196.84 Äußerung des Privatklägers zum Schriftsatz der Angeklagten vom 18. Februar 1936

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, rote Tinte
  • Oskar Samek, schwarze Tinte
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  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
Seite von 99

An dasStrafkreisgericht,Brünn.zur Zahl Tl III 239/34Tl III 256/35Tl III 299/34

Privatkläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeit-schrift „Die Fackel“ in Wien III., vertretendurch Dr. Robert Herrmann und Dr. Felix Gallia,Advokaten in Brünn

Beschuldigte: 1./ Josef Schramek, Redakteur inBrünn,2./ Hugo Sonnenschein / Sonka /Schriftsteller in Prag,beide vertreten durch Dr. Bohuslav Ečer, Advokatenin Brünn

wegen Ehrenbeleidigung resp. Vernachlässigungder pflichtgemässen Obsorge. 2 fachBeilagen

Aeusserung des Privatklägers zum Schriftsatz der Angeklagtenvom 18. Februar 1936.

und unterdrücke offenbar in der Tschechoslovakei, waser angeblich gegen diese in Österreich vorbringt,

Es ist wohl das Absurdeste, was es jeim Rechtswesen gegeben hat: dass ein Privatkläger, dessen37jähriges geistiges Schaffen vor aller Welt vorliegt, durchWochen hindurch sich und seinen Anwalt bemühen muss, nicht etwa,Beweise durch Gegenbeweise zu entkräftigen, sondern einem Ange-klagten auf seinen Schleichwegen einer Beweisführung zu folgenund aufzuzeigen, mit welchen Mitteln der Entstellung und derVerfälschung die Angeklagten einen „Wahrheitsbeweis, allenfallsden Beweis entschuldbaren Irrtums“ zu führen versuchen. Schonder Satz, dass zu seiner Durchführung notwendig war, eine Reihevon Belegen zu studieren, die in Oesterreich in Archiven ge-sammelt werden mussten, ist wahrheitswidrig. Die Angeklagtenstellen nicht einen einzigen Beweisantrag, den sie auf eineArchivforschung zurückführen, und sie berufen sich ausschliess-lich auf Stellen aus der vom Privatkläger seit 37 Jahren heraus-gegebenen im Buchhandel erhältlichen Zeitschrift „Die Fackel“, die sie in einer Weise zi-tieren, dass das Gegenteil der Meinungen Anschauungen des Privatklägers herauskommt. Damit aber die Angeklagten aber sich nicht mit techni-schen Schwierigkeiten ausreden können, werden ihnen alle Exem-plare der Fackel gerne zur Verfügung gestellt, die sie zu ihrerEntlastung zu benötigen glauben, auch die „österreichischen“Ausgaben der Fackel, die sich allerdings von den im Gebiete derTschechoslowakei verbreiteten nur durch den Preisaufdruck auf dem Umschlage– hier in Tschechenkronen, in Oesterreich in Schilling – unter-scheiden. Die beleidigende verleumderische Behauptung der Angeklagten, derPrivatkläger gebe zwei verschiedene Ausgaben seiner Zeitschrift heraus, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, er ändereseine Meinungsäusserung nach Zeit und dem Ort des Erscheinens, wurdezum Gegenstand einer separaten Anklage gemacht. Dieser Vorwurfbeweist wohl zur Genüge, mit welcher Gehässigkeit und gehässigen Verlogen-heit die Angeklagten ihren Standpunkt vertreten.

Ehe in die Besprechung der einzelnenPunkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, soll

der Laune feisten Goldes dienen, Leisetreter, Zuhälter der Macht,die man morgen schon zertreten werden geistige Henkersknechte,die „Mordhass“ schüren und den Schlaf der Welt hüten, um

zu der Rechtsfrage Stellung genommen werden: ob sie die Angeklagten den Straf-ausschliessungsgrund des § 6, 2b des Ehrenschutzgesetzes fürsich in Anspruch nehmen können. Dieser Strafausschliessungs-grund, der bei Begehung der strafbaren Handlung in einer Druck-schrift nur dann Anwendung zu finden hat, wenn die Anführungoder Mitteilung der in Betracht kommenden Tatsachen im öffent-lichen Interesse gelegen ist oder zur Wahrung eines berechtig-ten wichtigen Privatinteresses notwendig war, kann den Ange-klagten nur dann zugute kommen, wenn das von ihnen vorgegebeneInteresse schon zur Zeit der inkriminierten Aeusserung vorhan-den war. Dieser Strafausschliessungsgrund ist nur dann gegeben,wenn die sonst strafbare Handlung begangen wird, um eine wichti-ge Interessensphäre zu schützen. In ihrem Beweisantrag berufensich die Angeklagten in den Punkten 7, 8 und 9) auf Stellen ausden Fackel-Nummern 909–911, erschienen Ende Mai 1935 und 912–915,erschienen Ende August 1935, während das Blatt mit den inkri-minierten Artikeln am 15. September 1934 veröffentlicht wurde.Selbst dann also, wenn die von den Angeklagten behaupteten An-griffe auf „Beschimpfungen“ dieder tschechoslowakischen Staatsmänner, und auf die Lächerlichmachung der tschechoslowakische Verfassung und auf die ja der tschechoslowakischen Nation so wahr wären, wie sie zur Gänze unwahr sind, – was bei der Besprechungder einzelnen Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten ausführ-lich dargelegten werden soll –, könnten sie nicht zu ihrer Ent-schuldigung dienen.

Die Justiz wird hier vor einen einzigarti-gen Fall gestellt. Es wird nämlich der Versuch gemacht, auf reindenunziatorischem Wege durch Behauptungen, der Privatkläger habeseine Gesinnung wiederholt gewechselt und sei gegen die tschechi-sche Nation, gegen die tschechische Selbständigkeit aufgetreten,von der Hauptsache abzulenken. Die Tat, die der Angeklagte Sonnenschein Sonkazu verantworten hat, ist, dass er den Privatkläger einen „ Heldender Gesinnung und des Geistes“, einen „ Konjunkturästheten“ ge-nannt hat und ihn in einen Kreis von Personen eingereiht hat,die ihre geistige Arbeit dazu benützen, um Profit zu machen“.

Herr Sonka glaubt sich damit entschuldigen zu können, daßer dieses „ Gedicht“ nicht „auf die Person des Privatklägers stilisiert“ schon vor dem Juliheft der Fackel auch ananderen Orten „ohne jedwede Widmung“ veröffentlichthabe. Welchen Sinn diese Ausrede haben soll, ist kaumerfindlich, da ja eben die Publikation in der Arbeiterzeitung,die die Widmung enthält, inkriminiert ist.

Der Angeklagte Schramek hat sich dafür zu verantworten, dasser diese Beleidigungen und auch weitere Beleidigungen in demAufsatz „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ in Kenntnisihres Inhaltes zum Druck befördert hat, sich also der strafbarenHandlungen mitschuldig gemacht hat, zumindest aber die pflicht-gemässe Obsorge vernachlässigt hat, solche beleidigende schmähende Aufsätzeund Gedichte von der Veröffentlichung auszuschliessen. Aus demArtikel wurde besonders die Stelle inkriminiert, welche die Be-hauptung enthält, dass sich der Privatkläger in seiner Fackel brav gleichgeschaltet habe und im Schweisse seines Angesichtesdie Kulturtaten des „österreichischen Menschen“ preise, was ihnallerdings vor Wöllersdorf schütze. Darin liegt die allerdings sofort als absurd erkennbare Behauptung, dass das im Juli 1934 erschienene Fackelheft den Zweck verfolge, dem Privatkläger dieZwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen. Die Absurditätdieser Behauptung ergibt sich schon aus der dem Artikel selbstzu entnehmenden Feststellung, dass Braunthal am 12. Februar 1934 im Zuge der zur Niederringung der Februarrevolte getroffenenMassnahmen festgenommen wurde. Es ist nicht Sache des Privat-klägers, darüber Erhebungen zu pflegen, ob die Beteiligung desHerrn Braunthals an der Februarrevolte seine Festnahme auchrechtlich begründet erscheinen lasse, und wie weit bei der An-haltung in dem Zwangslager die Tatsache mitbestimmend war, dasser seit dem Jahre 1923 in der Zentralleitung des RepublikanischenSchutzbundes sass, und wie weit vielleicht auch seine BroschüreDie Wiener Julitage(1927) an dieser Zwangsmassnahme mitgewirkt haben.Dass gegen den Privatkläger nicht mit den gleichen Zwangsmass-nahmen vorgegangen wurde, das kann keinesfalls ein im Juli 1934erschienener Artikel Aufsatz bewirkt haben, wenn das Verhalten die Haltung des Herrn Braunthals im Jahre Juli 1927 wirklich der Grund für das Vorgehengegen ihn gewesen wäre. Es ist klar, dass der Autor des am15. September 1934 erschienenen Artikels „Der Racheakt der Poli-zei gegen Braunthal“ nur eine ihm offenbar günstig erscheinendeGelegenheit benützte, für den im Juli 1934 erschienenen Artikel

Daß frühere Gegner sich ihr angeschloßen haben, geht zurGenüge unter hundert Beispielen aus einem Leitartikel des „Ceske Slovo“ hervor, der sogar seine frühere MeinungBlg. 1.) durch die in der Beilage zitierte Äußerung bereinigt, daßer immer schon den Abwehrkampf des BundeskanzlersDollfuß gegen die Hitlergefahr anerkannt habe.

Der unerhörte verlogene Anwurf, der Privatklägerbeschimpfe durchganze Jahre die tschechoslovakischen Staatsmännerwird nur durch die Komik der Mitteilung abgeschwächt,er habe „die Gastfreundschaft dieses Staates genossen“,eine Angabe, die den Eindruck erweckt und vielleichterwecken soll, daß er wie so viele Journalisten auf Kostendes Staates dort gelebt und sich dann undankbarerwiesen habe. In Wahrheit hat er dort wiederholtVorlesungen abgehalten, deren Ertrag vielfach dortigenwohltätigen und zwar proletarischen Zwecken gewidmetwar. (In Brünn, für welche Stadt aus Gründen derin der offenbaren Absicht der Stimmungsmachereider Name des Herrn Ministers Czech genannt wird,sei hier zum Nachweis solcher charitativerWidmungen Frau Minister Czech als Zeugin geführt.)Was also die „antistaatliche Tätigkeit“ betrifft, so haben sich

des Privatklägers Rache zu üben, und anstatt eine Meinung zukritisieren und eventuell zu bekämpfen, – was ihm gewiss nicht möglich gewesen geglückt wäre, wo da die nachfolgenden Ereignisse in derWeltpolitik diese Meinung so sehr gerechtfertigt haben, dassauch frühere Gegner sich ihr angeschlossen haben –, die Kritikan dem Wirken der sozialdemokratischen Führer in Oesterreichdurch eine Verdächtigung des Privatklägers, durch den Vorwurfder Unlauterkeit seiner Motive zu vergelten.

Die Angeklagten kommen in ihrem Schriftsatz zu dem Schlusse, es sei eines der wichtigsten Interessen dertschechoslowakischen Oeffentlichkeit, dass Menschen von der Artdes Privatklägers , in der tschechoslowakischen Presse kritisiertwerden. Verdächtigungen und Verleumdungen sind freilich keine Kritik, und es mutet absurd grotesk an, dass die Arbeiterzeitung, welche sich offiziell als „Organder österreichischen Sozialdemokratie“ bezeichnet, sich alseinen Bestandteil der tschechoslowakischen Presse aufspielt undso tut, als ob sie tschechoslowakische Interessen zu vertretenhätte oder je vertreten hat.

Es wird bei der Eingehung in die einzelnenPunkte des gegnerischen Schriftsatzes ausführlich darauf hinzu-weisen sein, welche Fälschungen von der Gegenseite unternommenwurden, um den Anschein zu erwecken, es liege bei dem Privat-kläger eine Anzahl „zeitlich auffallender politischer Um-orientierungen“ vor. Aber selbst dann, wenn solche politischeUmorientierungen vorlägen, wäre es Aufgabe der Angeklagten, nichtnur diese zu beweisen, sondern auch die Unlauterkeit der Motivedes Privatklägers, seine Absicht, sich die Zwangsanhaltung inWöllersdorf zu ersparen und Profit zu machen. Selbst wenn esden Angeklagten gelänge, die politische Umorientierung desPrivatklägers zu beweisen, könnte dies nicht zu ihrer Entschuldi-gung dienen, solange sie nicht den unmoralischen Beweggrund solcher derUmorientierungen beweisen können. Daf F ür diesen Beweggrund aber haben die Ange-klagten einen Beweis überhaupt nicht angetreten; ebensowenigfür die Behauptung, dass eine „antistaatliche Tätigkeit“ desPrivatklägers vorliege. Offenbar haben sich die intellektuellen

(Auch als talentloser Politiker wurde er seinerzeit in derFackel behandelt und ihm eine außerdem eine dieVerfälschung eines Angriffs in ein Lob, die er zu Reklame-zwecken nachgewiesen).

7.) der reichlich unterstützte Sproß einer wohlhabendenBürgerfamilie,

7a Die Erkenntnis dieser Stelle wie auch aller früher Vorkriegs-artikel der Fackel, kurz alles was Herrn Sonka von der angeblich militaristischen Gesinnungdes Privatklägers überzeugt hat, hat ihn nichtabgehalten, im Jahre 1910, ja im Februar 1915seine Verehrung kundgetan.

7b diesem notwendigen – und bedauerlicherweiseausgedehnten Schriftsatz

Führer der sozialdemokratischen Partei den Grundsatz zu eigengemacht „Der Staat bin ich“, und bezeichnen fassen die Kritik desPrivatklägers an ihrem unheilvollen Wirken als eine antistaat-liche Tätigkeit . auf.

Es ist aber nicht der Angriff auf gegen dieintellektuellen Führer der sozialdemokratischen Partei allein,der den Angeklagten Sonka zu den beleidigenden seinen Ausfällen hin-riss, sondern hauptsächlich eine längst weit zurückliegende Kränkung darüber,durch den Privatkläger seiner Talentlosigkeit als Lyriker und an Politiker urkomischen Beispielen überfuhrt worden zu sein. Vorher hat er dem Privat-kläger seine talentlosen Lyrikbände mit dem Ausdrucke der Ver-Beilage 2 u 3ehrung zugesendet, den letzten im Februar 1915, also Monate nachdem Erscheinen des Aufsatzes „In dieser grossen Zeit“ (FackelBeilage 4.)Nr. 404 vom 5. Dezember 1914), dessen Besprechung über das Kritik an dem Stelle Kriegs-manifest Franz Josefs ihm schon einige Male seinerzeit immer mit der gleichenVerfälschung des Zitates – den willkommenen Anlass geboten hat,sich an dem Privatkläger zu reihen, an ihm sein dürftiges Mütchen zukühlen. Die genaue Darstellung des Sachverhaltes, die durch dieNotwendigkeit der Zitierung von mehr als hundert Seiten derFackel diesem notwendiger- und bedauerlicherweise ausgedehntenSchriftsatze eine unerträgliche Länge geben würde,kann über Wunsch des Gerichtes durch die Verlesung dieser Stel-len gegeben geboten werden. Zu diesem Zwecke werden die Herrn Sonka (Sonnenschein) betreffenden Fackel-Hefte vorgelegt und auf die folgenden Stel-Beilage 5.len verwiesen: Heft Nr. 514 bis 518 vom Ende Juli 1919, Seite 1 bis 5,Beilage 6Seite 9 bis 11, Seite 59ff.; Fackel Nr. 521 bis 530 vom Januar 1920,Beilage 7Seite 80 bis 86 ; und Fackel Nr. 531 bis 543 vom April 1920, Seite 95 bis 140.

Ist aber schon Partei- und Privatracheeine schlechte Beglaubigung für das Kritiker publizistische Richter amt, so hat amallerwenigsten der Angeklagte Sonka das Recht, sich hiezuberufen zu fühlen und irgend jemande n m den Vorwurf der Profit-macherei zu machen bezichtigen , wo da er, aus der kommunistischen Partei, aufderen Zugehörigkeit er sich mit so vielem Stolz beruft, geradeaus einem ähnlichen solchen Grunde ausgeschlossen wurde, nämlich, weiler trotz einem Parteiverbot für bürgerliche Blätter und gewiss nicht gratis gearbeitet e hat .Der Angeklagte Sonka möge dem Gericht den Beschluss über seineAusschliessung vorlegen; der Privatkläger verlangt nichts an-

8 Die Verlogenheit geht hier schon aus dem Woranderswohervor, das einfach erfunden ist, da der Herausgeberder Fackel seit deren Gründung – außer ein paarVorabdrucken in dem gewiss nicht militaristischenSimplizissimus“ (1908) – nicht eine einzige Zeileanderswo“ veröffentlicht hat.

9 die immerhin turmhoch über dem literarischenLibertinertum steht.

deres als Gegenleistung für die eigene Bereitwilligkeit, sämt-liche Schriften zur Verfügung zu stellen, als die Vorlage die-ses Dokuments, dessen Beschaffung leider nicht einmal in Ar-chiven möglich wäre.

Ehe nun auf die Besprechung der einzelnenPunkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, mussnoch bemerkt werden, dass die Entstellung der Zitate nicht etwaauf ein Missverständnis zurückzuführen ist, sondern dass hiereine Fälschung und Verfälschung in vollem Bewusstsein vorliegt,weil ein Missverständnis bei der genauen Kenntnis noch so flacher der Fackel im Kreise der sozialdemokratischen Leserschaft vollständigauszuschliessen ist.

Zu 1.) Zum Beweise der Behauptung, derPrivatkläger habe vor dem Kriege in seiner Zeitschrift „DieFackel“ ebenso wie in seinen „anderswo(?) veröffentlichtenliterarischen Arbeiten eine ungeschminkte Verehrung des Militaris-mus, des österreichischen Adels und der Autokratie überhauptgeäussert, berufen sich die Angeklagten auf einen Satz der FackelNr. 387/8 vom 17. November 1913, Seite 32. Nicht einmal aus demZusammenhang gerissen könnte dieser aber jener Satz bei einem unbefangenenLeser die Meinung auftauchen lassen, er enthalte eine „unge-schminkte Verehrung des Militarismus“, sondern es ist klar, dasser eine ästhetische die Würdigung der einer Männlichkeit bedeutet. Dieswird noch klarer, wenn der Satz in seinem Zusammenhang wieder-Beilage 8gegeben wird. Die Stelle lautet:

Die Erinnerung an Pola wiederholt das Gefühl derUeberraschung, in einem Staatsleben, dessen Ordnung dieTrägheit und dessen Farbe die Hässlichkeit ist, eine sonnigeStelle zu finden. Die sittliche Kraft des Meeres würde nichtausreichen, unter allen Oesterreichern Manneszucht zu halten,aber es gibt unter ihnen Menschen, die mit Recht dort untenwohnen und nicht darüber klagen sollten, dass es ihnen dieVorsehung erspart hat, auf diesem schwankenden Festland zuleben. Menschen, die innen so beschaffen sein müssen wie aussenund die anzuschauen das Gefühl dieser Einheit bestätigt undhundertmal das Gefühl, dass der Militärhass der Demokratie dieUeberlegenheit des Misswachses über die Männlichkeit bedeutet.Es bedarf über eine klare und gute Sache nicht vieler Worte;ganz einfach: Die ästhetische Entschädigung eines Tages inPola für ein Jahr in Wien, an und für sich nicht zu unter-schätzen, berührt den tiefer liegenden Unterschied von Menschen-wert und Fliegenplage.

Von einer Verehrung des Militarismus als solchen kannkeine Rede sein. Der Privatkläger bekennt sich aber jedoch nach wievor zu dem scheinbaren Widerspruch, der ihm nur von Blödge-sinnten als solchen ausgelegt angekreidet werden könnte . : dass er mutigeMännlichkeit schätzt, den Krieg aber verabscheut.

Was nun die ungeschminkte Verehrung desPrivatklägers für den österreichischen Adel betrifft, – „knappvor dem Kriege“, womit offenbar gesagt werden soll, dass siein vollem Bewusstsein einer militaristischen Einstellung des-selben geäussert wurde –, so tun die Angeklagten so, als ob derPrivatkläger demokratische Ehrenhaftigkeit gegenüber eineraristokratischen Verkommenheit herabgesetzt hätte. In Wirklich-keit sind die von den Angeklagten entstellt zitierten Sätzeaus einem polemischen Artikel „Sehnsucht nach aristokratischemUmgang“ (Nr. 400–403 vom 10. Juli 1914, Seite 90–95), in demsatirisch gegen Verleumder Stellung genommen wird, die demPrivatkläger in anonymen Briefen und Druckschriften vorwarfen,er sei ein „Schauspieler der Ethik“, der „mit grossem Ehrgeizauf aristokratischen Umgang aspiriere, und sehr stolz darauf,dass sich in seinen Vorlesungen einige Mitglieder des ganzreaktionären Provinzadels blicken liessen, die natürlich dieangeblich linksradikalen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,Bourgeoisie und ‚Neue Freie Presse‘ mit sehr rechtskonservativemWohlbehagen anhörten … Kraus, dieser Schauspieler der Ethik,war ja nie wählerisch in Bezug auf sein Publikum. Zuerst war erglücklich über den Beifall derselben Juden und Journalisten,die er in seinen wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetztist er immerhin zum Hofnarren avanciert. Seine radikalenliterarischen Freunde, aber auch alle, die Religion und klerika-le Feudalherrschaft nicht identifizieren, werden ihm den Rückenkehren und er wird zum literarischen Hausjuden des Grafen X.emporsteigen“.

Diese niederträchtigen unwahren und unwahrhaftigen – später vom Schreiber selbst reuig zurückgezogenen Behauptungen,lediglich dadurch hervorgerufen, dass der Privatkläger mit eini-gen ausgezeichneten Menschen von Adel vertrauten Umgang pflog,

die ganz im Gegenteil zu der Sorte Menschen, welche ihn hieranpöbelten, trotz vielen Divergenzen der Anschauung ihn niemalsin seinem geistigen Schaffen zu beeinflussen suchten, mussten aufdas Entschiedenste zurückgewiesen abgetan werden. Der Privatkläger hatniemals ein Hehl daraus gemacht, dass er den liberalen Standpunktin der Politik, im Wirtschaftsleben und in der Meinungsäusserungablehne. Was er aber mit seiner „Sehnsucht nach aristokratischemUmgang“ gemeint hat, möge aus den nunmehr vollständig wiederge-gebenen Sätzen, von denen die Angeklagten nur Teile, um eineMeinung zu entstellen, zitieren, entnommen werden. In dem Auf-satz heisst es auf Seite 92:

Meine radikalen literarischen Freunde, die noch ahnungs-loser waren als die feudalen Privatgesellschaften, sind endlichaufmerksam geworden, denn sie können zwar schreiben, aber nichtlesen und haben darum seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dassich die Pest weniger hasse als meine radikalen literarischenFreunde. Sie haben meine Angriffe auf die jüdischen Liberalen,auf Bourgeoisie und Neue Freie Presse für linksradikal gehaltenund nicht geahnt, dass sie, wenn ich überhaupt etwas will undwenn sich das, was ich will, auf eine staatsverständliche Formelbringen lässt, im höchsten Masse rechtsradikal sind. Sie habengeglaubt, ich sei ein Revolutionär, und haben nicht gewusst,dass ich politisch noch nicht einmal bei der französischenRevolution angelangt bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen1848 und 1914, und dass ich die Menschheit mit Entziehungder Menschenrechte, das Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechtes,die Juden mit Entziehung des Telephons, die Journalisten mitAufhebung der Pressfreiheit und die Psychoanalytiker mit Ein-führung der Leibeigenschaft regalieren möchte. Nicht wasschwarz unter den Fingernagel geht, haben sie es geahnt, undnun fällt es ihnen wie Schuppen von den Haaren. Sie habenentweder die aufschlussreichsten Nummern der Fackel verpasst,weil sie gerade in der Hand oder nur gestohlen war, oder auchnicht gemerkt, dass der tausendste Teil meiner – angeblich –linksradikalen Glossen, auf eine im Staat geläufige Tendenzherabgesetzt, einen Konservatismus von einer Blutbereitschaftpropagiert, gegen den tausend Jahrgänge von tausend klerikalenZeitungen die Sprache einer Protestversammlung des Monisten-bundes zum Schutze reisender Kaufleute führen. Sie haben nichtgehört, dass mir ein verhängter Himmel, dem eine Weltanschauungerspart bleibt, immer noch besseren Trost bringt, als einefreie Erde, die zum Himmel stinkt. Es ist ihnen entgangen, dassich untröstlich bin, die Machtmittel der Staaten nicht gegenden Zerfall der Völker aufbieten zu können, und nur zufriedenin der Gewissheit, dass dem auf den Glanz hergerichteten Mensch-heitspofel, der jetzt allerorten zu sehen ist, der grosseAusverkauf bevorsteht. Solche Stimmungen, Ahnungen, Hoffnungenhabe ich, wenn’s meine radikalen literarischen Freunde nichtmerkten, heimlich aus Hirn und Herz direkt ins Heft übernommen.Das aber haben sie zum Glück verpasst, überschlagen odernicht verstanden, und sind jetzt fataler Weise aufmerksam ge-macht worden.

