193.142 Entwurf einer Klage gegen Egon Schwelb und den verantw. Red. des Prager Tagblatts wegen Vergehens gegen den Schutz der Ehre

Materialitätstyp:

  • Typoskript
Datum: 3. Juni 1936
Seite von 5

In der Nummer … der Tageszeitung„Prager Tagblatt“ vom 16. April 1936 ist unter dem Titel „ProzessKarl Kraus – ‚Sozialdemokrat“ ein vom tschechoslowakischenPressbüro ausgesendeter Bericht über eine am Vortage durchgeführteHauptverhandlung in einer Ehrenbeleidigungssache erschienen, dieder Privatkläger Karl Kraus gegen die Tageszeitung „Sozialdemo-krat“ respektive gegen deren verantwortlichen Redakteur Dr. EmilStrauss zur G.Z. Tk VI 8789/34 durch fast zwei Jahre geführt hatte.Das offenkundige Bestreben, einen klaren Sachverhalt zu verdunkeln,(nämlich dass der verantwortliche Redakteur des ‚SozialdemokratDr. Emil Strauss aus dem Wahrheitsbewies, den zu führen er durch zwei Jahrezu führen versprochen und gross angekündigt hatte, geflohen ist,und es vorzog, die Hilfe des rein formalen § 18 des Ehrenschutz-gesetzes in Anspruch zu nehmen), beweist, dass dieser Bericht nichtvon einem gewöhnlichen Berichterstatter verfasst sein kann, sondernvon einem, der ein besonderes Interesse daran hat, die Begründungdes Freispruches mit dem § 18 des Ehrenschutzgesetzes ins Neben-sächliche zu rücken, und den Anschein zu erwecken, als ob der Ange-klagte auf Grund eines erbrachten Wahrheitsbeweises freigesprochenworden wäre. Nur einem mit den gesetzlichen Vorschriften des Be-leidigungs- und Berichtigungsverfahrens so vertrauten Manne wiedem Angeklagten Dr. Schwelb konnte es gelingen, in einem ganz raffi-niert angelegten Berichte vor einer juristisch mindergebildetenLeserschaft den Anschein zu erwecken, es sei der Angeklagte Dr.Emil Strauss auf Grund eines umfangreichen Wahrheitsbeweisesfreigesprochen worden. Tatsächlich war während der ganzen Verhand-lung ausser den Richtern, den Anwälten und dem Privatkläger über-haupt keine Person, nicht einmal der Angeklagte, im Verhandlungs-saal anwesend, woraus wohl mit aller Deutlichkeit hervorgeht, dassdiesen Bericht nur Herr Dr. Schwelb verfasst haben kann.

Der Privatkläger hat in dem Bewusstsein, dass eineBerichtigung dieses scheinbar wahren und innerlich unwahrhafti-gen Berichtes den gesetzlichen Bestimmungen überhaupt nicht anzu-passen sei, dem „Prager Tagblatt“ gleichwohl eine solche einge-sendet, um den bewirkten Anschein eines Freispruches auf Grunddurchgeführter Wahrheitsbeweise aus der Welt zu schaffen. Die dürf-tigen Anhaltspunkte für diese Berichtigung boten einige Nebenum-stände, die unrichtig dargestellt waren, so die unrichtige Behaup-tung, der oben erwähnte Prozess sei „beendet“ worden; der Privat-kläger habe sich „insbesondere“ durch den Vorwurf, dass er sichdem österreichischen Regime gleichgeschaltet, beleidigt gefühlt;das Gericht habe „bei einer Reihe von Hauptverhandlungen“ die vonbeiden Parteien angebotenen Beweise teilweise „durchgeführt“; derVerteidiger des Dr. Emil Strauss habe „bei der gestrigen letztenHauptverhandlung“ seine Ausführungen durch den Hinweis auf denUmstand „ergänzt“, dass der Privatkläger bei Erledigung eines an-deren Prozesses zwischen den gleichen Parteien sich die Fortset-zung dieses Prozesses nicht vorbehalten und daher gemäss § 18 desGesetzes über den Schutz der Ehre das Klagerecht verloren habe.Das „Prager Tagblatt“ lehnte den Abdruck dieser Berichtigung ab.Ueberraschenderweise erschien diese Berichtigung trotzdem in derNummer vom 1. Mai 1936 mit der Bemerkung, dass die Veröffentlichungvorgenommen werde, obwohl keine gesetzliche Verpflichtung vorliege.Immerhin war durch den Abdruck der durch den Prozessbericht be-wirkte Anschein eines Freispruches aus anderen Gründen, als denendes § 18 des Ehrenschutzgesetzes, vernichtet worden.

Es stellte sich schon einige Tage später heraus,dass dieser Abdruck kein Akt der Grossmut war, sondern in einerbestimmten Absicht erfolgte. Es erschien nämlich am 5. Mai 1936eine von dem Angeklagten Dr. Schwelb eingesendete „Berichtigung

