196.105 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 4.VI.1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich erhielt Ihren frdl. Brief vom 3. d.M.,sowie die beigeschlossene Kopie des Briefes vom Prager Tagblatt vom 26.V. d.J., den an dieses Blatt zu richtenden Brief samtDurchschlag, sowie den Entwurf einer Klage gegen Dr. Schwelb, undden verantwortlichen Redakteur des Prager Tagblatt.

Die Ehrenbeleidigungsklage gegen die letzt-genannten Personen, über deren Ueberreichung Herr K. und Sie erwägen,ist gewiss ganz grossartig verfasst und wenn man damit rechnenkönnte, dass das Gericht über den in der Klage dargestelltenSachverhalt normal und vernünftig erwägen und urteilen wird, sowürde ich unbedingt zur Ueberreichung dieser Klage raten. Ichhabe aber Bedenken und mit Rücksicht auf die bisherigen Erfah-rungen hege ich begründeten Zweifel darüber, dass dies geschehenwird. Wenn durch das Verhalten des Dr. Schwelb auch der Anscheinerweckt werden sollte und musste, dass Dr. Emil Strauss in demvon Herrn K. gegen ihn angestrengten Ehrenbeleidigungsprozesseauf Grund eines durchgeführten Wahrheitsbeweises freigesprochenworden ist, so ist es doch sehr zweifelhaft, ob das Gericht indiesem Verhalten den Tatbestand der §§ 2 und 3 des Ehrenschutz-

gesetzes erblicken wird. Wie bereits wiederholt erwähnt, istdie formelle Wahrheit der Prozessberichte, sowie der Berich-tigung des Dr. Schwelb nicht zu widerlegen. Die Verschleierungder materiellen Wahrheit kann dem unvoreingenommenen Leser derbetreffenden Notizen auf Grund der Darstellung des tatsächli-chen Sachverhaltes wohl zur Kenntnis gebracht und klargestelltwerden, doch glaube ich nicht, dass das Gericht trotz der evi-dent vorliegenden Täuschungsabsicht dafürhalten wird, dass diebetreffenden von Dr. Schwelb inspirierten, resp. verfassten Berich-te die Behauptung enthalten haben, es seien ehrenrührige Handlun-gen des Herrn K. bewiesen worden.

Daraus ergibt sich, dass auch der Redakteur desPrager Tagblatt wegen der Veröffentlichung der Berichtigung desDr. Schwelb mit Aussicht auf Erfolg nicht verfolgt werden kann.Die Inkriminierbarkeit der einleitenden Worte zu der im Namendes Herrn K. veröffentlichten Erklärung erscheint mir jedoch– wie ich bereits mitgeteilt habe – gleichfalls sehr fraglich undich bezweifle sehr, dass das Gericht in der Behauptung, Herr K. habe die Veröffentlichung einer Erklärung verlangt, deren In-halt dritten Personen Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklagegeben könnte, den Tatbestand des §§ 2 oder 3 des Ehrenschutzge-setzes erblicken wird.

Diese pessimistische Beurteilung der Prozess-aussichten ist – wie ich glaube – nicht nur durch die Erfahrun-gen begründet, die wir mit dem Pressesenat des O.G.R. Tisek ge-macht haben, sondern sie basiert auch auf der Erwägung, dass esauch einem besseren und objektiven Senate schwer verständlich

gemacht werden kann, dass und warum ein Thema / allerdings mitverschiedenen Variationen / zum Gegenstand dreier Pressprozessegemacht werden soll. / Hauptprozess, Prozess gegen Dr. Schwelb we-gen der im Prozessberichte des SOZIALDEMOKRAT enthaltenen neuenBeleidigungen und nun der in Aussicht genommene dritte Prozessgegen Dr. Schwelb und den verantwortlichen Redakteur des Prager-Tagblatt. /

Wir müssen doch unbedingt alles vermeiden, was dazudienen könnte, die Veroffentlichung neuer skandalöser Nachrich-ten über Herrn K. zu ermöglichen. Die Abweisung einer Presse-klage des Herrn K. mit der Begründung, dass der inkriminierteArtikel keine Beleidigungen des Privatklägers enthalten hat,wäre ein Triumpf, den wir dem Pressegesindel nicht ermöglichendürfen. Ich würde mich trotz meinem Pessimismus für die Aus-sichten dieses Prozesses nicht sträuben, die Klage einzubrin-gen, wenn ich annehmen dürfte, dass dieser Pressprozess raschabgewickelt wird und mit keinem grossen Kostenrisiko verbundenist und dass die Gegner durch ihren Sieg zur Veröffentlichungvon Artikeln provoziert werden, derentwegen man sie dann packenund einer exemplarischen Bestrafung zuführen kann. Dies kannich aber leider auf Grund meiner Kenntnis der Verfahrensmetho-den der hiesigen Pressesenate nicht annehmen und eben deshalbist es mir nicht möglich, die Ueberreichung dieser neuen Klagezu empfehlen, trotzdem ich sie inhaltlich durchaus billigeund hervorragend konzipiert finde.