Auf Seite 94f.:

Was kann ich gegen diese Feststellung anderes vorbringen,als dass sie wahr sein könnte, wenn die feudale Gesellschaftund der aristokratische Umgang durchaus so weit wären, meiner

würdig zu sein? Das Zeug dazu – und wenn Legionen vonradikalen literarischen Freunden mit den Rücken, ja selbstdas Gesicht zukehren wollten, ich bekenne es – das Zeug dazuhätten sie! Von Gnaden der Idee, die irgendwo hinter ihrerGeburt lebt, und bliebe ihr schweissloses Dasein unberührtvon einer zeitlichen Gemeinheit, die auch einen Grafen zumVerwaltungsrat macht, seinen Sohn zum Disponenten und diedas Geschmeiss der öffentlichen Meinung den Triumph desFortschritts bejubeln lässt, weil der Träger einer gutgebore-nen Nase endlich eine Börsenkarte gelöst hat. Ja, ich aspiriereauf aristokratischen Umgang; aber ich, ewig unbelohnter Stre-ber, finde ihn allzu selten. Wenn irgendwo, ist hier der letzteFunke Hoffnung auf eine Jugend, die ich den Klauen der Ent-wicklung entreissen möchte, wenn irgendwo könnte ich hierden Versuch wagen, das Unerfüllbare in die Umgangssprachedes Lebens, der Politik, ja der Gesellschaft umzusetzen. Mir,der weiss, dass die Empfindungen des letzten Stallpintscheserhaben sind über der Ausdrucksfähigkeit eines kosmischinteressierten Literaturgesindels, und der von staatswegeneinen Kommerzienrat zwingen möchte, dem letzten Stallknechtzu dienen, mir sollte füglich nicht verübelt werden, dass ichdort, wo ich vergebens aristokratischen Umgang suche, aufdemokratischen verzichte! Ich möchte nicht bis zu Wohltätig-keitsbazaren vordringen, wo Parvenus nach unten um dieGunst von Handelsleuten buhlen. Dass ich trotzdem hinreichendverdächtig bin, aristokratischen Umgang zu suchen, müssteder demokratische längst heraushaben: ihn fliehe ich. Erist die Pest, die sich des Daseins freut und ihrem eigenenBazillus nicht auf der Spur ist. Sein Blick löst Welträtselund dreht mir den Magen um. Er analysiert mir den Traum, inden mein Ekel flüchtet. Er weckt mich und ich suche einenKönig, der eine Bombe hätte für diesen allzu klugen Untertan.Ich weiss, was auf dem Spiel steht: Rette unsere Seelen!Ich weiss und bekenne, und auf die Gefahr hin, fortan einPolitiker zu sein oder gar ein Aesthet, als unwiderruflichesProgramm: dass die Erhaltung der Mauer eines Schlossparks,der zwischen einer fünfhundertjährigen Pappel und einerheute erblühten Glockenblume alle Wunder der Schöpfung auseiner zerstörten Welt hebt, im Namen des Geistes wichtigerist als der Betrieb aller intellektuellen Schändlichkeit,die Gott den Atem verlegt!

Von einer ungeschminkten Verehrung desösterreichischen Adels kann also auch keine Rede sein, sondernlediglich von einer Ablehnung alles dessen, was sich gegen denGeist erhebt und ihn schändet.

Wegen des Kriegsmanifestes Franz Josefs hat sich der Privatkläger mit dem Angeklagten Sonnenschein schoneinmal befassen müssen, als dieser ihn im „Neuen Wiener Journalmit der gleichen Verfälschung des Zitates angriff. Obwohl ihmdie Verfälschung damals vor Augen gehalten wurde, scheut ersich nicht, sie hier neuerlich zu machen. Auf den damaligen An-griff des Herrn Sonnenschein im „Neuen Wiener Journal“:

Was aber gebührt einem Gesinnunskünstler, der am5. Dezember 1914 das Kriegsmanifest Franz Josefs folgender-massen begrüsst: ‚… über jenem erhabenen Manifest, dasdie tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, dassie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichstenAnschlag, den die Strasse unserem Auge widerfahren lassenkonnte …‘?

Beilage 7.hat der Privatkläger geantwortet (Nr. 531–543 vom April 1920,Seite 127–129):

Mir bleibt doch nichts erspart. Ich glaube aber fast,man hat mich drangekriegt. Ist dieser Sonnenschein wirklichso intellektuell, dass er den Satz für seine Zwecke benützenzu können glaubt, oder stellt er sich nur so? Hat er unsermAuge einen ‚Anschlag‘ widerfahren lassen, indem er so tut, alsob dieses Wort bloss ein Plakat bedeutete? Als ob ich aufder Suche nach einem König mit der Bombe für den intellektuel-len Untertan nun beglückt gewesen wäre, schon ein paarWochen später einen Kaiser zu finden, der’s der ganzenMenschheit besorgt? Als ob ich sein Kriegsmanifest wirklich‚begrüßt‘ hätte? Ja, denkt der Leser, der sich nicht er-innert, was ich am 5. Dezember 1914 erscheinen liess: der hateben im Anfang des Kriegs genau so wie alle andern mitge-heult. Er begrüsst nicht nur das erhabene Manifest, sondernauch die tatenvolle Zeit, er nennt jenes ein Gedicht — wasdoch offenbar der Superlativ des Entzückens ist, wie wennman dem Wiener sagt, daß eine Mehlspeise geradezu ein Ge-dicht sei —, er gewahrt einen Anschlag, das heisst einPlakat, voll des menschlichsten Inhalts, jedenfalls indem Sinne, daß wir einen heiligen Verteidigungskrieg führenund dass unser Sieg die Menschlichkeit über die Erde ver-breiten wird, aber nicht im Sinne des Menschlichkeitspofel,der allerorten zu sehen ist, sondern natürlich ganz anders,denn nicht Humanität, sondern Krieg ist wahre Menschlichkeit. Kein Zweifel, der hat damals mit den andern, diedaheim sassen, berserkerhaft um sich geschlagen und ge-holfen, die Russen und die Serben in Scherben zu hauen, umselbst davon enthoben zu werden. Man hat das nur vergessenund ist dem Gesinnungskünstler, der sich immer darauf be-ruft, er habe vom Ultimatum an — sehr im Widerspruch zuseinen früheren Ansichten — gegen den Krieg gesprochen,glatt aufgesessen. Es ist Sonkas Verdienst, der Welt, ander er verkommen musste, während sie jenen zu Ehren ge-langen liess, die Augen geöffnet zu haben. Jawohl, er kannte den Satz, er überwand seinen Ekel vor mir, schrieden vor Europa hinaus und sandte mir das Werk in Verehrungzu. Und ich habe nicht sein Gedicht, sondern das desFranz Josef gelobt! Man wird ordentlich neugierig auf denkriegshetzerischen Aufsatz, in dem das Lob enthalten war.In dieser großen Zeit‘ heisst er. Aber, denkt da derLeser, der sich zu erinnern beginnt, das war ja jene radikaleAbsage an den Krieg und Ansage des Kriegs an ihn, jenesden Pygmäen der großen und den Parasiten der ‚tatenvollenZeit‘ gestellte Ultimatum, das durch seinen Freimut dieKriegszensur so verblüfft hat, dass sie es erscheinen liess?Wie reimt sich dies Faktum mit jenem Diktum? Wie entstehtda ein Gedicht? Wie kommt die Stelle in den Aufsatz? Etwasanders als ins Neue Wiener Journal; nämlich so: ‚Ueberjenem erhabenen Manifest, jenem Gedicht, das dietatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht,das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichstenAnschlag, den die Strasse unserm Auge widerfahren lassenkonnte, hängt der Kopf eines Varietékomikers, überlebens-gross‘. Sogar zweimal wird — in der Kritik der Würdelosig-keit Wiens — gesagt, dass es ein Gedicht ist? Eben. Hat nunSonka, dem ich eine so feine Abschätzungsfähigkeit für Stil-wirkungen gar nicht zugetraut hätte, nicht vielleicht be-wirkt, dass das Lob des ‚einzigen Gedichts‘ zum Lob des Inhalts und die Weglassung des ‚Gedichts‘ zum Lob dertatenvollen Zeit wurde? Dass das ‚erhabene Manifest‘, welchesnur ein Terminus, eine Bezeichnung der Sphäre, und dietatenvolle Zeit‘, die eine hohnvolle Anwendung war,positiven Inhalt bekamen? Ich meinte das ‚kaiserliche‘

10 Aufsehen erregende

Manifest, ein schlichter Reporter hätte es so gesagt; ichsagte, was die feierlichen Reporter sagen. Deutlicher konnteich damals leider nicht aussprechen, dass ich es nicht fürerhaben hielt. Nur als Gedicht erhaben, doch als Tat ein‚Anschlag‘. Aber für jene, die mich zu lesen gelernt haben,war’s deutlich.

Es ist nun notwendig, einige der markantestenStellen aus dem Aufsatzes zu zitieren, in dem das Manifest Franz Josefs alsGedicht, natürlich um einer Zeile starken dichterischen Zeile willen – gelobt, als Anschlag – den die Straße dem Auge „widerfahren“ ließ – verurteilt wurde, zu zitieren, : umdem Gericht darzutun, dass hier wirklich eine radikale unerbittliche, damals 10 Absagean den Krieg und Ansage des Krieges an ihn vorliegt. Damit dieeigenartige Gesinnung eines Angeklagten, der sich das Rechtherausnimmt, eine andere Gesinnung zu kritisieren, im klarsten grellsten Lichte dastehe. Es heisst dort in Nr. 404 der Fackel vom 5. Dezem-Beilage 4ber 1914 auf Seite 1 und 2:

In dieser grossen Zeit die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wiederklein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und diewir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlungnicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlichauch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in dereben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, undin der geschehen muss, was man sich nicht mehrvorstellen kann, und könnte man es, es geschähenicht —; in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelachthat vor der Möglichkeit, dass sie ernst werden könnte; vonihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sichselbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; indieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichenSymphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Be-richte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie vonmir kein eigenes Wort erwarten. Keines ausser diesem, daseben noch Schweigen vor Missdeutung bewahrt. Zu tief sitztmir die Ehrfucht vor der Unabänderlichkeit, Subordinationder Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasie-armut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohneden seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchenund Schwerter in Tinte, muss das, was nicht gedacht wird,getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprech-lich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchteich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, istder Lärm so gross, und ob er von Tieren kommt, von Kindernoder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden.Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimalverächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetztnichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechenweiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!

Auf Seite 10 und 11:

Man könnte aber einmal dahinter kommen, welch kleineAngelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigenSelbstverstümmelung der Menschheit durch ihre Presse, undwie er im Grund nur eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat.Vor einigen Jahrzehnten mochte ein Bismarck, auch ein Ueber-schätzer der Presse, noch erkennen: ‚Das, was das Schwertuns Deutschen gewonnen hat, wird durch die Presse wiederverdorben‘, und ihr die Schuld an drei Kriegen beimessen.Heute sind die Zusammenhänge zwischen Katastrophen undRedaktionen viel tiefere und darum weniger klare.

Auf Seite 11 und 12:

Die Wahrheit ist, dass die Zeitung keine Inhaltsan-gabe ist, sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger.Bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus.Mehr Unrecht in der Welt, weil es eine Presse gibt, die eserlogen hat und die es beklagt! Nicht Nationen schlageneinander: sondern die internationale Schande, der Beruf,der nicht trotz seiner Unverantwortlichkeit, sondern ver-möge seiner Unverantwortlichkeit die Welt regiert, teiltWunden aus, quält Gefangene, hetzt Ausländer, macht Gentlemenzu Rowdys.

Auf Seite 16:

Und wenn sich die Welt zerfleischt, es kommt keinGeist heraus! Er wird später nicht erscheinen; denn erhätte sich jetzt verbergen, durch verschwiegene Würdesich äussern müssen. Aber wir sehen rings im kulturellenUmkreis nichts als das Schauspiel, wie der Intellekt aufdas Schlagwort einschnappt, wenn die Persönlichheit nichtdie Kraft hat, schweigend in sich selbst zu beruhen. Diefreiwillige Kriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Ein-tritt in den Journalismus. Hier steht ein Hauptmann, stehendie Herren Dehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eineDekoration in der vordersten Front und hinter ihnen kämpftder losgelassene Dilettantismus. Noch nie vorher hat eseinen so stürmischen Anschluss an die Banalität gegeben unddie Aufopferung der führenden Geister ist so rapid, dassder Verdacht entsteht, sie hätten kein Selbst aufzuopferngehabt, sondern handelten vielmehr aus der heroischenÜberlegung, sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sicherstenist: in die Phrase.

Aus diesen „paar Proben aus dem literari-schen Werk des Privatklägers“ geht also klar hervor, dass erebensowenig kurz vor dem Kriege als im Krieg ein ostentativerVergötterer des zum Deutschen Reich hin orientierten öster-reichischen Militarismus mit allem seinen Zubehör war, sondernim Gegenteil geht daraus hervor, dass er den Krieg und seinZubehör, insbesondere sein literarisches Zubehör, von allemAnfang an verurteilt verabscheut hat. Ueber das sonstige ziemlich bekannte Wirken des Privat-klägers im Kriege schweigen sich die Angeklagten gründlichaus. Nach den einleitenden Worten des dritten Absatzes ihresSchriftsatzesNach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politischenGesinnung statt, so dass bei einem objektiven Betrachter dieserauffälligen Aenderung der Privatkläger notwendig den Eindruck er-wecken musste, dass bei ihm der rasche Wechsel in den Grundan-schauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staates nicht das

11 Welcher von den Schreibern, von denen Herr Sonka die Stirnehat zu behaupten, daß sie durch den Privatkläger Karl Kraus „diskreditiert“ seien, wagte es vorzutretenund zu sprechen, daß sie einen militarischenInhalt hatten? Welchem von ihnen wäre die Art der Wirksamkeitder Fackel im Kriege nicht bekannt.

Ergebnis einer geistigen Umorientierung, sondern eher dieFolge des staatlichen Umsturzes war, dessen Form und politischerMajorität sich der Privatkläger in seinen literarischen Arbeitenangepasst hat“, müsste man glauben, dass er während des Kriegesentweder überhaupt nichts von sich habe hören lassen, also seinWort „Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“ wahrge-macht habe oder ganz entgegen seiner Haltung in den oben zitier-ten Sätzen wirklich für den Militarismus eingetreten sei. Esverwundert einen da nur, dass die Angeklagten es sich entgehenliessen, dieses Eintreten für den Militarismus nachzuweisen, da-mit es augenfällig werde, dass im Jahre 1919 wirklich einrascher Umsturz in seiner politischen Gesinnung“ stattfand.Denn wenn der Privatkläger wirklich vom Jahre 1914 bis zum Jahre1919 geschwiegen und erst dann seine augenfällige Aenderungbekundet hätte, so wären doch der vier Jahre Krieg und die lange Zeit ge-wiss hinreichend gewesen, um eine geistige Umorientierung hervor-zurufen, und es wäre gewiss dann nicht angebracht, hier von einemraschen Wechsel Umsturz“ in den Grunda A nschauungen des Privatklägers zusprechen. Weiters fällt aber auf, dass das nächste Zitat, dasdie Angeklagten anführen, aus der Nummer 508–513 stammt, währenddas Zitat über das Manifest Franz Josefs aus der Nummer 404 stammt, dass also zwischen diesen beiden Heften 104 Nummernder Fackel liegen, über die die Angeklagten einfach kurzentschloßen hinweg-gehen. 11 Diese 104 Nummern mit 1988 Seiten sind ein einzigergrosser Angriff gegen den Krieg und die Kriegführenden, einAngriff gegen das damalige Oesterreich-Ungarn und Deutschland, einAngriff gegen alle Nutzniesser des Krieges und eine einzige Wehklagen über die dessen Opfer desselben. Der vernichtende Ausgang für die krieg-führenden Mittelmächte wurde vorausgesehen und vorausgesagt.

Die Haltung des Privatklägers im Kriegewurde auch von der sozialdemokratischen Partei trotz allerDivergenz in den Anschauungen über Politik stets in hundert Huldigungen anerkannt,ja die Einstellung gegenüber dem Kriege war geradezu das ein-zige geistige Bindeglied der Partei an den mit dem Privatkläger.

12 und eine beispiellose Fälschung durch deren Verschweigungoder gar Verkehrung ins Gegenteil.

13 Es wird ferner auf die in dem gleichen Heft abgedrucktenKritiken über das Wer Kriegsbuch „Die letzten Tage derMenschheit“ hingewiesen: von Prof. Otakar Fischer,Česke Slovo, Seite 88ff.; Přitomnost, Seite 93ff.,und auf die verschiedenen dort abgedrucktenGeburtstagsartikel: Wien Arbeiter-Zeitung, Seite105ff.; Prager Tagblatt, Seite 109ff.

So schrieb aus Anlass der Vollendung des 20. Jahrganges dersozialdemokratische Präsident der deutsch-österreichischenNationalversammlung, Herr Seitz, am 1. Mai 1919 an den Privat-Beilage 5kläger (abgedruckt auf Seite 21 der Nr. 514–518, Ende Juli 1919):

Die Vollendung des zwanzigsten Jahres, seitdem dieFackel zu erscheinen begonnen hat, gibt mir den erwünschtenAnlass, Ihnen für das grosse Werk, das Sie in diesen zweiJahrzehnten zur Reinigung, Versittlichung und Vergeistigungdes öffentlichen Lebens geleistet haben, meinen aufrichtig-sten Dank zu sagen. Insbesondere wird Ihr tapferer, mutiger,beharrlicher Kampf gegen den Krieg und gegen alles Gemeineund Herabwürdigende, das von ihm ausging, unvergesslichbleiben. Hier fand die sittliche Empörung gegen die Kriegs-barbarei ihren leidenschaftlichsten Ausdruck und die Gewaltder Empfindung vermählte sich mit der Gewalt der Form, soden Geist zur Tat gestaltend.

Die gleiche Einstellung fand ihren Ausdruck in einem Glück-wunschschreiben des Herrn Seitz als Bürgermeisters der StadtWien Seitz vom 28. April 1924 (abgedruckt auf Seite 149 der Nr. 649–656,Beilage 10Anfang Juni 1924):

Wir haben Ihnen für Ihren mit sittlichster Leidenschaftgeführten Krieg gegen den Krieg zu danken, dessen Unmensch-lichkeit Sie in Ihrer unsterblichen Tragödie so geschilderthaben, dass die Menschheit es nie vergessen kann. Wir habenIhnen aber auch für den moralischen Mut zu danken, dass Sieden steten und beharrlichen Kampf gegen alle, die dasöffentliche Leben verfälschen, die den Lügengeist der Zeitbestimmen, und die einstmals die Herrschenden und Mächtigenim Staate waren, auf sich genommen und unbekümmert um äusser-lichen Erfolg, allen Verkleinerern und Widersachern zumTrotz, mit nie versagender Energie geführt haben.

13

Es ist natürlich unmöglich die 1988 Seitender 104 Fackel-Nummern, die während des Krieges erschienen sind,dem Gerichte vorzulegen oder gar deren Verlesung zu beantragen.Aber schon aus den wenigen Proben, die vorgelegt werden müssen,um die Einstellung des Privatklägers zum Deutschen Reich undzum österreichischen Militarismus darzutun, wird klar hervorge-hen, dass hier tatsächlich ein beispielloser Kampf gegen denKrieg und die Kriegsbarbarei vorliegt 12. Es werden diesem Schriftsatz angeschlossen:

Beilage 11die Nummern 413–417 mit dem Aufsatz „Schweigen, Wort undTat“ auf den Seiten 25 und 28;

Beilage 12die Nummern 418–422 mit der Glosse „Ein Irrsinniger aufdem Einspännergaul“ auf den Seiten 15 und 16;

Beilage 13die Nummern 423–425 mit dem Gedicht „Gebet an die Sonnevon Gibeon“ auf den Seiten 58 bis 64;

14 In Frankfurt wurde vom alldeutschen Blatt die ein Artikel geradezu auf sofortige Ausweisung des Frevlers am deutschmilitaristischen Ideal verlangt. hingeschrieben.

Beilage 14die Nummern 474–483 mit der Glosse „Ein Kantianer undKant“ auf den Seiten 155 und 156 und

Beilage 15die Nummern 499–500 mit dem Gedicht „Lied des Alldeutschenauf den Seiten 6 bis 12.

Hervorgehoben muss werden, dass die Glosse „Ein Kantianer undKant und , das Gedicht „Lied des Alldeutschen, ja eine direkte Wilhelmsatire während des Krie-ges (1914) wiederholt in Wien, und ja zum Teil in deutschen Städten (Berlin, Frankfurt) zum Vortrag gebracht wurden. 14 Dass dies im Kriege möglich war, ist gewiss er-staunlicher, als dass der Privatkläger einen Pass erhielt, „mitdessen Hilfe er eine beträchtliche Zeit in der Schweiz verbrachteund noch im Kriege wieder ohne irgend welche Hindernisse in dieösterreichisch-ungarische Monarchie zurückkehrte“. Offenbarstellen sich die Angeklagten die Tätigkeit des Privatklägers während des Krieges so vor, dass er Spionage betreiben hättesollen oder dergleichen, was ihm allerdings die Erlangung einesPasses und die Rückreise unmöglich gemacht hätte. Aber selbstdie österreichisch-ungarische Monarchie hatte im Kriege nochso viel Verständnis für die Tätigkeit des Privatklägers, dasssie ihn zwar als Gegner, aber nicht als einen Verbrecher anzu-sehen hatte, und offenbar noch so viel Kultur, dass auch derschärfste Vorhalt der eigenen Handlungen möglich war, was ebenbei einer sozialdemokratischen Regierung nicht möglich gewesenwäre . , wenn deren geistige Handlanger sich zu einer so bodenlosen Umlügung vorhandener Sachverhalte hergeben.

Aber nicht nur in Wort und Schrift undöffentlicht ist der Privatkläger gegen den Krieg aufgetreten.Er kann sich des wohl auf den einzig dastehenden Fall es rühmen, bereits hinweisen, die in den ersten Kriegswochen durch seinen Verlag gezeichnete Kriegsanleihe widerrufen zu haben, weil in ihmdie Erkenntnis wach geworden wurde, dass die Unterstützungder Kriegführung am Kriege mitschuldig mache. Es wird dasSchreiben der Wechselstube der Unionbank vom 18. November 1914 Beilage 16mit der Subskriptionsanmeldung auf 10.000.–– Kronen Kriegsan-Beilage 17leihe und das Schreiben vom 30. November 1914 mit der Mitteilungauf Streichung dieser Vormerkung vorgelegt. Es ist also wohl einebesondere Unverfrorenheit der Angeklagten, zu behaupten, derPrivatkläger sei kurz vor dem Krieg ebenso wie ihm Krieg einostentativer Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientier-

ten österreichischen Militarismus mit all seinem Zubehör gewe-sen. Noch frecher aber ist der Satz, es habe nach Beendigungdes Krieges bei ihm „gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturzin seiner politischen Gesinnung“ stattgefunden, und die Behauptungeiner Aenderung gegenüber der Sozialdemokratie. Die Haltung dersozialdemokratischen Partei konnte und wurde schon während desKrieges lobend anerkannt, da sie sich (die österreichische) nach anfän Mißgriffen bei Kriegsbeginn als einzige gegen dieGreuelurteile de s r Auditoriates aufgelehnt hatte. Den Ausdruckder gleichen Anerkennung bildet der von den Angeklagten wiedernur verstümmelt zitierte Aufruf aus der Nummer 508 bis 513 vomFebruar 1919. Aus diesem Aufruf geht klar hervor, dass es sichnicht um Weltanschauungsfragen des Privatklägers handelt, dasser sich nicht Doktrin und Praxis der Sozialdemokratie zu Eigengemacht hat, sondern dass das Eintreten für die se (österreichische) Partei nurdie Anerkennung ihres – nach anfänglichen Irrungen – pazifistischen Wirkens während des Welt-Beilage 18krieges war. Es heisst in diesem Aufruf (Nr. 508–513, Seite 31):

Nicht was einer sonst fürs Dasein will, nur dass ernicht mehr eine Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmalbekunden. Denn seine Stimme sei nicht mehr und nicht wenigerals das Bekenntnis, daß er einer provisorischen Sicherheitseiner Geldtasche zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie,für Vergangenheit und Zukunft, abweist. Jener wird christlich-sozial, dieser sozialdemokratisch wählen. Jener wird seinScherflein zu dem Eindruck beitragen, daß ein ‚unschuldigesVolk‘ die Tat seiner abgehausten Regenten nachträglich gut-heisse und ihrem fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutretengesinnt und gesonnen sei. Der andere wird sich, mögen ihnalle Interessen oder Ideale einer Friedenswelt von derSozialdemokratie scheiden, und auch der Antipolitiker, fürden der Gedanke erst jenseits der Gemeinschaft anfängt, zueiner Partei bekennen, welche nicht größere Kriegsschuldbelastet als eine Menschheit, deren Seelenkraft keinenhinreichenden Schutz, keinen mehr, keinen noch, gegenMitrailleusen gewährt hat; welcher aber das Verdienst zuzu-sprechen ist, die große Zeit der Entehrung sehend durch-lebt und dem vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigertzu haben.

