193.180 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 16.VIII.1937

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Soeben bin ich vom Urlaub zurückgekehrtund habe Ihre freundlichen Urlaubsgrüsse erhalten; vielen Dank!

In der Angelegenheit Karl Kraus ca: Dr. Schwelb und Dr. Emil Strauss wegen Ver-öffentlichung des tendenziösen Prozessberichtes im „ SOZIAL-DEMOKRAT“ wurde, wie Sie bereits wissen, das Verfahren gegenDr. Schwelb eingestellt. Der Untersuchungsrichter hat späterauch das Verfahren gegen Dr. Strauss einstellen wollen, dieRatskammer hat jedoch dem von mir überreichten Einspruche ent-sprochen und so wurde die Hauptverhandlung angeordnet.

Ich habe von meinem Urlaubsort aus meinen Substituten mit derIntervention bei der Hauptverhandlung beauftragt und ihm einesehr ausführliche Information erteilt. Auch habe ich ihn ermäch-tigt, gegebenenfalls einen bedingten Vergleich abzuschliessen,konnte jedoch den Wortlaut des Vergleiches nicht stipulieren,da ich nicht wusste, ob und in welchem Masse die Gegenpartei vergleichsbereit sein wird. Deswegen habe ich eben den Auftragerteilt, den Vergleich nur bedingt abzuschliessen und sich dasRecht des Widerrufes vorzubehalten.

Wie mir nun mein Substitut mitteilt,wurde von Dr. Strauss ein Vergleich angeboten, nach welchem erdie Verfahrenskosten zu bezahlen verpflichtet ist und folgende

protokollarische / also nicht zu veröffentlichende / Erklärungabgibt:

„Zu dem in der Zeitschrift SOZIALDEMOKRAT vom16.IV.1936 veröffentlichten Artikel „Karl Kraus verliert einenProzess“ erklären wir, dass wir nicht die Absicht hatten, durchden Inhalt dieses Artikels die Ehre des Privatklägers, des HerrnKarl Kraus, anzugreifen, sondern dass es sich lediglich um einenGerichtsaalbericht ohne irgendeine beleidigende Absicht gehan-delt hat. Hiebei verweisen wir auf den im SOZIALDEMOKRAT vom13.VI.1936 veröffentlichten Artikel, in welchem wir die Tätig-keit und Bedeutung des verstorbenen Herrn Karl Kraus gebührendgewürdigt haben.

Die Redaktion.“

Dieser Vergleich ist wohl nicht sehr be-friedigend, zumal er keinen Widerruf der Behauptung enthält, KarlKraus habe gegen die Arbeiterschaft Stellung genommen, und weiler / nämlich der Vergleich / nicht veröffentlicht werden soll.

Trotzdem weiss ich nicht, ob ich den Ver-gleich widerrufen soll. Bei der uns jetzt schon zu gut bekann-ten Einstellung der Pressesenate ist mit einer Verurteilungdes Dr. Strauss wohl kaum zu rechnen und ich glaube, annehmen zumüssen, dass das Gericht der Ansicht sein wird, dass es sich wirk-lich um einen Gerichtsaalbericht handelt, durch welchen keinDelikt nach dem Ehrenschutzgesetze begangen worden ist. In diesemFalle wäre der Privatkläger verpflichtet, dem Angeklagten die Ver-fahrenskosten zu ersetzen, was wohl vermieden werden soll, trotz-dem es sich um keinen sehr bedeutenden Betrag handeln könnte.Aber ein freisprechendes Urteil würde voraussichtlich auch jetzt

noch von den Sozialdemokraten publizistisch ausgenützt werden,wodurch der Zweck der Ehrenbeleidigungsklage, die ja durch denTod des Herrn Kraus ohnehin ihre aktuelle Bedeutung verloren hat,vereitelt werden müsste. Nach dem Berichte meines Substituten istmit einer weitergehenden Satisfaktion bei der Gegenpartei nichtzu rechnen.

Ich weiss nun nicht, ob Sie, sehr geehrterHerr Doktor, noch auf Urlaub sind, weswegen ich den Brief jeden-falls an Ihre Adresse einsende, da ich annehme, dass er Ihnennachgesendet werden wird. Jedenfalls bitte ich um Entschuldigung,dass ich, falls Sie noch auf Urlaub sind, Ihren Urlaubsfriedenstöre. Ich möchte aber doch sehr gerne Ihre Ansicht kennen unddiese letzte Angelegenheit in einer Weise liquidieren, diewenigstens einigermassen jenem Standpunkte Rechnung trägt, welchenKarl Kraus gewahrt wissen wollte.

Ich wünsche Ihnen für den Rest Ihres Urlaubes,falls er noch nicht konsumiert sein sollte, schönes Wetter undrecht gute Erholung und bin mit den herzlichsten Grüssen

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat17. AUG. 1937