusserung reagieren werde, derenDurchschlag ich Ihnen einsenden werde, ist nicht als Diszipli-

naranzeige bezeichnet, sondern als eine Bitte um Unterstützungder Advokatenkammer als Standesvertretung in Angelegenheiteines gegen einen Anwalt in seiner Eigenschaft als Advokatanhängig gemachten Strafverfahrens.

Nebenbei bemerkt, soll Dr. Schwelb gegen dieAnklageschrift den Einspruch an das Obergericht überreichthaben.

Ich freue mich, Gelegenheit zu haben, dieAdvokatenkammer darauf aufmerksam machen zu können, in welchemMasse Dr. Schwelb seine Befugnisse als Anwalt des Dr. Strauss überschritten hat, indem er die Ehre des Herrn Karl Kraus an-gegriffen hat und deswegen zu einer Freiheitstrafe verurteiltwerden musste.

Indem ich Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor,die besten Neujahrswünsche und Grüsse sende, zeichne ich

mit dem Ausdrucke vorzüglicher HochachtungIhr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat29. DEZ. 1936