27.7 Strafanzeige gegen Karl Tschuppik wegen des Verdachtes des Verbrechens der falschen Zeugenaussage nach § 199a St.G. (eingebracht von Karl Kraus bei der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen I Wien)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 22. April 1927
Seite von 8

An dieStaatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen IWien.

Karl Kraus,Schriftsteller in Wien III., Hintere Zollamtsstr. 3 durch:

1 fach

erstattet Strafanzeige gegen Karl Tschuppik zum vorüber-gehenden Aufenthalt in Wien, Hotel Bristol, Neues Haus I., Kärntner-ring 1/7, wegen des Verdachtes des Verbrechens der falschen Zeu-genaussage nach § 199a St.G.

Am 9. Dezember 1925 erschien inder „Stunde“, datiert vom 10. Dezember 1925, Seite 6, ohne meineEinwilligung der Abdruck eines von mir im Jahre 1900 anWilhelm Liebknecht gerichteten Briefes. Ich habe durch meinenAnwalt Dr. Oskar Samek beim Strafbezirksgericht I um Einleitungvon Vorerhebungen gegen den verantwortlichen Redakteur Dr. MarkSiegelberg und gegen weitere unbekannte Täter wegenUebertretung des § 45 Absatz 4 Urh.Ges. ersucht. Es wurden indiesem Vorverfahren zur G.Z. U XII 71/26 siebzehn bei der „Stundebeschäftigte Reakteure einvernommen, die sämtliche ausgesagthaben, dass sie den Verfasser und Veröffentlicher des Artikelsmit dem an Wilhelm Liebknecht gerichteten Brief nicht kennen,so dass es also ein Redaktionsgeheimnis der „Stunde“ vor denRedakteuren der „Stunde“ gegeben haben müsste. Lediglich HerrKarl Tschuppik, von dem als Chefredakteur vor allemzu vermuten war, dass es vor ihm ein solches Redaktionsgeheim-nis nicht gegeben haben könnte, zumal nicht bei einem so auf-sehenerregenden Artikel, für dessen Urheberschaft er sichwenigstens nachträglich interessiert haben dürfte, lediglichHerr Tschuppik liess sich dazu herbei, als eine ArtSachverständiger über den Stil seiner Redakteure, der VersionAusdruck zu geben, dass Herr Ernst Ely der Verfasser diesesArtikels sein könnte. Der Verdacht gegen Ely, der nun tatsäch-lich sowohl dem blumigen Stil nach, wie gemäss einer gewissenKenntnis der politischen Vorgänge jener Zeit in Betracht kommenkonnte, (für die kaum ein anderer Redakteur der „Stunde“ ausseretwa Herr Tschuppik selbst tatsächlich in Betracht kommt,weil die meisten damals im Jahre 1900 teils noch nicht geboren,teils aus Ungarn noch nicht zugereist waren), dieser Verdachtnun wurde hinreichend erhärtet durch die weitere Bekanntgabe einerZeugin, der Schriftstellerin Frau Gina Kaus, welcher Ely von

seinem Vorhaben, einen mich angeblich kompromittierenden Briefan einen sozialistischen Führer zu veröffentlichen, Mitteilunggemacht hat. Ich habe infolgedessen gegen Ely die Privatan-klage wegen Verletzung des Urheberrechtes erhoben und bei deram 25. März 1927 zur G.Z. U XII 1761/26 durchgeführten Haupt-verhandlung hat Ely trotz dieser Zeugenaussage und entgegenden anderen Verdachtsgründen die Täterschaft geleugnet. Aufden Vorhalt Aussage des Zeugen Tschuppik, dass der Artikel dem Stil nach von ihm herrühren könnte, erwiderte der Be-schuldigte Ely, dass Tschuppik den Artikel nichtgenau gelesen haben und nur die Schlusspointe im Sinne gehabthaben dürfte, er gebe zu, dass die Wendung die Merkmale seinesStiles trage, diese Wendung komme aber bereits in einem früherenArtikel von ihm vor. (Den er jedoch nicht beibrachte.) Offenbarin dem Sinne, dass der Verfasser des Artikels sich diese wert-volle Pointe angeeignet habe. Diese Wendung lautet: „Allerdingsnur zu den einzigen Hof, den der Monarchismus dem neuen Oester-reich zurückgelassen hat; zu dem Stein-hof …

Ueber den Antrag meines Vertreters wurde Karl Tschuppik neuerdings einvernommen. Ursprüng-lich sollte diese Einvernahme in Berlin stattfinden, durch einenZufall wurde aber in Erfahrung gebracht, dass sich Tschup-pik vorübergehend wieder in Wien aufhalte, und es wurde überAntrag meines Vertreters die Einvernahme im Vorerhebungswege inWien durchgeführt. Für diese Einvernahme hat mein Vertreter diewesentlichen Fragen, welche an den Zeugen zu richten waren for-muliert.

