63.3 Disziplinaranzeige gegen unbekannte Täter von Karl Kraus an die Post- und Telegraphen-Direktion

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Seite von 3

An diePost- und Telegraphen-Direktion in Wien.

Karl Kraus,Schriftsteller, Herausgeber der „FackelWien III. Hintere Zollamtsstrasse 3 durch:

1 fach1 VollmachtBeilagen

erstattet Disziplinaranzeige gegen unbekannte Täter.

Am 16.September 1926 habe ich persönlich in Potstejn,Cechoslovakei, einen Expressbrief mit Manuskripten an meinenVerlag in Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3 aufgegeben. DieseSendung ist nicht angekommen. Herr Georg Jahoda, öffentlicherGesellschafter der Firma Jahoda & Siegel, Druckerei in WienIII. Hintere Zollamtstrasse 3, bei welcher die „Fackel“ und dievon mir herausgegebenen Bücher gedruckt und verlegt werden, hatüber mein Ersuchen sofort beim Postamt 40 in Wien reklamiert,doch hatte diese Reklamation kein Ergebnis und es wurde derAngelegenheit nicht weiter nachgegangen, da der Verlust dieserSendung, der ja immerhin vorkommen kann, nur einem Zufalle zuge-schrieben wurde.

Die weiteren Tatsachen, die ich nunmehr mitteilen werde,lassen aber einen derartigen Zufall als höchst zweifelhaft er-scheinen.

Vom Photographischen Atelier Joel Heinzelmann, Charlotten-burg, Hardenbergstrasse 24, wurde am 22. September 1926 eine ein-geschriebene Sendung, Bilder, an mich aufgegeben, die zwar einigeTage später ankam, auf der Rückseite der Sendung aber den Ver-merk trug: „Herzlichst grüsst Anton Kuh!“ Eine zweite Sendungaus demselben Atelier vom 3.X.26, welche nicht eingeschriebenund nicht an mich persönlich, sondern an den Verlag der „Fackel“ gerichtet war, trug eine derartige Bemerkung nicht. Meine Erkun-digungen bei dem Atelier Joel Heinzelmann ergaben, dass diefragliche Bemerkung unmöglich in Berlin auf die Sendung geschrie-ben sein konnte, da sie von einer verlässlichen Angestellten desphotographischen Ateliers befördert wurde und diese das Paketkeinen Augenblick aus der Hand gegeben hat.

Am 29.9.1926 wurde zur G.Zl. U IV 570/26 des Strafbezirks-gerichtes I in Wien über meine Privatanklage gegen Herrn Anton

Kuh die Ladung zur Hauptverhandlung für den 11. November 26durch die Post befördert. Während diese Ladung mir und meinemAnwalt. Dr. Oskar Samek anstandslos zugestellt wurde, ist dieZustellung an den Beschuldigten Anton Kuh nicht erfolgt; noch10 Tage später war der Rückschein und auch die Ladung selbstbei Gericht nicht eingelangt, sodass die Zustellung durchGerichtsboten wiederholt werden musste.

Herr Anton Kuh wohnt im Hotel „Beatrix“ in Wien III.Beatrixgasse 1. Das zuständige Postamt 40 ist sowohl das Post-amt für Sendungen an mich als auch an Herrn Anton Kuh. Aus derWiederholung dieser mehreren, mich betreffenden Fälle schliesseich, dass beim Postamt 40 ein Beamter oder Diener, eventuell imEinverständnis mit Herrn Anton Kuh, sowohl bei dem Verlustder Expresssendung, als auch bei dem Niederschreiben der ver-höhnenden Bemerkung auf der Berliner Sendung, wie auch beimAbhandenkommen des Rückscheines oder der Ladung in dem Ehren-beleidigungsprozess gegen Anton Kuh seine Hand im Spielegehabt haben muss. Nach meinem Dafürhalten dürfte es sichkaum um einen untergeordneten Diener, sondern um einen schonetwas gebildeteren Beamten dieses Postamtes 40 gehandelt haben,der von den Prozessen, die ich gegen Herrn Anton Kuh und an-dere Mitarbeiter der „Stunde“ geführt habe, gewusst hat.

Sollte sich herausstellen, dass es sich bei dem Verlusteder Expresssendung tatsächlich um eine Unterschlagung handelt,so wäre wohl ein gerichtlich strafbares Delikt vorhanden und dieAngelegenheit dem Strafgerichte abzutreten. Wofern es sich aberum eine andere Dienstverletzung handelt, so beantrage ich dis-ziplinäre Untersuchung und Behandlung des Falles.

Durch Schriftenvergleichung und Beobachtung der in Be-tracht kommenden Organe muss es sich herausstellen, wer dieoben an gezeigten Handlungen begangen hat.

Ich ersuche mich von den Ergebnissen der Untersuchungzu verständigen. Karl Kraus.