196.60 Brief RA Felix Gallia an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift

Sender

Dr. FELIX GALLIA
MASARYKSTRASSE 25/27
BRÜNN
Datum: 24. Feber 1936
Betreff: Kraus – Arbeiterzeitung.
Diktiersigle: Dr.G/b

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Datum: 25. FEB. 1936
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Kollege.

Ich erhielt Ihr gesch. Schreiben vom 21.d.M. Dass Herr Kraus die Brünner Presse liest, habe ich nichtvermutet, jedoch geglaubt, dass er das Prager Tagblatt durch-zusehen pflegt, in welchem auch ein ausführlicher Bericht überdie Verhandlung veröffentlicht wurde, den ich beilege, da ichannehme, dass er sowohl Sie, wie Herrn Kraus interessiert.

Ferner übermittle ich Ihnen die Uebersetzungdes von der Gegenseite überreichten Antrages mit der Bitte, mirsobald als möglich das Material zur Beantwortung des Schrift-satzes der Angeklagten zur Verfügung stellen zu wollen.

Wenn ich mir einige Bemerkungen zu den Behaup-tungen der Angeklagten gestatten darf, wären es folgende:Das Zitat aus der Fackelnummer vom 17. November 1913 ist in derWiedergabe richtig, doch wird ihm zweifellos von den Angeklagteneine Tendenz unterschoben, die mit den unzähligen antimilitari-stischen Aeusserungen unseres Mandanten in keiner Weise ver-einbar ist und durch diese Aeusserungen hundertmal widerlegtwurde. Ich habe den Eindruck, dass die von den Gegnern aus derFackel Nr. 387/8 zitierte Stelle eine rein aesthetische Wertungdarstellen sollte, keineswegs jedoch eine politische Stellung-

nahme unseres Klienten.

xDas Zitat aus der Fackel Nr. 400–403 finde ich auf Seite90 dieser Fackel nicht. Das weitere Zitat aus der gleichen Fackel-nummer haben die Gegner offenbar nicht verstanden.

Von dem Zitat aus der Fackel vom 5. Dezember 1914 zu behaup-ten, es sei eine Art Verherrlichung des Manifests Kaiser FranzJosefs gewesen, die ein Gutheissen des Krieges in sich schlösse,ist eine offenkundige Missdeutung der Ansichten des Klienten,die z.B. aus den „letzten Tagen der Menschheit“, einem Werkdes Mandanten, das ja bekanntlich schon im Kriege verfasst wurde,klar hervorgehen.

Auf welche Umstände es zurückzuführen ist, dass Herr Kraus im Krieg einen Pass bekam, weiss ich nicht.

Die Stellung des Herrn Kraus zum Sozialismus ist, soweitich einen Ueberblick über sein Werk habe, unverändert geblieben.Die Angeklagten werden in dieser Beziehung zweifellos noch wieder-holt versuchen – den ersten derartigen Versuch stellt ihr Schrift-satz dar – das Gericht in dieser Frage zu verwirren, in dem siekonsequent die Stellung des Mandanten zum Sozialismus mit seinerStellung zu einzelnen sozialdemokratischen Führern vermengen wer-den. Es wird unbedingt erforderlich sein, hier, wie auch in an-dern Fragen, die im Prozess zur Diskussion stehen, vollständigeKlarheit zu schaffen.

Die Zitate aus der Fackel vom Oktober 1927 hätten die Gegnerwohl besser weggelassen. Zeigt doch gerade dieses Heft der Fackel

Der Hort der Republik“, wie ungeheuer energisch, unabhängigund mutig Herr Kraus damals den Kampf gegen Schober geführt hat,einen Kampf, in welchem Herr Kraus sich nicht fürchtete, dasberühmte Plakat vom 17. September 1927 in Wien überall öffentlichanschlagen zu lassen. Wenn Beweise über die Unerschrockenheit un-seres Klienten notwendig sind, dann ist gewiss der Kampf des HerrnKraus gegen den Polizeigewaltigen von Wien einer der schlagendstenund besten.

Die einzelnen Ausdrücke, welche die Gegner aus der Juli-fackel 1934 hervorheben, besagen gar nichts darüber, wie sichHerr Kraus zur Demokratie stellt. Aus keiner einzigen der zahlrei-chen von den Gegnern herangezogenen Stellen dieser Fackel kanneine Verurteilung der Demokratie herausgelesen werden. Mit dem-selben Recht, mit dem die Angeklagten die zitierten Stellen ausder Fackel als Beleg einer angeblichen Beschimpfung der Demokratieheranziehen wollen, könnte jede andere politische Richtung be-haupten, sie sei durch diese Stellen beschimpft worden.

Das Lob, das in der Fackel Nr. 909–911 dem OberstenAdam gezollt wurde, bezog sich, soweit mir bekannt ist, auf seineliterarische resp. oratorische Begabung, ohne jeden politischen

Hintergrund.

Zu den Behauptungen der Gegner über die angeblichen Angriffeauf čsl. Staatsmänner werden wir ausführlich Stellung nehmen müs-sen. Das Prozessgericht hat, wie ich Ihnen schon mitteilte, diexTendenz der Angeklagten sofort erkannt, wir müssen jedoch damitrechnen, dass die Sache vors Oberste Gericht gelangt, das, wieSie, sehr geehrter Herr Kollege, vielleicht wissen werden, inFragen nationaler Art recht empfindlich zu sein pflegt. –

Der Pressenat hat die Zeugen Kornfeld, Urzidil und Šrom zu jenen Punkten des gegnerischen Beweisantrages zugelassen, zuwelchen sie geführt wurden, mit Ausnahme des Punktes 2./, überwelchen Beweise nicht zugelassen worden sind.

Da ich aus einem Bericht Herrn Dr. Turnovskys weiss, wiexeigentümlich die Herren Dr. Emil Franzel und Dr. Brügel in demPrager Prozess ausgesagt haben, habe ich, um auf Umfang und Pro-tokollierung der Aussagen der hiesigen Zeugen eine entsprechendeIngerenz nehmen zu können, bei der Hauptverhandlung beantragt,die im Brünner Verfahren zu hörenden Zeugen vor dem Prozessgericht einzuvernehmen. Dem Antrag wurde nicht Folge gegeben, ich habexmir die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten.

Weiters habe ich über die Hauptverhandlung noch zu berich-ten, dass der Verteidiger erklärte, der Angeklagte Schramek trete den Wahrheitsbeweis hinsichtlich des Sonkaschen Gedichtesnicht an, sondern nur bezüglich des Artikels „Der Racheakt derPolizei gegen Braunthal“.

Eine Abschrift des Protokolles der Hauptverhandlung,das bis nun von dem Schriftführer nicht fertiggestellt wurde, werdexich gelegentlich besorgen lassen, und falls Sie oder Herr Kraus es wünschen sollten, für Sie übersetzen.

Zu weiteren Aufklärungen stehe ich natürlich jederzeitzur Verfügung und zeichne

in kollegialer HochachtungIhr ergebenerDr. Gallia.

recom.2 Beilagen

KrausArb. Ztg.25. FEB. 1936