68.44 Schriftsatz in Sachen Kraus ./. Kerr (Alfred Kerr an das Amtsgericht Charlottenburg, G.Z. B.2 27)

Schreiberhände:

  • Alfred Kerr, braune Tinte
  • schwarze Tinte
  • Karl Kraus, schwarze Tinte
  • Bleistift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 16. September 1927
Stempel: Amtsgericht Berlin-Charlottenburg
Seite von 41

Dr. Alfred Kerr Grunewald Höhmannstr. 6.

Schriftsatzin SachenKraus ./. Kerr 44 B. 222/27

Auf AnordnungStfanwalt[?][¿¿¿gl] Sekr.

An dasAmtsgerichtCharlottenburg

Die Darlegungen der früherenSchriftsätze will ich durch die folgen-den Einzelheiten, auch vom Standpunktedes Schriftstellers, ergänzen.

Herr Karl Kraus in Wien, Besit-zer der Zeitschrift „Die Fackel“ ist(nach mehrfachen Verleumdungs- und Be-leidigungsversuchen wider mich) gele-gentlich ein „kleiner miesser Verleum-der mit moraligem Kitschton“ von mirgenannt worden.

Darauf hat Herr Kraus, obschoner Schriftsteller ist (und obgleich be-leidigende Angriffe das sind, weshalbsein Blatt vorwiegend gelesen wird) dieBeleidigungsklage wider mich erhoben.Ich muss ihm auf diesem nicht literari-schen Wege folgen.

Es ist bereits erwähnt, dass ichden inkriminierten Satz am selben Tageschrieb, an dem ich das in Berlin sel-ten zu sehende Blatt des Herrn Kraus zuGesicht bekam. Die (unregelmässig er-scheinende) „Fackel“ kommt ungefähr alleVierteljahr einmal heraus. Als Beweisfür das seltene Vorkommen der „Fackelin Berlin diene folgende Bekundung der

Neuen Zürcher Zeitung“ (März 1924): „Von tausendMenschen an der Spree dürfte kaum einer dieFackel‘ auch nur dem Namen nach kennen, geschwei-ge denn, dass er sie je in der Hand gehalten hat.Das Gericht wird mir glauben, dass unter solchenUmständen sehr verspätet ein reiner Zufall mirdas (im Selbstverlag des Herrn Kraus erscheinende)Blättchen zu Gesicht brachte.

I.

Zur Sache. Nach meiner festen Überzeugungist Herr Kraus ein Verleumder. Ich habe nichtsowohl den juristischen Begriff der Verleumdungim Auge; sondern vornehmlich den Laienbegriff:dass ein Verleumder ist, wer Unwahres gewissenloszum Zweck der Herabsetzung verbreitet. Aber auchder streng juristische Begriff der Verleumdung(die wider besseres Wissen verbreitete herabsetzen-de Unwahrheit) ist in dem Tun des Herrn Kraus er-füllt.

Ich sehe mich genötigt, zu meiner Verteidi-gung das Treiben des Herrn Kraus und seine Per-sönlichkeit einer kritischen Prüfung zu unterzie-hen – und hierbei zur Wahrung meiner Interessennicht zu verschweigen, was und wie er nach meinerMeinung ist.

II.

1) Kraus behauptet (und das bildet für michden Kernpunkt), dass ich während des Weltkriegsin Grausamkeit versiert war, in jener scheusslichgewitzten Grausamkeit, die das eigne Leibeswohlhinter der Schanze eines Schreibtisches deckt“.Wahr ist jedoch, dass ich mich als Sechsundvierzig-

jähriger freiwillig zum Heeresdienst nach Kriegs-ausbruch gemeldet habe. Kraus hat von dieserTatsache Kenntnis, er verleumdet wider besseresWissen. Belege für die Meldung (als Soldat, nichtals Dolmetscher) werden überreicht.

2) Herr Kraus zitiert Gedichte, die ich inder Monatsschrift „Neue Rundschau“ 1914 veröffent-licht habe, zwar wörtlich, indem er jedoch alsRoutinier durch die Bemäntelung des Zusammenhangsden Eindruck hervorzurufen weiss, als ob ich dieseGedichte nicht selber missbilligt hätte. Er zi-tiert später einiges davon ausdrücklich so, alsob ich den Inhalt billigte. Er verleumdet auchhier wider besseres Wissen.