Beilage 5Auch das Zitat aus der Nr. 514–518, Seite 86vom Juli 1919, muss vollständig gebracht werden, damit der vonden Angeklagten vorgetäuschte Anschein, als ob der Privatkläger lediglich Militär und Politik er – und nicht vor allem die Presse als Lehrerin Lehrmeisterin der Phrase – für den Krieg verantwortlich ge-macht hätte, richtiggestellt werde:

15 – vor dem sich die sozialdemokratische Partei später sich in aller den Kotau machte –

16 – von der Sozialdemokratie gestützten –

17 ein Versprechen, das gebrochen wurde, während gegenArbeiter, die gegen ein dieselbe Polizeig derselbePolizeipräsident gegen für Arbeiter, die gegen einJustizunrecht demonstrierten, noch nachUnterdrückung des Aufstandes

18 Ist es wirklich möglich, einen Gesinnungswechsel(und noch dazu aus Gewinnsucht), einen jener „Widersprüche“,die doch das tausendmal wiederkehrende Leitmotiv derFackel bilden, daraus zu konstruieren, daß er niegegen Schober, dem ein sozialdemokratischer Funktionär die Wagentür öffnete, und für Dollfuß war, der imübermenschlichen Kampf gegen Hitler gefallen ist? Der Ein Autor wie Carel Capek, der eben die Dinge nicht mit politischem Flachsinn betrachtet, hat zu diesem Themadem Privatkläger wörtlich gesagt: „Man wird Ihnen wieder einmaleinen Widerspruch vorwerfen; aber der Widerspruch ist in denen, die Ihnen diesen Vorwurfmachen.“

Der Mangel an Vorstellungskraft hat den Krieg er-möglicht; ein Rest von ihr ist nötig, um seine Ursache zuerkennen. In diesem Circulus vitiosus geborgen, brandschatztder Journalismus weiter alle Besitztümer der wehrlosenMenschheit. Nichts anderes ist ihr zu wünschen, nichts mitinbrünstigerer Sehnsucht, nichts unter freudigerem Verzichtauf die mutigste Anonymität, als dass die Republik, dieBlutsverwandtschaft erkennend, mit den hinterbliebenenParasiten der Kaiserzeit wie mit den Mitessern der Revolutionein Ende mache; dass endlich Männerstolz vor Herausgeber-thronen einem Gewerbe, welches unter dem ruchlosen Vorwandder Pressfreiheit das Volk in den Tod lügt, einer Industrie,der nichts übrig blieb als den Geist Müssiggang zu nennen,die Maschinen zerbreche.

Es ist nun durchaus richtig, dass der Privat-kläger ähnliche Ansichten immer ausgesprochen hat, aber geradedie von den Angeklagten zitierten Stellen aus den Fackel-NummernBeilagen 19 und 20766 bis 770 vom Oktober 1927 und 771 bis 776 vom Dezember 1927 können ganz und gar nicht für die Sozialdemokratie gewertetwurde etwas anders geschriebenwerden. Diese beiden Nummern Hefte sind ein Angriff gegen den damali-gen Polizeipräsidenten Schober 15 und behandeln dessen Zusage Versprechen gegen den Herausgeber der „Stunde“, den 16 Erpresser Bekessy, zuwirken, 17 eine Zusage, die aber nicht eingehalten wurde, während gegen auf-ständische Arbeiter mit allen Mitteln der Kriegsg G ewalt vor ge-gangen wurde ging . Sie Diese Hefte behandeln die Unerträglichkeit einer Inkongruenz,dass ein Polizeipräsident vor dem Revolver eines Erpresser-journalisten zurückwich, aber gegen aufständische ArbeiterMaschinengewehre bereit hatte. Diese Nummern Sie beweisen zwar,dass der Privatkläger das Unrecht bekämpfte auch dann, wennes von der staatlichen Macht ausging, aber sie können niemalsbeweisen, dass sie für eine Sozialdemokratie geschrieben waren,die damals schon längst in die Reihe der hinterbliebenen Para-siten einbezogen worden war, als ihre Führer ihr Amt parasitärausübten. Dies begann schon viel früher, zu einer Zeit, alsdie Partei noch lange an der Macht war, die sie nie zu ge-brauchen gelernt hatte, wohl aber missbrauchte. 18 Es ist unmög-lich alle die Stellen aus den vielen Jahrgängen der Fackel herauszusuchen, die sich mit dem unheilvollen Wirken dersozialdemokratischen Führer beschäftigten. Aufs Geratewohlseien die Folgenden herausgegriffen: aus der Nr. 732–734,Beilage 21Mitte August 1926, Seite 45f.

Die Frage: wo denn die sozialdemokratische Partei geblieben ist, ob sie denn auch terrorisiert war, wiees denn möglich war, dass die Freiheit so schmachvollenZwang ertrug, und warum sie sich vor dem, der sie befreienwollte, auf die andern Sorgen zurückzog — solche Frage istso wenig zu fürchten wie nun Herr Bekessy, und sie würdewohl unbeantwortet bleiben.

Beilage 22Aus der Nr. 743–750, Dezember 1926, Seite 4:

Weg damit!Die ihr errungnes Gut geschändet habt,bezwungnes Böses nicht beendet habt,der Freiheit Glück in Fluch gewendet habt;Hinaufgelangte, die den Wanst gefüllt,vor fremdem Hunger eigne Gier gestillt,vom Futtertrog zu weichen nicht gewillt;Pfründner des Fortschritts, die das Herz verliess,da Weltwind in die schlaffen Segel blies,vom Bürgergift berauschte Parvenüs,die mit dem Todfeind, mit dem LebensfeindProfit der Freiheit brüderlich vereint,die freier einst und reiner war gemeint —mein Schritt ist nicht dies schleichende Zickzack,mein Stich ist nicht dies zögernde Tricktrack:er gilt politischem Paktiererpack!

Beilage 23Aus der Nr. 757–758, April 1927, Seite 19:

Ungleichheit beschlossenhat die Vorsehung wohl.Nicht alle Genossenhab’n a Schloss in Tirol.

Beilage 24Aus der Nr. 795–799, Anfang Dezember 1928,Seite 21:

Nicht zum zehnten Gedenktag dieser Republik, die darinbegründet ist, daß sie alle Übel der Monarchie mit Aus-nahme eines Kaisers hat, spreche ich, sondern zum zehn-jährigen Tag meines Aufrufes ‚An alle, die die Wahl haben‘,durch den ich viele von Ihnen der Partei zugeführt habe,mit vielen Gründen und trotz ‚allen Interessen oder Idealeneiner Friedenswelt, die mich von ihr geschieden haben‘.Sie hat in diesen zehn Jahren nur zu sehr davon gelebt,dass keine andere Wahl blieb, und auch Sie müssen, wiewohlSie Sozialisten sind, der sozialdemokratischen Partei an-gehören.

Aber um durch die Fülle des zu Bietendenden Eindruck nicht zu schwächen, möge zum Abschluss nur nochder Schlussabsatz aus dem in der Nr. 876–884, Mitte OktoberBeilage 251932, erschienenen großen Aufsatz „Hüben und Drüben“ zitiert werden,besonders weil er schon die Schuldfrage der Sozialdemokratiean dem Emporkommen des Nationalsozialismus berührt. Dortheisst es auf Seite 29ff.:

Die Haltung im Krieg gegen den Krieg — seither, undinsbesondere seit jenem Hingang, hundertmal wettgemachtdurch Feigheit vor dem innern Feind, durch eine Haltung

im Frieden, deren jeder Atemzug Kriegslüge ist —; dasdamals weithin sichtbare Verdienst war das Zeichen, in demich, in den Tagen trügerischer Hoffnung, hunderte jungerHerzen einer Partei zugeführt habe, der ich nicht angehörte,die ich im Verhängnis politischer Übel für das kleinerenahm und die heute nichts ist als die zur Not und durchNot erhaltene Organisation einer Alterserscheinung. Solcheshat damals mein Wort vermocht. Sollte es heute nicht mehrvermögen, jene der Sache, zu der sie als der Sache vondamals stehen wollen, abzuwenden; sollte der Glaube an michschwächer sein als der Glaube, den er geweckt hat, so würdees mir nicht über mich zu denken geben. Denn meiner Ohnmacht,auch vor dem wenigen, das ich vermocht habe, bin ich mirbewusst; ihr stolzes Gefühl ist in mein Wirken einbezogen,dem keine Wirkung zugehört. Diejenige, auf die ich stetsam schnellsten verzichtet habe, ist die Verehrung solcher,deren Zwiespalt in ihr sich offenbart. Dagegen darf ichsagen, dass die Aussicht, von der Sozialdemokratie nichtmehr verehrt zu werden, etwas ist, was meinen Lebensabendverschönert, während der ihre vergällt wird durch den Zwang,noch hin und wieder von meinem Dasein Notiz zu nehmen, unddurch den Krampf des Bestrebens, sich von der Bürgerwelt,die mich totschweigt, in meinen Augen vorteilhaft zu unter-scheiden. Da ich den Unterschied gleichwohl nicht bemerkeund zufrieden bin, in der sozialdemokratischen Presse unge-nannt fortzuleben, so wäre vollends alles in Ordnung, wennich ihr auch noch diese Sorge abnehmen könnte. Nichtsfreilich, was immer die Sozialdemokratie mit mir vor hat,könnte sie, solange mir die Greuel des gesellschaftlichenDaseins noch Anreiz gewähren, davor schützen, von mir beach-tet zu werden! Nichts mich verhindern, gegen sie wie gegeneine lästige Regierung, die kein Misslingen vom Ruder bringt,zu Hass und Verachtung aufzureizen — ob sie nun als Partei,als Gesamtheit, mit Sack und Pack, den Schutz der bürger-lichen Justiz gegen Kränkung anrufen könnte oder stummleiden müsste, wie sie stumm gelitten hat vor jenem, derdie Macht hatte, von ihren Übeln zu schweigen. Was aberdie betrifft, über die sie selbst Macht hat, diejenigen,denen ich zum Anschluss an sie verholfen habe, so gehöreich keineswegs zu der Sorte, die, stolz auf eine Dummheit,sie zum zweiten Male machen würde, und halte für einesolche auch die Bejahung des Hoffens, gegen die Uebel einerPartei, die aus nichts anderm mehr besteht als Uebeln,innerhalb ihrer wirken zu können. Trage ich Schuld noch ansolcher Betörung Gläubiger, so bin ich ihrer ledig, wennich ihnen gesagt habe, daß der Glaube nur durch dieAbkehr von einer Kirche zu retten ist, die die Priesterentweiht haben. Wie sich die Treue zu diesen fortan mitder zu mir verbinden könnte, wäre ein Problem, das mirso lange Unbehagen schafft, als nicht da oder dort dieLösung erfolgt. Nie würde es mir in den Sinn kommen, denreinlichen Austritt aus meiner schwachen Organisation, dienichts zu bieten hat als etwas geistige Nahrung und keinesoziale oder gar nationale Hoffnung, mit dem Wunsch zu be-lohnen, die, die ihn vollziehen, möge der Teufel holen — einervon denen, deren die Welt nun voll ist und an deren Er-schaffung der Sozialdemokratie das Hauptverdienst gebührt.Drüben und hüben!

Nach diesen durch acht Jahre hindurch fort-gesetzten Angriffen gegen die Führer einer Partei, die ihreMacht missbraucht hatten, konnte es gewiss niemanden wunder-nehmen, dass der Privatkläger gegen sie nach dem Februarauf-stand 1934 noch schärfer Stellung nahm, als sie, anstatt sich

19 Er hat ihnen tiefstes Mit leid gefühl und alle gebührendeEhrfurcht erwiesen.

19a Wegen einer Verdächtigung

einen ehrenvollen Abgang zu sichern, sich an die Machtklammerten, als sie das Leben der Arbeiter aufs Spiel setztenin einer Zeit, wo sie nicht nur wussten, dass ihr Aufstand niegelingen könnte, sondern sich sogar voll bewusst sein mussten,dass er, er gelinge oder misslinge, die Macht des National-sozialismus stärken müsste, den der Privatkläger als dengrössten Feind nicht nur Oesterreichs und der Tschechoslowakei,sondern der gesamten Kulturmenschheit betrachtet. Welche Be-schimpfungen und Beleidigungen sind stark genug, gegen eineFührerschaft, die, um sich an der Macht zu erhalten, dasReime Dollfuss, welches sich in mutigster Weise gegen denNationalsozialismus gestellt hatte, zu einem Bürgerkrieg zwang,der die unheilvollsten Folgen für ganz Europa hätte habenkönnen. Aber die Beschimpfungen und Beleidigungen derSozialdemokratie, zu denen sich der Privatkläger vollauf be-kennt, galten lediglich deren Führern. Es ist eine bewussteLüge der Angeklagten, dass der Privatkläger etwas gegen dieOpfer des Februaraufstandes geschrieben hat. 19 Die Angeklagtenmögen verhalten werden, nur diesen einzigen Punkt ihrer Be-hauptungen zu beweisen, und der Privatkläger wird erklären,dass sie ihn mit Recht beleidigt haben.

In Fortsetzung des Vorwurfes, der Privat-kläger schreibe „gegen die Opfer des Februaraufstandes“, be-haupten die Angeklagten, er gehe in der Mai-Nummer aus demJahre 1934schliesslich so weit, dass er in ihr denPropagandaminister Oberst Walter Adam feiert“. 19a Jeder unbe-fangene Leser des Schriftsatzes der Angeklagten und gewissauch das Gericht wird der Meinung sein, der „PropagandaministerOberst Walter Adam“ werde wegen seiner Bekämpfung der Opferdes Februaraufstandes gefeiert, und es wird mit lächelnder einiger Beilage 26 Verwunderung Überraschung aufgenommen werden (Nr. 909–911, S. 60), dass das gespendete Lobseine m r S s tilistischen Ausdruckskraft galt und seinem Angriff auf eben jene intellektuel-

20 nicht nur für Österreich und die Tschechoslovakei,

20a Wegen der Verdächtigung, daß jenes stilkritischeLob spekulativen Zwecken diene, wurde bereitsein Gesinnungsgenosse der Arbeiterzeitung, „DerGegenangriff“ zur Verantwortung gezogen, undmußte (wie in einschlägigen Fällen etliche andereBlätter dieser Art) eine vom Gericht textierte AbbitteEhrenerklärung abgeben, leisten, die vorgelegt werdenwird.

20b Für die unheilvolle Behinderung des Kampfesgegen Hitler wurden die Führer der Sozialdemo-kratie, – selbstverständlich nicht die Arbeiter-schaft, die vom unzeitgemäßen Streitenichts wissen wollte –

len Führer des Februaraufstandes, die aus einer ihnen aus-drücklich gegönnten leiblichen Sicherheit heraus die österreichischenArbeiter gegen die Regierung weiter aufhetzen, die den vielleicht bedauerlicher tragischer weise erfolglosen Versuch gemacht haben, unternommen hat, sichgegen die Hitler deutschland gewalt zu stellen, in welchem Versuche sievon den Führern der Sozialdemokratie nicht nur nicht unter-stützt sondern stets furchtbar gehindert wurden. 20a

Daf F ür 20b wurden sie auch schon in der FackelBeilage 27Nr. 890–905 vom Ende Juli 1934 tatsächlich auf das Schärfste angegriffen.Ob sie sich dadurch beschimpft fühlten und sogar auf dasNiedrigste beschimpft , darüber wird sich ist der Privatkläger mit den Angeklagten nicht in eine Auseinandersetzung einlassen. Rechenschaft schuldig. Zurückgewiesen werden muss aber Zur Debatte steht höchstens die Behauptung von den Be-schimpfungen der „Demokratie“. Die Sozialdemokratie verkörpertdiese nicht und wenn schon eine Demokratie eine möglicheRegierungsform wäre, woran der Privatkläger seit jeher ge-zweifelt hat, so war die Sozialdemokratie der schlechtesteAusdruck dieser Form, weil er einen Widerspruch in sich selbstenthält, da die Utopie eines sozialen Staates am allerwenig-sten durch die demokratische Regierungsform erreicht werdenkann, deren Träger wieder nur Politiker sind, was eineVervielfältigung der Macht und des Machtbedürfnisses zumSchaden der Allgemeinheit bedeutet. Aber auch darauf willsich der Privatkläger nicht einlassen, seine Meinung zu begrün-den oder die gegnerische Meinung zu bekämpfen. Der Angriffgalt nicht einer Meinung sondern einer Tat, der Tat desFebruar 1934, der Behinderung der österreichischen Regierungin der Abwehr gegen Hitler deutschland, deren Misslingen Versagen von den unheilvollsten Konsequenzen für ganz Europa 20 ge-wesen wäre und wäre. Den Beschimpften, – seien sie persönlich be-zeichnet oder in einem Begriff einbezogen worden –, standübrigens das Recht zu, von dem Privatkläger im Gerichtssaal Genugtuung zu verlangen. Keiner von ihnen hat dies getan.

21 der, läge sie nicht blos für Flachköpfe den Flachsinn vor, erst dasunsaubere Motive nachgewiesen werden müßte,

Es geht aber keineswegs an, dass die Angegriffenen, Dagegen hoffen sie, es werde gelingen, um sichvor ihrer Leser- oder Anhängerschaft den Schein einer Rehabi-litation zu geben, den Privatkläger der Profitmacherei undder Gesinnungslumperei zu beschuldigen , . ohne es zu beweisen. Die Angeklagten versuchen aber nicht einmal einen derartigen Be-weis anzutreten, sondern sie beschränken sich darauf, eineUeberzeugungsänderung zu behaupten, 21 die ganz und gar nichtvorliegt.

Die Angeklagten stellen ein Axiomauf, wann nach ihren Begriffen eine politische Ueberzeugunggeändert werden darf. Sie meinen, diese Aenderung sei „vomsittlichen Standpunkt nur jenenfalls einwandfrei, wenn siedas Ergebnis einer geistigen Umorientierung ist, die aufeinem Wechsel des Standpunktes beruht, von welchem aus wirdie sozialen Erscheinungen betrachten, die das Leben derGesellschaft begleiten“. Es ist nicht klar, ob die Ange-klagten Anspruch darauf erheben, dass diese moralphilosophische Ausführung vollständig sei. Leider ist sie nichtganz verständlich. Aber was immer die Angeklagten sich dabeigedacht haben mögen: die scheinbare Aenderung der politischen Ueber-zeugung war bei dem Privatkläger niemals das Ergebnis einergeistigen Umorientierung, die auf einem Wechsel des Stand-punktes beruhte, sondern stets das Ergebnis des Festhaltensan einem Standpunkte gegenüber den sozialen Erscheinungen– in der letzten Zeit waren es eben die sozialdemokratischenErscheinungen, die das Leben der Gesellschaft begleiteten –,die ihm nicht genügen konnten. Es gibt für den Privatkläger keine politische Ueberzeugung, die er zu ändern hätte, sondernnur eine Ueberzeugung aus dem Geiste und aus der Humanitätheraus, der die sozialdemokratischen Erscheinungen nichtentsprachen, lange bevor sie ihre Macht verloren , haben allerdingsnicht ohne Zusammenhang mit dem Verluste ihrer Macht, wiewenigstens der Privatkläger in der Hoffnung auf die Zukunftgerne glauben möchte. So wie die Mächte des Krieges an ihrer

22 oder überhaupt eine Antipathie gegen ihn haben anStelle von Beweisen.

23 die bei weitem nicht einmal als Leumundszeugengenügen konnten,

24 statt Hasses Sympathie zu Verehrung bekundenwürden;

Unsittlichkeit zugrunde gegangen sind, ebenso ging dieSozialdemokratie an ihrem inneren Widerspruch zugrunde. DerPrivatkläger hat weder der einen noch der anderen Macht jeAnhängerschaft geleistet und sie nur darnach beurteilt, wiesie sich gegen Geist und Humanität verhielt. Um ihre politi-sche Macht hat er sich nie gekümmert, von ihr nie einen Vor-teil gezogen. Diesen Beweis aber hätten die Angeklagten zuerbringen.

Anstatt dieses Beweises möchten dieAngeklagten sie eine Reihe von Zeugen aufmarschieren lassen, dievom Privatkläger in seiner Zeitschrift angegriffen gekränkt wordensind . , 22 Die Qualität dieser Zeugen ergibt sich schon aus denbeiden vorliegenden zugelassenen Aussagen des Herrn Paul Kornfeld unddes Herrn Johannes Urzidil, die nun besprochen werden müssen.Ist es schon an und für sich absurd haarsträubend , über das Lebenswerkeines Schriftstellers, das vor aller Welt offen vorliegt, Leumundsz Z eugen zu vornehmen beantragen , 23 so dürften solche, wennman sich schon dazu entschliesst, nicht gerade unter aus der Reihe de n r Widersachern gesucht geholt werden. Der Privatkläger könnte denvon den Angeklagten geführten sechs Zeugen eine hundertfacheMenge von Lesern entgegenstellen, die 24 das Gegenteil bekunden können; dass er dies nicht tut, hat lediglich seine Ursache darin,dass er mit eine m r P p rozessnahen Gelegenheit nicht Schindluder Mißbrauch treiben will, wiees die Angeklagten tun, und er nicht gewillt ist, ihnen auf dem Wege der Ablen-kung von der Hauptsache nicht zu folgen. will. Der Zeuge PaulKornfeld sagt aus, er habe vor zweiundzwanzig Jahren mit demPrivatkläger verkehrt, seit dieser Zeit habe er ihn nichtgesehen. Ueber die Art des Verkehres und von wessen Seiteder Abbruch desselben erfolgte, schweigt er sich aus. Mankönnte auf Grund der Aussage zu r der Meinung kommen, die Aende-rung des Urteiles über die Gedichte Franz Werfels seiendie Ursache gewesen. Aber nicht einmal das ist wahr. Nochim Jahre 1916, als das Urteil über Franz Werfel schon längstgeändert worden war (was mit der privaten Differenz“ mit einer Dame, die der PK kannte, nichts

25 war erbär ein Klatsch, den der Privatkläger Werfel dem Privat-kläger hinterbrachte, der sofort zum Abbruch der persönlichenVerke Bekanntschaft mit Herrn ihm führte, und fälltin das Jahr 1913 / oder 1914, jedenfalls vor den Krieg.