Diese Einvernahme ergab das überraschen-de Resultat, dass es auch vor dem Chefredakteur der „Stundeein Redaktionsgeheimnis gegeben haben müsste; denn Tschup-pik erklärte, nicht angeben zu können, wer den Artikel verfasst

habe. Er erklärte jedoch weiters, er habe sich bei seiner An-vernahme am 13. Februar 1926 „dadurch verleiten lassen, zusagen, dass Ely der Verfasser des inkriminierten Artikelssein könnte, weil das Wortspiel vom ‚Steinhof‘ und ‚Hof‘auf Ely deutete, der solche Wortspiele öfter gebraucht.“ –Es sei aber „sehr wohl möglich, dass dieses Wortspiel durcheinen Redaktionskollegen von Ely’s Artikeln entlehnt wurde.

Dieses Vorbringen deckt sich in auffal-lender Weise vollständig mit der Verantwortung des Beschuldigten.War es bei diesem schon auffallend, dass er d ieses as stilistischeAlibi parat hatte, so muss es umso absonderlicher erscheinen,dass auch dem Zeugen, in einer Materie, die er nur ganz nebenbeizu kennen behauptete, diese Nuance gegenwärtig war, besonders bei dem Umstande, dass zumal da weder der Beschuldigte, noch der Zeuge angeben konnte, in welchem früher erschienenen Artikel dieentlehnte Stelle zu finden sein sollte. Es besteht für mich keinZweifel, dass aus dieser Übereinstimmung einer Zeugenaussagemit einer Beschuldigten-Verantwortung, besonders bei dem Umstande,dass der Zeuge ein solches Stilkriterium keineswegs zur Stütze seiner Angabe in Anspruch genommen hat, wie jetzt zur Entkräftung,– dass also mehr als eine zufällige Uebereinstimmung vorlieg en t dürfte, vielmehr ein Meinungsaustausch stattgefunden haben müsste muss .

Aber es ist nicht dieser Teil der Aus-sage allein, was diesen Verdacht rechtfertigt. Der BeschuldigteEly hatte den Versuch gemacht, sein Alibi auch in der Richtungzu beweisen, dass er eine Mitarbeit in der sogenannten „Kampagne“gegen mich in Abrede stellt, ja sich geradezu als denjenigen be-zeichnet, der sich gegen die Veröffentlichung von Briefen ausge-sprochen habe. Der Zeuge Tschuppik, der in der ersten Ein-vernahme auf Ely als den vermutlichen Täter hingewiesen hatte,entwurzelte geradezu diese Behauptung seine Vermutung in der zweiten Einvernahme

durch die Aussage, Ely sei „in der Sache Kraus nichtengagiert“ gewesen: „er habe eher gebremst“, gewisseVeröffentlichungen habe er „sogar ausdrücklich missbilligt“.

Es ist auffallend, dass der ZeugeTschuppik, selbst wenn er sich für verpflichtet ge-halten hat, in der ersten Einvernahme als Stilsachverständi-ger Ely als Täter zu agnoszieren, nicht schon damals dieseVermutung entkräftet hat durch die Versicherung: ein solcherVerdacht wäre aber freilich aus dem Grunde hinfällig, weil Ely jain jener „Kampagne“ sogar „eher gebremst habe.“ Das Motiveines sachlichen Alibis für Ely, das mit dem Vorbringendesselben durchaus konform ist, macht also offenbar den Ein-druck, nachträglich hinzu gekommen zu sein und zwar in Kennt-nis der Verantwortung des Beschuldigten Ely.