3) Er verleumdet, indem er behauptet, dassich im Kriege „die Scherlsche Livree“ trug. Erwill mit der Bezeichnung „Scherlsche Livreeden Eindruck wecken, als ob ich im Frondiensteiner Firma auf deren Wunsch (weil die Leser eszum Frühstück verlangten, sagt er; „Fackel“,Okt. 1926, S. 87) als „Kriegshetzer“ gewirkt hätte.Er sucht also meine Beweggründe zu verleugnen verleumden .Wahr ist jedoch, dass ich dieselben vaterländischenGedichte, so das von ihm getadelte Ostpreussenge-dicht, in der (demokratischen!) „FrankfurterZeitung“, andere in meiner politisch vollkommenselbständigen Zeitschrift „Pan“ veröffentlichthabe. Er betont selber, dass ich sog. Kriegsge-dichte (d.h. Gedichte, die im Krieg entstanden)in der garnicht Scherlschen, sondern fast zwi-schenstaatlichen MonatsschriftNeue Rundschauveröffentlicht habe, – er verleumdet mich aberdurch die Behauptung, dass ich „im Kriege die

Scherlsche Livree trug“ und meine Haltung nachden Wünschen Scherlscher Frühstücksleser gerichtethabe. Er verleumdet abermals wider besseres Wis-sen.

4) Als ich im „Berliner Tageblatt“ (in einerdurchaus glimpflichen Besprechung seines BerlinerAuftretens als Rezitator) seine früheren Besuchebei mir gestreift hatte, schrieb Kraus („Fackel“,Juni 1924, S. 80), er wisse, „dass ich mit ihm(Anm.: nämlich Kerr) nie, auch nicht 1897, in ei-ner anderen persönlichen Verbindung gestanden bin,als dass ich ihn einmal, vor der scheusslichenGerichtsverhandlung, durch die er den greisenMusikschriftsteller Tappert um sein Brot brachte,einen Moment sah und dann angewidert nicht mehrkannte.“ Nebensächlich ist, dass der Musik-schriftsteller Wilhelm Tappert, dessen Bestech-lichkeit damals durch das Gericht festgestelltwurde, garnicht um sein Brot kam, da seine Zei-tung, das „Kleine Journal“, es bei einer öffent-lichen Abbitte des durch Geld bestochenen Musik-kritikers bewenden liess).

Aber kennzeichnend für das Verleumdertumdes Kraus ist die unwahre Behauptung, dass er michnur 1897 „einen Moment sah und dann angewidertnicht mehr kannte“, womit er eine gewisse Ver-ächtlichkeit mir anzuhängen meint oder versucht.Er spricht bewusst auch hier die Unwahrheit. Wahrist: a) Kraus hat mich nach 1897 durch „freund-schaftliche“ Besuche behelligt; er schreibt mir(drei Monate nach dem Prozess): „Die Ehrlichkeit,mit der Sie den frechen Schund annageln, hat michwirklich gefreut“. (30.IX.97) Er bittet mich spä-

ter „herzlichst mit ihm zusammenzukommen usw.c) Kraus hat mich auch 1907 „lobend“ in derFackel“ erwähnt; d) Kraus hat 1908 sogar meinGedicht über den herrlichen Darsteller Girardi in der „Fackel“ mit rühmenden Worten abgedruckt –ohne mein Zutun; er hat also wiederholte Näherungenversucht gegen einen verleumderisch als verach-tenswert Hingestellten, den er „angewidert nichtmehr kannte“. Auch hier versucht er wider besse-res Wissen mich verächtlich zu machen.

5) Viktor Adler, der hervorragende öster-reichische Sozialistenführer, dessen unantastbarrechtschaffener Charakter von allen Parteien aner-kannt wurde, den Kraus selber hochschätzt, sahsich gezwungen, Kraus öffentlich in einem Aufsatz Verleumder zu nennen.

