20.8 Ausführung der Berufung

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 8. Oktober 1926
Seite von 4

G.Z. U I 237/26

Strafbezirksgericht Iin WIEN.

Privatankläger und Berufungswerber: Karl Kraus,Schriftsteller in Wien III. HintereZollamtsstrasse No. 3,durch:

Beschuldigter und Berufungsgegner: Dr. Fritz Kaufmann,Wien VIII. Piaristengasse No. 56

wegen § 26, Abs. 6 P.G.

1 fach

Ausführung der Berufung.

Ich habe gegen das Urteil vom 21.September 1926, G.Z. U I 237/26 die Berufung wegenvorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen des Aus-spruches über die Strafe angemeldet und um Zustellungeiner schriftlichen Urteilsausfertigung zu Handenmeines Anwaltes zur Ausführung der Berufung gebeten.Die Ausfertigung wurde meinem Anwalt am 2. Oktober1926 zugestellt. Ich erstatte innerhalb der acht-tägigen Frist folgendeAusführung der Berufung.

I. Als Nichtigkeitsgrund mache ich dendes § 281, Z. 11 St.P.O. geltend. Nach § 24 Abs. 6 P.G. begründet das Erscheinen jeder weiteren Nummer einerZeitung vor Erfüllung der Verpflichtung zur Veröffent-lichung eine Übertretung, für die der verantwortlicheSchriftleiter zu bestrafen ist. Der Richter ersterInstanz hat folgerichtig entschieden, dass der Beschul-digte diese Übertretung 30 mal begangen hat, ihn aberunter Hinweis auf eine Entscheidung des Obersten Gericht-hofes zu einer einzigen Kumulativstrafe verurteilt.Diese Entscheidung entspricht nicht dem Gesetz. DerSinn dieser Gesetzesstelle kann unabhängig von dem § 5des Pressgesetzes nur der sein, dass so viele Strafenzu verhängen sind, als Übertretungen begangen wurden.Klarer noch als aus dem § 24, Abs. 6 P.G. geht dies aus§ 25, Abs. 2 P.G. hervor, laut welchem der verantwort-liche Schriftleiter für die grundlose Verweigerung derVeröffentlichung einer Berichtigung, oder Vornahme der-selben in einer dem Gesetze widersprechenden Weise,für jede vor Erfüllung der Verpflichtung erschieneneNummer zu bestrafen ist.“ Die Aufnahme der ausdrücklichen

Bestimmung, dass jede Nummer eine Übertretung beinhaltet,für die der Schriftleiter zu bestrafen ist, wäre sinnlos,wenn eine Kumulativstrafe für mehrere Nummern vom Gesetz-geber beabsichtigt gewesen wäre. Denn es würde dann nacheiner gewissen Anzahl von Nummern, vor dem Wegfall derMindeststrafe, schon nach 10 Nummern eine Höchstgrenzeerreicht worden sein, sodass nachher die Unterlassung derVeröffentlichung geradezu straflos bliebe. Da nun sowohl§ 24, Abs. 6, als auch § 25 spezielle Bestimmungen darübertreffen, dass das Erscheinen jeder weiteren Nummer alsÜbertretung zu bestrafen ist, ist es nicht notwendig auf§ 5 P.G. zurückzugreifen, um erst aus diesem auf die ge-sonderte Erkenntnis zu schliessen. Noch weniger aber gehtes an auf die erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichts-hofes Bedacht zu nehmen, die dahin ausgeht, dass der§ 267 St.P.O. eben dann anzuwenden ist, wenn keine spe-ziellen Bestimmungen des Gesetzes einen Ausnahmsfall sta-tuieren und obwohl dies im Gesetz nicht ausdrücklich ge-schrieben steht, als Voraussetzung verschiedene Übertre-tungen des Pressgesetzes verlangt, um den § 5 P.G. zurAnwendung zu bringen.

II. Aber selbst wenn diese Auffassung un-richtig wäre, so entspricht die verhängte Strafe von60 Schilling nicht dem Verschulden des Angeklagten. DerAngeklagte ist unzählige Male wegen Pressdelikten vor-bestraft. Der ihm vom Erstrichter zugebilligte Mangeldes bösen Vorsatzes liegt keineswegs vor. Das Berufungs-urteil wurde dem Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann persönlichzugestellt und er musste sich daher klar darüber sein,dass nunmehr das Urteil erster Instanz, das schon wegender Heftigkeit, mit welcher über gewisse juristische

Fragen gestritten wurde, doch keineswegs alltäglichund unbedeutend war, vollständig zu erfüllen sei . , zumal da die Berufung sich auch gegen die Pflicht zur Veröffentlichung richtete. Überdies hatte doch der Beschuldigte, selbst wenn eranfänglich vergessen hätte das Urteil zu veröffentlichen,dies doch mindestens nach Zustellung der Ladung überdie Anklage tun müssen, so dass mindestens für die nachZustellung der Ladung erschienenen Nummern die Ausrede aufein Vergessen hinfällig wird und von diesem Tage an derböse Vorsatz unbedingt erwiesen ist.

Ich beantrage daher, das Urteil ersterInstanz abzuändern und den Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann für jede Nummer entsprechend zu bestrafen, sollte aberauch das Gericht zweiter Instanz der Ansicht sein, dasseine Gesamtstrafe zu verhängen ist, dem Verschulden desAngeklagten entsprechend über ihn die Höchststrafe zuverhängen.

Ich bemerke hiezu noch, dass der AngeklagteDr. Fritz Kaufmann schon einmal wegen Nichtveröffentlichungeiner Berichtigung zur G.Z. U I 140/25 für jede Nummerzu einer Strafe von 5 Schilling verurteilt wurde, währendeine einfache Rechnung ergibt, dass hier für jede Nummerdie lächerlich geringe Strafe von 2 Schilling verhängtwurde.

Karl Kraus.

Betrifft: Kraus – Dr. Kaufmann expediert am 8. Oktober 1926.