66.2 Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung gegen verantw. Red. Eduard Straas wegen Ehrenbeleidigung von Karl Kraus (Landesgericht in Strafsachen I Wien)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 1. Januar 1927
Seite von 4

An dasLandesgericht für Strafsachen, I,Wien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien,III. Hintere Zollamtsstrasse 3 durch:

Beschuldigter: Eduard Straas, Redakteur in Wien,I. Ebendorferstrasse 7

Wegen Ehrenbeleidigungbegangen durch die Presse.

1 fach, 1 Vollmacht1 Beilage

Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung.

Im Heft 1 des V. Jahrganges der Halbmonats-schrift für volkswirtschaftliche, sozialpolitische und ge-werkschaftliche Fragen „Arbeit und Wirt-schaft“ vom 1. Jänner 1927, deren verantwortlicherRedakteur der Beschuldigte Eduard Straas ist, erschienauf Seite 32 eine Notiz unter dem Titel „Ein Witz Kas-maders?“ Die Notiz ist nicht unterzeichnet. Sie enthältverschiedene nach § 491 St.G. zu beurteilende Beleidigungengegen mich. Insbesondere fühle ich mich durch folgendeStellen der Notiz beleidigt: „Ein Witz Kasmaders?“„Also das muss im Kriminal-Tribunal des Alexander Weisz gestanden sein.“ „Während die ‚Tischfreunde von Gross-schiebern‘ wohl nur mehr so eine Verdächtigung ins Allge-meine hin bedeuten werden.“ „Natürlich hiesse das denAngegriffenen auf das Niveau des Angreifers hinabzuwürdigen“.In echtem Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf.“ „Baucheines Menschen, der offenbar nicht so edel gewachsen ist,wie der Autor des Witzes.

An diesen Stellen empfinde ich den Vergleichmit notorischen und gerichtlich abgestraften Erpressern undVerbrechern wie Bekessy beziehungsweise Weisz als besondersschwere Beleidigungen und als solche, welche mit der bekann-ten Auffassung der sozialdemokratischen Publizisten im fla-grantesten Widerspruch stehen. Diese Beleidigungen fallenumso schwerer ins Gewicht, als die Stigmatisierung desBekessy gerade mein ausschliessliches Wirken ist und jedemSozialisten wohl bekannt, dass dieser mein Kampf in einerZeit erfolgt ist, in der die offizielle Sozialdemokratieden Bekessy-Tonfall noch lange nicht verächtlich fand.

Beweis: Heft 1 des V. Jahrganges der HalbmonatsschriftArbeit und Wirtschaft“ vom 1. Jänner 1927.

Die in der Notiz zitierten Worte aus derFackel wollten die Tatsache kritisieren, dass Herr Dr. Renner,dem von einem ehemaligen Genossenschaftsbeamten SigmundKaff unerhörte Missbräuche der Genossenschaftsbewegungzum Vorwurf gemacht wurden, auf dem Linzer Parteitag 1926das Verlangen mehrerer Genossen der sozialdemokratischenPartei, den Anklageweg zu betreten, um die Behauptungen desHerrn Kaff zu widerlegen, abgelehnt hatte und die konkretenAnschuldigungen des Herrn Kaff damit abzutun glaubte, dasser wörtlich sagte: „Mir bleibt nämlich noch übrig, vor einemMenschen, der durch ein Menschenalter in einer Bewegung mit-gearbeitet hat, in dieser Bewegung Duldung und Förderung er-fahren hat, und der zum Schluss mit einer bei arbeitendenMenschen heute nur ausnahmsweise verwirklichten Altersver-sorgung davon gegangen ist, vor einem Menschen, der die Be-wegung, aus der er hervorgegangen ist, beschmutzt, auszuspucken.

Diese Antwort entspricht keinesfalls demberechtigten Verlangen, dass konkrete Beschuldigungen gegeneine im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeit auchöffentlich überprüft werden. Hiezu schien dem Privatankläger gerade Herr Dr. Renner umsomehr verpflichtet, als bedeutendeund einflussreiche Parteigenossen desselben ihn zu wieder-holten Malen, insbesondere Dr. Friedrich Adler in der Ver-teidigungsrede vor dem Ausnahmsgericht im Jahre 1917 und indem Vorverfahren zu diesem vorgeworfen haben, dass er sichgegen den Geist der Sozialdemokratie schwer vergangen habe.

Ich beantrage daher Einleitung der Voruntersuchunggegen Eduard Straas und zwar1.) Vernehmung des Beschuldigten darüber, ob er die inkri-minierte Notiz vor der Drucklegung gelesen und zumDruck befördert habe,2.) Vernehmung des Beschuldigten darüber, wer diese Notiz verfasst hat,3.) Vernehmung des Herrn Dr. Friedrich Adler, Wien, VI.Blümelgasse 1 als Zeugen über die von ihm behaupteten,dem Geist der sozialdemokratischen Bewegung widersprechenden Handlungen Dris. Renner.

Weitere Beweisanträge vorbehalten.

Karl Kraus.