196.72 Brief RA Felix Gallia an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. FELIX GALLIA
MASARYKSTRASSE 25/27
BRÜNN
Datum: 18. März 1936
Betreff: Kraus – Arbeiterzeitung.
Diktiersigle: DrG/K

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Datum: 19.3.1936
Seite von 8

Sehr geehrter Herr Kollege.

Ich bestätige Ihr geschätztes Schrei-ben vom 17. d.M. Zunächst möchte ich Ihnen, sehr geehrterHerr Kollege, und Herrn Kraus auf das herzlichste für denfreundlichen Empfang danken, den Sie mir in Wien bereitethaben. Es war auch mir eine sehr grosse Freude, Sie undHerrn Kraus kennenlernen zu dürfen. Ich hoffe sehr, dassdadurch unser Zusammenarbeiten gefördert wurde und dassSie ebenso wie Herr Kraus die Ueberzeugung gewonnen haben,dass wir uns hier mit aller Sorgfalt und Liebe der Sachedes Klienten widmen.

Zu den einzelnen von Ihnen genanntenPunkten möchte ich folgendes bemerken: Wenn Herr Kraus die Erweiterung der Klage durch Inkriminierung der Be-leidigungen wünscht, die der Schriftsatz der Gegner enthält,bin ich natürlich durchaus damit einverstanden, eine Anklageeinzubringen. Allerdings dürfte diese neue Anklage denGegnern eine willkommene Gelegenheit bieten, neuerlicheVerschleppungsversuche zu machen. Auch glaube ich, dass dieStrafe der Angeklagten kaum grösser sein wird, wenn auch

noch die Beleidigungen berücksichtigt werden, die in demSchriftsatz stehen. Die von Ihnen erwähnte Möglichkeit,durch die Erweiterung der Anklage das Gericht über dieIntentionen unseres Klienten aufzuklären, scheint mir auchohne Einbringung der neuen Anklage gegeben und wir wollenja von dieser Möglichkeit durch den von Ihnen schon vor-bereiteten Schriftsatz ausgiebig Gebrauch machen.

Wenn trotzdem Sie und Herr Kraus sich dazu ent-schliessen, die Anklage auszudehnen, werde ich Ihnen, sobaldSie mir den Entschluss mitteilen, sofort bekanntgeben, welcheBehauptungen des gegnerischen Beweisantrages meiner Mei-nung nach zu inkriminieren wären.

Der Bericht des Prager Tagblattes über die Ver-handlung vom Feber l.J. ist mir heute nicht zugänglich. Ichmöchte jedoch jetzt schon bemerken, dass ich selbst dem hie-sigen Redakteur des Prager Tagblattes eine Information überdas Ergebnis der Verhandlung erteilt habe. Ich kann michheute wohl an den Wortlaut des Berichtes des Prager Tag-blattes nicht ganz genau erinnern, soweit jedoch mein Ge-dächtnis reicht, ist mir erinnerlich, dass der Bericht eigentlich im Ganzen ob-jektiv war und keinerlei Anlass zu einer Berichtigung gebendürfte. Mir persönlich wäre diese Berichtigung nicht be-sonders angenehm, doch bin ich, wenn Sie oder Herr Kraus meineMeinung nicht teilen sollten, natürlich ohne weiteres bereit,

auch die Berichtigung zu verlangen.

Jedenfalls werde ich mir den Bericht des PragerTagblattes umgehend beschaffen und dann zur Frage der Be-richtigung nochmals Stellung nehmen.

Ueber die Einvernahme des Herrn Kraus habeich mit dem Untersuchungsrichter heute gesprochen. Er istohne weiteres bereit Herrn Kraus in Brünn vor der Haupt-verhandlung einzuvernehmen, wobei diese Einvernahme technischso durchgeführt werden würde, dass ich ein Protokollformularbei Gericht behebe, mit Herrn Kraus in meiner Kanzlei seineAussage niederschreibe und Herr Kraus dann beim Unter-suchungsrichter seine Aussage bloss unterschreibt und demRichter bestätigt, dass das Protokoll in Ordnung sei. Aller-dings ist hier folgendes zu erwägen: Der Untersuchungs-richter, der die Sache jetzt führt, wird am 1.4. wahrschein-lich zur Staatsanwaltschaft versetzt werden. Es wäre daher,da ich nicht weiss, wer an Stelle des jetzigen Untersuchungs-richters kommt und wie sich der neue Richter zu der von mirvorgesehenen Art der Einvernahme des Klienten stellen wird,

unbedingt erforderlich, dass wir unseren Schriftsatz, derja durch die Einvernahme des Herrn Kraus als Zeugen be-stätigt werden soll, ehestens überreichen. Ich möchte diesselbst auf die Gefahr hin tun, dass der Schriftsatz nichtso komplett wird, wie wir ihn haben wollen, da ja HerrKraus bei der Hauptverhandlung seine vor dem Unter-suchungsrichter abgegebene Aussage jederzeit ergänzenkönnte, falls wir es notwendig finden, den Schriftsatz vorder Hauptverhandlung durch einen zweiten zu vervollstän-digen.

Sie entnehmen, sehr geehrter Herr Kollege, demgerade Gesagten, dass ich durchaus damit einverstanden bin,wenn Herr Kraus zunächst zu seiner Einvernahme – noch imLaufe dieses Monates – und dann zu der Hauptverhandlungselbst auch kommt.