26 durch leichtfertige

26 (das freilich mit dem Charakter zusammenhängt)

zu tun hatte, die jener mit einer Dame hatte, die der Privat-kläger kannte auf welche sich der Zeuge fälschlich beruft ), hat Herr Paul Kornfeld an den Privatkläger Beilage 28ein Schreiben mit dem Ausdruck der ergebensten Verehrung ge-Beilage 29richtet, ebenso wie er dies in einem Telegramm getan hatte,dessen Zeitpunkt sich freilich nicht feststellen lässt. Die angebliche Aner-kennung des Privatklägers, dass Franz Werfel „ein grossesBeilage 30Talent“ sei, erfolgte in der Fackel Nr. 339/340 vom 30. De-zember 1911 auf Seite 47 damit, dass unter drei Büchern, dieden Lesern der Fackel empfohlen wurden, der GedichtbandDer Weltfreund“ erwähnt war, aus dem einige Gedichte abge-druckt wurden. Die Ablehnung dieses dichterischen SchaffensBeilage 31erfolgte in der Nr. 443/444 vom 16. November 1916 auf Seite 26Beilage 32in einem Gedicht „Elysisches“; in der Nr. 445–453 vom 18.Januar 1917 auf den Seiten 133 bis 147 in einer sprachkriti-Beilage 33schen Betrachtung; in der Nr. 462–471 vom 9. Oktober 1917 Beilage 34auf Seite 68 und in der Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918 aufSeite 93. Stets waren konkrete, schriftstellerische Anlässewurden auch stets dargelegt. Die angebliche Differenz, die Werfel miteiner Dame hatte, die der Privatkläger tatsächlich kannte, 25 fällt langevor den Krieg. „Es war eine Kleinlichkeit“, nämlich vonseiten des Herrn Werfel, wenn man die Gefährdung des Rufeseiner Dame als eine solche bezeichnen will. Sie hatte aber natürlich auf die kritische Beurteilung keinen Einfluss keinen literarischen , sondern le-diglich den Abbruch des persönlichen Verkehrs zur Folge gesellschaftliche Folgen . Dieviel spätere Kritik hat sich Werfel durch seinen unzulänglichen äußeres und labile n s Stil Könnertum und durch seine Beeinfluss ung barkeit von den verschiedensten dichteri-schen Seiten her herausgefordert zugezogen . Der Zeuge Kornfeld ist abernicht einmal imstande, zu behaupten, dass diese private Differenzdie Ursache einer kritischen Aenderung gewesen sei, sondern erwill eine solche nur plausibel machen, und tut dies mit denWorten „von dieser Zeit an“, mögen auch Jahre verstrichensein, die zwischen den beiden Vorfällen Fakten liegen. Eine gleicheVerdächtigung ohne jeden Tatsachengehalt spricht der Zeuge über die politische Gesinnung des Privatklägers aus. Er selbst

gibt zu, den Privatkläger seit zweiundzwanzig Jahrennicht gesehen zu haben. Gleichwohl bezeugt er hat er die Kühnheit zu bezeugen , der Privat-kläger habe im Jahre 1925 in Berlin vorwiegend mit Kom-munisten verkehrt, wäre sei in einem kommunistischen Kreisgewesen, alle hätten damals geglaubt, er sei Kommunist,der Privatkläger habe nicht protestiert und damals habeihn die kommunistische Presse sehr gelobt. Woher der Zeuge diese von A bis Z vollständig unwahren Tatsachen hat, ver-schweigt er wohlweislich. Er möge doch angeben wird anzugeben haben , mit welchenKommunisten der Privatkläger im Jahre 1925 verkehrt hat . ; W w ie der kommunistische Kreis seinen Glauben ausgedrückt hat,der Privatkläger sei Kommunist, so dass er eine Veranlas-sung hatte, dagegen zu protestieren. Die Wahrheit ist, dassdiese Zeugenaussage vom Anfang bis zum Ende falsch ist,dass der Privatkläger in keinem kommunistischen Kreisverkehrt hat, was Herr Heinrich Fischer, damals Drama-turg in Berlin, jetzt wohnhaft in Prag XII. Slezzka 115 bezeugen kann, der den Privatkläger bei seinem im Jahre1925 vom 21. März bis 2. April währenden Aufenthalt in Berlin,in welcher Zeit sieben Vorlesungen abgehalten wurden, ständigGesellschaft leistete.

Noch absurder Mehr drollig ist die Aussage desZeugen Johannes Urzidil. Dieser bekennt sich wenigstens offenzu seiner Gegnerschaft, denn er sagt im wesentlichen übernichts anderes aus, als über einen Angriff, der gegen ihnBeilage 35im Jahre 1931 in der Nummer 864–867 gemacht veröffentlicht worden war.Die Berechtigung zur Beurteilung des moralischen Wertes undder Sachlichkeit des Angriffes muss dem angegriffenen Zeugenabgesprochen werden, umsomehr, als er den ironischen Ver-gleich des Klanges seines Namens mit der Vorstellung zer-schlagener Glasfenster offenbar in der Absicht hervorhebt,bei einem tschechischen Gericht die Vorstellung zu erwecken,es liege hier eine Verunglimpfung des Tschechentums vor, woes sich gerade im Gegenteil in dem auf den Seiten 40 bis 49

27 Diesen Gallimathias verstehe, wer kann.

der zitierten Nummer abgedruckten Aufsatz „Der zerbrocheneKrug“ darum gehandelt hat, das hetzerische Treiben des HerrnUrzidil anzuprangern, der als Pressechef der deutschen Ge-sandtschaft in Prag die Vorstellung zu verbreiten wünschte,es seien der deutschen Gesandtschaft eine von tschechischer Seite Fensterscheiben ein-geschlagen worden. Die Art, wie diese Nachricht verbreitetwurde, war offensichtlich darauf angelegt, den Vorfallnational zu unterstreichen, obwohl durch nichts erwiesenwar, dass es sich um eine derartige Kundgebung gehandelthätte. Die Ironisierung eines Namens, „der einen Klanghat, als ob in ihm die Vorstellung von eingeschlagenenFensterscheiben geradezu erfüllt wäre“, bei einem Namens-träger, der eingeschlagene Fensterscheiben zum Gegenstand politischer deutschnationaler Verhetzung gegen die Tschechen gebraucht, ist daher sowohl satirischals auch sachlich gerechtfertigt . , ja zwingend notwendig. Der Zeuge behauptet weiter,der Privatkläger habe in diesem Artikel geschrieben, Zeugesei sowohl tschechischer wie auch deutscher Abstammung, womitder Privatkläger seine verstorbene Mutter habe tadeln woll te en undzwar aus dem Grunde, weil diese eine deutsche Jüdin gewesensei, womit er sich mit dem rassischen Antisemitismus iden-tifiziere und zu erkennen gebe, dass er einen tschechischenNamen und jüdischen Ursprung als Beweis des Deutschtums ansehe, obwohl es in seinem Fall um einen damals schon15 Jahre bekannten deutschen Schriftsteller ginge.“ 27 DieInterpretation des Satzes der Fackel wäre selbst dann falsch,wenn die Zitierung richtig wäre. Der Satz lautet aber inWirklichkeit folgendermassen:

Herr Urzidil ist, soweit wir uns selbstüberzeugen konnten, ein Prager Literat, dessen teilstschechische, teils nichtdeutsche Abkunft, von der wirnur aus zweiter Hand wissen, die Opfer, die er für dieSache des Deutschtums bringt – wenn schon nicht durchsein Schaffen, so durch seine Gesinnung – beträchtlicherscheinen lässt.

Es ist klar, dass der Sinn dieses Satzes keinen Tadel gegendie verstorbene Mutter des Herrn Urzidil enthält, von der überhaupt nicht die Rede ist, sondernlediglich eine n Tadel gegen ihn Anprangerung seiner selbst, der teils tschechi-

28 Heute möchte er, der zwei Jahre unter Hitler als Angestellter der deutschen Gesandtschaft nationaledeutsch Dienste geleistet hat, diese Tatsache ver-wischen, sich auf einen angegriffenen Tschechenhinaufspielen und auf die Verspottung seines Namensvor einem tschechischen Gericht in klarer Absichthinweisen.

scher, teils nichtdeutscher Abkunft, gleichwohl deutsch-nationale antitschechische Hetzpolitik trieb. 28

Damit könnten diese Ausführungen abgeschlos-sen werden, – denn die Angeklagten haben den Beweis derProfitmacherei und der Gesinnungsänderung des Privatklägers,um sich vor dem Konzentrationslager zu schützen, nicht einmalangetreten und viel weniger erbracht –, wenn sie nicht,offenbar um Stimmung für sich bei einem tschechoslowakischenGericht zu machen, Themen in ihren Ausführungen berührten,die mit dem gegenständlichen Prozesse überhaupt nichts zutun haben. Es wurde bereits früher ausführlich dargelegt,dass die Angeklagten sich zu ihrer Entschuldigung oder zudem Nachweise ihres guten Glaubens nicht auf Tatsachen be-rufen können, bei denen ein öffentliches Interesse an ihrerMitteilung lange nach der Veröffentlichung der Beleidigun-gen vorhanden wäre. Damit aber nicht aus dieser rein theore-tischen Auseinandersetzung der Schluss abgeleitet werde,es seien die Behauptungen wahr, dass der Privatkläger durchganze Jahre unbegründet die tschechoslowakischen Staats-männer beschimpfe, sich über die tschechoslowakische Nationund ihren Kampf um die Befreiung in dem Sinne äussere, eshätte „die Partei den Hausherrn hinausgeworfen“, und daß erdie {die demokratische Verfassung dieses Staates lächer-lich} {mache}, müssen auch diese absurden Behauptungen Vorwürfe besprochen werden. Sofraglich das Recht der Angeklagten ist, sich zum zu Verteidigern des damaligen Aussenministers und nunmehrigen Präsidenten aufzuwerfen oder sich eines Angriffes auf ihn als Mittelzur eigenen Verteidigung zu bedienen, so muss doch darge-tan werden, dass ein Angriff auf den heutigen Präsidenten in Wirk-lichkeit gar nicht vorliegt. Der Angriff auf Seite 58 derBeilage 26Fackel Nr. 909–911 richtet sich gegen die von tschechoslovakischen Geldern lebende und zugleich österreichischen Patriotismus zur Schau tragende Wiener Tages-zeitung „Der Tag“, de ss r en zwie schlächtige spaltige Haltung bespro-chen erörtert wird. Von diese r m Zeitung Blatt heisst es:

– es handelte sich nämlich um Ank bezahlte Ankündigungenvon Vorträgen des Privatklägers

Antipathisch ist es durch die Verbindung einer Bereitschaft, sich ans Vaterland anzuschliessen, mit der Aufgabe,Organ des Herrn Benesch zu sein; nicht minder wegen desTalents, ebendieses durch alle Vorschriftsmässigkeit durch-schimmern zu lassen und den Rechtskurs mit zwei linkenFüssen mitzumachen. Für eine Annonce sich des ‚Tag‘ zu be-24dienen, kostet zwar nicht viel, doch immerhin Ueberwindung:indem man sich dem Verdacht aussetzt, gesinnungsmässigmit einer Leserschaft verbunden zu sein, der die Gewohnheit,frei zu denken und zu mauern, nach wie vor als der wirk-samste Schutz gegen das Verhängnis Hitler erscheint. Was aufdiese Weise entsteht, ist die Mauer, gegen die einerseitsmit dem Kopf gerannt und die anderseits den verbrecherischenStörern des grössten Verteidigungskrieges aller Zeiten ge-macht wird.

Alle diese Angriffe müssen ausder Gegnerschaft des Privatklägers gegen das Hitlerregime ver-standen werden, dessen Förderung in jeder absichtlichen oderunbewussten Verkennung ihrer seiner Gefahr liegt. Diese Gefahr, dernicht nur Oesterreich sondern ganz Europa und besonders dieTschechoslowakei ausgesetzt ist, wird heute auch schon an Stellenerkannt, die früher blind an ihr vorübergegangen sind. DerPrivatkläger glaubt diese Tatsache als gerichtsbekannt voraus-setzen zu können, da sie in allen Blättern der Tschechoslowakeiseit mehreren Monaten öffentlich besprochen wurde. Ja sogarder Angeklagte Sonka selbst hat ist sich , wie durch die Zeugenschaft desHerrn Heinrich Fischer bewiesen werden kann, in letzter Zeitden Kampf Oesterreichs und seine Notwendigkeit anerkannt jüngst in einer Prager Autorenversammlung der Paralellität der politischen Ziele Österreichs und der Tschechoslovakei bewußt geworden. Zuder Erkenntnis, in wie unverantwortlicher Weise die Sozialdemo-kratie ihr den hier gemeinten Kampf gegen Hitler gehindert hat, ist die Partei allerdings noch nicht gekommen. vorgedrungen.

Anstatt sich mit der verlogenen Behauptung derAngeklagten, der Privatkläger mache die demokratische Verfassung des tschechoslowakischen Staates lächerlich, auseinanderzusetzen,Beilage 26soll die Stelle auf Seite 59 der Fackel 909–911 hier lediglichzitiert werden, um darzutun, mit welchen Mitteln dieser Prozessgeführt wird, wie aus einem Angriff gegen eine Partei eine Ver-höhnung der tschechoslowakischen Verfassung gemacht wird.Diese Stelle lautet:

Hat doch sogar die vorbildliche Dummheit der englischenArbeiterpartei — heute nur noch von jener Demokratie über-troffen, von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Dasein

fristet — erkannt, dass, ‚verglichen mit dem national-sozialistischen Regime‘, das österreichische ‚unendlichvorzuziehen‘ sei; und das könnte doch selbst der demkulturellen Gehalt des neuen Lebens Abgeneigteste un-möglich bestreiten.

Am tollsten und unverschämtesten ist aberwohl die Behauptung der Angeklagten, „der Privatkläger äusseresich über die tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um dieBefreiung in dem Sinn, es hätte ‚die Partei den Hausherrn hinaus-geworfen‘. Als Hausherrn bezeichne er die Habsburger und Parteisei zufolge der beseelten‘(?) Ansicht des Privatklägers offenkundigdie tschechoslowakische Nation, die seiner Ansicht nach offen-bar keinen Anspruch auf Selbständigkeit gehabt habe.“ Man musssich wirklich an den Kopf greifen, dass so etwas von Menschenvorgebracht wird, die sich zu einer Reihe von Intellektuellenzählen, „welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung vor derFreiheit lieber die Emigration als die gehorsame Anpassung andas gegenwärtige österreichische Regime wählten“, die sich be-rufen fühlen, das Urteil abzugeben, der Privatklägerdiskredi-tiere uns andere Dichter und Literaten überhaupt, deren Sendungin der menschlichen Gesellschaft es gerade ist, die breitereOeffentlichkeit moralisch aufzurütteln und ein Muster morali-scher Verantwortlichkeit zu sein“. Diese moralische Verantwort-lichkeit sieht folgendermassen aus, und wenn die Angeklagtendie Nummer der Fackel nicht zitiert hätten, in der das Absurdumstehen soll, wäre es unmöglich gewesen, überhaupt darauf zukommen, was sie meinen. Denn der Privatkläger ist sich bewusst,gerade das Gegenteil stets vertreten zu haben, was auch vonSchriftstellern der tschechoslowakischen Nation, ja sogar vonderen Präsidenten Masaryk immer vollauf gewürdigt wurde. InBeilage 36der Nr. 912–915 vom Ende August 1935 ist auf den Seiten 34 bis62 ein Aufsatz „Die Handschrift des Magiers“ enthalten, dersich mit Herrn Max Reinhardt beschäftigt. Diesem war es, noch als die Sozialdemokratie Einfluß hatte, gelungen,eine Wohnung in Schönbrunn und in der Hofburg zugewiesen zu er-halten. Nach einer längeren Ausführung über die von aller Weltso gepriesene „ Künstlerschaft Magie Reinhardts und nach einer Dar-

legung, was von ihr zu halten sei, heisst es zu Beginn desletzten Absatzes auf Seite 61:

Wien hat den Träumer zu einer Zeit, da die Republiknoch zum Linken sah, anders geehrt; es bedurfte damals, alsder Begriff der Freiheit mit den Namen Castiglioni undBosel, Rintelen und Winkler verknüpft wurde und die Habs-burger, nehmt alles nur in allem, von einer Partei ausge-bürgert waren, die den Bekessy eingebürgert hat, keinerweitern Besinnung, um jenem in Schönbrunn und der Hofburg einen seiner Prunkliebe und seinem imperialen Bedürfnishalbwegs angemessenen Wohnsitz einzuräumen, wie er ihnsich in der Wiege noch nicht geträumt hatte. Und obwohler sich’s ganz gewiß nicht träumen liess, dass ihm dereinstein greiser Kirchenfürst mit Gefolge entgegenkommen unddies Bild in Theaterblättern verewigt würde, so war docher es, an dem sich hauptsächlich jener Kaiserdrang genährthat, der in unserer so lebhaften Montagspresse, dem wahrenSpiegel dieser Unwirklichkeit, vorläufig die Könige allerBranchen restauriert. Wenn das jetzige Österreich, dasdafür geschmäht wird, dass es, jenseits aller Politik undGespensterfurcht, eine Wohnungsfrage zu Gunsten der Be-sitzer entscheidet — wenn es der Lichtspur des Herrn aufLeopoldskron noch folgen will, so möge es Auskunft geben,ob der Träumer, der gern Rechnungen von Elektrizitätswerkenunbeglichen lässt, im September 1933 das Konto des Hof-burgbewohners mit mäzenatischer Hilfe gelöscht fand, als ergeweckt wurde, oder ob der Rückstand, der vorhanden war,‚als dubios abgeschrieben‘ ward. Auf diese Auskunft hatJedermann Anspruch, dem beim geringsten, unverschuldetenVerzug das Licht abgedreht wird (auch wenn er es dazubrauchte, Shakespeare zu ehren — womit er es beiweitemnicht bezahlen könnte).

Welche Niedertracht! Der der sozialdemo-kratischen „Partei“ gemachte Vorwurf, den Bekessy (einen de r n ärgsten größten Revolverjournalisten Wiens) eingebürgert zu haben,der Tadel, einem Faiseur eine Wohnung im Schönbrunn und inder Hofburg eingeräumt zu haben, wird dazu benützt, umnationale Gefühle gegen den Privatkläger aufzupeitschen. Hierwird die Justiz überhaupt vor einen einzigartigen Fall gestellt.Es wird nämlich der Versuch unternommen, auf rein denunziatorischem Wege durch die Behauptung, der Privatkläger habe jemalsetwas gegen die tschechische Nation, gegen die tschechischeSelbständigkeit geschrieben, von der Hauptsache, nämlich dasser Profit mache, abzulenken. Wäre auch nur ein Atom von diesendenunziatorischen Behauptungen wahr, so wäre es eine Er-niedrigung der Justiz und der Nation, die doch gerade durchdie Freiheit der Meinungsäusserung, die sie gewährt, sichvor den andern hervortut, wenn sie es nicht zurückwiese, dassauf diese Weise ein Versuch der Beeinflussung auf ihr Urteil

30 weil er zwar die höchste Anerkennung für dietschechische Sprachliebe und Sprachkultur enthält,freilich auch das Mom das damalige Hineintragendes nationalistischen Moments in die Verkehrssprachebemängelt.

31 der Gelehrte der Pariser Sorbonne und desCollége de France an das Komitee

32 (In dieser Urkunde ist gerade auch dieHaltung und Leistung des Privatklägers im Weltkrieg besprochen. Die Arbeiterzeitung hat sowohl die Verleihung des Literatur-, wiedes Friedenspreises an ihn verlangt.)

gemacht wird. Die Ungeheuerlichkeit jedoch, dass man sichetwas einfach aus den Fingern saugt, um eine gehässige Stimmungzu erzeugen, ist wohl ohnegleichen. Dies nötigt den Privat-kläger, auch einiges über seine Stellung zur tschechoslowakischenNation und ihrem Staate zu sagen. Vorerst soll zu diesem ZweckeBeilage 37ein in der Nr. 735–742 vom Oktober 1926 auf den Seiten65 bis 68 erschienener Aufsatz vorgelegt werden, gerade des-wegen, weil 30 er zwar die höchste Anerkennung für die tschechische Sprachliebe kein volles Lob enthält, sondern auch manches be-mängelt. Als nun das „Prager Tagblatt“ in einer Zuschrift vomBeilage 3820. Oktober 1926 um die Erlaubnis bat, gerade die Stellenachdrucken zu dürfen, die einen den Tadel der nationalistischen dieser Überspitzung Beilage 39 Verblendung enthält, erhielt dieses Blatt eine Zurückweisung,die die Sympathie des Privatklägers für die tschechoslowaki-schen Nation Bestrebungen auf das eindringlichste dokumentiert. Als solcheBeilage 6Dokumente werden weiters vorgelegt: die Nr. 521–530 vomJanuar 1920, (Notiz „Oesterreich-Ungarn“ auf Seite 63); dieBeilage 40Nr. 572–576 vom Juni 1921, (Aufsatz „Bei den Tschechen und beiBeilage 41den Deutschen“ auf den Seiten 64 bis 68); die Nr. 632–639 vonBeilage 42Mitte Oktober 1923 und die Nr. 640–648 von Mitte Januar 1924,(mit der Veröffentlichung eines Armeebefehls vom 17. April 1915auf Seite 34 der Oktober-Nummer und einer Vorbemerkung hiezuBeilage 43auf Seite 102 der Januar-Nummer); die Nr. 668–675 vom Dezember1924, (Aufsatz „Ein Reinigungsprozess“ auf den Seiten 73 bis 79).

Der Angeklagte Sonka hat sich von demsonderbaren Zeugen Johannes Urzidil ein Leumundszeugnis ausstellen lassen,er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugung anständig verteidigt.Wie anständig, darüber gibt wohl sein Schriftsatz mit den Be-weisanträgen genügende Aufklärung. Der Privatkläger möchtenicht hinter dem Angeklagten zurückstehen, und auch seiner-seits Leumundszeugen, wenngleich nur dokumentarisch, ins Treffen führen. Zu diesem Zweck legt wird er de n r Abdruck einer Adresse 31 an die Mitglieder des Komitees Beilage 44für die Verleihung des Nobelpreises vo m n 10. November den Jahren 1925 bis 1928 vor. gelegt, deren Unterzeichner es wohl an Gewicht ihrer Meinungsäusserungmit Herrn Urzidil aufnehmen können. 32 Ferner legt er wird eine Bro-

33 und auf die ergreifende Zuschrift eines Arbeitslosen (Seite 47f),um das auch die soziale Gesinnung des Privatkläger dervon gehäßiger Seite geübten Verzerrung entgegen-zustellen. Überdies wird auf die Tatsache hin-gewiesen, die wohl der Meinung, das Kriegswerkder Fackel sei ein militaristisches mit drasti-schestem Hohn begegnet: daß das Werk „Die letztenTage der Menschheit“ in tschechischer Übersetzungunter dem Titel „Poslední dnové lidstvaim Verlag Prager Verlag Družstevní práce,gedruckt bei Rohrer in Brünn, erschienenist, welche Ausgabe auf Wunsch dem Gerichtzur Verfügung gestellt wird.

34 der die Tendenz der literarischen Kriegsleistunganerke des Herausgebers der Fackel anerkennendhervorhebt. Es entbehrt nicht einer gewissenPikanterie, daß unmittelbar darunter die be-geisterte dem Führer der Sozialdemokratie unddem Herausgeber der Leiter der jetzigen Arbeiter-Zeitung Otto Bauer die Ehre erwiesen wird, daßsein begeistertes Urteil über das Kriegswerk desPrivatklägers abgedruckt wird (aus seinem Buch „Die österreichische Revolution“). Ganz abgesehenvon jenem Urteile des Schöpfers der tschechoslovaki-schen Republik wäre es doch unvorstellbar, daßdieser nicht nur wiederholt seit jeher wiederholt,am 8.I.1910 (nach dem berühmten Prozess Friedjung)und am 1.I.1922, durch eigenhändige Schreiben, fernerdurch die Präsidentschaftskanzlei (dem Privatkläger in handschriftlich mit den Worten gewidmet „Dem Dichter der letzten Tage der Menschheit“). dem Privatkläger außerordentliche Freundlichkeit erwiesen, ja ihnzu einem Besuche auf dem Hradschin eingeladenhätte, wenn auch die Fackel „seit jeher“ jemals

deutschmilitaristische Gesinnung, antistaatlicheTätigkeit, antitschechische Gesinnung undeine herabsetzende Kritik an der tschechoslovakischenSelbständigkeit geäußert hatte

35 Sämtliche Zuschriften, die sich auf die freundlicheMeinung des Herrn Präsidenten beziehen unddie hier nicht beigelegt werden, weil man diewertvollen Dokumente der Post nicht anver-trauen will, werden bei der Verhandlungvorgewiesen werden.

36 indem eine unmittelbare Gefahr für denStaat nicht vorhanden war, die aber docheinen durchaus analogen Standpunkteinnimmt. Wie das Urteil des Präsidenten in Anbetracht der drohenden Staats- undWeltgefahr ausfiele, kann wohl nicht zweifel-haft erscheinen. Es dürfte wohl niemalsnoch der Fall gewesen sein, daß es aus Kränkung zur Vergeltung einer literarischen Herabsetzung und zweifellos in der Absicht literarischer Vergeltung gewagtwürde, im Vertrauen auf die Schwierig-keit der Aufklärung einem Gerichtshofeine derartige verleumderische Verkehrung geistiger und moralischer Sachverhaltedarzubieten und einen Schriftsteller, der 104Antikriegshefte herausgegeben hat, aus denenzahllose Stellen konfisziert wurden, und derwegen „Verbrechens gegen die Kriegsgewalt“ verfolgtwurde (bis die Regierung Lammasch das Verfahreneinstellte), einer schändlichen Haltung zubeschuldigen, und einen Mann als Profitmacher und„Spekulierer“ zu brandmarken, der vomKriegsbeginn bis heute S 162.537 wohltätigenZwecken (insbesondere der Invaliden Arbeiter- und Invaliden-fürsorge) zugewendet hat.

