196.106 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag II.
Datum: 6.VI.1936
Betreff: Kraus – Arbeiterzeitung

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 8. JUNI 1936
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

In Erledigung Ihres frdl. Schreibensvom 3. d.M. gestatte ich mir mitzuteilen, dass ich Herrn Dr.Richard Liška besucht und mit ihm über seine eventuelle Ein-vernahme gesprochen nabe. Es gibt merkwürdige Zusammenhänge.Ich habe meiner Frau gegenüber den Namen des Herrn Dr. Liška erwähnt und dabei hat sich herausgestellt, dass er im Hausemeines Schwiegervaters verkehrt hat und ein alter Freund derFamilie ist.

Dr. Liška hat mich sehr freundlich em-pfangen und sich bedingungslos bereiterklärt, alles zu tun,was Herr K. von ihm verlangt. Er ist ein glühender Anhängerdes Herrn K. und dürfte wohl auch ein guter Kenner seinesWerkes sein. Das erste, was er tat, war, dass er mich zum Bü-cherregal führte und mir zeigte, er habe alle Fackeln seit1899, zwei Photographien des Herrn K. hängen an der Wandseines Ordinationszimmers. In sehr temperamentvoller, jaüberschwenglicher Art schilderte er mir seine Verbundenheitzum Werk und zu der Person des Herrn K.

Ich zweifle nicht daran, dass er be-strebt sein wird, Herrn K. die besten Dienste zu leisten,

möchte jedoch nicht verschweigen, dass ich nicht unbedingtüberzeugt davon bin, ob er als guter Zeuge in Betracht kommt.

In dem Gespräch habe ich den Eindruck gewonnen,dass er trotz oder vielleicht wegen seiner Vielseitigkeit/ doctor triplex / sich nicht zu konzentrieren vermag und ausdem Hundertsten ins Tausendste kommt. Sein Gedankengang istäusserst sprunghaft, sein Ausdruck etwas übertrieben. Ich be-fürchte, er könnte als Zeuge in der besten Absicht und ausehrlichster Ueberzeugung dem Gerichte eine Schilderung überdie Heiligkeit der Person des Herrn K. geben, weiss abernicht, ob er imstande ist, über die zur Diskussion stehendenProbleme sachlich auszusagen. Dabei nehme ich wohl an, dassihn seine Kenntnis des Werkes zu einer sachlichen Aussagefähig machen würde, weiss aber nicht, ob man sein Temperamentin dem Masse zügeln kann, welches zur Erzielung einer ent-sprechenden Zeugenaussage notwendig wäre.

Ich betone ausdrücklich, dass dies mein per-sönlicher Eindruck ist und dass ich Hn. Dr. Liška heute zumerstenmal gesehen und mit ihm zum erstenmal gesprochen habe.Er bat mich, Herrn K. seine besten Grüsse zu bestellen und ihmmitzuteilen, dass er ganz über ihn verfügen könne, er möge esja nicht unterlassen, ihn bei seinem nächsten Besuche in Prag aufzusuchen, er würde sich glücklich schätzen, Herrn K. auchmit seinem ärztlichen Rate dienlich sein zu können.

Diese meine Eindrücke gebe ich deswegen bekannt,weil ich mir bewusst bin, dass die Wahl des Zeugen in den Pro-zessen des Herrn K. von grosser Bedeutung ist und ein Missgriff

schwere Folgen haben könnte. Er war, wie gesagt, so freundlichzu mir und hat mich so dringend zu weiteren Besuchen und zurAnbahnung eines näheren Verkehres aufgefordert, dass ich ihmnicht gerne Unrecht täte und insbesondere ihn nicht verletzen möch-te, aber der erste Eindruck, der meistens richtig ist, war ebenso, wie ich ihn oben geschildert habe.

Ich bitte, diese Mitteilung zur Kenntnis zu neh-men und an Herrn K. weiterzuleiten, dem Sie auch meine bestenGrüsse bestellen wollen.

Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtungund mit besten Grüssen

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

P.S.

Ich habe seinerzeit Herrn K. den mir von ihm eingesendetenvorbereitenden Schriftsatz ausgefolgt. Die neunte Seite desSchriftsatzes habe ich aus Versehen in den Akten behalten.Zwecks Vorbereitung der Aussage des Herrn Fischer bitte ichum nochmalige Einsendung des Schriftsatzes, den ich Ihnennach der Einvernahme gleich retournieren kann.

8. JUNI 1936KrausArbeiterzeitung