Eine unangenehme Wendung im Prozess wird leiderdadurch eintreten, dass in der allernächsten Zeit der bisherigeSenatsvorsitzende, Gerichtsrat Dr. Winter, zum Zivilkreis-gericht versetzt wird. Derartige Verschiebungen sind hier, sehrzum Schaden der anhängigen Sachen, an der Tagesordnung. DieVersetzung des Dr. Winter dürfte jetzt noch schneller vor sichgehen als ursprünglich vorgesehen war, da durch den Tod einesMitgliedes des Berufungssenates eine Stelle beim Zivil-kreisgericht vakant geworden ist.

Wie mir der Untersuchungsrichter bei meinemheutigen Besuche mitteilte, wird die Einvernahme des Lega-

tionsrates Šrom zunächst nicht erfolgen, was uns natürlichnur erwünscht ist. Der Untersuchungsrichter hat vom Senats-vorsitzenden Auftrag erhalten – aus welchem Grunde ist mirnicht recht klar – die Einvernahme des Legationsrates inWien nicht zu veranlassen. Offenbar will der Senat von demBeweisbeschluss, der bei der Hauptverhandlung im Feber ge-fasst wurde, wieder abgehen.

Die Einvernahme Kornfelds und Urzidils isthingegen schon durchgeführt worden. Das Protokoll habe ichabschreiben lassen und übersetzt. Sie finden die Uebersetzung,sehr geehrter Herr Kollege, in der Anlage.

Die Angaben der beiden Zeugen sind, wie wirja erwartet hatten, frech und unsachlich, ohne allerdings,was besonders von der Aussage Urzidils gilt, mit dem Pro-zessthema viel zu tun zu haben. Ueber die Differenz, die HerrKraus seinerzeit mit Werfel gehabt haben soll, bin ich nichtrecht im Bilde. Ueber die politische Ueberzeugung des Klienten hat Kornfeld nichts Bestimmtes geäussert. Er spricht von einemEindruck den er hatte, allerdings geht der Eindruck noch überdas hinaus, was die Angeklagten behaupten, zweifellos völlig zu

unrecht, denn soweit ich mich erinnern kann, wurde HerrnKraus eine kommunistische Ueberzeugung kaum je vorge-worfen. Was die Berliner Kommunisten sich gedacht haben,ist ganz gewiss für den Prozess ohne Interesse und wennKornfeld behauptet, die kommunistische Presse habe HerrnKraus damals sehr gelobt, so ist dies meiner Meinung nachein sehr schwacher Beweis für die kommunistische Gesinnungunseres Mandanten, denn zu jener Zeit wurde er auch von derweniger extremen Linkspresse in den Himmel gehoben undhätte daher zur gleichen Zeit, wo er Kommunist gewesen seinsoll, zumindest auch Sozialdemokrat gewesen sein müssen,wenn das Lob einer Parteipresse schon beweisen soll, derGelobte gehöre der Partei an, die über diese Presse verfügt.Klar ist, dass im Jahre 1925 die kommunistische Partei wederin Berlin noch auch in Wien regierte und wenn selbst die An-gaben Kornfelds richtig wären, würden sie gerade beweisen,dass Herr Kraus nicht sich der herrschenden Meinung ange-schlossen hat, denn diese war auch im Jahre 1925 durchausnicht kommunistisch.

Die Aussage Urzidils ist in den Punkten, auf diees ankommt, für die Gegner meiner Ueberzeugung nach gänzlichunverwertbar. Was es den Angriff anlangt, den Herr Kraus gegenUrzidil gerichtet haben soll, zeigt die Angabe des Zeugen über diesen Punkt nur seine Befangenheit, ohne etwas zu ent-halten, was für den Vorwurf der Gesinnungslumperei, Profitma-cherei u.ä. sprechen könnte.

Was Urzidil im vorletzten Absatz seiner Aus-sage eigentlich zum Ausdruck bringen wollte, ist mir nichtrecht klar. Im Jahre 1931 soll Herr Kraus doch noch Sozial-demokrat gewesen sein. Hätte er sich damals mit dem Rassen-antisemitismus identifiziert, so wäre es auch nur ein Beweisdafür, dass er nicht in das sozialdemokratische Horn geblasenhat, denn es wird kaum eines weitläufigen Nachweises bedürfenzu zeigen, dass die Sozialdemokratie sich nie auf rassenanti-semitische Standpunkte gestellt hat.

Ich erwarte, sehr geehrter Herr Kollege, Ihre freund-lichen umgehenden Nachrichten. Den mir übergebenen Entwurfdes Schriftsatzes studiere ich und werde meine Ergänzungs-vorschläge in den nächsten Tagen machen.

Das Buch von Reinold habe ich mir hier schonwieder beschafft und übermittle Ihnen daher wunschgemässeinen Erlagschein.

Ich bin mit den besten EmpfehlungenIhr sehr ergebenerDr. Gallia.

2 Beilagen.1 Durchschlag.1 Erlagschein.

P.S. Wer an Stelle des Gerichtsrates Winter in den Presse-senat kommt, weiss ich nicht. Auch ihm ist es bisher nichtbekannt.

D.O.

KrausArb. Ztg. 19.3.1936