Beilage 45schüre „Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstagvor und verweist besonders wird hingewiesen auf die Beiträge tschechischerSchriftsteller: Carl Capek auf Seite 21, Josef Hora aufBeilage 46Seite 27 und Jan Münzer auf Seite 31. 33 Ueberdies wird diesem Dem Schriftsatz angeschlossen ein wird ein zu dieser Ausgabe veröffentlichtes Heft der Zeitschrift „Panorama“,welches fast ausschliesslich das Werk gesamte Kriegswerk des Privatklägers in enthusiastischester Weise be-handelt. Besonders hingewiesen wird auf die das auf der zweitenUmschlagseite abgedruckte Notiz Zitat aus einem Werk des Schöpfers der tschechoslowakischen Republik und ihres ver-ehrten ersten Präsidenten T.G. Masaryk . , 34 Durch die ferner vor- Beilage 46 u. 47gelegten Schreiben dieses hochverehrten Mannes vom 8.1. 1909 Beilagen 48–51und vom 1.1.1922 der Präsidentschaftskanzlei vom am 22.12.1921, 28.12.1921, Beilage 52 5.1.1922, 23.1.1922, ferner durch das eigene Schreiben vomBeil. 53 u. 5428.8.1933 und deren Erledigungen vom 7.9.1933 und 8.9.1933 ist wohl zur Genüge dargetan, welche Anerkennung von dieserSeite dem Privatkläger persönlich und seinem Werk gezolltwurde, eine Anerkennung, die ihm gewiss versagt gebliebenwäre, wenn der Privatkläger deutschmilitaristische Politik gemacht oderdurch ganze Jahre unbegründet die tschechoslowakischen Staatsmänner beschimpft, sich überdie tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um die Be-freiung in dem Sinn geäussert hätte, es habe ‚die Parteiden Hausherrn hinausgeworfen‘“, oder wenn er sonst eineantistaatliche Tätigkeit“ entfaltet hätte, die Menschenvon der Art de s n Angeklagten die Berechtigung gäbe, dieInteressen der tschechoslowakischen Oeffentlichkeit gegen „Menschen von der Art des Privatklägers zu ver-treten. 35 Vo m n besondere n m Interesse wird da gerade die Zuschrift Beilage 57vom 23. Januar 1922 an den Privatkläger sein, weil da s d ie sichmit dem Notrecht des Staates befasst und einen Fall behandelt,der gegenüber den Februarereignissen 1934 in Wien zwar ver-schwindend klein erscheint, 36 aber doch analoge Vorfälle zurDiskussion stellt. 3 Wie das Urteil des Präsidenten in Anbetracht gegenüber der drohendenStaats Hitlergefahr ausgefallen wäre, kann wohl nicht zweifelhafterscheinen.

Ueber alles, was in diesem Schriftsatz

vorgebracht wurde, ohne dokumentarisch belegt zu sein, be-antragt der Privatkläger seine Einvernahme als Zeugen.

An das

Strafkreisgericht,

Brünn.

zur Zahl Tl III 239/34Tl III 256/35Tl III 299/34

Privatkläger: Karl Kraus, Herausgeber der ZeitschriftDie Fackel‘ in Wien III., vertreten durchDr. Robert Herrmann und Dr. Felix Gallia,Advokaten in Brünn

Beschuldigte: 1./ Josef Schramek, Redakteur in Brünn,2./ Hugo Sonnenschein / Sonka /Schriftsteller in Prag,beide vertreten durch Dr. Bohuslav Ečer,Advokaten in Brünn

wegen Ehrenbeleidigung resp. Vernachlässigungder pflichtgemässen Obsorge.

2 fach46 Beilagen

Aeusserung des Privatklägers zum Schriftsatz der Angeklagtenvom 18. Februar 1936.

Es ist wohl das Absurdeste, was es je imRechtswesen gegeben hat: dass ein Privatkläger, dessen 37jährigesgeistiges Schaffen vor aller Welt vorliegt, durch Wochen hindurchsich und seinen Anwalt bemühen muss, nicht etwa, Beweise durchGegenbeweise zu entkräftigen, sondern einem Angeklagten auf seinenSchleichwegen einer Beweisführung zu folgen und aufzuzeigen, mitwelchen Mitteln der Entstellung und der Verfälschung die Angeklag-ten einen „Wahrheitsbeweis, allenfalls den Beweis entschuldbarenIrrtums“ zu führen versuchen. Schon der Satz, dass zu seiner Durch-führung notwendig war, eine Reihe von Belegen zu studieren, die inOesterreich in Archiven gesammelt werden mussten, ist wahrheits-widrig. Die Angeklagten stellen nicht einen einzigen Beweisantrag,den sie auf eine Archivforschung zurückführen, und sie berufensich ausschliesslich auf Stellen aus der vom Privatkläger seit37 Jahren herausgegebenen im Buchhandel erhältlichen ZeitschriftDie Fackel‘, die sie in einer Weise zitieren, dass das Gegenteilder Anschauungen des Privatklägers herauskommt. Damit aber die An-geklagten sich nicht mit technischen Schwierigkeiten ausreden können,werden ihnen alle Exemplare der Fackel gerne zur Verfügung gestellt,die sie zu ihrer Entlastung zu benötigen glauben, auch die „öster-reichischen“ Ausgaben der Fackel, die sich von den im Gebiete derTschechoslowakei verbreiteten nur durch den Preisaufdruck auf demUmschlag – hier in Tschechenkronen, in Oesterreich in Schilling –unterscheiden. Die verleumderische Behauptung der Angeklagten, derPrivatkläger gebe zwei verschiedene Ausgaben seiner Zeitschrift heraus, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, er ändere seineMeinungsäusserung nach dem Ort des Erscheinens und unterdrückeoffenbar in der Tschechoslowakei, was er angeblich gegen diese in

Oesterreich vorbringt, wurde zum Gegenstand einer separatenAnklage gemacht. Dieser Vorwurf beweist zur Genüge, mit welchergehässigen Verlogenheit die Angeklagten ihren Standpunkt ver-treten.

Ehe in die Besprechung der einzelnenPunkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, sollzu der Rechtsfrage Stellung genommen werden: ob die Angeklagtenden Strafausschliessungsgrund des § 6, 2b des Ehrenschutzgesetzes für sich in Anspruch nehmen können. Dieser Strafausschliessungs-grund, der bei Begehung der strafbaren Handlung in einer Druck-schrift nur dann Anwendung zu finden hat, wenn die Anführungoder Mitteilung der in Betracht kommenden Tatsachen im öffent-lichen Interesse gelegen ist oder zur Wahrung eines berechtigtenwichtigen Privatinteresses notwendig war, kann den Angeklagtennur dann zugute kommen, wenn das von ihnen vorgegebene Interesseschon zur Zeit der inkriminierten Aeusserung vorhanden war. Die-ser Strafausschliessungsgrund ist nur dann gegeben, wenn diesonst strafbare Handlung begangen wird, um eine wichtige In-teressensphäre zu schützen. In ihrem Beweisantrag berufen sichdie Angeklagten in den Punkten 7, 8 und 9) auf Stellen aus denFackel-Nummern 909–911, erschienen Ende Mai 1935 und 912–915,erschienen Ende August 1935, während das Blatt mit den inkrimi-nierten Artikeln am 15. September 1934 veröffentlicht wurde.Selbst dann also, wenn die von den Angeklagten behaupteten„Beschimpfungen“ der tschechoslowakischen Staatsmänner, Lächer-lichmachung der tschechoslowakischen Verfassung, ja dertschechoslowakischen Nation so wahr wären, wie sie zur Gänzeunwahr sind, – was bei der Besprechung der einzelnen Punkte des

Schriftsatzes der Angeklagten ausführlich dargelegt werden soll –,könnten sie nicht zu ihrer Entschuldigung dienen.

Die Justiz wird hier vor einen einzigarti-gen Fall gestellt. Es wird nämlich der Versuch gemacht, aufdenunziatorischem Wege durch Behauptungen, der Privatkläger seigegen die tschechische Nation, gegen die tschechische Selbständig-keit aufgetreten, von der Hauptsache abzulenken. Die Tat, die derAngeklagte Sonnenschein-Sonka zu verantworten hat, ist, dass erden Privatkläger einen „ Helden der Gesinnung und des Geistes“,einen „ Konjunkturästheten“ genannt und in einen Kreis von Personeneingereiht hat, die der Laune feisten Goldes dienen, Leisetreter, Zuhälter der Macht , die man morgen schon zertreten werde, geistigeHenkersknechte, die „Mordhass“ schüren und den Schlaf der Welthüten, um „ Profit zu machen“. Herr Sonka glaubt sich damit ent-schuldigen zu können, dass er dieses „Gedicht“ nicht „auf diePerson des Privatklägers stilisert“ schon vor dem Juliheft derFackel auch an anderen Orten „ohne jedwede Widmung“ veröffent-licht habe. Welchen Sinn diese Ausrede haben soll, ist kaum er-findlich, da ja eben die Publikation in der Arbeiterzeitung, diedie Widmung enthält, inkriminiert ist. Der Angeklagte Schramek hat sich dafür zu verantworten, dass er diese Beleidigungen undauch weitere Beleidigungen in dem Aufsatz „Der Racheakt derPolizei gegen Braunthal“ in Kenntnis ihres Inhaltes zum Druckbefördert, sich also der strafbaren Handlungen mitschuldig ge-macht, zumindest aber die pflichtgemässe Obsorge vernachlässigthat, solche schmähende Aufsätze und Gedichte von der Veröffent-lichung auszuschliessen. Aus dem Artikel wurde besonders dieStelle inkriminiert, welche die Behauptung enthält, dass sich der

Privatkläger in seiner Fackel brav gleichgeschaltet habe und imSchweisse seines Angesichtes die Kulturtaten den „österreichi-schen Menschen“ preise, was ihn allerdings vor Wöllersdorf schütze. Darin liegt die sofort als absurd erkennbare Behauptung,dass das im Juli 1934 erschienene Fackelheft den Zweck verfolge,dem Privatkläger die Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen.Die Absurdität dieser Behauptung ergibt sich aus der dem Artikel selbst zu entnehmenden Feststellung, dass „Braunthal am 12. Februar1934 im Zuge der zur Niederringung der Februarrevolte getroffenenMassnahmen festgenommen“ wurde. Es ist nicht Sache des Privat-klägers, darüber Erhebungen zu pflegen, ob die Beteiligung Braun-thals an der Februarrevolte seine Festnahme auch rechtlich be-gründet erscheinen lasse, wie weit bei der Anhaltung in demZwangslager die Tatsache mitbestimmend war, dass er seit demJahre 1923 in der Zentralleitung des Republikanischen Schutz-bundes sass, und wie weit vielleicht auch seine Broschüre „DieWiener Julitage“ (1927) an dieser Zwangsmassnahme mitgewirkthaben. Dass gegen den Privatkläger nicht mit den gleichen Zwangs-massnahmen vorgegangen wurde, das kann keinesfalls ein im Juli1934 erschienener Aufsatz bewirkt haben, wenn die Haltung Braun-thals im Juli 1927 wirklich der Grund für das Vorgehen gegen ihngewesen wäre. Es ist klar, dass der Autor des am 15. September1934 erschienenen Artikels „Der Racheakt der Polizei gegen Braun-thal“ nur eine ihm offenbar günstig erscheinende Gelegenheitbenützte, für den im Juli 1934 erschienenen Artikel des Privat-klägers Rache zu üben, und anstatt eine Meinung zu kritisierenund eventuell zu bekämpfen, – was ihm gewiss nicht geglückt wäre,da die nachfolgenden Ereignisse in der Weltpolitik diese Meinung

so sehr gerechtfertigt haben, dass auch frühere Gegner sich ihr ange-schlossen haben –, die Kritik an dem Wirken der sozialdemokratischen Führer in Oesterreich durch eine Verdächtigung des Privat-klägers, durch den Vorwurf der Unlauterkeit seiner Motive zu ver-gelten. Dass frühere Gegner sich ihr angeschlossen haben, geht zurGenüge unter hundert Beispielen aus einem Leitartikel des „CeskeSlovo“ hervor, der sogar seine frühere Meinung durch die in derBeil. 1.)Beilage zitierte Aeusserung bereinigt, dass er immer schon den Ab-wehrkampf des Bundeskanzlers Dollfuss gegen die Hitlergefahr an-erkannt habe.

Die Angeklagten kommen in ihrem Schriftsatz zu dem Schlusse, es sei eines der wichtigsten Interessen dertschechoslowakischen Oeffentlichkeit, dass „Menschen von der Artdes Privatklägers“, in der tschechoslowakischen Presse kritisiertwerden. Verdächtigungen und Verleumdungen sind freilich keineKritik, und es mutet grotesk an, dass die Arbeiterzeitung, welchesich offiziell als „Organ der österreichischen Sozialdemokratie“bezeichnet, sich als einen Bestandteil der tschechoslowakischenPresse aufspielt und so tut, als ob sie tschechoslowakische In-teressen zu vertreten hätte oder je vertreten hatte.

Es wird bei der Eingehung in die einzelnenPunkte des gegnerischen Schriftsatzes ausführlich darauf hinzuwei-sen sein, welche Fälschungen von der Gegenseite unternommen wurden,um den Anschein zu erwecken, es liege bei dem Privatkläger eineAnzahl „zeitlich auffallender politischer Umorientierungen“ vor.Aber selbst dann, wenn solche politische Umorientierungen vorlä-gen, wäre es Aufgabe der Angeklagten, nicht nur diese zu beweisen,sondern auch die Unlauterkeit der Motive des Privatklägers, seine

Absicht, sich die Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen undProfit zu machen. Selbst wenn es den Angeklagten gelänge, diepolitische Umorientierung des Privatklägers zu beweisen, könntedies nicht zu ihrer Entschuldigung dienen, solange sie nicht denunmoralischen Beweggrund solcher Umorientierungen beweisen können.Für diesen Beweggrund aber haben die Angeklagten einen Beweisüberhaupt nicht angetreten; ebensowenig für die Behauptung, dasseine „antistaatliche Tätigkeit“ des Privatklägers vorliege. Derunerhörte verlogene Anwurf, der Privatklägerbeschimpfe durchganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmänner“, wird nurdurch die Komik der Mitteilung abgeschwächt, er habe „die Gast-freundschaft dieses Staates genossen“, eine Angabe, die den Ein-druck erweckt und vielleicht erwecken soll, dass er wie so vieleJournalisten auf Kosten des Staates dort gelebt und sich dann un-dankbar erwiesen habe. In Wahrheit hat er dort wiederholt Vor-lesungen abgehalten, deren Ertrag vielfach dortigen wohltätigenund zwar proletarischen Zwecken gewidmet war. (In Brünn, fürwelche Stadt in der offenbaren Absicht der Stimmungsmacherei derName des Herrn Ministers Czech genannt wird, sei hier zum Nach-weis solcher charitativer Widmungen Frau Minister Czech alsZeugin geführt.) Was also die „antistaatliche Tätigkeit“ betrifft,so haben sich offenbar die intellektuellen Führer der sozial-demokratischen Partei den Grundsatz zu eigen gemacht „Der Staatbin ich“, und fassen die Kritik des Privatklägers an ihrem unheil-vollen Wirken als eine antistaatliche Tätigkeit auf.

Es ist aber nicht der Angriff gegen dieintellektuellen Führer der sozialdemokratischen Partei allein, derden Angeklagten Sonka zu seinen Ausfällen hinriss, sondern haupt-

sächlich eine weit zurückliegende Kränkung darüber, durch denPrivatkläger seiner Talentlosigkeit als Lyriker an urkomischenBeispielen überführt worden zu sein. (Auch als talentloser Politikerwurde er seinerzeit in der Fackel behandelt und ihm ausserdem dieVerfälschung eines Angriffs in ein Lob zu Reklamezwecken nachge-wiesen). Vorher hat er dem Privatkläger seine talentlosen LyrikbändeBeil. 2 und 3.)mit dem Ausdrucke der Verehrung zugesendet, den letzten im Februar1915, also Monate nach dem Erscheinen des Aufsatzes „In dieserBeil. 4.)grossen Zeit“ (Fackel Nr. 404 vom 5. Dezember 1914), dessen Stelleüber das Kriegsmanifest Franz Josefs ihm schon seinerzeit dazu – mit dergleichen Verfälschung des Zitates – den willkommenen Anlass ge-boten hat, an dem Privatkläger sein dürftiges Mütchen zu kühlen.Die Erk K enntnis dieser Stelle wie auch alle Vorkriegsartikel derFackel, kurz alles was Herrn Sonka von der militaristischen Ge-sinnung des Privatklägers überzeugt hat, hat ihn nicht abgehalten,im Jahre 1910, ja im Februar 1915 seine Verehrung kundzutun. Diegenaue Darstellung des Sachverhaltes, die durch die Notwendigkeitder Zitierung von mehr als hundert Seiten der Fackel diesem not-wendiger- und bedauerlicherweise ausgedehnten Schriftsatz eine un-erträgliche Länge geben würde, kann über Wunsch des Gerichtes durchdie Verlesung dieser Stellen geboten werden. Zu diesem Zwecke wer-den die Herrn Sonka betreffenden Fackel-Hefte vorgelegt und aufBeil. 5.)die folgenden Stellen verwiesen: Heft Nr. 514–518 vom Ende Juli 1919Beil. 6.) Seite 1 bis 5, Seite 9 bis 11, Seite 59ff.; Fackel Nr. 521–530 vomBeil. 7.)Januar 1920, Seite 80 bis 86 und Fackel Nr. 531–543 vom April 1920,Seite 95 bis 140.

Ist aber schon Partei- und Privatrache eineschlechte Beglaubigung für das publizistische Richteramt, so hat

aus dem „anderswo“ hervor, das einfach erfunden ist, da derHerausgeber der Fackel seit deren Gründung – ausser ein paarVorabdrucken in dem gewiss nicht militaristischen „Simplizissimus(1908) – nicht eine einzige Zeile „anderswo“ veröffentlicht hat.Nicht einmal aus dem Zusammenhang gerissen könnte aber jener Satzbei einem unbefangenen Leser die Meinung auftauchen lassen, erenthalte eine „ungeschminkte Verehrung des Militarismus“, sondernes ist klar, dass er die Würdigung einer Männlichkeit bedeutet, dieimmerhin turmhoch über dem literarischen Libertinertum steht.Dies wird noch klarer, wenn der Satz in seinem ZusammenhangBeil. 8.)wiedergegeben wird. Die Stelle lautet:

Die Erinnerung an Pola wiederholt das Gefühl derUeberraschung, in einem Staatsleben, dessen Ordnung die Träg-heit und dessen Farbe die Hässlichkeit ist, eine sonnige Stel-le zu finden. Die sittliche Kraft des Heeres würde nicht aus-reichen, unter allen Oesterreichern Manneszucht zu halten, aberes gibt unter ihnen Menschen, die mit Recht dort unten wohnenund nicht darüber klagen sollten, dass es ihnen die Vorsehungerspart hat, auf diesem schwankenden Festland zu leben. Menschen,die innen so beschaffen sein müssen wie aussen und die anzu-schauen das Gefühl dieser Einheit bestätigt und hundertmal dasGefühl, dass der Militärhass der Demokratie die Ueberlegenheitdes Misswachses über die Männlichkeit bedeutet. Es bedarf übereine klare und gute Sache nicht vieler Worte; ganz einfach: Dieästhetische Entschädigung eines Tages in Pola für ein Jahr inWien, an und für sich nicht zu unterschätzen, berührt den tieferliegenden Unterschied von Menschenwert und Fliegenplage.

Von einer Verehrung des Militarismus alssolchen kann keine Rede sein. Der Privatkläger bekennt sich jedochnach wie vor zu dem scheinbaren Widerspruch, der ihm nur von Blöd-gesinnten angekreidet werden könnte: dass er mutige Männlichkeitschätzt, den Krieg aber verabscheut.

Was nun die ungeschminkte Verehrung desPrivatklägers für den österreichischen Adel betrifft, – „knapp vordem Kriege“, womit offenbar gesagt werden soll, dass sie in vollemBewusstsein einer militaristischen Einstellung geäussert wurde –,

so tun die Angeklagten so, als ob der Privatkläger demokratischeEhrenhaftigkeit gegenüber einer aristokratischen Verkommenheitherabgesetzt hätte. In Wirklichkeit sind die von den Angeklagtenentstellt zitierten Sätze aus einem polemischen Artikel „Sehn-Beil. 9.)sucht nach aristokratischem Umgang“ (Nr. 400–403 vom 10. Juli 1914,Seite 90–95), in dem satirisch gegen Verleumder Stellung genommenwird, die dem Privatkläger in anonymen Briefen und Druckschriftenvorwarfen, er sei ein „Schauspieler der Ethik“, der „mit grossemEhrgeiz auf aristokratischen Umgang aspiriere, und sehr stolzdarauf, dass sich in seinen Vorlesungen einige Mitglieder desganz reaktionären Provinzadels blicken liessen, die natürlichdie angeblich linksradikalen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,Bourgeoisie und ‚Neue Freie Presse‘ mit sehr rechtskonservativemWohlbehagen anhörten Kraus, dieser Schauspieler der Ethik,war ja nie wählerisch in Bezug auf sein Publikum. Zuerst war erglücklich über den Beifall derselben Juden und Journalisten, dieer in seinen wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetzt ister immerhin zum Hofnarren avanciert. Seine radikalen literarischenFreunde, aber auch alle, die Religion und klerikale Feudalherr-schaft nicht identifizieren, werden ihm den Rücken kehren under wird zum literarischen Hausjuden des Grafen X. emporsteigen.

Diese unwahren und unwahrhaftigen, spätervom Schreiber selbst reuig zurückgezogenen Behauptungen, ledig-lich dadurch hervorgerufen, dass der Privatkläger mit einigen aus-gezeichneten Menschen von Adel vertrauten Umgang pflog, die ganzim Gegenteil zu der Sorte Menschen, welche ihn hier anpöbelten,trotz vielen Divergenzen der Anschauung ihn niemals in seinemgeistigen Schaffen zu beeinflussen suchten, mussten auf das Ent-

schiedenste abgetan werden. Der Privatkläger hat niemals ein Hehldaraus gemacht, dass er den liberalen Standpunkt in der Politik, imWirtschaftsleben und in der Meinungsäusserung ablehne. Was er abermit seiner „Sehnsucht nach aristokratischem Umgang“ gemeint hat,möge aus den nunmehr vollständig wiedergegebenen Sätzen, von denendie Angeklagten nur Teile, um eine Meinung zu entstellen, zitieren,entnommen werden. In dem Aufsatz heisst es auf Seite 92:

Meine radikalen literarischen Freunde, die noch ahnungs-loser waren als die feudalen Privatgesellschaften, sind endlichaufmerksam geworden, denn sie können zwar schreiben, aber nichtlesen und haben darum seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dassich die Pest weniger hasse als meine radikalen literarischenFreunde. Sie haben meinen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,auf Bourgeoisie und Neue Freie Presse für linksradikal gehaltenund nicht geahnt, dass sie, wenn ich überhaupt etwas will undwenn sich das, was ich will, auf eine staatsverständliche Formelbringen lässt, im höchsten Masse rechtsradikal sind. Sie habengeglaubt, ich sei ein Revolutionär, und haben nicht gewusst,dass ich politisch noch nicht einmal bei der französischenRevolution angelangt bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen1848 und 1914, und dass ich die Menschheit mit Entziehungder Menschenrechte, das Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechts,die Juden mit Entziehung des Telephons, die Journalisten mitAufhebung der Pressfreiheit und die Psychoanalytiker mit Ein-führung der Leibeigenschaft regalieren möchte. Nicht wasschwarz unter den Fingernagel geht, haben sie es geahnt, undnun fällt es ihnen wie Schuppen von den Haaren. Sie habenentweder die aufschlussreichsten Nummern der Fackel verpasst,weil sie gerade in der Hand oder nur gestohlen war, oder auchnicht gemerkt, dass der tausendste Teil meiner – angeblich –linksradikalen Glossen, auf eine im Staat geläufige Tendenzherabgesetzt, einen Konservatismus von einer Blutbereitschaftpropagiert, gegen den tausend Jahrgänge von tausend klerikalenZeitungen die Sprache einer Protestversammlung des Monisten-bundes zum Schutze reisender Kaufleute führen. Sie haben nichtgehört, dass mir ein verhängter Himmel, dem eine Weltanschauungerspart bleibt, immer noch besseren Trost bringt, als einefreie Erde, die zum Himmel stinkt. Es ist ihnen entgangen, dassich untröstlich bin, die Machtmittel der Staaten nicht gegenden Zerfall der Völker aufbieten zu können, und nur zufriedenin der Gewissheit, dass dem auf den Glanz hergerichteten Mensch-heitspofel, der jetzt allerorten zu sehen ist, der grosseAusverkauf bevorsteht. Solche Stimmungen, Ahnungen, Hoffnungenhabe ich, wenn’s meine radikalen literarischen Freunde nichtmerkten, heimlich aus Hirn und Herz direkt ins Heft übernommen.Das aber haben sie zum Glück verpasst, überschlagen oder nichtverstanden, und sind jetzt fataler Weise aufmerksam gemachtworden.

