196.61 Übersetzung der Durchführung des Wahrheitsbeweises resp. des entschuldbaren Irrtums von Josef Schramek und Hugo Sonnenschein

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift
  • Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 18. Februar 1936
Seite von 9

Uebersetzung.

Durchführung des Wahrheitsbeweises resp. des entschuld-baren Irrtums.

In dieser Strafsache haben wir uns im Vorverfahrenvorbehalten, hinsichtlich des Artikels „der Racheakt derPolizei gegen Braunthal“ und des Gedichtes „Zeitgeistervon Sonka“ den Wahrheitsbeweis bezw. den Beweis entschuldbarenIrrtums anzutreten.

Da zu seiner Durchführung es notwendig war, eineReihe von Belegen zu studieren, die in diesem Staate nur mitder grössten Mühe aufgetrieben werden können bezw. die inOesterreich in Archiven gesammelt werden müssen, führen wirerst jetzt auf diese Weise den

Wahrheitsbeweis, allenfalls den Beweis entschuldbaren Irrtums durch:

1./ Der Privatkläger hat vor dem Kriege in seinerZeitschrift Fackel ebenso wie in seinen anderswo veröffentlich-ten literarischen Arbeiten eine ungeschminkte Verehrung desMilitarismus, des österr. Adels und der Autokratie überhauptgeäussert.

So schreibt er in der Nummer 387/8 vom 17. November1913 auf Seite 32 der Zeitschrift Fackel bei Gelegenheit einesVortrages in dem damaligen k.u.k. Kriegshafen Pola von demösterr. Marineoffizierskorps wörtlich: „Menschen, dieinnen so beschaffen … wie aussen und die anzuschauen dasGefühl dieser Einheit bestätigt und hundertmal das Gefühl, dassder Militärhass der Demokratie die Ueberlegenheit des Miss-wachses über die Männlichkeit bedeutet.

In der gleichen Zeitschrift vom 10.VII.1914, Nr.400–403, auf Seite 90, knapp vor dem Krieg, erklärte der

Privatkläger: „Ja, ich aspiriere auf aristokratischenUmgangDass ich … hinreichend verdächtig bin, ari-stokratischen Umgang zu suchen, müsste der demokratischelängst heraus haben: ihn fliehe ich. Er ist die Pest, diesich des Daseins freut und ihrem eigenen Bazillus nichtauf der Spur ist. Er weckt mich und ich suche einen König,der eine Bombe hätte für diesen allzuklugen Untertan. Ichweiss, was auf dem Spiele steht: rettet unsere Seelen. Ichweiss und bekenne, und auf die Gefahr hin, fortan ein Poli-tiker zu sein oder usw. …

In der gleichen Zeitschrift vom 14. Juli 1914 bekennter „politisch nicht einmal bei der französischen Revolu-tion angelangt“ zu sein und da „einen Konservativismus voneiner Blutbereitschaft propagiert, gegen den tausend Jahrgän-ge von tausend klerikalen Zeitungen die Sprache einerProtestversammlung des Monistenbundes zum Schutze rei-sender Kaufleute führen.“ In seiner Aversion gegen „einefreie Erde, die zum Himmel stinkt“ ist er „nur zufrie-den in der Gewissheit, dass dem auf den Glanz hergerichtetenMenschheitspofel, der allerorten zu sehen ist, der grosseAusverkauf bevorsteht.

In der gleichen Zeitschrift u.zw. in Nummer 404 vom 5.Dezember 1914, Seite 3 begrüsst er das Kriegsmanifest FranzJosefs mit Begeisterung: „… über jenem erhabenen Mani-fest, dass die tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Ge-dicht, das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlich-sten Anschlag, den die Strasse unserem Auge widerfahren lassenkonnte. …

Aus diesen paar Proben aus dem literarischen Werk desPrivatklägers geht hervor, dass er kurz vor dem Krieg ebensowie im Krieg ein ostentativer Vergötterer des zum deutschenReich hin orientierten österr. Militarismus mit allem seinen

Zubehör war.

Beweis: Die Fackel Nr. 387 vom 17.XI.1913, Nr. 400–403 vom 10.VII.1914, Nr. vom 14.VII.1914, Nr. 404 vom 5.XII.1914,die nach ihrer Beschaffung dem Gericht werden vorgelegt werden.

