15.19 Konzept eines Anklageplädoyers

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 7. Juni 1926
Seite von 6

Seit dem Auftreten der Stunde in Wien ist eine bisher nochnie dagewesene Art der Kritik und Berichterstattung in die Er-scheinung getreten, die ohne einer Meinung oder Ueberzeugungzu dienen, die jeweiligen Interessen, die sie zum Ausdruck bringenwill mit den Mitteln gröbster Fälschung vertritt. Wohin dieInteressen der Stunde gegangen sind, haben andere Strafprozessegezeigt, insbesondere die Erhebung der Anklage wegen Erpressunggegen den Administrationschef Forda, den AdministrationsbeamtenO’Brien und die Einleitung der Voruntersuchung gegen den ehe-maligen Herausgeber Bekessy. Dass die Stunde vor keinem Mittelzurückschreckt, um ihre Taten zu verleugnen und zu beschönigengeht auch aus der vor kurzem berichteten Tatsache hervor, dassgegen Herrn Bekessy die Voruntersuchung und gegen den ehemaligenChefredakteur Tschuppik und die Sekretärin des Herrn BekessyFrl. Greis die Vorerhebungen wegen falscher Zeugenaussage in einemUrheberrechtsprozess eingeleitet wurde. Das hohe Gericht hatauch in diesem Strafprozesse sehen müssen, in welch misslicherSituation man gegenüber Delikten, welche durch die Zeitung begangenworden sind, sich befindet. Sämtliche Redakteure der Stundewurden als Zeugen einvernommen und kein einziger, nicht einmalder Bilderredakteur und Bilderzeichner der Stunde konnte sichnoch erinnern von wem er den Auftrag erhalten hat, das gegenständ-liche Bild zu retouchieren und wer die Veröffentlichung desretouchierten Bildes veranlasst hat. Der Zeichner Herr Sipos hat sich damit ausgeredet, dass er damals viel zu tun hatte undauf seinem Schreibtisch eine grössere Anzahl derartiger Arbeitenlagen, so dass er sich an den Auftraggeber in diesem Falle nichterinnern könne. Die übrigen Herren waren entweder beschäftigt oderverreist oder auf Urlaub, kurzum wenn der heutige Angeklagte undverantwortliche Redakteur Dr. Fritz Kaufmann nicht die Unvorsich-

tigkeit begangen hätte, zuzugestehen, dass er das gegenständlicheBild vor der Drucklegung gesehen und zum Drucke befördert habe,wäre es wahrscheinlich überhaupt nicht gelungen einen Täter we-gen Vergehens gegen das Urheberrechtsgesetz zur Verantwortungzu ziehen und es hätte nur der Privatankläger Karl Kraus gegenDr. Fritz Kaufmann wegen des bei weitem geringeren Delikts wegenUebertreten gegen das Urheberrechtsgesetz vergehen können, weildieses Delikt schon bei fahrlässiger Begehung strafbar macht.Sie dürfen aber nicht glauben, dass Dr. Fritz Kaufmann aus Bekenner-mut sein Geständnis abgelegt hat, dass er es getan hat, gab ernur deshalb zu, weil er hoffte und glaubte, dass es nicht gelingenwerde, ihm die wissentliche Verletzung des Urheberrechtes nach-zuweisen. Dr. Fritz Kaufmann leugnet, wie aus den von mir gegen ihngeführten Prozessen wiederholt zu Tage trat, alles, was ihm zumNachteil gereichen könnte, selbst dann, wenn er schon des Gegen-teils überführt worden ist und er gesteht infolge einer etwas ei-gentümlichen Veranlagung mit dem Recht zum Spielen und gewisser-massen seine Ueberlegenheit gegenüber dem Gesetze zu zeigen,alles das zu, wovon erglaubt, dass es keine rechtlichen Konsequen-zen habe werde. Ich möchte da nur auf einen Fall statt vielerhinweisen. In dem Prozess wegen Berichtigung eines Bildes, denSie ja gesehen haben und aus den Ihnen die Konstatierungen gemachtwurden, wurde die Stunde verurteilt, das Bild zu berichtigen.Die Berichtigung erschien, enthielt jedoch wieder eine Verfäl-schung des richtigen Bildes. Da der Augenschein dies ergab, konntees Dr. Kaufmann natürlich nicht ableugnen. Er redete sich jedochdarauf aus, dass die Verzerrungen auf das Rotationsdruckverfahrenzurückzuführen seien, selbst dann noch, als der vernommene Sach-verständige, ein Professor an der „Graphischen Lehr- und Versuchs-anstalt“, dies für ausgeschlossen erklärte und erst als sah, dassalles Leugnen nichts helfe, brachte er die neue Tatsache vor, dasseben das richtige Bild nicht gefunden worden sei, weil es in derRedaktion abhanden gekommen war und wahrscheinlich deshalb aus Ver-sehen das verfälschte Bild als richtiges reproduziert worden sei.