Auf Seite 94f.:

Was kann ich gegen diese Feststellung anderes vorbringen,als dass sie wahr sein könnte, wenn die feudale Gesellschaftund der aristokratische Umgang durchaus so weit wären, meinerwürdig zu sein? Das Zeug dazu – und wenn Legionen vonradikalen literarischen Freunden mir den Rücken, ja selbstdas Gesicht zukehren wollten, ich bekenne es – das Zeug dazuhätten sie! Von Gnaden der Idee, die irgendwo hinter ihrerGeburt lebt, und bliebe ihr schweissloses Dasein unberührtvon einer zeitlichen Gemeinheit, die auch einen Grafen zumVerwaltungsrat macht, seinen Sohn zum Disponenten und diedas Geschmeiss der öffentlichen Meinung den Triumph desFortschritts bejubeln lässt, weil der Träger einer gutgebore-nen Nase endlich eine Börsenkarte gelöst hat. Ja, ich aspiriereauf aristokratischen Umgang; aber ich, ewig unbelohnter Stre-ber, finde ihn allzu selten. Wenn irgendwo, ist hier der letzteFunke Hoffnung auf eine Jugend, die ich den Klauen der Ent-wicklung entreissen möchte, wenn irgendwo könnte ich hierden Versuch wagen, das Unerfüllbare in die Umgangssprachedes Lebens, der Politik, ja der Gesellschaft umzusetzen. Mir,der weiss, dass die Empfindungen des letzten Stallpintscheserhaben sind über der Ausdrucksfähigkeit eines kosmischinteressierten Literaturgesindels, und der von staatswegeneinen Kommerzienrat zwingen möchte, dem letzten Stallknechtzu dienen, mir sollte füglich nicht verübelt werden, dass ichdort, wo ich vergebens aristokratischen Umgang suche, aufdemokratischen verzichte! Ich möchte nicht bis zu Wohltätig-keitsbazaren vordringen, wo Parvenus nach unten um die Gunstvon Handelsleuten buhlen. Dass ich trotzdem hinreichendverdächtig bin, aristokratischen Umgang zu suchen, müssteder demokratische längst heraushaben: ihn fliehe ich. Erist die Pest, die sich des Daseins freut und ihrem eigenenBazillus nicht auf der Spur ist. Sein Blick löst Welträtselund dreht mir den Magen um. Er analysiert mir den Traum, inden mein Ekel flüchtet. Er weckt mich und ich suche einenKönig, der eine Bombe hätte für diesen allzu klugen Untertan.Ich weiss, was auf dem Spiel steht: Rettet unsere Seelen!Ich weiss und bekenne, und auf die Gefahr hin, fortan einPolitiker zu sein oder gar ein Aesthet, als unwiderruflichesProgramm: dass die Erhaltung der Mauer eines Schlossparks,der zwischen einer fünfhundertjährigen Pappel und einerheute erblühten Glockenblume alle Wunder der Schöpfung auseiner zerstörten Welt hebt, im Namen des Geistes wichtigerist als der Betrieb aller intellektuellen Schändlichkeit,die Gott den Atem verlegt!

Von einer ungeschminkten Verehrung desösterreichischen Adels kann also auch keine Rede sein, sondernlediglich von einer Ablehnung alles dessen, was sich gegen denGeist erhebt und ihn schändet.

Wegen des Kriegsmanifestes Franz Josefs

hat sich der Privatkläger mit dem Angeklagten Sonnenschein schoneinmal befassen müssen, als dieser ihn im ‚Neuen Wiener Journalmit der gleichen Verfälschung des Zitates angriff. Obwohl ihm dieVerfälschung damals vor Augen gehalten wurde, scheut er sich nicht, siehier neuerlich zu machen. Auf den damaligen Angriff des HerrnSonnenschein im ‚Neuen Wiener Journal‘:

Was aber gebührt einem Gesinnungskünstler, der am5. Dezember 1914 das Kriegsmanifest Franz Josefs folgender-massen begrüsst: ‚… über jenem erhabenen Manifest, dasdie tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, dassie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichstenAnschlag, den die Strasse unserem Auge widerfahren lassenkonnte …‘?

Beil. 7.)hat der Privatkläger geantwortet (Nr. 531–543 vom April 1930,Seite 127–129):

Mir bleibt doch nichts erspart. Ich glaube aber fast,man hat mich drangekriegt. Ist dieser Sonnenschein wirklichso intellektuell, dass er den Satz für seine Zwecke benützenzu können glaubt, oder stellt er sich nur so? Hat er unsermAuge einen ‚Anschlag‘ widerfahren lassen, indem er so tut, alsob dieses Wort bloss ein Plakat bedeutete? Als ob ich auf derSuche nach einem König mit der Bombe für den intellektuellenUntertan nun beglückt gewesen wäre, schon ein paar Wochenspäter einen Kaiser zu finden, der’s der ganzen Menschheitbesorgt? Als ob ich sein Kriegsmanifest wirklich ‚begrüsst‘hätte? Ja, denkt der Leser, der sich nicht erinnert, was icham 5. Dezember 1914 erscheinen liess: der hat eben im Anfangdes Kriegs genau so wie alle andern mitgeheult. Er begrüsstnicht nur das erhabene Manifest, sondern auch die tatenvolleZeit, er nennt jenes ein Gedicht – was doch offenbar der Super-lativ des Entzückens ist, wie wenn man dem Wiener sagt, dasseine Mehlspeise geradezu ein Gedicht sei –, er gewährt einenAnschlag, das heisst ein Plakat, voll des menschlichstenInhalts, jedenfalls in dem Sinne, dass wir einen heiligenVerteidigungskrieg führen und dass unser Sieg die Menschlich-keit über die Erde verbreiten wird, aber nicht im Sinne desMenschlichkeitspofel, der allerorten zu sehen ist, sondernnatürlich ganz anders, denn nicht Humanität, sondern Kriegist wahre Menschlichkeit. Kein Zweifel, der hat damals mit denandern, die daheim sassen, berserkerhaft um sich geschlagenund geholfen, die Russen und die Serben in Scherben zu hauen,um selbst davon enthoben zu werden. Man hat das nur vergessenund ist dem Gesinnungskünstler, der sich immer darauf be-ruft, er habe vom Ultimatum an – sehr im Widerspruch zu seinenfrüheren Ansichten – gegen den Krieg gesprochen, glatt aufge-sessen. Es ist Sonkas Verdienst, der Welt, an der er verkommenmusste, während sie jenen zu Ehren gelangen liess, die Augen

geöffnet zu haben. Jawohl, er kannte den Satz, er überwandseinen Ekel vor mir, schrie den vor Europa hinaus und sandtemir das Werk in Verehrung zu. Und ich habe nicht sein Gedicht,sondern das des Franz Josef gelobt! Man wird ordentlich neu-gierig auf den kriegshetzerischen Aufsatz, in dem das Lobenthalten war. ‚In dieser grossen Zeit‘ heisst er. Aber, denktda der Leser, der sich zu erinnern beginnt, das war ja jeneradikale Absage an den Krieg und Ansage des Kriegs an ihn,jenes den Pygmäen der grossen und den Parasiten der ‚taten-vollen Zeit‘ gestellte Ultimatum, das durch seinen Freimut dieKriegszensur so verblüfft hat, dass sie es erscheinen liess?Wie reimt sich dies Faktum mit jenem Diktum? Wie entstehtda ein Gedicht? Wie kommt die Stelle in den Aufsatz? Etwasanders als ins Neue Wiener Journal; nämlich so: ‚Ueber jenemerhabenen Manifest, jenem Gedicht, das dietatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht,das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichstenAnschlag, den die Strasse unserm Auge widerfahren lassenkonnte, hängt der Kopf eines Varietékomikers, überlebens-gross‘. Sogar zweimal wird – in der Kritik der WürdelosigkeitWiens – gesagt, dass es ein Gedicht ist? Eben. Hat nun Sonka,dem ich eine so feine Abschätzungsfähigkeit für Stilwirkungengar nicht zugetraut hätte, nicht vielleicht bewirkt, dass dasLob des ‚einzigen Gedichts‘ zum Lob des Inhalts und die Weg-lassung des ‚Gedichts‘ zum Lob der tatenvollen Zeit wurde?Dass das ‚erhabene Manifest‘, welches nur ein Terminus, eineBezeichnung der Sphäre, und die ‚tatenvolle Zeit‘, die einehohnvolle Anwendung war, positiven Inhalt bekamen? Ich meintedas ‚kaiserliche‘ Manifest, ein schlichter Reporter hätte esso gesagt; ich sagte, was die feierlichen Reporter sagen.Deutlicher konnte ich damals leider nicht aussprechen, dassich es nicht für erhaben hielt. Nur als Gedicht erhaben, dochals Tat ein ‚Anschlag‘. Aber für jene, die mich zu lesen ge-lernt haben, war’s deutlich.

Es ist nun notwendig, einige der markantestenStellen aus dem Aufsatz zu zitieren, in dem das Manifest FranzJosefs als Gedicht – um einer starken dichterischen Zeile willen –gelobt, als Anschlag – den die Strasse dem Auge „widerfahren“liess – verurteilt wurde; um dem Gericht darzutun, dass hiereine unerbittliche, damals Aufsehen erregende Absage an den Kriegund Ansage des Krieges an ihn vorliegt. Damit die Gesinnung einesAngeklagten, der sich das Recht herausnimmt, eine andere Gesinnungzu kritisieren, im grellsten Lichte dastehe. Es heisst dort inBeil. 4.)Nr. 404 der Fackel vom 5. Dezember 1914 auf Seite 1 und 2:

In dieser grossen Zeit die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wiederklein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und diewir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlungnicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlichauch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in dereben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, undin der geschehen muss, was man sich nicht mehrvorstellen kann, und könnte man es, es geschähenicht –: in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelachthat vor der Möglichkeit, dass sie ernst werden könnte; vonihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sichselbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; indieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichenSymphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Be-richte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie vonmir kein eigenes Wort erwarten. Keines ausser diesem, daseben noch Schweigen vor Missdeutung bewahrt. Zu tief sitztmir die Ehrfurcht vor der Unabänderlichkeit, Subordinationder Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasie-armut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohneden seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchenund Schwerter in Tinte, muss das, was nicht gedacht wird,getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprech-lich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchteich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, istder Lärm so gross, und ob er von Tieren kommt, von Kindernoder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden.Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimalverächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetztnichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechenweiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!

Auf Seite 10 und 11:

Man könnte aber einmal dahinter kommen, welch kleineAngelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigenSelbstverstümmelung der Menschheit durch ihre Presse, undwie er im Grund nur eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat.Vor einigen Jahrzehnten mochte ein Bismark, auch ein Ueber-schätzer der Presse, noch erkennen: ‚Das, was das Schwertuns Deutschen gewonnen hat, wird durch die Presse wiederverdorben‘, und ihr die Schuld an drei Kriegen beimessen.Heute sind die Zusammenhänge zwischen Katastrophen und Re-daktionen viel tiefere und darum weniger klare.

Auf Seite 11 und 12:

Die Wahrheit ist, dass die Zeitung keine Inhaltsan-gabe ist, sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger.Bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus. MehrUnrecht in der Welt, weil es eine Presse gibt, die es erlogenhat und die es beklagt! Nicht Nationen schlagen einander: sonderndie internationale Schande, der Beruf, der nicht trotz seinerUnverantwortlichkeit, sondern vermöge seiner Unverantwortlich-keit die Welt regiert, teilt Wunden aus, quält Gefangene, hetzt

Ausländer, macht Gentlemen zu Rowdys.

Auf Seite 16:

Und wenn sich die Welt zerfleischt, es kommt keinGeist heraus! Er wird später nicht erscheinen; denn erhätte sich jetzt verbergen, durch verschwiegene Würde sichäussern müssen. Aber wir sehen rings im kulturellen Umkreisnichts als das Schauspiel, wie der Intellekt auf das Schlag-wort einschnappt, wenn die Persönlichkeit nicht die Krafthat, schweigend in sich selbst zu beruhen. Die freiwilligeKriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Eintritt in denJournalismus. Hier steht ein Hauptmann, stehen die HerrenDehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eine Dekorationin der vordersten Front und hinter ihnen kämpft der losge-lassene Dilettantismus. Noch nie vorher hat es einen sostürmischen Anschluss an die Banalität gegeben und dieAufopferung der führenden Geister ist so rapid, dass derVerdacht entsteht, sie hätten kein Selbst aufzuopferngehabt, sondern handelten vielmehr aus der heroischen Ueber-legung, sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sicherstenist: in die Phrase.

Aus diesen „paar Proben aus dem literari-schen Werk des Privatklägers“ geht also klar hervor, dass erebensowenig kurz vor dem Kriege als im Krieg ein ostentativerVergötterer des zum Deutschen Reich hin orientierten öster-reichischen Militarismus mit allem seinen Zubehör war, sondernim Gegenteil geht daraus hervor, dass er den Krieg und seinZubehör, insbesondere sein literarisches Zubehör, von allem Anfangan verabscheut hat. Ueber das sonstige, ziemlich bekannte Wirkendes Privatklägers im Kriege schweigen sich die Angeklagten gründ-lich aus. Nach den einleitenden Worten des dritten Absatzes ihresSchriftsatzesNach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politischenGesinnung statt, so dass bei einem objektiven Betrachter dieserauffälligen Aenderung der Privatkläger notwendig den Eindruck er-wecken musste, dass bei ihm der rasche Wechsel in den Grundan-schauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staates nicht das

Ergebnis einer geistigen Umorientierung, sondern eher die Folgedes staatlichen Umsturzes war, dessen Form und politischerMajorität sich der Privatkläger in seinen literarischen Arbeiten an-gepasst hat“, müsste man glauben, dass er während des Kriegesentweder überhaupt nichts von sich habe hören lassen, also seinWort „Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“ wahrge-macht habe oder ganz entgegen seiner Haltung in den oben zitier-tes Sätzen wirklich für den Militarismus eingetreten sei. Esverwundert einen da nur, dass die Angeklagten es sich entgehenliessen, dieses Eintreten für den Militarismus nachzuweisen, da-mit es augenfällig werde, dass im Jahre 1919 wirklich ein„rascher Umsturz in seiner politischen Gesinnung“ stattfand.Denn wenn der Privatkläger wirklich vom Jahre 1914 bis zum Jahre1919 geschwiegen und erst dann seine augenfällige Aenderung be-kundet hätte, so wären doch vier Jahre Krieg gewiss hinreichendgewesen, um eine geistige Umorientierung hervorzurufen, und eswäre dann nicht angebracht, hier von einem „raschen Umsturz“ inden Grundanschauungen des Privatklägers zu sprechen. Weitersfällt aber auf, dass das nächste Zitat, das die Angeklagten an-führen, aus der Nummer 508–513 stammt, während das Zitat über dasManifest Franz Josefs aus der Nummer 404 stammt, dass also zwi-schen diesen beiden Heften 104 Nummern der Fackel liegen, überdie die Angeklagten kurz entschlossen hinweggehen. Welcher vonden Schreibern, von denen Herr Sonka die Stirne hat zu behaupten,dass sie durch Karl Krausdiskreditiert“ seien, wagte es vorzu-treten und zu sprechen, dass sie einen militaristischen Inhalthatten? Welchem von ihnen wäre die Art der Wirksamkeit der Fackel im Kriege nicht bekannt. Diese 104 Nummern mit 1988 Seiten sind

ein einziger grosser Angriff gegen den Krieg und die Krieg-führenden, ein Angriff gegen das damalige Oesterreich-Ungarn und Deutschland, ein Angriff gegen alle Nutzniesser des Kriegesund eine einzige Wehklage über dessen Opfer. Der vernichtendeAusgang für die kriegführenden Mittelmächte wurde vorausgesehenund vorausgesagt.

Die Haltung des Privatklägers im Kriegewurde auch von der sozialdemokratischen Partei trotz allerDivergenz in den Anschauungen über Politik in hundert Huldi-gungen anerkannt, ja die Einstellung gegenüber dem Kriege wargeradezu das einzige geistige Bindeglied der Partei mit demPrivatkläger. So schrieb aus Anlass der Vollendung des 20. Jahr-ganges der sozialdemokratische Präsident der deutsch-österreichi-sehen Nationalversammlung, Seitz, am 1. Mai 1919 an den Privat-Beil. 5.)kläger (abgedruckt auf Seite 21 der Nr. 514–518, Ende Juli 1919):

Die Vollendung des zwanzigsten Jahres, seitdem dieFackel zu erscheinen begonnen hat, gibt mir den erwünschtenAnlass, Ihnen für das grosse Werk, das Sie in diesen zweiJahrzehnten zur Reinigung, Versittlichung und Vergeistigungdes öffentlichen Lebens geleistet haben, meinen aufrichtigstenDank zu sagen. Insbesondere wird ihr tapferer, mutiger, be-harrlicher Kampf gegen den Krieg und gegen alles Gemeineund Herabwürdigende, das von ihm ausging, unvergesslich bleiben.Hier fand die sittliche Empörung gegen die Kriegsbarbareiihren leidenschaftlichsten Ausdruck und die Gewalt derEmfindung vermählte sich mit der Gewalt der Form, so denGeist zur Tat gestaltend.

Die gleiche Einstellung fand ihren Ausdruck in einem Glückwunsch-schreiben des Bürgermeisters der Stadt Wien Seitz vom 28. AprilBeil. 10.)1924 (abgedruckt auf Seite 149 der Nr. 649–656, Anfang Juni 1924):

Wir haben Ihnen für Ihren mit sittlichster Leidenschaftgeführten Krieg gegen den Krieg zu danken, dessen Unmenschlich-keit Sie in Ihrer unsterblichen Tragödie so geschildert haben,dass die Menschheit es nie vergessen kann. Wir haben Ihnenaber auch für den moralischen Mut zu danken, dass Sie densteten und beharrlichen Kampf gegen alle, die das öffentlicheLeben verfälschen, die den Lügengeist der Zeit bestimmen, und

die einstmals die Herrschenden und Mächtigen im Staate waren,auf sich genommen und unbekümmert um äusserlichen Erfolg,allen Verkleinerern und Widersachern zum Trotz, mit nie ver-sagender Energie geführt haben.

Es wird ferner auf die in dem gleichen Heft abgedruckten Kritikenüber das Kriegswerk „Die letzten Tage der Menschheit“ hingewiesen;von Prof. Otakar Fischer, Ceské Slovo, Seite 88ff.; Přitomnost, Seite93ff., und auf die verschiedenen dort abgedruckten Geburtstags-artikel: Arbeiter-Zeitung , Seite 105ff.; Prager Tagblatt, Seite 109ff.

Es ist natürlich unmöglich die 1988 Seitender 104 Fackel-Nummern, die während des Krieges erschienen sind,dem Gerichte vorzulegen oder gar deren Verlesung zu beantragen.Aber schon aus den wenigen Proben, die vorgelegt werden müssen,um die Einstellung des Privatklägers zum Deutschen Reich und zumösterreichischen Militarismus darzutun, wird klar hervorgehen,dass hier tatsächlich ein beispielloser Kampf gegen den Kriegund die Kriegsbarbarei vorliegt und eine beispiellose Fälschungdurch deren Verschweigung oder gar Vermehrung ins Gegenteil. Eswerden diesem Schriftsatz angeschlossen:

die Nummern 413–417 mit dem Aufsatz „Schweigen, Wort und TatBeil. 11.) auf den Seiten 25 und 28;

die Nummern 418–422 mit der Glosse „Ein Irrsinniger auf dem Beil. 12.) Einspännergaul“ auf den Seiten 15 und 16;

die Nummern 423–425 mit dem Gedicht „Gebet an die Sonne von Beil. 13.) Gibeon“ auf den Seiten 58 bis 64;

die Nummern 474–483 mit der Glosse „Ein Kantianer und KantBeil. 14.) auf den Seiten 155 und 156 und

Beil. 15.) die Nummern 499–500 mit dem Gedicht „Lied des Alldeutschenauf den Seiten 6 bis 12.

Hervorgehoben muss werden, dass die Glosse „Ein Kantianer undKant, und das Gedicht „Lied des Alldeutscheneine direkte Wilhelmsatire während des Krie-ges (1917) wiederholt in Wien und , ja zum Teil in deutschen Städten zum Vor-

trag gebracht wurden. (In Frankfurt wurde vom alldeutschen Blatt die sofortige ein Artikel geradezu auf die Ausweisung des Frevlers am deutsch-militaristi-schen Ideal verlangt hin geschrieben) . Dass dies im Kriege möglich war, ist ge-wiss erstaunlicher, als dass der Privatkläger einen Pass er-hielt, „mit dessen Hilfe er eine beträchtliche Zeit in derSchweiz verbrachte und noch im Kriege wieder ohne irgend welcheHindernisse in die österreichisch-ungarische Monarchie zurück-kehrte“. Offenbar stellen sich die Angeklagten die Tätigkeitdes Privatklägers während des Krieges so vor, dass er Spionagebetreiben hätte sollen oder dergleichen, was ihm allerdings dieErlangung eines Passes und die Rückreise unmöglich gemacht hät-te. Aber selbst die österreichisch-ungarische Monarchie hatteim Kriege noch so viel Verständnis für die Tätigkeit des Privat-klägers, dass sie ihn zwar als Gegner, aber nicht als einenVerbrecher anzusehen hatte, und offenbar noch so viel Kultur,dass auch der schärfste Vorhalt der eigenen Handlungen möglichwar, was eben bei einer sozialdemokratischen Regierung nichtmöglich gewesen wäre, wenn deren geistige Handlanger sich zueiner so bodenlosen Umlügung vorhandener Sachverhalte hergeben.

Aber nicht nur in Wort und Schrift undöffentlich ist der Privatkläger gegen den Krieg aufgetreten. Erkann wohl auf den einzig dastehenden Fall hinweisen, die in denersten Kriegswochen durch seinen Verlag gezeichnete Kriegsanleihe widerrufen zu haben, weil in ihm die Erkenntnis wach wurde, dassdie Unterstützung der Kriegführung am Kriege mitschuldig mache.Es wird das Schreiben der Wechselstube der Unionbank vomBeil. 16.) 18. November 1914 mit der Subskriptionsanmeldung auf 10.000.–– Kro-

Beil. 17.) nen Kriegsanleihe und das Schreiben vom 30. November 1914 mit derMitteilung auf Streichung dieser Vormerkung vorgelegt. Es istwohl eine besondere Unverfrorenheit der Angeklagten, zu behaupten,der Privatkläger sei kurz vor dem Krieg ebenso wie im Krieg einostentativer Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientiertenösterreichischen Militarismus mit all seinem Zubehör gewesen. Nochfrecher aber ist der Satz, es habe nach Beendigung des Krieges beiihm „gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politi-schen Gesinnung“ stattgefunden, und die Behauptung einer Aenderunggegenüber der Sozialdemokratie. Die Haltung der sozialdemokrati-schen Partei wurde schon während des Krieges lobend anerkannt, dasie sich (die österreichische) nach Missgriffen bei Kriegsbeginnals einzige gegen die Greuelurteile der Auditoriate aufgelehnthatte. Den Ausdruck der gleichen Anerkennung bildet der von denAngeklagten wieder nur verstümmelt zitierte Aufruf aus der Nummer508–513 vom Februar 1919. Aus diesem Aufruf geht klar hervor, dasses sich nicht um Weltanschauungsfragen des Privatklägers handelt,dass er sich nicht Doktrin und Praxis der Sozialdemokratie zu eigengemacht hat, sondern dass das Eintreten für die (österreichische)Partei nur die Anerkennung ihres – nach anfänglichen Irrungen –pazifistischen Wirkens während des Weltkrieges war. Es heisst inBeil. 18.) diesem Aufruf (Nr. 508–513, Seite 31):

Nicht was einer sonst fürs Dasein will, nur dass er nichtmehr eine Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmal bekun-den. Denn seine Stimme sei nicht mehr und nicht wenigerals das Bekenntnis, dass er einer provisorischen Sicherheitseiner Geldtasche zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie,für Vergangenheit und Zukunft, abweist. Jener wird christlich-sozial, dieser sozialdemokratisch wählen. Jener wird seinScherflein zu dem Eindruck beitragen, dass ein ‚unschuldigesVolk‘ die Tat seiner abgehausten Regenten nachträglich gut-heisse und ihrem fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutretengesinnt und gesonnen sei. Der andere wird sich, mögen ihnalle Interessen oder Ideale einer Friedenswelt von der

Sozialdemokratie scheiden , und auch der Antipolitiker, fürden der Gedanke erst jenseits der Gemeinschaft anfängt, zueiner Partei bekennen, welche nicht grössere Kriegsschuldbelastet als eine Menschheit, deren Seelenkraft keinen hin-reichenden Schutz, keinen mehr, keinen noch, gegenMitrailleusen gewährt hat; welcher aber das Verdienst zuzu-sprechen ist, die grosse Zeit der Entehrung sehend durch-lebt und dem vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigertzu haben.

