27.22 Erklärung über Die Stunde

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift
  • Frieda Wacha, schwarze Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: April 1927
Seite von 4

Nach den Erfahrungen, welche ich mit der „Stunde“ gemacht habe, die durchjeden Versuch einer gesetzlichen Berichtigung nur ermuntert wird, dieMethode bewusster Wahrheitswidrigkeit in Wort und Bild mit umso grösseremBehagen fortzusetzen, muss ich es ablehnen, mit ihr auch nur unter Beru-fung auf das Gesetz zu verkehren. Da aber mein Klient Karl Kraus begreif-licher Weise Wert darauf legt, dass die Oeffentlichkeit, die Gedrucktesschon darum glaubt, weil sie sich ein solches Mass von Tücke zu vorsätz-licher Irreführung gar nicht vorstellen könnte, so schnell als möglichvom Sachverhalt unterrichtet werde, ersuche ich Sie, ihn ihr bekanntzugebenund damit nach Möglichkeit den Bübereien entgegenzuwirken, mit denen sichdas Blatt jetzt fast an jedem Tag für die ihm widerfahrene Stigmatisierungschadlos zu halten sucht, indem es jede Gelegenheit, durch eine Befassungmit Karl Kraus Interesse zu erregen, nicht nur aufgreift, sondern auchdurch glatte Erfindung von Tatsachen herbeiführt. Von all den Unwahr schein-lich haftig keiten, die ihm die gegebene Materie des Berichtigungsprozesses biszur abermaligen Entstellung der Bilder ermöglicht hat, sei hier nur dieTatsache erwähnt, dass die „Stunde“ nicht davor zurückgescheut hat, demWort des Richters, mit dem er eine ungehörige Bemerkung des Ankeklagtenüber Karl Kraus zurückwies, eine Fassung zu geben, die ihm fast den Sinneiner Zustimmung abnehmen liess. Solchen Verdrehungen an Ort und Stelledurch eine Berichtigung beizukommen, ist gegenüber einem Blatt nichtmöglich, das (während es die Liste der künstlerischen Mai-Feiern ver-öffentlicht, um die an erster Stelle stehende herauszufälschen) jetzt die fol-gende Erfindung fruktifiziert. Es hatte schon vor einem Jahr den Witzersonnen, dass ein Herr „Karl Kraus, Sprechlehrer und Freidramaturg“ sichin einer Zuschrift an die „Stunde“ dagegen verwahrt habe, mit Karl Kraus identisch zu sein. Kürzlich hat sie den Mann, der nunmehr „Krause“ heiss en t soll und sein Domizil gewechselt hat, den Scherz wiederholen lassen, weiles doch offenbar eine immer grössere Unehre wird, mit Karl Kraus verwech-selt zu werden und weil dem angeblichen Herrn Krause diese Pein immer von

neuem widerfährt. Nachdem dies geschehen war, brachte sie die folgendeNotiz:

