68.1 Brief Samek an Justizrat Viktor Fraenkl

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 3. Jänner 1927
Betreff: Kraus – Kerr.
Diktiersigle: Dr.S./W.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Justizrat Viktor Fraenkl
Potsdamerstr. 86b
Berlin W 57
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Justizrat!

Verzeihen Sie, wenn ich mich wieder in einer HerrnKarl Kraus betreffenden Angelegenheit an Sie um eine Rechts-auskunft wende.

In der Morgenausgabe des „Berliner Tageblatt“ vomDienstag den 21. Dezember 1926, 55. Jahrgang, Numero 600, hatAlfred Kerr einen Artikel unter dem Titel „Zur Jessner-Hetzeveröffentlicht, in dessen Absatz III. folgende Worte vorkommen:

Manche hier verändern die Tatsachen mit MännerbrustAd libitum, drauflos. (Wie, auf anderem Feld, Karlchen Kraus in Wien, der kleine mieße Verleumder mit moraligem Kitschton –der einer heiteren Belichtung nicht entgehen wird.)

Herr Karl Kraus hat nun in Erwägung gezogen, wegendieser Worte gegen Herrn Alfred Kerr Strafantrag wegen Beleidi-gung zu stellen. Nach meinem Dafürhalten dürfte aber dabei nichtausser Acht gelassen werden, dass Herr Kerr selbst wegen gewisserformeller Beleidigungen in den Aufsätzen des Herrn KrausEinFriedmensch“, veröffentlicht in der Oktobernummer der Fackel undKerr in Wien“, veröffentlicht in der Dezembernummer der Fackel,nach § 198 St.G. die Widerklage erheben könnte.

Ich bitte Sie nun, mir mitzuteilen, wie die Auffassungder Gerichte bezüglich des § 198 St.G. ist, ob wechselseitigeBeleidigungen schon dann angenommen werden, wenn nur die Personen

der Beleidiger und Beleidigten identisch sind oder ob erfor-derlich ist, dass diese Beleidigungen in einem gewissen Zu-sammenhange stehen. Dies wäre nach meinem Dafürhalten deshalbvon wesentlicher Bedeutung, weil dann Herr Kerr eventuell nichtauf den Oktoberartikel zurückgreifen kann. Ferner bitte ich Sieum die Mitteilung, wie die Gerichte sich in dem Fall einer Wider-klage verhalten, wenn der Kläger, wie Herr Kraus, nicht inDeutschland lebt und daher die Ladung zur Verhandlung ihm per-sönlich nicht zugestellt werden kann, ob sie dann die Verhand-lung über die Klage zu Ende führen und ein Urteil fällen unddie Verhandlung über die Widerklage bis zur Betretung des Wider-geklagten aussetzen, oder ob sie auf Vereinigung der beiden An-gelegenheiten bestehen und mit der Urteilsfällung zuwarten, biseben die Verhandlung auch über die Widerklage möglich ist.

Ihrer geschätzten Rückantwort entgegensehendzeichne ich mit vorzüglicher kollegialerHochachtung

Betrifft: KrausKerr expediert am 3. Jänner 1927.