Mir erscheint die gegen Dr. Schwelb bereits über-

reichte Klage doch viel aussichtsreicher und ich glaube nicht,dass er die Autorschaft zu dem inkriminierten Artikel leugnenwird. Dieser Artikel enthalt die beleidi-gende Behauptung, Herr K. habe gegen das österreichische Pro-letariat und seine heldenhaften Schutzbündler Stellung genommen.Mit der gleichen Bestimmtheit kann man wohl nicht sagen, dassin der Berichtigung des Dr. Schwelb behauptet worden ist, esseien ehrenrührige Handlungen des Herrn K. bewiesen worden.

Deswegen glaube ich, dass man die von Ihnenentworfene Zuschrift an das Prager Tagblatt absenden soll.Falls Sie es selbst tun wollen, dann müsste der erste Satzentsprechend abgeändert werden.

Den Antrag nach § 14 des Pressgesetzes habeich gestern überreicht. Ebenso ist die Klage gegen Dr. Schwelb bereits überreicht worden und ich erwarte die Ladung zur Ver-gleichstagsatzung für die nächsten Tage.

Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ichtrotz allen hier angeführten Erwägungen bereit bin, die vonIhnen entworfene Klage zu überreichen und nach besten Kräftenvor Gericht zu vertreten und dass mich nicht Bequemlichkeitoder sonstige persönliche Gründe veranlasst haben, dem vonHerrn K. und Ihnen in Aussicht genommenen Prozesse zu wider-raten.

Bei dieser Gelegenheit bitte ich zur Kenntniszu nehmen, dass Herr Dr. Gallia über eine Unterredung mit demGeneraladvokaten berichtet, in welcher dieser der UeberzeugungAusdruck verliehen hat, dass die Nichtigkeitsbeschwerde im Se-

nate mit aller erdenklichen Gründlichkeit behandelt werden wird.Er hat versprochen, den Vorsitzenden des oberstgerichtlichenStrafsenates auf die Bedeutung des Falles aufmerksam machen zuwollen. In diesem Berichte urgiert auch Herr Dr. Gallia die Ein-sendung des im Wiener-Anwaltsblatte zu veröffentlichenden Ar-tikels, der allerdings nicht erscheinen wird. Herr Dr. Heitler hat mir darüber bisher nichts mitgeteilt, sodass ich nicht inder Lage bin, Herrn Dr. Gallia die Gründe für die Unterlassungder Veröffentlichung bekanntzugeben.

In der Sache Arbeiterzeitung werde ich mit HerrnDr. Liška sprechen. Wie Herr Dr. Gallia mitteilt, hat das BrünnerGericht den vorbereitenden Schriftsatz mit dem Ersuchen an dasPrager-Gericht übersendet, der Prager-Untersuchungsrichter mögeHerrn Fischer über den ganzen Inhalt des vorbereitenden Schrift-satzes, insbesondere über die Behauptungen auf Seite 31 bis 33einvernehmen. Ich habe deswegen Herrn Fischer gebeten, mich sobals als möglich zu besuchen, werde seine Aussage mit ihm ein-gehend besprechen und in tschechischer Sprache niederlegen.Ueberdies werde ich noch bei der Einvernahme, die in den näch-sten Tagen stattfinden wird, zugegen sein.

In der Angelegenheit Melantrich gestatte ich mirauf Ihre Anfrage folgendes bekanntzugeben:

Ich habe mit dem Referenten einige Tage vor derBerufungsverhandlung über unsere Angelegenheit gesprochen undhatte den Eindruck, dass er das Verhalten der Gegenpartei nicht

billigt und das erstinstanzliche Urteil für richtig hält.Allerdings kennt man sich in diesem Referenten niemals rechtaus, er ist ein sehr unangenehmer, zynisch veranlagter Mensch,mit dem ich keine guten Erfahrungen habe. Er scheint aber dies-mal wirklich krank geworden zu sein, weil mir in der Kanzlei ge-sagt wurde, dass er schon tags vorher gesagt habe, er fühle sichnicht wohl und werde wohl zuhause bleiben müssen. Ich glaubeaber, dass sowohl er als auch das zweite Senatsmitglied demMelantrich-Verlag ganz gerne einen kleinen Nasenstüber gebenmöchten und halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass sie denSachverständigenbeweis zugelassen haben, um auch auf Grund die-ses Beweises das erste Urteil bestätigen zu können. Der Sach-verständige scheint mit dem Vorsitzenden des Senates sehr gutbekannt zu sein und dürfte eben deshalb von ihm bestellt wor-den sein. Ich habe mich bei ihm bereits avisieren lassen undwerde einige Tage vor der Verhandlung mit ihm sprechen. Erist, wie ich erst jetzt erfahren habe, ein Bekannter und Lands-mann meiner Mutter und war ein intimer Freund meines verstorbenenOnkels. Ich hoffe also, bei ihm etwas durchsetzen zu können.

Hiemit wären Ihre Briefe vom 3. d.M. erledigtund ich bitte Sie nur noch, Herrn K. meine besten Grüsse zubestellen.

Mit herzlichen Grüssen an Sie und invorzüglichster Hochachtungergebener:Dr. Turnovsky

KrausSoz.Dem. 5. JUNI 1936