Beil. 5.) Auch das Zitat aus der Nr. 514–518, Seite 86 vom Juli 1919, muss vollständig gebracht werden, damit der vonden Angeklagten vorgetäuschte Anschein, als ob der Privatkläger lediglich Militär und Politik – und nicht vor allem die Presseals Lehr erin meisterin der Phrase – für den Krieg verantwortlich gemachthätte, richtiggestellt werde:

Der Mangel an Vorstellungskraft hat den Krieg ermög-licht; ein Rest von ihr ist nötig, um seine Ursache zuerkennen. In diesem Circulus vitiosus geborgen, brandschatztder Journalismus weiter alle Besitztümer der wehrlosenMenschheit. Nichts anderes ist ihr zu wünschen, nichts mitinbrünstigerer Sehnsucht, nichts unter freudigerem Verzichtauf die mutigste Anonymität, als dass die Republik, dieBlutsverwandtschaft erkennend, mit den hinterbliebenenParasiten der Kaiserzeit wie mit den Mitessern der Revolutionein Ende mache; dass endlich Männerstolz vor Herausgeber-thronen einem Gewerbe, welches unter dem ruchlosen Vorwandder Pressfreiheit das Volk in den Tod lügt, einer Industrie,der nichts übrig blieb als den Geist Müssiggang zu nennen,die Maschinen zerbreche.

Es ist nun durchaus richtig, dass derPrivatkläger ähnliche Ansichten immer ausgesprochen hat, abergerade die von den Angeklagten zitierten Stellen aus denBeil. 19. und 20.) Fackel-Nummern 766–770 vom Oktober 1927 und 771–776 vom Dezem-ber 1927 können ganz und gar nicht für die Sozialdemokratie ge-wertet werden. Diese beiden Hefte sind ein Angriff gegen denPolizeipräsidenten Schober – vor dem die sozialdemokratischePartei später den Kotau machte – und behandeln dessen Verspre-chen, gegen den Herausgeber der „Stunde“, den – von der Sozial-demokratie gestützten – Erpresser Bekessy, zu wirken, ein Ver-

sprechen, das gebrochen wurde, während derselbe Polizeipräsident für Arbeiter, die gegen ein Justizunrecht demonstrierten, nochnach Unterdrückung des Aufstandes alle Mittel der Gewalt bereithatte. Diese Hefte behandeln die Unerträglichkeit einer Inkon-gruenz, dass ein Polizeipräsident vor dem Revolver eines Er-presserjournalisten zurückwich, aber gegen aufständische Arbeitermit Maschinengewehren vorging. Sie beweisen zwar, dass der Privat-kläger das Unrecht bekämpfte auch dann, wenn es von der staatlichenMacht ausging, aber sie können niemals beweisen, dass sie für eineSozialdemokratie geschrieben waren, die damals schon längst indie Reihe der hinterbliebenen Parasiten einbezogen worden war,als ihre Führer ihr Amt parasitär ausübten. Dies begann schonviel früher, zu einer Zeit, als die Partei noch lange an derMacht war, die sie nie zu gebrauchen gelernt hatte, wohl abermissbrauchte. Ist es wirklich möglich, einen Gesinnungswechsel(und noch dazu aus Gewinnsucht), einen jener „Widersprüche“, diedoch das tausendmal wiederkehrende Leitmotiv der Fackel bilden,daraus zu konstruieren, dass einer gegen Schober, dem einsozialdemokratischer Funktionär die Wagentür öffnete, und fürDollfuss war, der im übermenschlichen Kampf gegen Hitler gefal-len ist? Ein Autor wie Carel Čapek, der eben die Dinge nicht mitpolitischem Flachsinn betrachtet, hat zu diesem Thema dem Privat-kläger wörtlich gesagt: „Man wird Ihnen wieder einmal einenWiderspruch vorwerfen; aber der Widerspruch ist in denen, dieIhnen diesen Vorwurf machen.“

Es ist unmöglich alle die Stellen aus denvielen Jahrgängen der Fackel herauszusuchen, die sich mit demunheilvollen Wirken der sozialdemokratischen Führer beschäftig-ten. Aufs Geratewohl seien die Folgenden herausgegriffen: aus

Beil. 21.) der Nr. 732–734, Mitte August 1926, Seite 45f.:

Die Frage: wo denn die sozialdemokratische Partei geblieben ist, ob sie denn auch terrorisiert war, wie esdenn möglich war, dass die Freiheit so schmachvollenZwang ertrug, und warum sie sich vor dem, der sie befreienwollte, auf die andern Sorgen zurückzog – solche Frage istso wenig zu fürchten wie nun Herr Bekessy, und sie würdewohl unbeantwortet bleiben.

Beil. 22.) Aus der Nr. 743–750, Dezember 1926, Seite 4:

Weg damit! Die ihr errungenes Gut geschändet habt,bezwungnes Böses nicht beendet habt,der Freiheit Glück in Fluch gewendet habt;Hinaufgelangte, die den Wanst gefüllt,vor fremdem Hunger eigne Gier gestillt,vom Futtertrog zu weichen nicht gewillt;Pfründner des Fortschritts, die das Herz verliess,da Weltwind in die schlaffen Segel blies,vom Bürgergift berauschte Parvenüs,die mit dem Todfeind, mit dem LebensfeindProfit der Freiheit brüderlich vereint,die freier einst und reiner war gemeint –mein Schritt ist nicht dies schleichende Zickzack,mein Stich ist nicht dies zögernde Tricktrack;er gilt politischem Paktiererpack!

Beil. 23.) Aus der Nr. 757–758, April 1927, Seite 19:

Ungleichheit beschlossenhat die Vorsehung wohl.Nicht alle Genossenhab’n a Schloss in Tirol

Beil. 24.) Aus der Nr. 795–799, Anfang Dezember 1928,Seite 21:

Nicht zum zehnten Gedenktag dieser Republik, die darinbegründet ist, dass sie alle Uebel der Monarchie mit Aus-nahme eines Kaisers hat, spreche ich, sondern zum zehn-jährigen Tag meines Aufrufes ‚An alle, die die Wahl haben‘,durch den ich viele von Ihnen der Partei zugeführt habe,mit vielen Gründen und trotz ‚allen Interessen oder Idealeneiner Friedenswelt, die mich von ihr geschieden haben‘.Sie hat in diesen zehn Jahren nur zu sehr davon gelebt,dass keine andere Wahl blieb, und auch Sie müssen, wiewohlSie Sozialisten sind, der sozialdemokratischen Partei an-gehören.

Aber um durch die Fülle des zu Bietendenden Eindruck nicht zu schwächen, möge zum Abschluss nur nochBeil. 25.) der Schlussabsatz aus dem in der Nr. 876–884, Mitte Oktober 1932,ersch

ienenen grossen Aufsatz „Hüben und Drüben“ zitiert werden,besonders weil er schon die Schuldfrage der Sozialdemokratie andem Emporkommen des Nationalsozialismus berührt. Dort heisst esauf Seite 29ff.:

Die Haltung im Krieg gegen den Krieg – seither, undinsbesondere seit jenem Hingang, hundertmal wettgemachtdurch Feigheit vor dem innern Feind, durch eine Haltungim Frieden, deren jeder Atemzug Kriegslüge ist –; dasdamals weithin sichtbare Verdienst war das Zeichen, in demich, in den Tagen trügerischer Hoffnung, hunderte jungerHerzen einer Partei zugeführt habe, der ich nicht angehörte,die ich im Verhängnis politischer Uebel für das kleinerenahm und die heute nichts ist als die zur Not und durchNot erhaltene Organisation einer Alterserscheinung. Solcheshat damals mein Wort vermocht. Sollte es heute nicht mehrvermögen, jene der Sache, zu der sie als der Sache vondamals stehen wollen, abzuwenden; sollte der Glaube an michschwächer sein als der Glaube, den er geweckt hat, so würdees mir nicht über mich zu denken geben. Denn meiner Ohnmacht,auch vor dem wenigen, das ich vermocht habe, bin ich mirbewusst; ihr stolzes Gefühl ist in mein Wirken einbezogen,dem keine Wirkung zugehört. Diejenige, auf die ich stetsam schnellsten verzichtet habe, ist die Verehrung solcher,deren Zwiespalt in ihr sich offenbart. Dagegen darf ichsagen, dass die Aussicht, von der Sozialdemokratie nichtmehr verehrt zu werden, etwas ist, was meinen Lebensabendverschönert, während der ihre vergällt wird durch den Zwang,noch hin und wieder von meinem Dasein Notiz zu nehmen, unddurch den Krampf des Bestrebens, sich von der Bürgerwelt,die mich totschweigt, in meinen Augen vorteilhaft zu unter-scheiden. Da ich den Unterschied gleichwohl nicht bemerkeund zufrieden bin, in der sozialdemokratischen Presse unge-nannt fortzuleben, so wäre vollends alles in Ordnung, wennich ihr auch noch diese Sorge abnehmen könnte. Nichtsfreilich, was immer die Sozialdemokratie mit mir vor hat,könnte sie, solange mir die Greuel des gesellschaftlichenDaseins noch Anreiz gewähren, davor schützen, von mir beach-tet zu werden! Nichts mich verhindern, gegen sie wie gegeneine lästige Regierung, die kein Misslingen vom Ruder bringt,zu Hass und Verachtung aufzureizen – ob sie nun als Partei,als Gesamtheit, mit Sack und Pack, den Schutz der bürgerli-chen Justiz gegen Kränkung anrufen könnte oder stummleiden müsste, wie sie stumm gelitten hat vor jenem, derdie Macht hatte, von ihren Uebeln zu schweigen. Was aberdie betrifft, über die sie selbst Macht hat, diejenigen,denen ich zum Anschluss an sie verholfen habe, so gehöreich keineswegs zu der Sorte, die, stolz auf eine Dummheit,sie zum zweiten Male machen würde, und halte für eine solcheauch die Bejahung des Hoffens, gegen die Uebel einer Partei,die aus nichts anderm mehr besteht als Uebeln, innerhalbihrer wirken zu können. Trage ich Schuld noch an solcherBetörung Gläubiger, so bin ich ihrer ledig, wenn ich ihnengesagt habe, dass der Glaube nur durch die Abkehr von einerKirche zu retten ist, die die Priester entweiht haben. Wie

sich die Treue zu diesen fortan mit der zu mir verbindenkönnte, wäre ein Problem, das mir so lange Unbehagen schafft,als nicht da oder dort die Lösung erfolgt. Nie würde es mirin den Sinn kommen, den reinlichen Austritt aus meiner schwa-chen Organisation, die nichts zu bieten hat als etwas geisti-ge Nahrung und keine soziale oder gar nationale Hoffnung, mitdem Wunsch zu belohnen, die, die ihn vollziehen, möge derTeufel holen – einer von denen, deren die Welt nun voll istund an deren Erschaffung der Sozialdemokratie das Hauptver-dienst gebührt. Drüben und hüben!

Nach diesen durch acht Jahre hindurch fort-gesetzten Angriffen gegen die Führer einer Partei, die ihre Machtmissbraucht hatten, konnte es gewiss niemanden wundernehmen,dass der Privatkläger gegen sie nach dem Februaraufstand 1934noch schärfer Stellung nahm, als sie, anstatt sich einen ehren-vollen Abgang zu sichern, sich an die Macht klammerten; als siedas Leben der Arbeiter aufs Spiel setzten in einer Zeit, wo sienicht nur wussten, dass ihr Aufstand nie gelingen könnte, sondernsich sogar voll bewusst sein mussten, dass er, er gelinge odermisslinge, die Macht des Nationalsozialismus stärken müsste, dender Privatkläger als den grössten Feind nicht nur Oesterreichs und der Tschechoslowakei, sondern der gesamten Kulturmenschheitbetrachtet. Welche Beschimpfungen und Beleidigungen sind starkgenug, gegen eine Führerschaft, die, um sich an der Macht zu er-halten, das Regime Dollfuss, welches sich in mutigster Weisegegen den Nationalsozialismus gestellt hatte, zu einem Bürger-krieg zwang, der die unheilvollsten Folgen für ganz Europa hät-te haben können. Aber die Beschimpfungen und Beleidigungen derSozialdemokratie, zu denen sich der Privatkläger vollauf bekennt,galten lediglich deren Führern. Es ist eine bewusste Lüge derAngeklagten, dass der Privatkläger etwas gegen die Opfer desFebruaraufstandes geschrieben hat. Er hat ihnen tiefstes Mitge-fühl und alle gebührende Ehrfurcht erwiesen. Die Angeklagten mögenverhalten werden, nur diesen einzigen Punkt ihrer Behauptungen zubeweisen, und der Privatkläger wird erklären, dass sie ihn mit

Recht beleidigt haben.

In Fortsetzung des Vorwurfes, der Privatkläger schreibe „ge-gen die Opfer des Februaraufstandes“, behaupten die Angeklagten, ergehe in der Mai-Nummer aus dem Jahre 1935 „schliesslich so weit, dasser in ihr den Propagandaminister Oberst Walter Adam feiert“. Jederunbefangene Leser des Schriftsatzes der Angeklagten und gewiss auchdas Gericht wird der Meinung sein, der „Propagandaminister OberstWalter Adam“ werde wegen seiner Bekämpfung der Opfer des Februarauf-standes gefeiert, und es wird mit einiger Ueberraschung aufgenommenBeil. 26.) werden (Nr. 909–911, Seite 60), dass das gespendete Lob seiner stili-stischen Ausdruckskraft galt und seinem Angriff auf eben jene intel-lektuellen Führer des Februaraufstandes, die aus einer ihnen aus-drücklich gegönnten leiblichen Sicherheit heraus die österreichischenArbeiter gegen die Regierung weiter aufhetzen, die den vielleichttragischerweise erfolglosen Versuch unternommen hat, sich gegen dieHitlergewalt zu stellen, in welchem Versuche sie von den Führern derSozialdemokratie nicht nur nicht unterstützt sondern furchtbar ge-hindert wurde. Wegen der Verdächtigung, dass jenes stilkritische Lobspekulativen Zwecken diene, wurde bereits ein Gesinnungsgenosse derArbeiterzeitung, „Der Gegenangriff“ zur Verantwortung gezogen, undmusste (wie in einschlägigen Fällen etliche andere Blätter dieser Art)eine vom Gericht textierte Abbitte leisten, die vorgelegt werden wird.

Für die unheilvolle Behinderung des Kampfesgeben Hitler wurden die Führer der Sozialdemokratie – selbstver-ständlich nicht die Arbeiterschaft, die vom unzeitgemäßen StreikBeil. 27.) nichts wissen wollte – in der Fackel Nr. 890–905 vom Ende Juli 1934tatsächlich auf das Schärfste angegriffen. Ob sie sich dadurch be-schimpft fühlten und sogar „auf das Niedrigste beschimpft“, darüberist der Privatkläger den Angeklagten nicht Rechenschaft schuldig.Zur Debatte steht höchstens die Behauptung von den Beschimpfungen

der „Demokratie“. Die Sozialdemokratie verkörpert diese nichtund wenn schon eine Demokratie eine mögliche Regierungsformwäre, woran der Privatkläger seit jeher gezweifelt hat, sowar die Sozialdemokratie der schlechteste Ausdruck dieser Form,weil er einen Widerspruch in sich selbst enthält, da die Utopieeines sozialen Staates am allerwenigsten durch die demokratischeRegierungsform erreicht werden kann, deren Träger wieder nurPolitiker sind, was eine Vervielfältigung der Macht und desMachtbedürfnisses zum Schaden der Allgemeinheit bedeutet. Aberauch darauf will sich der Privatkläger nicht einlassen, seineMeinung zu begründen oder die gegnerische Meinung zu bekämpfen.Der Angriff galt nicht einer Meinung sondern einer Tat, derTat des Februar 1934, der Behinderung der österreichischenRegierung in der Abwehr gegen Hitler, deren Versagen von denunheilvollsten Konsequenzen für ganz Europa, nicht nur fürOesterreich und die Tschechoslowakei, gewesen wäre und wäre.Den Beschimpften, – seien sie persönlich bezeichnet oder ineinen Begriff einbezogen worden –, stand übrigens das Recht zu,von dem Privatkläger Genugtuung zu verlangen. Keiner von ihnenhat dies getan. Dagegen hoffen sie, es werde gelingen, um sichvor ihrer Leser- oder Anhängerschaft den Schein einer Rehabili-tation zu geben, den Privatkläger der Profitmacherei und derGesinnungslumperei zu beschuldigen. Die Angeklagten versuchenaber nicht einmal einen derartigen Beweis anzutreten, sondernsie beschränken sich darauf, eine Ueberzeugungsänderung zu be-haupten, der, läge sie nicht blos für den Flachsinn vor, erstdas unsaubere Motive nachgewiesen werden müsste.

Die Angeklagten stellen ein Axiom auf,

wann nach ihren Begriffen eine politische Ueberzeugung geändertwerden darf. Sie meinen, diese Aenderung sei „vom sittlichenStandpunkt nur jenenfalls einwandfrei, wenn sie das Ergebniseiner geistigen Umorientierung ist, die auf einem Wechsel desStandpunktes beruht, von welchem aus wir die sozialen Erscheinun-gen betrachten, die das Leben der Gesellschaft begleiten“. Es istnicht klar, ob die Angeklagten Anspruch darauf erheben, dass diesemoralphilosophische Ausführung vollständig sei. Leider ist sienicht ganz verständlich. Aber was immer die Angeklagten sich dabeigedacht haben mögen: die scheinbare Aenderung der politischenUeberzeugung war bei dem Privatkläger niemals das Ergebnis einergeistigen Umorientierung, die auf einem Wechsel des Standpunktesberuhte, sondert stets das Ergebnis des Festhaltens an einemStandpunkte gegenüber den sozialen Erscheinungen – in der letztenZeit waren es eben die sozialdemokratischen Erscheinungen, diedas Leben der Gesellschaft begleiteten –, die ihm nicht genügenkonnten. Es gibt für den Privatkläger keine politische Ueberzeu-gung, die er zu ändern hätte, sondern nur eine Ueberzeugung ausdem Geiste und aus der Humanität heraus, der die sozialdemokra-tischen Erscheinungen nicht entsprachen, lange bevor sie ihreMacht verloren haben. So wie die Mächte des Krieges an ihrerUnsittlichkeit zugrunde gegangen sind, ebenso ging die Sozialdemo-kratie an ihrem inneren Widerspruch zugrunde. Der Privatkläger hat weder der einen noch der anderen Macht je Anhängerschaft ge-leistet und sie nur darnach beurteilt, wie sie sich gegen Geistund Humanität verhielt. Um ihre politische Macht hat er sich niegekümmert, von ihr nie einen Vorteil gezogen. Diesen Beweis aberhätten die Angeklagten zu erbringen.

Anstatt dieses Beweises möchten sie eineReihe von Zeugen aufmarschieren lassen, die vom Privatkläger in seiner Zeitschrift gekränkt worden sind oder überhaupt eineAntipathie gegen ihn haben, an Stelle von Beweisen. Die Quali-tät dieser Zeugen ergibt sich aus den Aus-sagen der beiden zugelassenen, des Herrn Paul Kornfeld und des Herrn Johannes Urzidil,die nun besprochen werden müssen. Ist es schon an und für sichhaarsträubend, Zeugen über das Lebenswerk eines Schriftstellers, dasvor aller Welt offen vorliegt, zu beantragen, die nichteinmal als Leumundszeugen genügen konnten, so dürften solchenicht gerade aus der Reihe der Widersacher geholt werden. DerPrivatkläger könnte den von den Angeklagten geführten sechsZeugen eine hundertfache Menge von Lesern entgegenstellen, diestatt Hasses Sympathie ja Verehrung bekunden würden; dass erdies nicht tut, hat lediglich seine Ursache darin, dass er miteiner prozessualen Gelegenheit nicht Missbrauch treiben will,wie es die Angeklagten tun, und nicht gewillt ist, ihnen aufdem Wege der Ablenkung zu folgen. Der Zeuge Paul Kornfeld sagt aus, er habe vor zweiundzwanzig Jahren mit dem Privat-klägerverkehrt“, seit dieser Zeit habe er ihn nicht gesehen.Ueber die Art des Verkehres und von wessen Seite der Abbruchdesselben erfolgte, schweigt er sich aus. Man könnte auf Grundder Aussage zu der Meinung kommen, die Aenderung des Urteilesüber die Gedichte Franz Werfels seien die Ursache gewesen. Abernicht einmal das ist wahr. Noch im Jahre 1916, als das Urteilüber Franz Werfel schon längst „geändert“ worden war (was mitder „privaten Differenz mit einer Dame, die der Privatkläger kannte“, nichts zu tun hatte, auf welche sich der Zeuge

fälschlich beruft), hat Herr Paul Kornfeld an den Privatkläger Beil. 28.) ein Schreiben mit dem Ausdruck der ergebensten Verehrung ge-Beil. 29.) richtet, ebenso wie er dies in einem Telegramm getan hatte,dessen Zeitpunkt sich freilich nicht feststellen lässt. Dieangebliche Anerkennung des Privatklägers, dass Franz Werfel Beil. 30.)ein grosses Talent“ sei, erfolgte in der Fackel Nr. 339/340 vom 30. Dezember 1911 auf Seite 47 damit, dass unter dreiBüchern, die den Lesern der Fackel empfohlen wurden, der Ge-dichtband „Der Weltfreund“ erwähnt war, aus dem einige Gedichteabgedruckt wurden. Die Ablehnung dieses dichterischen SchaffensBeil. 31.) erfolgte in der Nr. 443/444 vom 16. November 1916 auf Seite 26 Beil. 32.) in einem Gedicht „Elysisches“; in der Nr. 445–453 vom 18. Januar1917 auf den Seiten 133 bis 147 in einer sprachkritischen Be-Beil. 33.)trachtung; in der Nr. 462–471 vom 9. Oktober 1917 auf Seite 68 Beil. 34.) und in der Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918 auf Seite 93. Stetswaren konkrete, schriftstellerische Anlässe vorhanden, sichmit Werfel zu befassen, und diese Anlässe wurden auch stetsdargelegt. Die angebliche „Differenz“, die Werfel mit einerDame hatte, die der Privatkläger tatsächlich kannte, war einKlatsch, den Werfel dem Privatkläger hinterbrachte, der sofortzum Abbruch der persönlichen Bekanntschaft mit ihm führte, undfällt in das Jahr 1913 oder 1914, jedenfalls vor den Krieg.Es war eine Kleinlichkeit“, nämlich von seiten des Herrn Werfel,wenn man die Gefährdung des Rufes einer Dame als eine solchebezeichnen will. Sie hatte natürlich keinerlei literarischensondern lediglich gesellschaftliche Folgen. Die viel spätereKritik hat sich Werfel durch sein äusseres und labiles Könnertum(das freilich mit dem Charakter zusammenhängt) und durch seine

Beeinflussbarkeit von den verschiedensten dichterischen Seitenher zugezogen. Der Zeuge Kornfeld ist aber nicht einmal im-stande, zu behaupten, dass diese private Differenz die Ursacheeiner kritischen Aenderung gewesen sei, sondern er will einesolche nur plausibel machen, und tut dies mit den Worten „vondieser Zeit an“, mögen auch Jahre verstrichen sein, die zwi-schen den beiden Fakten liegen. Eine gleiche Verdächtigung ohnejeden Tatsachengehalt spricht der Zeuge über die politischeGesinnung des Privatklägers aus. Er selbst gibt zu, den Privat-kläger seit zweiundzwanzig Jahren nicht gesehen zu haben. Gleich-wohl hat er die Kühnheit zu bezeugen, der Privatkläger habe imJahre 1925 in Berlin vorwiegend mit Kommunisten verkehrt, seiin einem kommunistischen Kreis gewesen, alle hätten damals ge-glaubt, er sei Kommunist, der Privatkläger habe nicht protestiertund damals habe ihn die kommunistische Presse sehr gelobt. Woherder Zeuge diese von A bis Z vollständig unwahren Tatsachen hat,verschweigt er. Er wird anzugeben haben, mit welchen Kommunistender Privatkkläger im Jahre 1925 verkehrt hat; wie der kommunisti-sche Kreis seinen Glauben ausgedrückt hat, der Privatkläger seiKommunist, so dass er eine Veranlassung hatte, dagegen zu pro-testieren. Die Wahrheit ist, dass diese Zeugenaussage vom Anfangbis zum Ende falsch ist, dass der Privatkläger in keinemkommunistischen Kreis verkehrt hat, was Herr Heinrich Fi-scher, damals Dramaturg in Berlin, jetzt wohnhaft in PragXII. Slezska 115 bezeugen kann, der den Privatkläger bei seinemim Jahre 1925 vom 21. März bis 2. April währenden Aufenthalt inBerlin, in welcher Zeit sieben Vorlesungen abgehalten wurden,ständig Gesellschaft leistete.

