34.1 Klage von Karl Kraus gegen Anton Kuh wegen Ehrenbeleidigung (Strafbezirksgericht I Wien)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 27. November 1925
Seite von 10

KrausKuh 27. XI. 25

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.Hintere Zollamtsstrasse 3,durch:

Vollmacht ausgewiesen zu U I 109/25

Beschuldigter: Anton Kuh, Schriftsteller, Wien III.Hotel Beatrix, Beatrixgasse 1.

wegen Ehrenbeleidigung.

1 fach

Klage:

Der Beschuldigte Anton Kuh hat über mich am25. Oktober 1925 im mittleren Konzerthaussaal einen Vortraggehalten, aus dessen Ankündigung, die unter dem Titel „DerAffe Zarathutras, – Ein Vortrag über Karl Kraus“ erfolgte,hervorging, dass es sich um eine Beleidigung meiner Personhandeln werde. Tatsächlich war auch der Vortrag von Anfangbis zu Ende bloss eine fortgesetzte Kette von Ehrenbeleidi-gungen ohne jede sachliche Unterlage. Es ist natürlich un-möglich, einen ganzen Vortrag unter Anklage zu stellen,dessen Wiedergabe durch Zeugen in der notwendigen Genauigkeitkaum durchführbar wäre; ich beschränke mich daher lediglichauf die vom Beschuldigten gebrauchten wüstesten Beschimpfungen,Schmähungen, Verspottungen und insbes. auf diejenigen Tat-sachen, deren Behauptung einen schweren Vorwurf gegen meineEhre beinhaltet, zumal da die Persönlichkeit des Be-schuldigten nicht zum Objekt einer literarischen Befassung,die er um jeden Preis anstrebt, sondern bloss zur straf-rechtlichen Abwehr der Beleidigungen taugt.

Ich behalte mir aber vor, diese Anklage durchandere Einzelheiten zu ergänzen und auch diese unter Anklagezu stellen, wenn mir deren genauer Wortlaut bekannt werdensollte.

Die Beleidigungen, welche ich unter Anklage stelle,sind folgende Aussprüche des Beschuldigten:

1.)Das, worüber ich sprechen will, ist nicht sosehr der Mann, der bewusst oder unbewusst der schuldige oderunschuldige Urheber der Epidemie ist, deren Entartung wirhier mitgemacht haben, sondern über die Epidemie selbst,der ich auf einem medizinischen Kongresse vorschlagen würde,

den Namen ‚Itzigseuche‘ zu geben.

Der Beschuldigte bezeichnet mich als Urhebereiner „Itzigseuche“, was eine grobe Beschimpfung darstellt.

2.)Ich schäme mich, mit lauter Stimme den Namen desMannes zu nennen, den ich nur flüsternd sage: Karl Kraus.

3.)Es kam eine andere Kategorie zu mir, die sagte:‚Ich nehme Ihnen ihr Recht nicht, sie haben ihre Stellungzu Karl Kraus schon früher demaskiert, sie haben sie sooffen deklariert, dass Karl Kraus gesagt hat, sie kommenvon hinten!‘

Diese und die andere Punkt 8.) und 9.) inkrimi-nierten Worte der Beschuldigten machen mir zum Vorwurf,dass ich auf seine erotischen Neigungen angespielt habe.Diese Behauptung ist vollständig unrichtig, beinhalteteine schwere Ehrenbeleidigung, da ich die Verwertung vonTatsachen des Privat- und Sexuallebens im öffentlichenKampfe wirklich stets perhorreszierte und aus diesemGrunde auch gegen Harden einen langen und energischenPressekampf führte. Der Beschuldigte wirft mir also damitvor, dass ich gegen meine sonstige Stellungnahme ihm gegen-über sein Sexualleben zu Kampfzwecken herangezogen habe,was eine schwere Beleidigung beinhaltet. Obwohl die Fällenoch immer auseinander zu halten wären, ob ein auch privatgehaltenes Sexualleben enthüllt, oder ein solches, von demder Betroffene selbst Aufhebens oder woraus er zumindestkein Hehl macht, so muss ich doch erklären, dass ich selbst-verständlich niemals weder in Wort noch in Schrift, weder

direkt noch indirekt, die sexuellen Angelegenheiten desBeschuldigten berührt habe.