2./ Im Krieg erhielt der Privatkläger als verlässlicherösterr. ung. Staatsbürger einen Pass, mit dessen Hilfe er einebeträchtliche Zeit in der Schweiz verbrachte und noch im Kriegewieder ohne irgend welche Hindernisse in die österr. ung. Monarchie zurückkehrte.

Beweis: Zeugenschaft des Johannes Urzidil, Prag Karlín,Palackého 72, des Paul Kornfeld, Prag XIX, Soborská 8.

3./ Nach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politischenGesinnung statt, sodass bei einem objektiven Betrachter dieserauffälligen Aenderurg der Privatkläger notwendig den Eindruckerwecken musste, dass bei ihm der rasche Wechsel in denGrundanschauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staatesnicht das Ergebnis einer geistigen Umorientierung, sondern eherdie Folge des staatlichen Umsturzes war, dessen Form und poli-tischer Majorität sich der Privatkläger in seinen literarischenArbeiten angepasst hat.

So schreibt schon im März 1919 in der Nummer 508 bis513 der Fackel auf Seite 30 der Privatkläger in einem Wahlauf-ruf für die Sozialdemokratie: „… Jenerwird christlich-sozial, dieser sozialdemokratisch wählen. Jenerwird sein Schärflein zu dem Eindruck beitragen, dass ein unschul-diges Volk die Tat seiner abgehausten Regenten nachträglichgutheisse … der andere wird belastet … welcher aber dasVerdienst zuzusprechen ist, die grosse Zeit der Entehrung sehenddurchlebt und dem vaterländischem Zwang ihre Gesinnung verwei-gert zu haben … Wenn nicht im letzten Augenblick eineSpur von Ehre, eine Spur von Erinnerung … die andere Wahlgebietet, wird schwarz-gelb, in der verächtlichsten Einigung

seiner hassenswerten Farben, auferstehen … um dem blutig-sten Schaustück Platz zu machen.

In der gleichen Zeitschrift vom Juli 1919 in der Nr. 514–518 auf Seite 86: „Nichts anderes ist ihr zu wünschen …als dass die Republik, die Blutsverwandtschaft erkennend, mitden hinterbliebenen Parasiten der Kaiserzeit wie mit denMitessern der Revolution ein Ende mache …

In seinem Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ 5. Akt11. Szene: Aussenministerium. Graf: „Lass mich aus – jedeWoche beim K.M. für ein Juden um ein kontumazfreien Grenz-übertritt penzen …

In der Zeitschrift Fackel, Ende Juli 1919, Seite 86,Nr. 514–518: „Weg mit den verantwortlichen Redakteurendes Weltkrieges.

Beweis: Die Fackel Nr. 508–513, dieselbe Zeitschrift Nr. 514–518, die Nummer der Zeitschrift: „Die letztenTage der Menschheit“, Die Fackel Nr. 514–518.

3./ Aehnliche Ansichten hat der Privatkläger in derFackel vom Oktober 1927 auf Seite 49 Nr. 766–770, aufSeite 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, insbesondere 58, 59, 61 , 63,64, 65, 66, 70, 71, 72, 73, 75, 77, 78 und weiter in der gleichenZeitschrift im Dezember Nr. 771–776 auf Seite 11, 13, 15,17, 18, 19, 28 ausgesprochen.

Beweis: Die Fackel Nr. 766–770 vom Oktober 1927,Nr. 771–776 vom Dezember 1927 zit. Seiten.

4./ Offen hat der Privatkläger für die Sozialdemokratiesolange geschrieben, solange es schien, dass die Sozialdemo-kratie in Oesterreich die absolute Macht erlangen werde.Später jedoch beginnt sein literarisches Werk eine rasche Ab-schwenkung zu zeigen, insbesondere nach dem Feber 1934, alsoin einer Zeit, wo sich in Oesterreich die christlich-sozialenals Todfeind der Demokratie und daher auch der sozialdemo-

kratischen Ideen der Macht bemächtigten. So hat im Sommer1934 in der Nummer 890–905 der Fackel der Privatkläger mit Beschimpfungen und Beleidigungen der Demokratie nichtgespart und umgekehrt mit dem Lob des Regimes Dollfuss FeyStarhemberg. Gleichzeitig hat er nicht gezögert,obwohl früher ein begeisterter Bewunderer der Arbeiter-schaft und ihres politischen Kampfes, auch gegen die Opferdes Feberaufstandes zu schreiben. In der Mainummer der glei-chen Zeitschrift aus dem Jahre 1934 geht er schliesslich soweit, dass er in ihr den Propagandaminister Oberst WalterAdam feiert.