Jenseits dieser auffallenden Ueber-einstimmungen mit der Verteidigung, beziehungsweise der Wider-sprüche mit der ersten Zeugenaussage, scheint mir die zweiteaber auch an und für sich falsche Darstellungen durch Ver-schwiegen von Tatsachen zu enthalten, die dem Zeugen bewusstsein mussten. Ist schon an und für sich das Vorbringen un-glaubhaft, dass ihm als Chefredakteur die Herkunft eines sosensationellen und ausschliesslich zu Sensationszwecken (zurSprengung eines an dem gleichen Tage gehaltenen Vortrages vorArbeitern) veröffentlichten Artikels verborgen gewesen sei,die man ihm geradezu kunstvoll hätte verheimlichen müssen, soist es umso unglaubhafter, dass er nicht wenigstens nachträg-lich, wie er ausdrücklich in Abrede stellt, mit anderen Re-daktionsmitgliedern über den inkriminierten Artikel gesprochenhat. Dass der Zeuge an der Frage der Verfasserschaft interessiertwar, was doch wohl seine Stellung als Chefredakteur hinreichendrechtfertigt, geht insbesondere auch aus dem Widerspruch in sei-

ner zweiten Aussage hervor, indem er zuerst dezidiert erklärte,er habe mit anderen Redaktionsmitgliedern nicht gesprochen“,es sei ihm „auch kein Verfasser genannt“ worden, er habe „auchnichts davon gehört, dass die Redakteure untereinander davon ge-sprochen hätten, wer der Verfasser wäre“, er könne „nicht angeben,wer den Artikel verfasst habe“, um dann zum Schluss zu erklären, erkönne sich nicht mehr erinnern, „mit wem er über die Frage desVerfassers des inkriminierten Artikels gesprochen habe, er glaubeaber bestimmt einmal mit jemandem darüber gesprochen zu haben,glaube sich aber zu erinnern aber bestimmt sagen zu können , dass damals nicht davon gesprochenwurde, dass Ely der Verfasser des Artikels sei.

Daraus geht hervor, dass darüber gesprochen wurde, wer als Verfasser des Artikels in Betracht komme,dass also der Zeuge doch nicht so ganz nebenbei von der Angele-genheit erfahren hat und dass offenbar noch Ely als Verfasserin Betracht gezogen wurde, weil sich der Zeuge ja sonst erinnernmüsste, wer ausserdem in Betracht gezogen wurde und er dann beiseiner ersten Einvernahme neben der Verdächtigung Ely’s nocheinen anderen Anhaltspunkt für die Täterschaft hätte haben geben müssen.Somit hätte er zumindest diesen anderen Anhaltspunkt verschwiegen.

Ebenso unglaubwürdig ist des Weiterendas Vorbringen, er könne sich nicht mehr erinnern, wer mit ihmüber den Zusammenhang des Karl Adler mit dem veröffentlichtenBrief gesprochen habe.

Alle diese Momente scheinen mir denVerdacht zu rechtfertigen, dass hier offenbar eine falsche Zeugen-aussage vorliegt, sei es durch Behauptungen, sei es durch Ver-schweigungen. Bekräftigt wird dieser Verdacht noch durch den Um-stand, dass Tschuppik sich schon einmal einer falschenZeugenaussage verdächtig gemacht hat, derentwegen ein Verfahrengegen ihn eingeleitet wurde.

Den Mut zu diesem Verhalten scheinter mir aus dem Umstande zu schöpfen, dass er, wie mir bekanntge-geben wurde, im Begriffe ist, eine Weltreise anzutreten, weshalbes auch angebracht wäre, die Einvernahme des Verdächtigen sofortdurchzuführen.

Zur Charakterisierung des Milieus, in welchem dem diese Zeugenaussage sich abspielt, möchte ich noch daraufhinweisen, dass die Abwälzung der Verantwortung durch die Ange-stellten der „Stunde“ eine bereits notorische Tatsache ist, dassin jedem der zahlreichen Verfahren gegen Redakteure der „Stundekein einziger Täter eruiert werden konnte, weil auch in allenFällen, in denen nach dem Gesetze eine Zeugenpflicht bestand, keinerder Redakteure von dem Vorfall Sachverhalt etwas gewusst haben will.

Ich bringe daher diesen Vorfall wegenVerdachtes der falschen Zeugenaussage des Herrn Karl Tschup-pik zur Anzeige und schliesse mich dem Verfahren als Privatbe-teiligter an.

Karl Kraus.

KrausEly überreicht am 22. April 27.