29.3 Privatklage von Karl Kraus gegen Richard Weininger wegen Ehrenbeleidigung (Strafbezirksgericht I Wien)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 2. Juli 1925
Seite von 2

An dasStrafbezirksgericht I.Wien.

Privatankläger, Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III. HintereZollamtsstrasse 3 durch:Vollm [Stenografie]

Beschuldigter: Richard Weininger, Kaufmann, Wien IV. Schwindgasse10.

wegen Ehrenbeleidigung. 1 fach.

Privatanklage.

Der Beschuldigte, Richard Weininger, schrieb vonBerlin aus an Herrn Dr. Ludwig Münz in Wien IX. Berg-gasse 13 am 25. Mai 1925 einen Brief, welcher Herrn Dr. Münz am 30. Mai 1925 in Wien III. zugestellt und mir am 6. Juni1925 zur Kenntnis gebracht wurde. Dieser Brief enthieltfolgende, mich betreffende, beleidigende Worte: „Lass’ Dichnicht von dem verwachsenen Journaille-Jingl, in dessen gei-fernden Zwergenkörper Gott in seinem unerforschlichen Rat-schluss die Seele eines so grossen lyrischen Genius gelegthat, vorschieben, lass’ Dir Deine Briefe nicht von ihm korri-gieren, bitte ihn vielmehr, weniger Auto zu fahren und dafürDir zu helfen.“ Der Beschuldigte liess durch seinen AnwaltDr. Max Frischauer, Rechtsanwalt, Wien VIII. Auersperggasse 11 gegenüber Herrn Dr. Ludwig Stadler, resp. Dr. Viktor Stadler,Wien I. Kärntnerstrasse 12 die Erklärung abgeben, dass erden an Herrn Dr. Ludwig Münz gerichteten Brief öffentlichund vor mehreren Leuten verfasst und diktiert habe.

BEWEIS: Dr. Ludwig Münz, Wien IX. Berggasse 13, Dr. MaxFrischauer, R.A. Wien VIII. Auersperggasse 11 Dr. Viktor Stadler, Wien I. Kärntnerstrasse 12 als Zeugen.Der Beschuldigte hat durch diese Worte dieUebertretung der Ehrenbeleidigung begangen und ich beantra-ge durch meinen hiergerichts zur G.Zl. U I 109/25 ausgewie-senen Anwalt gegen den Beschuldigten eine Hauptverhandlunganzuberaumen, die angeführten Zeugen zu derselben zu ladenund den Beschuldigten empfindlich zu bestrafen.

Karl Kraus.Weininger 2.III.25.