Beweis: Die Fackel Nr. 890–905 aus dem Jahre 1934,die Mainummer 1935, die werden vorgelegt werden.

5./ Die Fackel Nr. 890–905 aus dem Juli 1934 wimmeltgeradezu von den niedrigsten Beschimpfungen der Demokratie.So auf Seite 4./: „Chance der Frechheit Wanzen, die ver-muten …“ auf Seite 7./: „Der Hohlkopf, der sich über-haupt nichts vorstellt …Seite 8./ „Das Geistgesindel“,Seite 10./: „ Schadenfreude der Lumperei“, Seite 11./:Weiss und Lump, dass man auch einer sein kann“, Seite12./: „ Nichtsnutziger Aesthet“, Seite 15./: „Schä-bigkeit der Linkspresse“, Seite 21./: „ Der radikaleLumpSeite 24./: „Der Plunder der Freiheit“, Seite 28./:Eine Generation von DiebenSeite 34: „ schmecks, kuschSeite 36./: „Abgewiesene Hausierer der LiteraturSeite49 : „Prager SchmockSeite 36./: „Höherer Kategorie,nämlich der HurenSeite 173: „Vision einer Einigung: dassder Würdenträger, der diese Woche nicht empfängt auf der Barri-kade abgehalten wäre / Minister Czech /“, Seite 277: „ZuGunsten der Opfer des sozialdemokratischen Verbrechertums.

Beweis: Die Fackel Nr. 890–905, aus dem Jahre 1934, dievorgelegt werden wird.

Es ist sicher möglich, dass ein Mensch seine poli-tische Ueberzeugung ändert. Diese Aenderung ist jedoch nur je-nenfalls vom sittlichen Standpunkt einwandfrei, wenn sie dasErgebnis einer geistigen Umorientierung ist, die auf einemWechsel des Standpunkts beruht, von welchem aus wir die sozialenErscheinungen betrachten, die das Leben der Gesellschaft be-gleiten.

Wenn jedoch derartige Aenderungen zu häufig sind undgerade in jenen Zeiten geschehen, die gleichzeitig gekennzeich-net sind durch Aenderungen der politischen Macht, dann wird si-cher diese Auffassung verdächtig und vom moralischen Stand-punkt fehlerhaft.

Oben haben wir nachgewissen – an Hand des eigenenWerks des Privatklägers – dass seine Abwendung vom Militarismusund der feudalen Zusammensetzung der österr. ung. Monarchie so-fort nach dem Umsturz eingetreten ist. Von da an datiert seineungeschminkte Bewunderung und agitatorische Tätigkeit für dieösterr. Sozialdemokratie, die allerdings nur solange dauerte,als nicht allmählich eine andere politische Partei zur Machtkam und sich offen mit den Aeusserungen der höchsten Verachtungnach der unglücklichen Feberrevolution 1934 ändert, von welcherZeit an sich der Privatkläger in die Dienste des faschistischorientierten österr. Regierungsregimes stellt.

In dieser Richtung ist es daher eine durchaus zuläs-sige Kritik, wenn ich Sonka, in dem Artikel „der Racheakt Arbei-terzeitung angeführt habe, dass der Privatkläger sich gleich-geschaltet hat und sich damit vor dem Konzentrationslager inWöllersdorf schützt. Diese seine Bemühungen, sich dem herrschendenfaschistischen Regime anzupassen, sind in einer ganzen Reihe

Intellektueller, welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtungvor der Freiheit lieber die Emigration als die gehorsame Anpas-sung an das gegenwärtige österr. Regime wählten, bekannt.

Beweis: Zeugenschaft des Paul Kornfeld, Prag–XIX, Sobolská 8, Johan-nes Urzidil, Prag–Karlín, Palackého 72, Franz Werfel, New York,Manhattan Opera, des Herrn Gerke, Legationssekretärs der čsl.Gesandtschaft in London, des Dr. Theodor Wolf in Paris, HotelMeurice, der Frau Maximiliane Harden, Berlin, Willmersdorfer-strasse 133 B, die früher zitierten Nummern der Fackel.

