196.73 Übersetzung der Zeugenprotokolle Paul Kornfeld und Johann Urzidil

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 6. März 1936
Seite von 2

Uebersetzung der Zeugenprotokolle vom 6.III.1936.

Paul Kornfeld.

Ich habe vor 22 Jahren mit dem Privatkläger verkehrt, seitdieser Zeit habe ich ihn nicht gesehen. Sonka kenne ich seit dem Herbst1935. Kraus habe ich damals vor 22 Jahren für eine moralische Grössegehalten. Aber ich habe mich überzeugt, dass dies nicht der Fall ist.Kraus hat nämlich in seiner Zeitschrift ein Gedicht Franz Werfels veröffentlicht, von welchem sowohl ich wie auch der Privatkläger über-zeugt war, dass er ein grosses Talent ist. Dann aber hatte Werfel irgend eine private Differenz mit einer Dame, die Kraus kannte. Es wareine Kleinlichkeit und trotzdem hat von dieser Zeit an Kraus seineMeinung über Werfel geändert, hat ihn kritisiert und erklärt, dass erkein guter Dichter sei. Was es die politische Gesinnung Kraus’ anlangt,habe ich im Ganzen den Eindruck, dass er sie nach den gegebenen Um-ständen ändert, denn in Berlin, etwa im Jahre 1925 hat er vorwiegendmit Kommunisten verkehrt, war in einem kommunistischen Kreis und allehaben damals geglaubt, er sei Kommunist, er hat nicht protestiert unddamals hat ihn die kommunistische Presse sehr gelobt. Später sah ich ihnals Bewunderer Dollfuss’.

Johannes Urzidil.

Den Privatkläger Kraus und den Beschuldigten Schramek kenneich persönlich nicht. Den Beschuldigten Sonka kenne ich auch persön-lich und kann von ihm sagen, er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugun-gen anständig verteidigt. Von dem inkriminierten Gedicht habe ich nachdessen Veröffentlichung erfahren und kann mich kritisch zu seinemInhalt nicht äussern, denn ich habe die Ansicht und die politischeUeberzeugung Karl Kraus’ in den letzten 15 Jahren nicht genau verfolgtund die Zeitschrift Fackel nur selten und flüchtig gelesen. Da ich in

diesem Prozess als Zeuge geführt bin, wovon ich aus der Tagespresseerfuhr, bin ich genötigt, zur Charakterisierung Karl Kraus’ zurückzu-kehren auf Grund eines Angriffes, den er gegen mich im Jahre 1931 inder Nummer 864/7 seiner Zeitschrift Fackel machte. In diesem Angriffkritisiert er mich in der Art, dass er meinen čechischen Namen Urzi-dil ironisiert und den Klang dieses Namens mit der Vorstellung zer-schlagener Glasfenster vergleicht. Die Art einer solchen Kritik wirftauf den moralischen Wert und die Sachlichkeit der Kritik ein schlech-tes Licht. Weiter hat der Privatkläger in diesem Artikel geschrieben,ich sei sowohl čechischer wie auch deutscher Abstammung. Unter če-chischer Abstammung meinte er meinen Vater, mit der deutschen Ab-stammung wollte er meine verstorbene Mutter tadeln u.zw. aus demGrunde, weil diese eine deutsche Jüdin war. Wenn ein deutscher Schrift-steller, der selbst Jude ist, jemanden deshalb deutsch nennt, weil erteilweise jüdischen Ursprungs ist und wenn er dies in der Absichttut, durch eine solche Bemerkung den betreffenden herabzusetzen, dannidentifiziert er sich mit dem rassischen / hier folgt ein im Protokollunleserliches Wort / Antisemitismus und gibt zu erkennen, dass er einenčechischen Namen und jüdischen Ursprung als Beweis des Deutschtumsansieht, trotzdem dass es in meinem Fall um einen damals schon 15 Jahrebekannten deutschen Schriftsteller ging.

Von plötzlichen Aenderungen der politischen Ueberzeugung des Pri-vatklägers kann ich nichts näheres angeben.