66.14 Beschwerde gegen den Kostenbestimmungsbeschluss vom 27. April 1927

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 30. April 1927
Seite von 6

G.Z. U I 56/27

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3 durch:

Beschuldigter: Eduard Straas, Redakteur in Wien I.,Ebendorferstrasse Nr. 7

wegen § 30 Pr.G.

1 fach

Beschwerde gegen den Kostenbestimmungsbeschluss vom 27. April 1927 U I 56/27/13.

Gegen den Kostenbestimmungsbeschluss vom 27. April 1927 U I 56/27/13 mit welchem die mir vom Beschul-digten zu ersetzenden Kosten mit S 65.27 bestimmt wurden, erhebeich durch meinen bereits ausgewiesenen Anwalt fristgerecht fol-gendeBeschwerde.

I) Bei der Kostenbestimmung wurden sämtliche im Vorverfahrenbeim Landesgerichte für Strafsachen I zur G.Z. Vr XXVI 715/27aufgelaufenen Kosten nicht berücksichtigt.

Mein Anwalt vermutet, dass diese Nicht-berücksichtigung aus dem gleichen Grunde, wie in der Entschei-dung des Landesgerichtes in Wien I Bl XV 213371/27 erfolgte, weildie im Vorverfahren wegen Vergehens der Ehrenbeleidigung vordem Untersuchungsrichter des Gerichtshofes erwachsenen Kostennicht auch die Kosten des Verfahrens nach § 30 Pr.G. sind, umso-weniger, als ja das Vergehensverfahren auf andere Weise als durchein verurteilendes Erkenntnis beendet wurde.

Wenn ich trotzdem eine Beschwerde er-hebe, um diesen Rechtsfall einer neuerlichen rechtlichen Ueber-prüfung zu unterziehen, so geschieht es, weil mein Anwalt dendamaligen Beschwerdeargumenten noch weitere hinzuzufügen in derLage ist und deswegen hofft, dass sich das Landesgericht fürStrafsachen seiner Ansicht anschliessen werde.

Unter Anklage gestellt war die Ver-öffentlichung der im Heft 1 des V. Jahrganges der Halbmonats-schrift „Arbeit und Wirtschaft“ vom 1. Jänner 1927 erschienenenNotiz „Ein Witz Kasmaders?“. Ob sich die Mitwirkung des Be-schuldigten Eduard Straas an der Veröffentlichung als Ver-gehen der Ehrenbeleidigung oder als Uebertretung des § 30 Pr.G. darstellt, hat der Richter auf Grund der im Zuge der Verhandlungerhobenen Tatsachen zu beurteilen, denn nur die Tat des Ange-klagten, nicht aber ihre vom Ankläger vorgenommene Qualifizierung

ist Gegenstand der Anklage. Es hätte also, wenn das Verfahrenwegen Vergehens der Ehrenbeleidigung durchgeführt worden wäreund die Mitschuld des Angeklagten nur in einer Vernachlässigungder pflichtgemässen Obsorge bestanden hätte, ohne weitere An-klageerhebung eine Verurteilung nach § 30 Pr.G. vor dem Ge-schworenengerichte erfolgen müssen. Es kommt hierbei nur aufdie Identität der Tat, nicht aber auch auf die Identität desVerschuldens und der rechtlichen Beurteilung an. Die Identitätder Tat liegt dann vor, wenn das Urteil dasselbe historischeEreignis betrifft, wie das von der Anklage behauptete. Es istdem Ankläger unbenommen, der Aenderung des Sachverhaltes durcheine Aenderung der Anklage Rechnung zu tragen, beziehungsweiseunter Festhaltung an der Identität der Tat und ihrer durch dieAnklageschrift vorgenommene Qualifikation überhaupt oder ineventum die Tat anders zu qualifizieren? aber erforderlich ist-dies unter keinen Umständen und auch die bedingungslose Aende-rung der Bezeichnung der rechtlichen Beurteilung der Tat hindertdas Gericht nicht, in seinem Urteile den vom Ankläger verlasse-nen Standpunkt der Anklageschrift einzunehmen. Aber auch wenndas Gericht die Aenderung als begründet anerkennt, hat das Urteilnicht anders gefasst zu sein, als wenn das Gericht unabhängigvom Ankläger die Tat anders qualifiziert (vergleiche Dr. ErnstLohsing : österr. Strafprozessrecht II. Auflage, Seite 494f.).

