4.9 Brief Samek an Verlag Die Fackel

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 10. Jänner 1923
Betreff: K. Kraus – Neues 8 Uhr Bl.

Empfänger

An: den | Verlag der „Fackel“
Hint. Zollamtsstrasse 3
Wien III.
Seite von 4

Vor Eingehen in die heutige Hauptverhandlung regteder Richter den Abschluss eines Vergleiches an, zu dem es auchnach der mir telefonisch erteilten Ermächtigung gekommen ist. DerGegner verpflichtete sich, die Berichtigung im Wortlaute längstensbis 11.ds. in der Rubrik „Theater“ zu veröffentlichen, einen Sühne-betrag zu Gunsten der Wiener freiwilligen Rettungsgesellschaft und die Gerichtskosten zu bezahlen. Die Zahlung des Sühnebetragesund der Kosten wurde sofort geleistet; den Sühnebetrag habe ichbereits an die Wiener freiwillige Rettungsgesellschaft weiterge-leitet. Auch die Veröffentlichung der Berichtigung ist in derNr. 2470 auf Seite 5 erfolgt.

Nach der Verhandlung blieb ich noch einen Augen-blick im Verhandlungssaale zurück, um die Stempelung des Aktesvorzunehmen. Hiebei teilte mir der Verhandlungsrichter mit, dassnach seiner Ansicht die verlangte Berichtigung nicht ganz demGesetze entsprochen habe und er daher wahrscheinlich bei Durch-führung der Rechtssache, gemäss § 24, Absatz 3 des Pressgesetzes festzustellen gehabt hätte, was von dieser Berichtigung zu ver-öffentlichen sei, im Uebrigen er aber den Beschuldigten freige-sprochen hätte, da nach seiner Ansicht die Worte der Berichtigung,dass dem Verfasser von einem Zensurverbote nichts bekannt sei,

nicht als Berichtigung einer Tatsache aufzufassen sei, da derzu berichtigende Artikel selbst keine Stelle enthält an derbehauptet werde, dass dem Verfasser ein Zensurverbot bekanntsei. Durch das Wort „bekanntlich“ bringe die Zeitung eine all-gemeine Ansicht zur Kenntnis des Publikums, es sei daher mög-lich diese Ansicht des Publikums, soweit sie eine Tatsache ent-hält, zu berichtigen, nicht aber sei es möglich darauf hinzu-weisen, dass ein Einzelner diese Ansicht nicht gehabt habe unddie Berichtigung hätte daher nur feststellen können, dass dasZensurverbot nicht erfolgt ist, nicht aber, dass es dem Verfas-ser nicht bekannt sei. Schliesslich könnte sonst jeder berichtigen,dass ihm von einem Zensurverbote nichts bekannt sei.

Ich halte diese Meinung für nicht zutreffendend, dawenn ein Zensurverbot „bekanntlich“ erfolgt ist, dies doch inerster Linie dem Verfasser bekannt sein müsste und er daher ge-wiss berechtigt sein muss dem Publikum mitzuteilen, dass sogarihm nichts bekannt sei. Im vorliegenden Falle liegt überdies dieVoraussetzung zur Anwendung des Absatzes 3 des § 24 auch des-halb nicht vor, weil die Berichtigung in der verlangten Form garnicht abgelehnt wurde, sondern eigenmächtig von Seite der Zei-tung ein Satz weggelassen wurde. Die Zeitung durfte aber nachmeiner Meinung die Berichtigung entweder ablehnen oder sie muss-te sie im Wortlaute bringen. Nur im Falle der Ablehnung hat derRichter die Möglichkeit den Abs. 3 des § 24 anzuwenden.

Ich bringe Ihnen dieses Gespräch mit dem Richter

deshalb so ausführlich zur Kenntnis, weil in dem Prozesse ge-gen die „Reichspost“ derselbe Verhandlungsrichter fungierenwird, und daher seine Stellungnahme zu dieser Rechtsfrage fürHerrn Kraus von einigem Interesse sein könnte.

Ich zeichnehochachtungsvoll

K. KrausN. 8h Bl. exped. 10.I.1923S.