6) Kraus ist in Österreich bereits im Beginnseiner Laufbahn wegen Verleumdung bestraft. –Als er einen literarischen Gegner, den Schrift-steller Hermann Bahr, unlauterer Handlungen be-zichtigte, (er behauptete, Bahr habe sich auf demWege der Korruption ein Grundstück schenken las-sen, woran kein wahres Wort gewesen ist), wurdeKraus vom österreichischen Gericht wegen Verleum-dung verurteilt.

III.

Soviel über die nachweislich bewusstenVerleumdungen; also Verleumdungen im Sinne desGesetzes.

Zur allgemeinen Kennzeichnung des Kraus undseiner verleumderischen Manöver, verleumderisch inder Auffassung des Laien, dienen fernerhin folgen-de Punkte.

Kraus hat die Verfasserschaft eines Gedich-tes, welches die in den Masurischen Seen Sterben-den verspottet, wahrheitswidrig mir nachgesagt –und hieran die Schmähung geknüpft: „Vor dieserScheußlichkeit bleibt wohl alles im Hintertreffenusw. („FackelApril 1926, S. 55) Ichhabe dieses Gedicht niemals verfaßt. Ich habe nie-mals Grausamkeiten geäussert, wie dieses Gedicht sie enthält, das qualvoll in den Tod Sinkendeverhöhnt. Ich lege Wert auf die Feststellung,dass ein solches Verspotten Hinscheidender mirunendlich widerstrebt hätte. Herr Kraus hat be-denkenlos und prüfungslos die Unwahrheit gesagt.Die wirklich im Krieg von mir verfaßten Gedichtehatten immer nur die Tendenz dem eigenen bedräng-ten Lande zu helfen; sie waren oft satirisch-derb –aber wesensverschieden von diesem (willkürlichund auf gut Glück mir unter Schmähungen zuge-schriebenen) Gedicht. Meine Verse waren oftderbste Abwehr und Aufforderung zur Abwehr: abernicht Sadismus gegen Sterbende.

Ein grosser Teil meiner Gedichte war zu-erst in der Zeitung „Der Tag“, mit der Unter-schrift „Gottlieb“, einem Sammelnamen der Redak-tion, erschienen. Begründer des Sammelnamens„Gottlieb“ war Professor Dr. Franz Oppenheimer;(Ordinarius für Volkswirtschaft an der Universi-tät Frankfurt). „Gottlieb“ bildete damals dasGemeinschaftswort, unter dem Viele, fast immer inVersform, die Stimmung Aufrichtendes rasch indie furchtbare Zeit riefen – natürlich zu GunstenDeutschlands. Fast jeden Tag flog ein „Gottlieb“hinaus. Die ästhetische Form konnte nicht immerersten Ranges sein.

Ich wies auf die Berechtigung dieser sozusagenfliegenden Verse noch während des Krieges offen in mei-nem Hauptwerk „Die Welt im Drama“; dort hiess es im Hin-blick auf besinnungslose Nurpazifisten (1917):

Ich stehe bei diesem Schwarm in keinem gutenGeruch, weil ich, als die überrumpelten Gei-ster sich schieden, in dubio die ParteiDeutschlands nahm. Deutschlands, das, von al-len Botokuden geächtet, von allen Buschmännernsittlich verdammt, von Tibetanern verworfen,von Feuerländern abgelehnt, von Eskimos ver-klagt, von Boliviern bemängelt, von Portugise-richen mißbilligt, von Alaskanern geschnitten,– – das in solcher Lage, wenn es, wie KarlMoor, mit ein paar Genossen in die böhmischenWälder zieht, zu schützen eine Wonne bleibt.Mit tausend Liedchen … oder was der Einzelnesonst kann.

Die Welt im Drama“, Bd. III, S. 160.(S. Fischer, Berlin, 1917).

Viele Gottlieb-Gedichte wurden von andren deutschenZeitungen nachgedruckt, nicht nur die Redaktionen wuss-ten, dass unter den Gottlieb-Gedichten zahlreiche vonmir stammten. Die Tatsache war allgemein bekannt. AuchHerr Kraus bekennt, gewusst zu haben, dass durchausnicht alle Gottlieb-Gedichte von mir waren; er hatjedoch, ohne sich zu vergewissern, mir ein bestimmteswillkürlich in die Schuhe geschoben – mit jener Bemer-kung: „Vor dieser Scheußlichkeit bleibt wohl alles imHintertreffen …“ usw.