6./ Das Gedicht Zeitgeister habe ich nicht auf die Persondes Privatklägers stilisiert. Es wurde schon am 19. März 1934ohne jedwede Widmung in der Zeitschrift Čin abgedruckt. Ebensowurde es im Mai 1935 als Flugblatt einer Ausgabe der Arbeiter-zeitung angefügt und weiter in meinem Buch „Nichts alsBrot und Freiheit“ im Jänner 1936 ohne jede Widmung. Mein Ge-danke bei der Verfassung dieses satirischen Gedichtes war demLeser einen Literatentyp zu schildern, der sich geschickt undim richtigen Augenblick ohne eine innerliche wirkliche Aenderungden Tendenzen des herrschenden Regimes anpasst und auf dieseder Konjunktur Rechnungtragende Weise seiner literarischen Tä-tigkeit uns andere Dichter und Literaten überhaupt diskreditiert,deren Sendung in der menschlichen Gesellschaft es gerade ist,die breitere Öffentlichkeit moralisch aufzurütteln und einMuster moralischer Verantwortlichkeit zu sein.

Die Widmung an den Privatkläger Karl Kraus ist nur einEntgelt für seine wahllosen Ausfälle gegen uns sozialdemokrati-sche Dichter, die wir gerade für unsere Ueberzeugung die un-sichere Fremde vor der weit bequemeren Gleichschaltung ge-wählt haben.

Ich war daher zu dieser Widmung durch die frühern Aus-fälle des Privatklägers, die oben eingehend bewiesen wurden,direkt provoziert.

Beweis:

Die oben zitierten Nummern der Zeitschrift Fackel aus dem Jahre 1934.

7./ Der Kläger beschimpft durch ganze Jahre in sei-nen Artikeln unbegründet die čsl. Staatsmänner, obwohl er oftdie Gastfreundschaft dieses Staates genossen hat. So greifter z.B. in der Nummer 909–911 der Fackel die Wiener Zeitungder Tag nur darum an, weil diese eine Agitationsrede desPropagandisten Adam nicht veröffentlicht hat. In diesem Zu-sammenhang wagt es der Privatkläger den damaligen Aussenmini-ster, den nunmehrigen Präsidenten Dr. Eduard Beneš wegenseiner staatsmännischen Tätigkeit anzugreifen.

Beweis: Die Fackel Nr. 909–911, Seite 58, Zeugenschaft desLegationsrates Šrom, Pressereferenten in Wien I., Lobko-witzgasse,

8./ Der Privatkläger macht die demokratische Ver-fassung dieses Staates lächerlich, dem er beispiellose Dumm-heit auszusetzen wagt.

Beweis: Die Fackel 909–911, Seite 59.

9./ Der Privatkläger äussert sich über die čsl.Nation und ihrem Kampf um die Befreiung in dem Sinn, es hättedie Partei den Hausherrn hinausgeworfen“. Als Hausherrnbezeichnet er die Habsburger und Partei ist zufolge der beseeltenAnsicht des Privatklägers offenkundig die čsl. Nation, dieseiner Ansicht nach offenbar keinen Anspruch auf Selbstständig-keit gehabt hat.

Beweis: Die österreich. Ausgaben der Fackel Nr. 912–915, diewir beschaffen und vorlegen werden, die Zeugenschaft des Lega-tionsrats Šrom.

10./ Diese Tätigkeit des Privatklägers hat schon all-gemeine Erregung hervorgerufen.

Beweis: Zeugerschaft des Legationsrats Šrom.

Es ist also klar, dass es eine der wichtigsten In-teressen der čsl. Oeffentlichkeit ist, dass Menschen von derArt des Privatklägers in unserer čsl. Presse kritisiert werden.Wir behaupten, dass im Hinblick auf die geschilderte und nach-weisbare antistaatliche Tätigkeit des Privatklägers und imHinblick auf seine schon dritte, zeitlich auffallende politi-sche Umorientierung die Kritik sowohl in dem inkriminiertenArtikel wie auch in dem Gedicht eine durchaus zulässige litera-rische Kritik ist und dass sie ausserdem im öffentlichen Interes-se geschah. Der Privatkläger sucht durch mutwillige Klagen diewahren Freunde der Čechoslowakei an diesem literarischen Kampfzu hindern, allerdings vergeblich. Für den Fall, dass dasGericht auch diese unsere Behauptung für wichtig halten sollte, bie-ten wir hierüber den Beweis durch die Akten des Strafkreisgerich-tes in Prag Tk VI 9174/34 an.

Wir

beantragen

daher, uns von der Privatanklage des Karl Kraus freizuspre-chen und den Privatkläger schuldig zu erkennen, uns die Kostendieses Strafverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu er-setzen.

Brünn, den 18. Feber 1936.

Sonka, J. Schramek.