Nur nebenbei will ich den hohen Gerichtshof, die ihm gewiss bekann-te Tatsache in Erinnerung bringen, dass die Stunde es nicht beiverhältnismässig harmlosen Verfälschungen bewenden liess, um sichan Herrn Kraus ihr Mütchen zu kühlen, sondern dass es da auch zuganz andern infamen und bewussten Fälschungen gekommen ist, diegeeignet waren, das Ansehen einer Familie zu zerstören, wie in dem bekanntenFall jener Bankiersgattin, von der in der Stunde berichtet wurdesie sei mit ihrem Sekretär durchgegangen, welchem Berichte dieTatsache zugrunde lag, dass ein Journalist der Stunde ein Telegrammgesehen hatte, in dem es hiess, dass jene Frau nach Paris gefahrensei, pour vendre secretär, also um einen Empireschreibtisch zukaufen. Dass die Stunde vor keiner Schandtat zurückscheut,beweist auch jener, vielleicht schon vergessenen Fall, in welchemein Artikel erschien, der den Obersten Gerichtshof bezichtigte,Brandstifter zur Brandstiftung aufgemuntert zu haben. Die Ge-schworenen in Leoben hatten zwei jugendliche Brandstifter frei-gesprochen und die Staatsanwaltschaft hatte dagegen die Nichtigkeits-beschwerde erhoben, weil sie in der Nichteinvernahme eines über diebesondere Gefährlichkeit der Brandstiftung einen wesentlichenVerfahrensmangel erblickte. Es war klar, dass diese Nichtigkeits-beschwerde keine besondere Aussicht auf Erfolg hatte, weil ja diebesondere Gefährlichkeit der Brandstiftung ganz unwesentlich war,wenn die Geschworenen zu dem Wahrspruch kamen, dass die Täternicht schuldig seien. So naive Leute sind die Berichterstatter beider Stunde nicht, dass sie nicht gewusst hätten, dass der Oberste Gerichtshof den Wahrspruch der Geschworenen nicht umstossen könne,weil eben die gesetzlichen Bestimmungen nur ein formales und re-latives Ueberprüfungsrecht des obersten Gerichtshofes zulassen.Da aber damals die Stunde prinzipiell gegen den Obersten Gerichts-hof auftrat, so musste eben, wenn es keine Tatsachen gab, diekritisiert werden konnten, zu Verfälschungen gegriffen werden, umden Obersten Gerichtshof eines aufs Zeug zu flicken.

Der einzige Mann in Wien, der gegen dieses Schandtreibender Stunde auftrat und es immer wieder verfolgte, war der Pri-vatankläger Karl Kraus. Da die Stunde auch an ihn eine sachlichgerechtfertigte Kritik nicht üben konnte, weil sie dazu wederfähig war, noch irgendeine Tatsache vorlag, die eine Kritik ge-rechtfertigt hätte, so musste eben zu Fälschungen gegriffen werden.Da liegen nun fünf derartige Fälschungen, resp. Ent-stellungen vor, über deren eine Sie heute zu judizieren haben.Die übrigen betreffen eine Verfälschung des Jugendbildnisses desHerrn Kraus und seiner Schwester, das Sie ja heute auch gesehen ha-ben, einen Bericht der Stunde, dass Herr Kraus in Budapest Be-amte bestechen liess, um sich die Akten gegen Herrn Bekessy zu verschaffen, wofür Dr. Fritz Kaufmann bereits rechtskräftig ver-urteilt worden ist, die Veröffentlichung eines Briefes des HerrnKraus an Wilhelm Liebknecht, für welche der damalige verantwort-liche Redakteur Dr. Marc Siegelberg in erster Instanz verurteiltwurde und die Veröffentlichung eines Briefausschnittes an einenbisher noch unbekannten Adressaten mit Ausfällen gegen Herrn KarlKraus, von denen die Redakteure der Stunde wohl wussten, dass siekeinen Beweis für irgendetwas bieten könnten, sondern Ausbrüchedes eigenartigen Temperaments Peter Altenbergs waren, von demin einem fast gleichzeitig erscheinenden Bericht über Loos erzähltwurde, dass sie nichts bedeuten und dass Peter Altenberg an nie-mandem mehr hing als an Loos, den er gleichzeitig beschimpfte.Die Prozesse, die Herr Karl Kraus gegen die Redakteure derStunde führen liess, verfolgen nun in erster Linie den Zweck derenBestrafung herbeizuführen, damit die von diesen Redakteuren sooftgeschändete Pressfreiheit, die diese zu einer Pressunverantwortlichkeit noch erweitern möchten, nicht weiter gefährdet werde. Inzweiter Linie den Zweck andere dazu aufzumuntern gleichfalls gegendieses abscheuliche Treiben der Presse a la Stunde energischstaufzutreten. Und zu meiner und gewiss auch Ihrer Befriedigung

kann ich Ihnen mitteilen, dass die von Herrn Kraus geführtenProzesse, eine Unzahl anderer im Gefolge hatten, wie Sie jaauch aus den unzähligen Vorstrafen des Dr. Fritz Kaufmann ersehenkönnen und auch aus den Strafkarten der anderen Redakteure ent-nehmen könnten.