Man kann der „Stunde“ das Widerstreben, Karl Kraus Reklame zu machen,annähernd so stark nachfühlen wie der Blattlaus den Protest dagegen,dass der Baum aus ihr Nahrung ziehe. Und man wird die Aufrichtigkeit derVersicherung, dass die „Stunde“ nur ungern die Zuschrift des Herrn Krause,gedruckt habe, an der folgenden Feststellung ermessen. Es ist unwahr, dassKarl Kraus diesen Herrn Krause in seiner Ehre herabgesetzt hat. Es ist un-wahr, dass er an dessen Verwahrung Zuschrift die Bemerkung geknüpft hat, ein Jüngelhabe ihm hingegen die Berichtigung gesandt, mit dem Verleger der „Stundeja identischzu sein. Wahr ist, dass es in jenem Vortrag hiess, dass nicht einmal dieLeser der „Stunde“ so dumm sein dürften zu glauben, dass diese wirklich voneinem Herrn Krause um die Bekräftigung seiner Nicht-Identität ersucht wurde.Eher würde ich sie schon davon überzeugen, dass ein Budapester AgentBekessy mit einer ziemlich stark belegten Leumundsnote die Fackel ersuchthat, festzustellen, dass er mit dem gleichnamigen Herausgeber der ‚Stundeund der ‚Börse identisch ist.“ Der starke Applaus, der dieser Stelle desVortrages folgte, ist auch Herrn Bekessy zu Ohren gekommen, aber dass eineHerabsetzung der Ehre des Herrn Krause in den Worten ge borg leg en war, hatte erkaum daraus entnehmen können. Es ist demnach auch vollkommen unwahr, dassder Herr Krause zwei Herren zum Schriftsteller Kraus um Aufklärung des Sach-verhaltes gesandt hat. Es ist unwahr, dass diesen irgendetwas erwidert wurde,sei es von einer Anspielung, einer ungeschickten Formulierung, von Herstel-lung witziger Antithesen oder von einer Anpassung an die Forderungen des Vor-tragspublikums. Es ist weder eine gewundene noch eine direkte Erklärung abge-geben worden, ja es ist nicht einmal ein Hinauswurf der zwei Herren erfolgt,weil diese zwei Herren eben bei m Herrn Schriftsteller Kraus überhaupt nicht vorgesprochenhaben. Es ist somit schliesslich auch unwahr, dass Herr Krause, dem die Er-klärung „naturgemäss“ nicht genügen konnte, gegen den genannten Herrn Kraus ge-richtliche Schritte eingeleitet hat. Es besteht also keine EhrenaffäreKraus – Krause. Da aber einer blödgemachten Leserschaft, die doch so etwasglauben musste, noch mehr zugemutet werden kann, so erschien gleich am näch-sten Tag eine Notiz, in der nach der bekannten Methode, wonach Karl Kraus

bekanntlich“ mit seiner Schwester einen Erbschaftsstreit führt, den ersein Lebtag nicht geführt hat, ein „Religionslehrer Karl Krauß ausPistyan“ um die Feststellung ersucht, er sei wieder nicht identisch mitdem Sprechlehrer und Freidramaturgen Karl Krause, „der mit dem Schrift-steller Karl Kraus in die bekannte Affäre verwickelt ist“. Dieser „Affäre“die in einer Weise dargestellt wird, dass doch zahlreiche Käufer desBlattes düpiert werden, da sie ja gar nicht auf die Idee kommen können,dass eine Zeitungsredaktion Zeit und Animo aufbringen werde, sich so etwaseinfach aus den Fingern zu saugen, wird die widerstrebende „Stunde“ wohlnoch etliche Wendungen abgewinnen. Es liegt ihr aber, wie ich hiemit fest-stelle, keine einzige andere wahre Tatsache zugrunde als die, dass das Blatt nie-mals von einem Herrn Kraus oder Krause und wahrscheinlich auch nicht von einemHerrn Krauß eine Zuschrift erhalten hat und wenn eine, so gewiss eine sol-che, von deren Zustandekommen die Redaktion der „Stunde“ vorher unterrichtetwar. Die Wahrheit ist, dass nach polizeilicher Feststellung vom 10. Aprilein Karl Krause, Sprechlehrer und Freidramaturg Wien VIII Florianigasse 7überhaupt nicht existiert. Diese Feststellung wird ein Blatt wie die „Stunde“,dessen System es ist, wie Karl Kraus eben in seinem Vortrag ausgeführt hatdie Privatbüberei unmittelbar in Publizistik umzusetzen, vermutlich nichtdaran hindern, die Geistesödigkeit dieses Scherzes fortzusetzen, solange ergeschäftlich nicht völlig unergiebig ist, solange der Name des Betroffenenjede Konterbande der Sensation deckt, und vielleicht selbst dann, wenn dasPublikum die Methode der in eigener Regie gezüchteten Grubenhunde durch-schaut hat. Aber der Fall, dass Zeitungspapier und Druckerschwärze aus-schliesslich zur Befriedigung eines bübischen Gelüstes verwendet werden, nicht weil selbst die Erkenntnis der spekulativen Lüge und das damit verbundeneEkelgefühl die Kundschaft nicht abhalten kann, so etwas gern zu lesen undwenn schon nicht ernst zu nehmen, so doch witzig zu finden. Dieser Falldürfte in der Geschichte des Zeitungswesens wohl nicht seinesgleichenhaben.

In vorzüglicher Hochachtung