Wenn also über meine Anklage auf Ver-gehen der Ehrenbeleidigung vor einem Geschworenengerichte judi-ziert und infolge Fragestellung, welche nicht einmal durch denAnkläger, sondern durch die Verteidigung hervorgerufen hättewerden können, eine Verurteilung lediglich nach § 30 Pr.G. er-folgt wäre, so hätte nicht auch gleichzeitig ein Freispruch vomVergehen der Ehrenbeleidigung erfolgen dürfen, da nur dieselbeTat unter Berücksichtigung des subjektiven Verschuldens eineandere Qualifikation erfahren hätte. Daraus ergibt sich, dassder Beschuldigte die Kosten des Strafverfahrens zu tragen ge-

habt hätte, und zwar sämtliche Kosten, da ja eine Verurteilungerfolgte und die Qualifikationsänderung zwar auf die Höhe derKosten, nicht aber auf die Verpflichtung zum Ersatze derselbeneinen Einfluss gehabt hätte.

In folgerichtiger Konsequenz dieserAusführung bestimmt die Anmerkung 3 zur Tarifpost 4 des Rechts-anwalttarifes, dass, wenn ein wegen Vergehens Angeklagter nureiner Uebertretung schuldig erkannt wird, die Kosten nach Zahl 2(anstatt Zahl 3) dieser Tarifpost zu bemessen sind.

Die Aenderung der Qualifikation vorAnordnung der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengerichte kannnun an dieser durch die Identität der Tat gegebenen einheitli-chen Kostenersatzpflicht nichts ändern und es wäre daher folge-richtig gewesen, den Beschuldigten zum Ersatz sämtlicher auchdurch Einleitung der Voruntersuchung beim Landesgerichte fürStrafsachen Wien I entstandenen Kosten zu verhalten.

Von dem gleichen Standpunkte ausgehendhat auch der Oberste Gerichtshof zu dem den § 30 des jetzigenPr.G. entsprechenden Artikel 3 des Gesetzes vom 15. Oktober 1868Nr. 142 R.G.Bl. in der Entscheidung vom 27. Juli 1882 Z.3186 SgNr. 470 entschieden, dass „seinem Wesen nach sich das im gesetz-lichen Artikel normierte Delikt als fahrlässige Begehung jenerstrafbaren Handlung darstellt, welche im Inhalte der Druck-schrift verkörpert ist.

II) Ausserdem ist bei der Berechnung der Kosten ein Fehler be-gangen worden, indem bei der Addition der Antrag auf Abtretungnicht berücksichtigt wurde und diese Auslassung auch bei der Be-rechnung des 15%igen Einheitssatzes und bei der Warenumsatzsteuernachwirkte. Selbst bei richtiger Addition der zugesprochenenKosten würde sich die Kostensumme auf S 89.60 erhöhen.

Ich stelle daher denBeschwerdeantrag,

den Kostenbestimmungsbeschluss des Strafbezirksgerichtes I vom 27./4.1927 G.Z. U I 56/27/13 dahin abzuändern, dass dievom Beschuldigten Eduard Straas zu ersetzenden Kostenum sämtliche beim Landesgerichte für Strafsachen Wien I imVoruntersuchungsverfahren entstandenen Kosten in der ange-sprochenen Höhe und um die durch den Rechenfehler entstande-ne Differenz erhöht werde.

Karl Kraus.

Betr. KrausStraas expediert am 30. April 1927.