Herr Kraus nennt mich in diesem Zusammenhangeinen „Kriegshetzer“. Er gibt zwar nach seinerrabbulistischen Gewohnheit zu, dass ich vielmehr „zumSiege gehetzt“ habe. Doch er nennt das (S. 86) eine „Or-dinärheit“; mich einen „Vorkämpfer des Bestialischenund der überalterten Schmierigkeit“. (S. 73) Ich glau-be: wer im Krieg (in der Überzeugung, dass sein Landüberfallen ist) gegen diese Überfallenden auf- undfür das eigne Land eintritt, den verleumdet man, wennman ihn Kriegshetzer nennt.

Herr Kraus verleumdet fast jeden meiner Bewe-gründe. Etwa so: Weil ich der Gast des deutschen Bot-schafters in Paris, Herrn von Hoesch, war, erklärtHerr Kraus, ich habe den deutschen Gesandten um seinerWeine willen zu den Wertvollen gezählt (S. 77). Oder:weil ich, zu zwei Vorträgen nach Paris eingeladen, nachdem Gespräch mit ausgeprägt deutschfreundlichen Staats-männern Frankreichs (Painlevé, Daladier, de Monzie)schrieb, dass man mit diesen wohl auskommen könnte,sagt Herr Kraus verleumderisch, dass ich „ihnen hin-einkrieche“.

Ich war von der Pariser Universität und vondeutschfreundlichen, friedensfreundlichen Franzosenzu zwei Vorträgen eingeladen worden. Thema: 1) „Dasdeutsche Drama der Gegenwart“; 2) „Dramenkunst alsvölkerverbindendes Mittel“. Der Universitätsrektor,Professor Lapie, hatte mich amtlich auf dem Bahnhofdurch den offiziellen Vertreter der Sorbonne empfan-gen lassen und erschien zur feierlichen Begrüssung mitden Dekanen der Fakultät bei Beginn meines Vortrags.Herr Kraus behauptet, um diese zwei Pariser Vorträgeherabzusetzen – er saugt es sich aus den Fingern –ich sei von der „Firma Mosse“ hingesandt worden. KeinWort ist hiervon wahr. Ich folgte der Einladung auf eig-nen Wunsch und selbstverständlich auf eigne Kosten.Herr Kraus fabelt verleumderisch drauf los. (Er willeine Handlung, die eignen sachlichen Wünschen ent-sprang, als journalistische Geschäftsangelegenheit hin-stellen – indem er bedenkenlos Unwahres behauptet).

Dass er von dem Pariser Besuch auch sonst einenspaßhaft unwahren Bericht gab, sei nebenher bemerkt.

Wann erfolgten die hauptsächlicheren Verleum-dungen? Ich hatte die journalistischen Gewohnheiten des

Kraus im Lauf der Zeit gelegentlich belichtet. Ich hattezuletzt eine seiner Vorlesungen in Berlin durchaus maß-voll, aber nicht zustimmend im „Berliner Tageblattkritisiert. Von da ab setzten seine Angriffsversuche wi-der mich intensiv und systematisch ein.

IV.

Ich habe Frankreich schon deshalb im Kriege nie-mals in Versen oder Prosa angegriffen, weil ich in sei-ner Zusammenarbeit mit Deutschland ja den politischenAusweg sehe. Ich hatte vielmehr („Neue Rundschau“,September 1914) ausdrücklich betont, das „edle Frankreichsei von Russland überstimmt, ins Schlepptau genommenworden. Ich habe den „Führern“, wie es in dem, von mirübrigens missbilligten, Gedicht hiess (nicht den Völ-kern, wie Kraus es hinstellt) – ich habe den „Führernbei der Deutschlandhetze“ jene humoristischen Krank-heiten („Rheumatismus im Popo“ usw.) gewünscht. Ichhatte sogar mitten im Krieg jenes (hier beigefügte)Versöhnungsgedicht, das besänftigend für das Verhältniszwischen Deutschen und Franzosen sprach, im (Scherl-schen!) „Tag“ veröffentlicht:

Begegnung.

I.

