196.8 Brief Samek an RA Robert Herrmann

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XV., Rudolfsheim-Fünfhaus
Datum: 3. November 1934
Betreff: Kraus – Arbeiter Zeitung.
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Robert Herrmann, | Advocat
Massarykstrasse 25/27
Brünn
Seite von 3

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich verdanke Ihre Adresse der Liebenswürdig-keit des Herrn Dr. Johann Turnovsky, der Sie ja schon darüber un-terrichtet hat, dass Herr Karl Kraus in Brünn einen Prozessgegen die dort erscheinende „Arbeiter Zeitung“ zu führen ge-denkt. Gegenstand des Prozesses sind zwei in der Nummer 30 des1. Jahrganges dieser Zeitung vom 15. September 1934 erschienenenBeiträge, deren Abschrift ich anschliesse. Das Original derNummer werden Sie sich wohl beschaffen können. Wir besitzen eineinziges Exemplar, das wir Ihnen, falls Sie die Möglichkeit derBeschaffung nicht mehr hätten, übersenden werden. Aus dem Ar-tikel „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ ist wohl derganze letzte Absatz inkriminierbar, insbesondere die Behauptung,dass sich Herr Karl Kraus in seiner „Fackel“ brav gleichgeschal-tet habe und im Schweisse seines Angesichtes die Kulturtaten des„österreichischen Menschen“ preise, was ihn allerdings vorWöllersdorf schützte. Darin liegt die allerdings sofort alsabsurd erkennbare Behauptung, dass das im Juli 1934 erschieneneHeft den Zweck verfolge, Herrn Kraus die Zwangsanhaltung inWöllersdorf im Februar zu ersparen. Denn da Herr Braunthal an-geblich wegen seiner im Jahre 1927 gegen die Behörden einge-nommenen Stellung im Februar 1934 verhaftet und dann ins Anhalts-

lager gebracht worden ist, so hätte, wenn das Verhalten imJahre 1927 tatsächlich der Grund für das Vorgehen gegen HerrnBraunthal gewesen wäre, Herr K. im Februar 1934 das gleicheSchicksal erleiden müssen, weil man ja damals seine Haltung,die doch erst durch das Heft im Juli offenbar wurde, nichtkannte. Selbstverständlich wurde Herr Braunthal nicht wegenseines Verhaltens im Jahre 1927, sondern wegen des Verdachtesder Beteiligung an den Februar-Ereignissen verhaftet. JedeZeile der Notiz ist erlogen.

Aus dem Gedicht „Zeitgeister von Sonka“ wären nur dieStellen zu inkriminieren:

a) „Dem Karl Kraus und ähnlichen Helden der Gesinnung und desGeistes zugedacht“;

b) „Nicht Dichter: Konjunkturästheten“;

und c) „Die Wissenschaft zum Takt der ‚Führer‘ …“ bisProfit zu machen“.

Alle diese Stellen enthalten den Vorwurf der Ge-sinnungslumperei einer Konjunktur wegen, und um Profit zu ma-chen. Es sind zwar in dem Gedicht auch noch andere Stellen,die leicht das Substrat einer Ehrenbeleidigungsklage bildenkönnten. Herr K. möchte aber nur die oben erwähnten Stellenzum Gegenstand der Anklage machen, weil sie juristisch einemWahrheitsbeweis zugänglich wären. Die übrigen Stellen bietendiese Gelegenheit nicht, weshalb sie nur eine überflüssigeErweiterung des Prozesses mit sich brächten, wenn man sie un-ter Anklage stellte.

Ich bitte Sie, mir eine Vollmacht zur Unterfertigungdurch Herrn Kraus einzusenden. Die zu inkriminierende Nummer ist, wie erwähnt, vom 15. September 1934 datiert und HerrnKraus vor zirka zwei Wochen bekannt geworden. Nichtsdesto-

weniger, wenn auch die subjektive Verjährungsfrist noch nichtabgelaufen ist, bitte ich Sie, die Klage unter Berücksichtigungmeiner obigen Ausführungen nach Einsendung, der Vollmacht soforteinzubringen.

Bei dieser Gelegenheit danke ich Ihnen viel-mals für die mir mit Schreiben vom 30. Oktober 1934 eingesendetenbeiden Nummern der „Arbeiter Zeitung“.

Ich zeichnemit vorzüglicher kollegialerHochachtung

2 Beilagen.