Was nun den vorliegenden Straffall betrifft, so hatDr. Fritz Kaufmann durch seine Tathandlung, dass er das Bildvor der Drucklegung gesehen und zum Drucke befördert hat, zweiDelikte begangen, nämlich gegenüber Herrn Karl Kraus die Ueber-tretung nach § 45 Abs. 3 Urh.Ges. der besagt, dass derjenige sicheiner Uebertretung schuldig mache, der über ein Fotografieporträtohne Zustimmung der dargestellten Person oder ihrer Erben eineunter das Urheberrecht fallende Verlegung trifft und gegen Herrn Lanyi des Vergehensnach § 44 des Urh.Ges. dessen sich derjenige schuldig macht, derwissentlich einen Eingriff in das Urheberrecht begeht oderwissentlich Erzeugnisse eines solchen Eingriffes entgeltlichverbreitet. Nach wiederholten Entscheidungen des Obersten Gerichts-hofes genügt zur Wissentlichkeit, dass der Täter auf die Gefahrhin, dass ein Urheberrecht verletzt werde, sich zum Eingriff ent-schlossen hat, der sogenannte dolus eventualis. Nun bitte ichfolgendes in Erwägung zu ziehen. Am 25. April 1925 wurde Dr. FritzKaufmann zur G.Z. U I 109/25 wegen Nichtveröffentlichung bezügl.eines Bildes des Privatanklägers Karl Kraus und seiner Schwester verurteilt. Am 27. Mai 1925 war Dr. Fritz Kaufmann als Vertreterder Stunde bei einem Prozess anwesend, in dem der Redakteur Dr.Marc Siegelberg wegen Verletzung des Urheberrechtes an demselbenBild angeklagt worden war und wozu die Ladung Herrn Dr. FritzKaufmann schon vorher bekannt gewesen sein musste, da er schonfrüher einmal bei dem Richter in dieser Sache interveniert hatte.Es musste also dem Dr. Kaufmann ganz klar sein, dass niemals wederHerr Kraus noch Herr Lanyi seine Zustimmung zur Veröffentlichungeines Bildes des Herrn Kraus gegeben habe, zumal da ja die Be-kämpfung des Schandwesens der Stunde durch Herrn Kraus ganzWien bekannt war und die Veröffentlichung der ersten Fotografie

eine Reaktion auf diese Bekämpfung war. Könnte das aber nochzweifelhaft gewesen sein, so konnte doch darüber dem Angeklagtenkein Zweifel bestehen, dass eine Erlaubnis in der Form, dass andem Bilde Verfälschungen vorgenommen werden, gewiss nicht erteiltwurde.

Die Anträge auf Bestrafung, Veröffentlichung, Ver-fallserklärung und Vernichtung der Klischees sind daher im Gesetzebegründet. Bei der Strafbemessung bitte ich Sie auf die Vor-strafen des Angeklagten, auf die unerhörten Kränkungen, die demPrivatankläger Karl Kraus durch die Veröffentlichungen hätten zu-gefügt werden sollen, und auf die Tatsache Rücksicht zu nehmen,dass das Bild zur Unterstützung der Gesellsc zu wohltätigemZwecke für die Gesellschaft der Freunde, also zur Unter-stützung der notleidensten unserer Mitbürger verkauft wurde undder Absatz durch die Veröffentlichung in der Stunde wesentlicheEinbusse erlitten hat.

Ich möchte nur noch ein paar Worte zur Begründung meinesAntrages wegen Verhängung einer Busse wegen Kränkung des Privat-anklägers Karl Kraus sprechen. Es ist klar, dass derjenige, dergeistige und kulturelle Misstände kritisiert dazu nur ein Recht hatwenn sein eigener Lebenswandel frei von allen Verfehlungen ist,die er einer Kritik unterzieht. Dass Herr Karl Kraus als Barbe-sucher hingestellt werden sollte, hatte den Zweck auch ihn alseinen derjenigen hinzustellen, der an den seichten VergnügungenGefallen findet, in der Öffentlichkeit aber an den geistigenund kulturellen Darbietungen schärfste Kritik übt.