Und als es vier Wochen gedauert hat,Waren sie krank und hundematt.Deutsche, Franzosen – im HöhlenhausFrierend. Manchmal brachen sie aus,Zerfleischten einander … mit schwankendem GlückDann schleppten sie sich in die Gräben zurück.

Und als es fünf Wochen gedauert hat,Waren sie still und hundematt.

II.

Zwischen den Linien lagen die Leichen.Ein Holste hob die Schaufel, zum Zeichen;Von drüben kam einer stumm auf ihn los.Man grüsste sich herzlich. Da hat der FranzosIhm leis einen Bruderkuss aufgedrückt.Der Holste fand: das ist „verrückt“;Es kam „ein bischen unvermittelt“;Hat ihm doch stumm die Hände geschüttelt.Sie schwiegen. Und sannen im Leichengraus.lachten an Weib und Kinder zu Haus.

III.

Die Schützen haben still verharrt;Die Toten wurden eingescharrt.Jeder ging zu seinen Genossen.In der Nacht ward weitergeschossen.

(16. Dezember 1914) Der Tag“.

V.

Die ganze verleumderische Tendenz des Kraus’schen Artikels vom Oktober 1926 geht dahin: vorzuspiegeln, alsob ich erst jetzt, erst hinterdrein mich als einen Men-schen aufspielte, welcher die Kriegsgreuel verwirft. Dasist wieder bewusst unwahr. Denn ich habe dauernd meinenAbscheu vor der Institution des Krieges bekundet – dauerndwährend des Krieges. Ich lege zum Beweis den Aufsatz ausder „Neuen Rundschau“, September 1914, vor, (den Kraus gekannt hat) – der also kurz nach Kriegsausbruch geschrie-ben ist und meinen (im Kriege nie verlassenen) durchauskonsequenten Gesamtstandpunkt darlegt. Dieser Standpunktist: pazifistisch – aber nicht blöd-unpatriotisch. Kurzausgedrückt: gegen den Krieg – aber für Deutschland. Ichhabe niemals aus meiner deutschen Haltung im Krieg (nebender heftigsten Verdammung des Krieges als Einrichtung)ein Hehl gemacht. Dieser Dualismus war damals in jedemfühlenden Menschen. Ich habe die rückständige Sitte desKriegs auf das schärfste gekennzeichnet, – im Krieg. ImKrieg erschien mein fünfbändiges Hauptwerk „Die Welt imDrama“. Das Vorwort geisselt (noch im Krieg) das

viehische Begebnis“, „den elendesten Rückfall“. Ich ver-trat also diesen Standpunkt nicht erst 1926 in Paris.

Somit: ich habe dauernd während des Kriegs, gegendie bestialische Torheit dieses menschlichen Atavismusgewettert. Aber es war mir selbstverständlich, dass man,in dem blutigen Dunkel von damals, ohne Schwanken diePartei des für bedroht gehaltenen Landes, Deutschlands,ergriff. Mir schien: der Krieg ist etwas Abscheuliches –aber da man plötzlich inmitten dieses Wahnsinns lebt,so will ich wenigstens, dass meine Heimat nicht daran zuGrunde gehe. Ja, ich habe während des Krieges zwar offenalles den Krieg Verdammende, Widerlegende, seinen UnsinnBelichtende nachdrücklicher als Herr Kraus (blos nichtmit hämischen Worten – und nicht mit Worten gegen Deutsch-land) betont. Aber nachdem der Krieg ein Nichtzuändern-des geworden war, habe ich nicht als einzige Beschäfti-gung das Enttäuschtsein geübt, sondern den Wunsch gehegt:dass nun, wenn einer in dem elenden Verbeissungsknäuelsiegen soll, es natürlich nicht die Andren sein mögen.Oder, wie ich es später einmal ausgedrückt: Hätte Shaw damals als Deutscher in Deutschland gelebt, er würde sogetan haben wie wir: er hätte das Ganze verwünscht – abersich gewehrt! Kurz: ich half mit meinen Mitteln: derernsten Dichtung und der satirischen – nachdem ich es alsSoldat nicht gedurft.

