195.17 Entwurf II der Satisfaktionserklärung

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 15. November 1934
Seite von 2

Entwurf II.

Wir haben in unserer Zeitschrift Jahrgang IV. Nr. 22–23vom 1. September 1934 in einem Artikel „Die Fackel schweltBeleidigungen gegen die Person des Herrn Karl Kraus uns zuschulden kommen lassen begangen ; insbesondere haben wir geschrieben:

Die Verunglimpfung wäre noch schwerer, wenn man ihrnicht mildernd anrechnen könnte, sie zeige deutlich paranoischeZüge.

Gewiss, man ‚kann ein Lump sein‘, wenn man jemanden inGefahr bringt, man kann sogar ein Lump sein, wenn man jemandenin eine Gefahr bringt und gleichzeitig aus einer anderen heraus-zieht, man kann aber auch ein Lump sein, wenn man jemanden voreiner kleineren Gefahr bewahrt und in einer grösseren drinlässt,bloss deshalb, weil man an der Kleineren mitbeteiligt wäre undgleichzeitig behauptet, man täte es nur seinetwillen. Er hatzwar noch niemals gelogen und es damit bewiesen, dass er denbefürchteten Vorwurf auf andere abgewälzt hat; deswegen ist eraber noch immer nicht der einzige Mensch auf der Welt, der sichvom ‚Verlag der Fackel‘ nicht blöd machen lässt.

Wie könnte sich das Phänomen, das nach 1000 Jahrender einzig überlebende Eckstein der Literaturgeschichte seinwird, das auf 300 Seiten in knappster Form auszudrücken versteht,was das Geschmeiss der Literaten in ein paar Zeilen weitschweifigbehandelt, (ein Pfauenrad, das nur das erstemal schön war),herablassen zu tun was andere tun. Schulter an Schulter mit überhaupt jemandem zu stehen, wie könnte der unvergleichlicheSprachbildner (der er ja nun wirklich ist) es mit seiner Würdevereinbaren etwas anderes zu tun als seine Anhänger zu verblüf-fen, als einen erstmaligen unerwarteten Standpunkt zu beziehen,

selbst dann, wenn es kein anderer sein kann als ein falscher?Aber das mag er halten wie er will. Vom Begräbnis unsererHoffnungen zurückgekehrt, geht uns das wirklich einen Dreck an.

Der, der nur ‚um den Graben geht‘ hat durch ‚lukrativeUmschlagtitel immer noch nicht genug verdient, um grosse Sprüngemachen zu können, zum Beispiel um durch langes Nichterscheinenund Akkumulierung der Spannung Aufmerksamkeit zu multiplizieren.

… hätte er die Verbesserung der Fehler mit wenigAufwand erreichen können. Statt dessen hat er – nach Bankierart –hinter sich einen Gerichtsvollzieher und einen Advokaten, vor sichein auf formaljuristische Wehrfähigkeit und Bankkonto abgeschätz-tes Angriffsobjekt, mutwillig mit der tschechoslowakischen Exe-kutivgewalt gedroht.

… aber für die endgültige Beibehaltung eines Zu-standes zu sein, der immer wieder nur Qualen, Wildheit, Unter-drückung produzieren kann, ist keinem Ehrbaren gestattet.

Für einen, der einen gesicherten Fensterplatz imCafé Imperial zu verlieren hat, ist der Unterschied zwischenHitler und Starhemberg enorm. Für dreissig Millionen Proletenin Deutschland und Oesterreich aber ist der Unterschied zwischenKonzentrationslager und ihrem Lungererdasein, ihrem feuchtenSchlafplatz, ihrer Freiheit des Verhungerndürfens weit unbeträcht-licher.

Wir bedauern, diese Beleidigungen begangen zuhaben, und nehmen sie zurück.