196.104 Brief Samek an RA Felix Gallia

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XV., Rudolfsheim-Fünfhaus
Datum: 3. Juni 1936
Betreff: Kraus – Arbeiterzeitung
Diktiersigle: Dr.Sa/Bl.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Felix Gallia, Advokat
Masarykstrasse 25/27
Brünn
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Für die Mitteilung Ihrer Ansicht über dieEinvernahme des Herrn Dr. Werner danke ich Ihnen bestens,nur ist sie mir leider nicht ganz verständlich. Sie wissen,dass ich von der Nützlichkeit des Institutes der Leumunds-zeugen nicht durchdrungen bin. Der angeklagte Verleumder hatkurz zu beweisen, dass die schmutzige Handlung des „Profit-machens“, „der Laune feisten Goldes dienen“ etc. als dasMotiv eines angeblichen und von Flachköpfen vielleicht wirk-lich wahrgenommenen Gesinnungswechsels vorliegt. Ueber die-sen Gesinnungswechsel sollte es keine Debatte geben undausschliesslich der Nachweis des unsauberen Motives geführtwerden müssen, was wie man meinen sollte, in einer halbenStunde zu bewerkstelligen wäre. Die besten Leumundszeugen,die aussagen würden, dass sie dem Privatkläger dergleichennicht zutrauen (was für ihn eigentlich nicht wenig beschä-mend ist), könnten nie aussagen, dass irgendeine schmutzigeHandlung, die sich ihrer Kenntnis entzieht, nicht vorgefallenist, und würden von dem Beweis des Angeklagten, dass sie vor-gefallen ist, überrascht werden. Wenn es nun üblich ist, in

einem Falle, wo es sich um den Beweis konkreter Tatsachen handelt,auch Leumundszeugen zu führen, was bei uns unmöglich wäre, – dennhundert Zeugen, die dem Privatkläger etwas nicht „zutrauen“, könn-ten hundert Lumpen gegenüberstehen, die es ihm zutrauen, und diehundert Zeugen könnten prinzipiell von einer tatsächlichen Ent-hüllung überrascht werden –, wenn dergleichen nun einmal üblichund wirksam ist, so wären doch Leumundszeugen aus einem gegneri-schen Meinungslager geradezu die ueberzeugendsten. Herr Dr. Werner sollte doch nicht als altes organisiertes Mitglied gegen die Partei aussagen, sondern, wie Sie in dem folgenden Satz gleich selbst freund-lich zur Kenntnis nehmen, trotz seiner Mitgliedschaft über die Ab-surdität des Anwurfs. Wenn diese Pflicht menschlicher Anständigkeitin Widerspruch zur Mitgliedschaft stehen sollte, dann freilich müss-te auf die Aussage verzichtet werden. Dann wäre es aber auch nichtverständlich, dass Herr Dr. Werner den Wunsch geäussert hat, sichan der Unterhaltung mit Herrn K. zu beteiligen, einen Wunsch, demHerr K. (trotz Rücksicht auf die Position des Herrn Dr. Werner)ohne weiters entsprochen hat, weil er Herrn Dr. Werner trotz seinerMitgliedschaft für einen durchaus ehrenhaften Mann hält. Sollteeine solche Zusammenkunft nur in aller Heimlichkeit vor dem Par-teivorstand stattfinden können, dann wäre sie unmöglich, dürftesie nicht gewünscht, noch bewilligt werden, und dann würde ebendie Mitgliedschaft – was freilich mit der langjährigen Auffassungdes Herrn K. von der „Parteidisziplin“ entspricht – mit den Pflich-ten der Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit nicht kompatibel sein.Die Entscheidung in diesem Punkte ist nunmehr selbstverständlichganz Ihnen überlassen.

Wegen des Herrn Dr. Liska möchte ich Ihnen mitteilen,dass man ihm nicht gut eine Reise nach Brünn zumuten kann, und ober mit der Einvernahme in Prag einverstanden ist, darüber werde ichnoch von Herrn Dr. Turnovsky Auskunft erhalten, von der ich Sie so-

fort verständigen werde.

Die Einvernahme des Herrn Heinrich Fischer wurdewegen Erkrankung verschoben.

Ferner wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mirmitteilten, wie der zweite Prozess steht.

Indem ich Sie herzlichst grüsse, zeichne ich mitvorzüglicher

kollegialer Hochachtung

KrausArbeiterzeitung