Ich erinnerte damals (1914) an ein Wort Kleists,der seinen Hermann sprechen ließ: „Was brauch ich Latier,die mir Gutes tun?“ Über dieses mir widerstrebende Wortschrieb ich („Neue Rundschau“ September 1914):

Ich kann es, wenn die Welt wahnsinnsfrei undvoll menschenwürdiger Ruhe lebt, nicht unter-schreiben. Denn es ist ja das Ziel unsrer höch-sten Entwicklung: zu erkennen. AuchGutes im Haß zu erkennen. Aber ich habe doch nichtFischblut genug, in der Sekunde, wo mir jemandden Adamsapfel eindrücken will, seine vorteilhaf-ten Züge … man soll nicht sagen: zu bemerken;(denn bemerken tu ich sie): aber sie zu verkün-den. Ich werde meiner Natur folgen … und ihn

benachteiligen. Ich bin auch nicht Altruist genug(obgleich ein grosser Tierfreund), um den Bazil-len, die an ihrer Fressgier unschuldig sind,meinen Leib hochethisch darzubieten“. (1914)

Ich kämpfe, seit ich öffentlich eine Feder handhabe, fürdie (nach meinem Wort) „Zivilisierung der Menschennatur“.Ich erwarte noch heut das künftige Heil von der Wirksam-keit geistig heller und tatentschlossner Gruppen in al-len Völkern. Ich bin und war also Pazifist; aber nichtsentimentaler Pazifist – ich halte keineswegs die rechteBacke hin, wenn mich einer auf die linke schlägt. Insumma: ich vertrat möglichst einen antikriegerischenStandpunkt, aber nicht einen nurpazifistischen Idio-tenstandpunkt.

Wie kommt ein Herr Kraus dazu, sich überhaupt ummeinen Standpunkt im Krieg zu kümmern? Ich glaube ge-zeigt zu haben, aus welchen Ursachen.

VI.

Folgende, für mich bindend gebliebene Leitsätzeschrieb ich (im ersten Kriegsmonat), eingedenk aller jähüber den Haufen geworfenen heilig-menschlichen Ethik:

Wir wollen helfen bis zum letzten Hemde; biszum letzten Fingernagel; bis zum letzten WurfSpeichel: aber nicht vergessen, was uns angeht –inmitten dieser Welträude“.

Ich fügte zu:

Der Satz ist auch umzudrehen. Wir wollen erwor-ben Heiliges nicht in die Binsen tun … aberwir wollen helfen bis zum letzten Hemde; biszum letzten Knochen; bis zum letzten Hohnwort.Die Seelen zittern. Es gibt nur einen Herzschlagin dieser Stunde: Deutschland, Deutschland überalles.

(September, 1914 „Neue Rundschau“).

Der Schriftsteller Kraus wagt es, Dinge von säku-larem Ernst: den drohenden Untergang des Geburtlandes,die Verzwergung seiner Möglichkeiten, den einsamsten Kampfeines überraschten Volks und die seelische Teilnahme da-ran auszunutzen für Schmähungen und Verdrehungen, Ver-dächtigungen und Verleumdungen.

Ich habe dies alles nicht für seine unwesentlichePerson gesagt: sondern für das von ihm bemühte Gericht.

VII.

Herr Kraus ist zwar kein grosser Geist (sondernein fingerfertiger Journalist mit sicherer Beherrschungvon Kleinmitteln) – doch er hat bestimmt genügend Ein-sicht, um seine Verleumdungen als solche zu erkennen;er verleumdet wider besseres Wissen. Er verleumdet miteiner kalten handwerklichen Routine. Seine Verleumdungliegt manchmal nicht darin, dass er Tatsachen erfände,sondern darin, dass er Scheinbar-Wahres hinsetzt und ihmdurch einen Kniff in der Gruppierung schillernd-verleumde-rischen Inhalt gibt. Er kann sich im Wortsinn darauf be-rufen, „die Wahrheit“ gesagt zu haben. Wenigstens manch-mal. Es ist die weniger offene, weniger faßbare, wenigermutige Art der Verleumdung.