4.)Die besten Witze, wem verdankt er die drei odervier besten Witze in diesem Kampfe, so wird er ehrlich sagenmüssen, die Witze habe ich von ihm.

Diese Behauptung beinhaltet den Vorwurf, dass ichvon dem Beschuldigten gemachte Witze ohne Nennung des Ur-sprungs verwendete, sohin eine unehrenhafte Handlung be-gangen habe.

5.)Ich sagte früher, dass ich mich schäme, seinenNamen auszusprechen. Ich schäme mich wirklich, ich werdeihnen sagen warum. So lange ich lebe, ist für mich das Aus-sprechen des Namens des Mannes das Kennzeichen dessen, wasich als Kennzeichen des Intelligenzplebejers vorführe.

Der Beschuldigte bezeichnet mich damit als einenIntelligenzplebejer, was eine schwere Schmähung bedeutet,zumal in Anbetracht der von ihm im weiteren Verlaufe desVortrages gegebenen Erklärung des Ausdruckes, welche folgen-dermassen lautet:

Der Intelligenzplebejer ist ein von unangenehmenFamilien-Kohns beschwertes Wesen aus Dreck, Dunst, aus engemStaub stammend, aus der Mischpoche, dessen Geruchsinn rebel-lisch ist, wenn er Familiendunst einatmet.–“

Die grosse Unsicherheit des Plebejers bestehtdarin, dass, wenn er in die Aussenwelt kommt, an seinem Ge-sicht, an seiner Geste, an seinem Nasenrümpfen genau abzulesenist das zoologische Merkmal des Kreises, aus dem er kommt,

des psychologischen Entwertungskreises. Sexuell ist dasSchicksal dieses Menschen ungefähr so: Natürlich spürt erinstinktiv, wie schön das Glück des restlosen wechsel-seitigen Begehrens und Angenehmseins ist. Dieses Glück habenauf der Welt nur die unbefangenen und zielbewussten,freiheitlichen Naturen. Intellektuell verdorben, wie siesind, haben sie zu diesen ganzen Glück einen sehr brüchigenSteg, den Steg der intellektuellen Erwägung. Eine andereLiebesmöglichkeit, als die des Vergewaltigers im feinstenSinne des Wortes, vom Standpunkte der Frauen, eine andereMöglichkeit, als die des Selbstverkaufens, haben sie nicht.Was kann dann bei solcher Glücklosigkeit, solcher eigensterErlebnislosigkeit ein anderer Frfolg sein, als dass derJüngling das Gefühl einer Unzulänglichkeit nicht mehr loswird, dass er, der nicht die Körpernähe zu dem geliebtenObjekt hat, mit einem Leopardensprung zurückfällt und sichsagt ‚Gott, wie ist mir mies‘. Für dieses ‚Gott, wie ist mirmies‘, für diesen Menschen gibt es bereits das grosse BuchOtto Weiningers, des Freundes Karl Krausens, der glücklos inder Liebe, der Mann vor dem ich Respekt habe, weil er ausseinem Karl Kraus-Schicksale heraus, in seinem dreiund-zwanzigsten Jahr die herostratische Konsequenz zog, seinePubertätsgenialität nicht zu überleben. Und da kommt erund sagt, wer hat recht, ein Weib ist so minderwertig, alsder es anpischt, es empfindet. (Entrüstungsrufe des Publikums)Ich muss so reden, weil es wahr ist. Ich frage nun, wiesoist Karl Kraus auserkoren, ein Gott des Intelligenzplebejerszu sein.

6.)Als Kraus vor ungefähr 30 Jahren - er sagt vor48 Jahren - nach Wien kam.

Da ich über den Zeitpunkt meiner Ankunft in Wien doch genau orientiert sein muss und wirklich vor 50 Jahrenin meinem ersten Lebensjahre nach Wien kam, so beinhaltetdiese Behauptung den Vorwurf, bewusst eine Unwahrheitgesagt zu haben.

7.)(Auf einen Zwischenruf: „In seiner Unbestechlich-keit“).Da könnte ich ihnen etwas erzählen, Kraus selbstsagt: ‚Von reinen Händen allein kann man nicht leben.Damit soll mir indirekt der Vorwurf gemacht werden,dass ich jedenfalls nicht immer reine Hände habe.