Mehr drollig ist die Aussage des ZeugenJohannes Urzidil. Dieser bekennt sich wenigstens offen zuseiner Gegnerschaft, denn er sagt im wesentlichen über nichtsanderes aus, als über einen Angriff, der gegen ihn im Jahre 1931Beil. 35.) in der Nummer 864–867 veröffentlicht worden war. Die Berechti-gung zur Beurteilung des moralischen Wertes und der Sachlichkeitdes Angriffes muss dem angegriffenen Zeugen abgesprochen werden,umsomehr, als er den ironischen Vergleich des Klanges seinesNamens mit der Vorstellung zerschlagener Glasfenster in der Ab-sicht hervorhebt, bei einem tschechischen Gericht die Vorstel-lung zu erwecken, es liege hier eine Verunglimpfung des Tsche-chentumes vor, wo es sich gerade im Gegenteil in dem auf denSeiten 40 bis 49 der zitierten Nummer abgedruckten AufsatzDer zerbrochene Krug“ darum gehandelt hat, das hetzerische Trei-ben des Herrn Urzidil anzuprangern, der als Pressechef derdeutschen Gesandtschaft in Prag die Vorstellung zu verbreitenwünschte, es seien der deutschen Gesandtschaft Fensterscheibenvon tschechischer Seite eingeschlagen worden. Die Art, wie dieseNachricht verbreitet wurde, war offensichtlich darauf angelegt,den Vorfall national zu unterstreichen, obwohl durch nichts er-wiesen war, dass es sich um eine derartige Kundgebung gehandelthätte. Die Ironisierung eines Namens, „der einen Klang hat, als obin ihm die Vorstellung von eingeschlagenen Fensterscheiben gerade-zu erfüllt wäre“, bei einem Namensträger, der eingeschlageneFensterscheiben zum Gegenstand deutschnationaler Verhetzung ge-gen die Tschechen gebraucht, ist daher sowohl satirisch als auchsachlich gerechtfertigt, ja zwingend notwendig. Der Zeuge be-hauptet weiter, der Privatkläger habe in diesem Artikel geschrie-ben, Zeugesei sowohl tschechischer wie auch deutscher Abstam-

mung, womit der Privatkläger seine verstorbene Mutter habetadeln wollen und zwar aus dem Grunde, weil diese eine deutscheJüdin gewesen sei, womit er sich mit dem rassischen Antisemitis-mus identifiziere und zu erkennen gebe, dass er einen tsche-chischen Namen und jüdischen Ursprung als Beweis des Deutschtums ansehe, obwohl es in seinem Fall um einen damals schon 15 Jahrebekannten deutschen Schriftsteller ging“. Diesen Gallimathiasverstehe, wer kann. Die Interpretation des Satzes der Fackel wäreselbst dann falsch, wenn die Zitierung richtig wäre. Der Satzlautet in Wirklichkeit folgendermassen:

Herr Urzidil ist, soweit wir uns selbst überzeugenkonnten, ein Prager Literat, dessen teils tschechische, teilsnichtdeutsche Abkunft, von der wir nur aus zweiter Hand wis-sen, die Opfer, die er für die Sache des Deutschtums bringt– wenn schon nicht durch sein Schaffen, so durch seineGesinnung – beträchtlich erscheinen lässt.

Es ist klar, dass der Sinn dieses Satzes keinen Tadel gegen dieverstorbene Mutter des Herrn Urzidil enthält, von der überhauptnicht die Rede ist, sondern lediglich eine Anprangerung seinerselbst, der teils tschechischer, teils nichtdeutscher Abkunft,gleichwohl deutschnationale antitschechische Hetzpolitik trieb.Heute möchte er, der zwei Jahre unter Hitler als Angestellterder deutschen Gesandtschaft nationale Dienste geleistet hat, die-se Tatsache verwischen, sich auf einen angegriffenen Tschechenaufspielen und auf die Verspottung seines Namens vor einemtschechischen Gericht in klarer Absicht hinweisen.

Damit könnten diese Ausführungen abgeschlos-sen werden, – denn die Angeklagten haben den Beweis der Profit-macherei und der Gesinnungsänderung des Privatklägers, um sichvor dem Konzentrationslager zu schützen, nicht einmal angetretenund viel weniger erbracht – , wenn sie nicht, offenbar um

Stimmung für sich bei einem tschechoslowakischen Gericht zumachen, Themen in ihren Ausführungen berührten, die mit demgegenständlichen Prozesse überhaupt nichts zu tun haben. Eswurde bereits früher ausführlich dargelegt, dass die Angeklagtensich zu ihrer Entschuldigung oder zu dem Nachweise ihres gutenGlaubens nicht auf Tatsachen berufen können, bei denen ein öffent-liches Interesse an ihrer Mitteilung lange nach der Veröffent-lichung der Beleidigungen vorhanden wäre. Damit aber nicht ausdieser rein theoretischen Auseinandersetzung der Schluss abge-leitet werde, es seien die Behauptungen wahr, dass der Privat-kläger durch ganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmännerbeschimpfe, sich über die tschechoslowakische Nation und ihrenKampf um die Befreiung in dem Sinne äussere, es hätte „diePartei den Hausherrn hinausgeworfen“, und dass er die demokrati-sche Verfassung dieses Staates lächerlich mache, müssen auch die-se absurden Behauptungen besprochen werden. So fraglich dasRecht der Angeklagten ist, sich zu Verteidigern des damaligenAussenministers und nunmehrigen Präsidenten aufzuwerfen odersich eines Angriffes auf ihn als Mittel zur eigenen Verteidigungzu bedienen, so muss doch dargetan werden, dass ein Angriff aufden heutigen Präsidenten in Wirklichkeit gar nicht vorliegt. DerBeil. 26.) Angriff auf Seite 58 der Fackel Nr. 909–911 richtet sich gegen die eine dolose Entstellung durch den von tschechoslowakischen Geldern lebenden und zugleich öster-reichischen Patriotismus zur Schau tragenden „Wiener Tag eszeitung ‚Der Tag‘, deren dessen zwiespältige Haltung nebenbei erörtert wird. Von diesemBlatt heisst es:

Antipathisch ist es durch die Verbindung einer Bereit-schaft, sich ans Vaterland anzuschliessen, mit der Aufgabe,Organ des Herrn Benesch zu sein; nicht minder wegen desTalents, ebendieses durch alle Vorschriftsmässigkeit durch-schimmern zu lassen und den Rechtskurs mit zwei linken

Füssen mitzumachen. Für eine Annonce sich des ‚Tag‘ zu be-dienen,

– es handelte sich nämlich um bezahlte Ankündigungen von Vor-trägen des Privatklägers

kostet zwar nicht viel, doch immerhin Ueberwindung: indemman sich dem Verdacht aussetzt, gesinnungsmässig mit einerLeserschaft verbunden zu sein, der die Gewohnheit, frei zudenken und zu mauern, nach wie vor als der wirksamsteSchutz gegen das Verhängnis Hitler erscheint. Was auf dieseWeise entsteht, ist die Mauer, gegen die einerseits mit demKopf gerannt und die anderseits den verbrecherischen Störerndes grössten Verteidigungskrieges aller Zeiten gemacht wird.

Alle diese Angriffe müssen aus der Gegner-schaft des Privatklägers gegen das Hitlerregime verstanden wer-den, dessen Förderung in jeder absichtlichen oder unbewusstenVerkennung seiner Gefahr liegt. Diese Gefahr, der nicht nurOesterreich sondern ganz Europa und besonders die Tschechoslo-wakei ausgesetzt ist, wird heute auch schon an Stellen erkannt,die früher blind an ihr vorübergegangen sind. Der Privatkläger glaubt diese Tatsache als gerichtsbekannt voraussetzen zu kön-nen, da sie in allen Blättern der Tschechoslowakei seit mehre-ren Monaten öffentlich besprochen wurde. Ja sogar der Ange-klagte Sonka ist sich, wie durch die Zeugenschaft des HerrnHeinrich Fischer bewiesen werden kann, jüngst in einer PragerAutorenversammlung der Paralellität der politischen ZieleOesterreichs und der Tschechoslowakei bewusst geworden. Zu derErkenntnis, in wie unverantwortlicher Weise die Sozialdemo-kratie den hier gemeinten Kampf gegen Hitler gehindert hat, istdie Partei allerdings noch nicht vorgedrungen.

Anstatt sich mit der verlogenen Behauptung derAngeklagten, der Privatkläger mache die demokratische Verfassung des tschechoslowakischen Staates lächerlich, auseinanderzusetzen,

Beil. 26.) soll die Stelle auf Seite 59 der Fackel 909–911 hier lediglichzitiert werden, um darzutun, mit welchen Mitteln dieser Prozessgeführt wird, wie aus einem Angriff gegen eine Partei eine Ver-höhnung der tschechoslowakischen Verfassung gemacht wird. DieseStelle lautet:

Hat doch sogar die vorbildliche Dummheit der englischenArbeiterpartei – heute nur noch von jener Demokratie über-troffen, von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Daseinfristet – erkannt, dass, ‚verglichen mit dem national-sozialistischen Regime‘, das österreichische ‚unendlich vor-zuziehen‘ sei; und das könnte doch selbst der dem kulturellenGehalt des neuen Lebens Abgeneigteste unmöglich bestreiten.

Am tollsten und unverschämtesten ist aberwohl die Behauptung der Angeklagten, „der Privatkläger äusseresich über die tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um dieBefreiung in dem Sinn, es hätte ‚die Partei den Hausherrn hinaus-geworfen‘. Als Hausherrn bezeichne er die Habsburger und Parteisei zufolge der ‚beseelten‘(?) Ansicht des Privatklägers offenkun-dig die tschechoslowakische Nation, die seiner Ansicht nach offen-bar keinen Anspruch auf Selbständigkeit gehabt habe.“ Man musssich wirklich an den Kopf greifen, dass so etwas von Menschenvorgebracht wird, die sich zu einer Reihe von Intellektuellenzählen, „welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung vor derFreiheit lieber die Emigration als die gehorsame Anpassung andas gegenwärtige österreichische Regime wählten“, die sich be-rufen fühlen, das Urteil abzugeben, der Privatklägerdiskredi-tiere uns andere Dichter und Literaten überhaupt, deren Sendungin der menschlichen Gesellschaft es gerade ist, die breitereOeffentlichkeit moralisch aufzurütteln und ein Muster moralischerVerantwortlichkeit zu sein“. Diese moralische Verantwortlichkeitsieht folgendermassen aus, und wenn die Angeklagten die Nummerder Fackel nicht zitiert hätten, in der das Absurdum stehen soll,

wäre es unmöglich gewesen, überhaupt darauf zu kommen, wassie meinen. Denn der Privatkläger ist sich bewusst, geradedas Gegenteil stets vertreten zu haben, was auch von Schrift-stellern der tschechoslowakischen Nation, ja sogar von derenPräsidenten Masaryk immer vollauf gewürdigt wurde. ln derBeil. 36.) Nr. 912–915 vom Ende August 1935 ist auf den Seiten 34 bis 62ein Aufsatz „Die Handschrift des Magiers“ enthalten, der sichmit Herrn Max Reinhardt beschäftigt. Diesem war es, noch alsdie Sozialdemokratie Einfluss hatte, gelungen, eine Wohnung inSchönbrunn und in der Hofburg zugewiesen zu erhalten. Nacheiner längeren Ausführung über die von aller Welt so gepriese-ne „Magie“ Reinhardt’s und nach einer Darlegung, was von ihrzu halten sei, heisst es zu Beginn des letzten Absatzes aufSeite 61:

Wien hat den Träumer zu einer Zeit, da die Republik noch zum Linken sah, anders geehrt; es bedurfte damals, alsder Begriff der Freiheit mit den Namen Castiglioni undBosel, Rintelen und Winkler verknüpft wurde und die Habs-burger, nehmt alles nur in allem, von einer Partei ausge-hungert waren, die den Bekessy eingebürgert hat, keinerweiteren Besinnung, um jenem in Schönbrunn und der Hofburg einen seiner Prunkliebe und seines imperialen Bedürfnishalbwegs angemessenen Wohnsitz einzuräumen, wie er ihn sichin der Wiege noch nicht geträumt hatte. Und obwohl er sich’sganz gewiss nicht träumen liess, dass ihm dereinst ein greiserKirchenfürst mit Gefolge entgegenkommen und dies Bild inTheaterblättern verewigt würde, so war doch er es, an demsich hauptsächlich jener Kaiserdrang genährt hat, der inunserer so lebhaften Montagspresse, dem wahren Spiegel dieserUnwirklichkeit, vorläufig die Könige aller Branchen restau-riert. Wenn das jetzige Oesterreich, das dafür geschmähtwird, dass es, jenseits aller Politik und Gespensterfurcht,eine Wohnungsfrage zu Gunsten der Besitzer entscheidet – wennes der Lichtspur des Herrn auf Leopoldskron noch folgen will,so möge es Auskunft geben, ob der Träumer, der gern Rechnun-gen von Elektrizitätswerken unbeglichen lässt, im September1933 das Konto des Hofburgbewohners mit mäzenatischer Hilfegelöscht fand, als er geweckt wurde, oder ob der Rückstand,der vorhanden war, ‚als dubios abgeschrieben‘ ward. Auf die-se Auskunft hat Jedermann Anspruch, dem beim geringsten, un-verschuldeten Verzug das Licht abgedreht wird (auch wenn eres dazu brauchte, Shakespeare zu ehren – womit er es beiweitemnicht bezahlen könnte).

Welche Niedertracht! Der der sozialdemo-kratischen „Partei“ gemachte Vorwurf, den Bekessy (den grösstenRevolverjournalisten Wiens) eingebürgert zu haben, der Tadel,einem Faiseur eine Wohnung in Schönbrunn und in der Hofburg ein-geräumt zu haben, wird dazu benützt, um nationale Gefühle gegenden Privatkläger aufzupeitschen. Hier wird die Justiz überhauptvor einen einzigartigen Fall gestellt. Es wird nämlich der Ver-such unternommen, auf rein denunziatorischem Wege durch die Be-hauptung, der Privatkläger habe jemals etwas gegen die tschechi-sche Nation, gegen die tschechische Selbständigkeit geschrieben,von der Hauptsache, nämlich dass er Profit mache, abzulenken.Wäre auch nur ein Atom von diesen denunziatorischen Behauptungenwahr, so wäre es eine Erniedrigung der Justiz und der Nation, diedoch gerade durch die Freiheit der Meinungsäusserung, die sie ge-währt, sich vor den andern hervortut, wenn sie es nicht zurück-wiese, dass auf diese Weise ein Versuch der Beeinflussung aufihr Urteil gemacht wird. Die Ungeheuerlichkeit jedoch, dass mansich etwas einfach aus den Fingern saugt, um eine gehässigeStimmung zu erzeugen, ist wohl ohnegleichen. Dies nötigt denPrivatkläger, auch einiges über seine Stellung zur tschecho-slowakischen Nation und ihrem Staate zu sagen. Vorerst soll zuBeil. 37.) diesem Zwecke ein in der Nr. 735–742 vom Oktober 1926 auf denSeiten 65 bis 68 erschienener Aufsatz vorgelegt werden, geradedeswegen, weil er zwar die höchste Anerkennung für die tschechi-sche Sprachliebe und Sprachkultur enthält, freilich auch das da-malige Hineintragen des nationalistischen Moments in die Verkehrs-sprache bemängelt. Als nun das ‚Prager Tagblatt‘ in einer ZuschriftBeil. 38.) vom 20. Oktober 1926 um die Erlaubnis bat, gerade die Stellenachdrucken zu dürfen, die den Tadel dieser Ueberspitzung ent-

Beil. 39.) hält, erhielt dieses Blatt eine Zurückweisung, die dieSympathie des Privatklägers für die tschechoslowakischen Be-strebungen auf das eindringlichste dokumentiert. Als solcheBeil. 6.) Dokumente werden weiters vorgelegt: die Nr. 521–530 vom JanuarBeil. 40.) 1920, (Notiz „Oesterreich-Ungarn“ auf Seite 63); die Nr. 572–576 vom Juni 1921, (Aufsatz „Bei den Tschechen und bei den DeutschenBeil. 41.) auf den Seiten 64 bis 68); die Nr. 632–639 von Mitte Oktober 1923Beil. 42.) und die Nr. 640–648 von Mitte Januar 1924, (mit der Veröffent-lichung eines Armeebefehls vom 17. April 1915 auf Seite 34 derOktober-Nummer und einer Vorbemerkung hiezu auf Seite 102 derBeil. 43.) Januar-Nummer); die Nr. 668–675 vom Dezember 1924, (Aufsatz „EinReinigungsprozess“ auf den Seiten 73 bis 79).

Der Angeklagte Sonka hat sich von dem son-derbaren Zeugen Johannes Urzidil ein Leumundszeugnis ausstellenlassen, er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugung anständigverteidigt . Wie anständig, darüber gibt wohl sein Schriftsatz mit den Beweisanträgen genügende Aufklärung. Der Privatkläger möchte nicht hinter dem Angeklagten zurückstehen, und auch sei-nerseits Leumundszeugen, wenngleich nur dokumentarisch, insTreffen führen. Zu diesem Zweck wird der Abdruck einer Adresseder Gelehrten der Pariser Sorbonne und des Collége de France andas Komitee für die Verleihung des Nobelpreises von den JahrenBeil. 44.) 1925 bis 1928 vorgelegt, deren Unterzeichner es wohl an Gewichtihrer Meinungsäusserung mit Herrn Urzidil aufnehmen können.(In dieser Urkunde ist gerade auch die Haltung und Leistung desPrivatklägers im Weltkrieg besprochen. Die Arbeiterzeitung hatsowohl die Verleihung des Literatur-, wie des Friedenspreises anihn verlangt.) Ferner eine Broschüre „Stimmen über Karl Kraus

Beil. 45.) zum 60. Geburtstag“ und besonders wird hingewiesen auf die Bei-träge tschechischer Schriftsteller: Carl Čapek auf Seite 21,Josef Hora auf Seite 27 etc., und auf die ergreifende Zuschrifteines Arbeitslosen (Seite 47f.), um auch die soziale Gesinnung desPrivatklägers der von gehässiger Seite geübten Verzerrung entge-genzustellen. Uederdies wird auf die Tatsache hingewiesen, diewohl der Meinung, das Kriegswerk der Fackel sei ein militaristi-sches mit drastischestem Hohn begegnet: dass das Werk „Die letztenTage der Menschheit“ in tschechischer Uebersetzung unter demTitel „Posledni dnovée lidtiv“ im Prager Verlag Družstevni práce,gedruckt bei Rohrer in Brünn, erschienen ist, welche Ausgabe aufWunsch dem Gericht zur Verfügung gestellt wird. Dem Schriftsatzangeschlossen wird ein zu dieser Ausgabe veröffentlichtes Heft derBeil. 46.) Zeitschrift „Panorama“, welches fast ausschliesslich das gesamteKriegswerk des Privatklägers in enthusiastischester Weise behan-delt. Besonders hingewiesen wird auf das auf der zweiten Umschlag-seite abgedruckte Zitat aus einem Werk des ersten PräsidentenT.G. Masaryk, der die Tendenz der literarischen Kriegsleistung desHerausgebers der Fackel anerkennend hervorhebt. Es entbehrt nichteiner gewissen Pikanterie, dass unmittelbar darunter dem Führerder Sozialdemokratie und Leiter der jetzigen Arbeiter-Zeitung Otto Bauer die Ehre erwiesen wird, dass sein begeistertes Urteilüber das Kriegswerk des Privatklägers abgedruckt wird (aus seinemBuch „Die österreichische Revolution“, dem Privatkläger hand-schriftlich mit den Worten gewidmet „Dem Dichter der ‚letzten Tageder Menschheit ‘“). Ganz abgesehen von jenem Urteile des Schöpfers der tschechoslowakischen Republik wäre es doch unvorstellbar, dassdieser nicht nur seit jeher wiederholt, am 8.1.1910 (nach dem

berühmten Prozess Friedjung) und am 1.1.1922, durch eingenhändi-ge Schreiben, ferner durch die Präsidentschaftskanzlei am22.12.1921, 28.12.1921, 5.1.1922, 23.1.1922, 7.9.1933 und 9.8.1933 dem Privatkläger ausserordentliche Freundlichkeit erwiesen,ja ihn zu einem Besuch auf dem Hradschin eingeladen hätte, wennder Privatkläger deutschmilitaristische Politik gemacht oderdurch ganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmänner be-schimpft, sich über die tschechoslowakische Nation und ihrenKampf um die Befreiung in dem Sinn geäussert hätte, es habe ‚diePartei den Hausherrn hinausgeworfen‘“, oder wenn er sonst eineantistaatliche Tätigkeit“ entfaltet hätte, die den Angeklagtendie Berechtigung gäbe, die Interessen der tschechoslowakischenOeffentlichkeit gegen „Menschen von der Art des Privatklägerszu vertreten. Sämtliche Zuschriften, die sich auf die freundlicheMeinung des Herrn Präsidenten beziehen und die hier nicht beige-legt werden, weil man die wertvollen Dokumente der Post nichtanvertrauen will, werden bei der Verhandlung vorgewiesen werden.Von besonderem Interesse wird da gerade die Zuschrift vom23. Januar 1922 an den Privatkläger sein, die sich mit dem Not-recht des Staates befasst und einen Fall behandelt, der gegen-über den Februarereignissen 1934 in Wien zwar verschwindendklein erscheint, indem eine unmittelbare Gefahr für den Staatnicht vorhanden war, die aber doch einen durchaus analogenStandpunkt einnimmt. Wie das Urteil des Präsidenten in Anbetrachtder drohenden Staats- und Weltgefahr ausfiele, kann wohl nichtzweifelhaft erscheinen. Es dürfte wohl niemals noch der Fallgewesen sein, dass es und zweifellos in der Absicht literari-scher Vergeltung gewagt wurde, im Vertrauen auf die Schwierig-keit der Aufklärung einem Gerichtshof eine derartige verleumde-

rische Verkehrung geistiger und moralischer Sachverhalte darzu-bieten und einen Schriftsteller, der 104 Antikriegshefte heraus-gegeben hat, aus denen zahllose Stellen konfisziert wurden, undder wegen „Verbrechens gegen die Kriegsgewalt“ verfolgt wurde,(bis die Regierung Lammasch das Verfahren einstellte), einerschändlichen Haltung zu beschuldigen, und einen Mann als Profit-macher und „Spekulierer“ zu brandmarken, der vom Kriegsbeginnbis heute S 162.537.–– wohltätigen Zwecken (insbesondre derArbeiter- und lnvalidenfürsorge) zugewendet hat.

Ueber alles, was in diesem Schriftsatzvorgebracht wurde, ohne dokumentarisch belegt zu sein, beantragtder Privatkläger seine Einvernahme als Zeugen.

Dr. Felix Gallia als Vertreterdes Privatklägers Karl Kraus.