Kraus lebt von der Methode: gedruckte Stellen aus-zuschneiden, einen so wiedergegebenen Text des Kerns zuentkleiden; zu entstellen. Es sind langjährig geübte Ma-növer – indem er ein [¿¿¿]Gewirr mit von verstümmel-ten Zitaten, Irreführungen, Wortklaubereien tätigt, bisein verleumderisches Bild entsteht.

Er spielt hierbei die entsetzlich triviale Rolledes edlen Tugendbolds, der alle untugendhaften voll Empö-rung tadelt. (Was ich „moraligen Kitschton“ nannte).Um die Geschmähten herab- und sich in ein Licht zusetzen, verwendet Kraus Mittel, die man im abfälligenSinn journalistisch nennen muss – er betont aber dabeistets die Verwerflichkeit des Journalismus. (Er „be-kämpft“ übrigens die Presse so – wie jemand wegen der Un-fälle die Eisenbahn „bekämpft“ …)

Kraus arbeitet – und das ist Kitsch – mit der bil-ligen Fiktion, als ob fast alle Menschen Affen undSchwindler seien, er beinah der einzige Nichtaffe, undbeinah der einzige Wahrheitssager … während er seineUnwahrheiten sagt. Ja, er wirtschaftet fast mit jedem„journalistischen“ Dreh. Seine Zeitschrift ist kein Re-volverblatt, das etwa Geld erzwänge; sondern sie suchtsozusagen mit dem Moralrevolver Geltung zu erzwingen.Für seine eigene Moral ist er milder. Er hat österreichi-sche Schriftsteller des Plagiats beschuldigt, während erselbst Plagiate beging. Er „enthüllt“ beständig „Korrup-tion“, die er breit erörtert und die ihm „Stoff“ fürseine Zeitschrift liefert. Er hat eine wohlfeile Methode,bei deren Anwendung es leicht wäre, noch die Bibel alsein lächerliches Schundwerk hinzustellen.

VIII.

Wie verhielt sich Herr Kraus zum Krieg? – Aucher (nachdem er das Kriegsmanifest Franz Josephs anfangs pane-gyrisch gelobt und „erhaben“ genannt hatte) – auch er hat den Krieg verdammt, selbst-verständlich; doch zunächst mit Spott gegen die eigneUmgebung und gegen die Schicksalsgefährten. Kraus er-blickt im Kriege das, worüber man witzeln kann, – undsucht manchmal durch billiges Pathos der „ethischen“Seite gerecht zu werden: oft in einem älteren Vorbildern schlecht nachgemach-ten Stil. Das deutsche Bedrohtsein ist war ihm weniger aufre-gend.

Er zitiert (im Kriege) solche Dichtungen Goethes,die gegen die Deutschen zu sprechen scheinen. Unter demGesamttitel „Goethe und die Deutschen“ veröffentlicht ersie. In dreien dieser Gedichte wird Unwahrhaftigkeit derDeutschen gestreift:

Sagt! wie könnten wir das Wahre … Niederle-gen auf die Bahre.

So beginnt das erste der von Kraus vorgekramten Gedichte.

Das letzte schließt:

Deutsch oder teutsch – du wirst nicht klug“.

Was in Augenblicken des Missmuts Goethe widerseine Landsleute zwischendurch ärgerlich sprach: dashat Herr Kraus in der Stunde stärkster deutscher Gefähr-dung ausgegraben und drucken lassen. („Fackel“, Januar1917, S. 88).

Kraus spricht von „jener deutschen Taktik derverfolgenden Unschuld, die einen Überschuss an Wehrhaf-tigkeit und ein Defizit an Wahrhaftigkeit zu einem …Ausgleich bringt“. („Fackel“, Nr. 484/498 S. 13, Okt. 1918).

Kraus druckt zwar (wie oft nun schon!) ein vonmir im Kriege wider Rumäniens Überheblichkeit verfaßtesSpottgedicht ab. Es war immerhin ein Versuch zur Abwehr.Doch was tat er selbst? Im Dezember 1917 trug er folgen-des „Kuplet“ vor (das nicht gegen Rumänien, sondern ge-gen Deutschland gerichtet war!), in dessen Einleitung ersagt: „Das Kuplet erschöpft das Problem Deutschlands an-nähernd so sehr wie Deutschland die Welt.“ (Er fügtein Notenbeispiel zu und sagt: dies musikalische Nach-spiel „stellt das Gelächter des Auslands dar“. Es ist einGejuchz in Sechzehntelnoten).