dieser Berichtigung, die noch weit weniger dem Pressgesetzentsprach und gleichwohl ohne die Verwahrungsklausel gebrachtwurde. Der Angeklagte Dr. Schwelb liess nämlich von dem ein-mal gefassten Plan nicht nur nicht ab, sondern benützte die Zu-schrift des Privatklägers, um den Anschein erst recht zu ver-stärken, der Freispruch des verantwortlichen Redakteurs desSozialdemokrat sei auf Grund eines Wahrheitsbeweises er-folgt. Er richtete an das ‚Prager Tagblatt‘ eine „Presseberich-tigung“. Diese „Presseberichtigung“ schloss sich in keinemPunkte an die Berichtigung des Privatklägers an, sondern er-zählte Dinge, welche die Vorstellung des Lesers auf dem fal-schen Wege erhalten sollten. Die Bezeichnung des § 18 desEhrenschutzgesetzes als eines formalen Grundes für das Urteilbenützt Herr Dr. Schwelb, um dem entgegenzusetzen, dass der Frei-spruch aus einem Grunde des materiellen Strafrechtes erfolgte,dass er also etwas mit der Materie des Prozesses zu tun hatte.Die Behauptung der Berichtigung des Privatklägers, die von bei-den Parteien geführten Beweise seien nicht bei einer Reihe vonHauptverhandlungen teilweise durchgeführt worden, bei diesenseien vielmehr nur die Beweise durch Verlesung des inkriminiertenArtikels, sowie eines am 28. April 1934 im „Sozialdemokrat“ er-schienenen, dem Privatkläger huldigenden Artikels angetretenworden, und dass weder die beantragten noch diese Beweise bis-her Gegenstand der Beurteilung waren, berichtigt der AngeklagteDr. Schwelb durch die Mitteilung, dass ein Wahrheitsbeweis „an-getreten“ wurde, was nie bestritten wurde, aber den Anscheinder Erbringung erwecken soll, und dass Zeugen vom Strafkreis-gericht in Prag einvernommen worden sind, Tatsachen, die gleich-falls niemals bestritten wurden und auch nicht bestritten wer-

den konnten, sondern deren Erwähnung als Richtigstellung, dieVernehmung sei nicht in der Hauptverhandlung durchgeführt undnicht Gegenstand der Beurteilung gewesen, nur dem Anscheine ent-gegen treten sollte, sie hätte zu dem Freispruch des AngeklagtenDr. Emil Strauss irgend etwas beigetragen. Der so erweckte An-schein eines Freispruches des Angeklagten Dr. Emil Strauss wegeneines durchgeführten Wahrheitsbeweises bildet nun selbst eineEhrenbeleidigung, da damit behauptet wird, ehrenrührige Handlungendes Privatklägers seien bewiesen worden.

Der Privatkläger liess daraufhin durch seinen An-walt das „Prager Tagblatt“ auffordern, eine vorgeschriebene Erklä-rung zu veröffentlichen, die unter anderem zum Ausdruck bringensollte, dass der durch die Berichtigung des Herrn Dr. Schwelb be-wirkte Anschein, als ob der Wahrheitsbeweis, der allerdings „an-getreten“ wurde, auch tatsächlich erbracht worden wäre und als obdieser Wahrheitsbeweis zu dem Freispruch irgendetwas beigetragenhätte, dem Sachverhalt widerspricht. Das „Prager Tagblatt“ hat inseiner Nummer vom 17. Mai 1936 den zweiten sensationelleren Teilder vorgeschriebenen Erklärung abgedruckt, welcher sie keinen An-lass zu einer Ehrenbeleidigungsklage geben konnte weil hier dieangebliche Stellungsänderung des Privatklägers gegenüber demösterreichischen Regime“ behandelt wurde, dagegen gerade den er-sten Teil, der dem bewirkten Anschein entgegentreten sollte, ausge-lassen, mit der Begründung, es handle sich um „jene Stellen, diedritten Personen den Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklage gegendas ‚Prager Tagblatt‘ geben könnten“. Eine Abschrift der vorge-schriebenen Erklärung und die Veröffentlichung im „Prager Tagblatt“ wird im Original vorgelegt. Es ist offensichtlich, dass der ausge-lassene erste Teil der vorgeschriebenen Erklärung keine Stellen

enthält, die dritten Personen den Anlass zu einer Ehrenbeleidi-gungsklage gegen das „Prager Tagblatt“ geben könnten. Die ausge-lassene Stelle (es handelt sich nur um eine Stelle) befasst sichüberhaupt nur mit einer Person, nämlich mit Herrn Dr. Schwelb, unddie Behauptung, seine Berichtigung habe einen „Anschein bewirkt“,ist keine Ehrenbeleidigung. Die Auffassung des „Prager Tagblattsaber, dass eine solche vorliege, beweist seine eigene Meinung, (dieauch vom Privatkläger ganz und gar geteilt wird, aber nicht ausge-drückt wurde): dass Herr Dr. Schwelb jenen Anschein absichtlichund doloser Weise bewirkt und somit hiedurch eine Ehrenbeleidi-gung begangen hat. Dabei begeht es eine zweite Ehrenbeleidigung,indem es vom Privatkläger mitteilt, er habe eine Erklärung zurVeröffentlichung vorgeschrieben, die Stellen enthalte, welche drit-ten Personen Anlass zu einer Ehrenbeleidigungsklage geben könnten,er habe mithin eine Ehrenbeleidigung begangen oder zu begehen ver-sucht.

Der Beschuldigte Dr. Schwelb wird sich also dafürverantworten müssen, den Privatkläger dadurch beleidigt zu haben,dass er durch den bewirkten Anschein eines Freispruches des vonihm vertretenen Angeklagten Dr. Emil Strauss wegen eines erbrach-ten Wahrheitsbeweises zum Ausdruck brachte, dass der Privatkläger ehrenrührige unsittliche Handlungen begangen hat, die einem Wahr-heitsbeweise zugänglich sind, der auch angeblich geführt und er-bracht wurde. Der verantwortliche Redakteur des „Prager Tagblattes hat sich dafür zu verantworten, dass er die Berichtigung des HerrnDr. Schwelb zum Druck befördert, ferner die einleitenden Worte zuder zur Veröffentlichung eingesendeten Erklärung entweder selbstverfasst oder zumindest zum Druck befördert hat. Eventuell käme,falls der Beweis der Täterschaft oder Mittäterschaft nicht zuerbringen ist, seine Verantwortlichkeit nach dem Pressgesetz inBetracht.