23.28 Brief Samek an RA Miksa Rosenberg

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 18. März 1926
Betreff: Kraus – Stunde

Empfänger

An: Wohlgeb. | Herrn Dr. Miksa Rosenberg
Rakoczy-ut 70
Budapest VII.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege!

Wie ich vorausgesehen habe, ist der Verfasser derNotiz, in welcher mitgeteilt wurde, dass die angeblich im Auf-trage des Herrn Karl Kraus beim Evidenzbureau der BudapesterStadthauptmannschaft durch Beamtenbestechung Akten beschaffenwollten, nicht ermittelt worden und anstatt des Ehrenbeleidigungs-prozesses ist es nur zu einem Prozess gegen den verantwortlichenRedakteur der „Stunde“, Dr. Fritz Kaufmann, gekommen, der jedochsonderbarerweise sich dahin verantwortete, dass er beweisenwolle, dass Sie sich auf eine Vollmacht des Herrn Karl Kraus berufen haben und Ihr Substitut beim Budapester Strafgerichte in dem mitgeteilten Sinne interveniert habe. Am Tage der ersten Ver-öffentlichung seien Sie in der Redaktion der „Stunde“ erschienenund hätten mit aufgehobenen Armen um eine Richtigstellung ersucht,um Ihren Ruf in Budapest nicht volkommen zu zerstören, da Ihretatsächlich erfolgte Disziplinierung schon in Vergessenheitgeraten sei. Die Verhandlung wurde vertagt und Sie werden, ebensowie der Budapester Korrespondent der „StundeGeza Bekeffy, alsZeugen darüber einvernommen werden, wer Ihnen den Auftrag zurAkteneinsicht gegeben habe.

Der Grund weshalb ich Ihnen dies mitteile ist jedoch nichtdie Tatsache Ihrer zu erwartenden Zeugeneinvernahme, sondern dasBestreben Ihren Ruf als Anwalt vor den unerhörten Behauptungendes Herrn Dr. Fritz Kaufmann zu schützen. Obwohl die Verhandlung

bereits am 20. Jänner 1926 stattgefunden hat, kann ich Ihnen dieMitteilung erst heute zukommen lassen, weil ich die Ergänzung desVerhandlungsprotokolles beantragt habe. Herr Dr. Fritz Kaufmann hat nämlich sogar behauptet, dass Sie wegen Veruntreuung diszipli-niert worden sind. Dieses Wort ist aber in das Verhandlungs-protokoll nicht aufgenommen worden und ich habe infolgedessen dieErgänzung beantragt. Diesem Antrag ist leider nicht stattgegebenworden, weil der Richter und der Schriftführer sich an dieses Wortnicht erinnern konnten. Ich bin aber selbst in der Lage zu bezeugen,dass Herr Dr. Fritz Kaufmann dieses Wort gebraucht hat. Ferner warbei der Verhandlung ein bekannter Wiener Anwalt, Herr Dr. OswaldRichter, Wien I. Operngasse 2 gleichfalls im Zuhörerraum anwesend,welcher die Sache mit Interesse verfolgte und daher auch bezeugenkann, dass Dr. Fritz Kaufmann Ihre Disziplinierung wegen Veruntreu-ung behauptet hat. Wenn Sie daher, was ich annehme, die Ehrenbeleidi-gungsklage gegen Dr. Fritz Kaufmann machen wollen, so stehe ich Ihnenzur Verfügung. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, dass schon einegewisse Zeit seit dieser Verhandlung verflossen ist und dass dieÜbertretung der Ehrenbeleidigung nach österreichischem Recht indrei Monaten verjährt, sodass Sie zur Einbringung der Klage unver-züglich den Auftrag an Ihren Wiener Substituten erteilen müssten.

Ich zeichne mit vorzüglicherkollegialer Hochachtung

rekomm.

KrausStunde 18.III.26