8.)Hierauf sagte dieser Wahnsinnige: ‚er kommt vonhinten ‘ Derselbe Mann, der die Kampagne gegen Harden geführthat, weil Harden, um das deutsche Reichskabinett zu stürzen,was doch jedenfalls historisch ist, festgestellt hat,welche Menschen in der Umgebung Kaiser Wilhelms an Per-versionen leiden, derselbe Mensch, der Harden aus diesemGrunde einen Abschaum, ein Brechmittel genannt hat, der-selbe Mensch sagt wegen einer kleinen, jüdischen Literatur-fehde in seinem roten Fackerl ‚Herr Kuh kommt von hinten. ‘

9.)Ein Schriftsteller, der sich nicht entblödet,auf Sexualität anzuspielen.

10.)Das nenne ieh die Geburt des Ethos aus dem Geistdes Ases“.

Da das Wort Ases einen Menschen niedrigster Frech-heit bezeichnet, beinhaltet dieser Satz eine schwereEhrenbeleidigung.

11.)Friedrich Nietzsche hat in einer Nacht eineVision gehabt. Karl Kraus ist ihm erschienen mit derFackel und nun hören sie zu. Versuchen sie, nicht er-schüttert zu sein, was Nietzsche über Kraus und Wien schreibt. Die grosse Stadt ist Wien, wer Kraus ist werdensie erraten.

Und nun folgte eine Vorlesung des Kapitels „VomVorübergehen“ aus dem dritten Teil des „Zarathustra“ vonNietzsche, aus dem ich jedoch nur die strafrechtlich rele-vanten Stellen zitiere:

Also durch viel Volk und vielerlei Städte langsamhindurchschreitend, ging Zarathustra auf Umwegen zurück zuseinem Gebirge und seiner Höhle. Und siehe, dabei kam erunversehens auch an das Stadttor der grossen Stadt: hieraber sprang ein schäumender Narr mit ausgebreiteten Händenauf ihn zu und trat ihm in den Weg. Dies aber war derselbigeNarr, welchen das Volk ‚den Äffen Zarathustra’s‘ hiess: denner hatte ihm etwas von Satz und Fall der Rede abgemerktund borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit.

Der Narr aber redete also zu Zarathustra: – – – – – – – – – – – – Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumendenNarren und hielt ihm den Mund zu.

‚Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich eckeltlange schon deiner Rede und deiner Art! – – – –‚Warum wohnst Du solange am Sumpfe, dass du selberzum Frosch und zur Kröte werden musstest?‚Fliesst Dir nicht selbst nun ein faulichtes schau-michtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also quacken undlästern lerntest? – – – –

‚– – – – Man heisst Dich meinen Affen, du schäumenderNarr: aber ich heisse dich mein Grunzeschwein, – durchGrunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.‘‚Was war es denn, dass dich zuerst grunzen machte?Dass Niemand dir genug geschmeichelt hat: – darum setztestdu dich hin zu diesem Unrate, dass du Grund hättest viel zugrunzen – – dass du Grund hättest zu vieler Rache! Rachenämlich, du eitler Narr, ist all dein Schäumen, ich errietdich wohl: Aber dein Narrenwort tut mir Schaden, selbst wodu Recht hast: – – – – –

Mich eckelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur diesesNarren.

Die Identifizierung meiner Person mit der desNarren in dem Aufsatze Nietzsches beinhaltet eine schwereEhrenbeleidigung.

Beweis: Herr Dr. Viktor Stadler, Wien IX. Liechten-steinstrasse 38,Herr Dr. Ludwig Münz, per Adresse Taracini-Eskeles, Wien III. Salesianergasse 12,Fr. Alma Pollak, Wien VI. Mariahilferstr. 47 Fr. Helene Kann, Wien I. Mahlerstrasse 14,Herr Otto Binder, Versicherungsbeamter,Wien VIII. Blindengasse 39

Richard Lanyi, Wien I. Kärntnerstrasse 14 als Zeugen.

Beantragt wird:1.) Anberaumung einer Haupt-Verhandlung undLadung des Beschuldigten zu derselben,2.) Ladung und Vernehmung der angeführtenZeugen,3.) Strenge Bestrafung des Beschuldigten.

Karl Kraus.