20.10 Urteil des Landesgerichts für Strafsachen I Wien (G.Z. Bl. XV 905/26, Vorsitz: Franz Gottfried)

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Datum: 2. November 1926
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U I 237/26Geschäftszahl Bl XV 905/26/4

Im Namen der Republik Österreich!

Vor dem Landes-Gericht in Strafsachen I Wien alsBerufungsgericht hat gemäß der die Verhandlung anordnenden Verfügungvom 20. Oktober 1926 am 2. November 1926 unterdem Vorsitz des Hofrates Gottfried im Beisein des Hofrates Heidrich des Hofrates Neuwirth unddes Hofrates Dr. Gruwe als Richterund des Offztin Weber als Schriftführerin Abwesenheitdes Privatanklägers Karl Kraus in Anwesenheitdessen Vertreters Dr. Oskar Samek in Anwesenheitdes Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann die Verhandlung über die Berufung des Privatanklägers im Punkte der Nich-tigkeit und Strafegegen das Urteil des Straf-Bezirksgerichtes I Wienvom 21. September 1926 Geschäftszahl U I 237/26/5stattgefunden. Das Gericht hat über den Antrag des klägerischen Vertreters der Berufung des Privatanklägers Folge zu geben und den Antrag des Ange-klagten sie abzuweisenam 2. November 1926 nach öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Die Berufung des Privatanklägers pto. Nichtigkeit wird alsunbegründet zurückgewiesen. Dagegen wird der Berufung im Punkte der StrafeFolge gegeben und über den Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann an Stelle der vomErstrichter verhängten Strafe gemäss § 24 Abs. 6 Pr.G. und § 267 St.G. eineGeldstrafe von 100 S, im Nichteinbringungsfalle 5 Tage Arrest verhängt.

Gemäss § 390a St.P.O. hat Angeklagter die Kosten des Berufungs-verfahrens zu ersetzen.

Gründe:

Der geltendgemachte Nichtigkeitsgrund nach § 281 Zl. 11 St.P.O. liegt nicht vor, denn mit Recht hat der Erstrichter die Bestimmung des§ 5 Pr.G. im Sinne der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 5. Jänner1925 Os IV 472/24 dahin ausgelegt, dass diese Bestimmung nur dann zutrifft,wenn es sich um zwei oder mehrere verschiedene Uebertretungen des Pr.G.handelt, von denen jede mit Geldstrafe bedroht ist. Es handelt sich ledig-lich um die Fortsetzung einer und derselben strafbaren Unterlassung, welcheGegenstand der nämlichen Untersuchung und Aburteilung war und lag für dieStrafbemessung lediglich der Erschwerungsgrund nach § 263a St.G. vor. Demsteht auch die Bestimmung des § 25 des Pr.G. nicht entgegen, da sich dieseGesetzesstelle nur auf entgeltliche Ankündigungen bezieht. Die Strafberufungdes Privatanklägers erscheint jedoch gerechtfertigt, da als erschwerend diewiederholten Vorstrafen des Angeklagten wegen Pressdelikten, der rasche Rück-fall und die Fortsetzung der strafbaren Unterlassungen durch längere Zeitvorliegt und da diese Erschwerungsgründe bei Geltung der am 1. September 1926 in Kraft getretenen Strafgesetzno-velle vom Jahre 1926 vom 27. Juli 1926, B.G.Bl. 192, derzufolge die Obergrenzeder im Pressgesetz für dieses Delikt angedrohten Geldstrafe auf 250 S er-höht wurde, die verhängte Strafe als zu gering erscheinen lassen.

Der Ausspruch über die Kosten stützt sich auf die bezogeneGesetzesstelle.

Eine strengere Strafe als die oben ausgesprochene fand dasGericht jedoch nicht zu verhängen, mit Rücksicht auf das umfassende Ge-ständnis des Angeklagten und den Umstand, dass es auch dem Berufungsgericht mit Rücksicht auf dessen Verantwortung glaubhaft erschienen ist, dass dieUnterlassung der Veröffentlichung der Berichtigung nicht auf bösem Willendes Angeklagten sondern nur auf Vergessen seinerseits zurückzuführen war.

Wien, 2. November 1926.

Der Vorsitzende [Unterschrift Kanzleileiter] Der Schriftführer:

Kraus – Dr. Kaufmann 22. Nov. 1926