Lied des Alldeutschen“ ist es nach dieser Einlei-tung zwar betitelt, jedoch in Wahrheit nicht nur Parodieeines alldeutschen Gesangs, sondern allgemein ein kläg-licher Haßgesang gegen Deutschland. Künstlerisch einkümmerliches Machwerk. Darin heisst es:

Im Frieden schon war ich ein Knecht,Drum bin ich es im Krieg erst recht …Leicht lebt es sich als Arbeitsviehim Dienst der schweren Industrie.

Was sich wohl nicht allein auf die Alldeutschen beziehenwird – denn die Arbeiter waren ja nicht alldeutsch.

Weiter:

Ich geb mein deutsches Ehrenwort:Wir Deutsche brauchen mehr Export

Was also wieder kaum Alldeutsche betrifft. Dann:

Krieg dient uns, damit Waffen sind,Wir drehn den Spieß, wer wagt, gewinnt

Weiter:

Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für Eisenund laßt den deutschen Gott uns preisen!Gebt Blut – habt ihr das nicht gewusst? –für Mark: das ist kein Kursverlust!Darum erhofft Profit der Deutsche!

Das ist nicht nur „alldeutsch“. Kraus sagt ja auch ein-leitend: „Das Kuplet erschöpft das Problem Deutschlandsannähernd so sehr, wie Deutschland die Welt“. Weiter:

Das wahre Glück bringt Schiessen nur,drum gaudeamus igitur.Ein muntrer Bursche bleibt der Deutsche!

Ein muntrer Bursche bleibt Herr Kraus, der es wagt, nacheinem solchen im Krieg öffentlich vorgetragenen Kuplet mir anzukreiden, dass ich satirische Verse gegen die da-maligen Feinde Deutschlands schrieb. Wenn schon im Kriegvolkstümliche Verse gemacht werden, hab ich sie wenigstensnicht gegen die Nächsten und Bedrohtesten gemacht. DerVerfasser dieses Krams rächt sich darum an mir, indem erjene paar gegen den Überfall Rumäniens gerichtete satiri-sche Strophen wohl ein halbes Dutzend mal in seinemBlättchen abdruckt. Von den Deutschen sagt er, im Krieg:

Der Endsieg unser Recht beweist:Die Welt wird von uns eingekreist!So muss und wird es uns gelingen,die Pofelware anzubringen.Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!

(„Fackel“, 484–498, S. 13ff.)

Als Herr Kraus dies mitten im Kriege gesungen,später im Druck veröffentlicht hatte, folgten die nach-stehenden „Verse“ des Kraus (aus einem anderen „Gedicht“):

Von den deutschen Chemikalienscheint das Gas allein gediegen,während durch die Viktualiender, den’s trifft, sofort bleibt liegen.

Daran sieht man: Heine und die schrecklichsten Folgen.Er fährt gediegen fort: (was ich da zitiere, sind nichtDruckfehler):

’s ist wie einmal, da der Prahlhanswar der deutsche Küchenmeister;doch das Mahl nicht mal vom Schmalhans,denn die Sosz nicht mal ein Kleister.

Garantiert ohne Druckfehler. Die Gesinnung des HerrnKraus erklärt zwar seinen Zorn über ein Rumänengedicht,aber doch nicht die Qualität seiner Verse. („Fackel“, S. 21,Nov. 1918).

Kraus behauptet, das „einzig wahre Wort“, das indiesen Zeitläuften gesprochen wurde, sei folgendes, dasein russischer Minister am Kriegsbeginn gesprochen hat:dass dieser Krieg Österreichseine Keckheit ist“ – und er,Kraus, habe es

nur durch die Feststellung ergänzt, dass dieserKrieg Deutschlands eine Frechheit ist, damit dasbundesbrüderliche Verhältnis zwischen Räuberund Dieb, Gehasstem und Verachtetem auch imPunkt der Kriegsschuld zur vollen Anschauungkomme“. („Fackel“, wie oben, S. 33).

Trotz alledem hat 1919, als diese Haltung des Kraus inVergessenheit geraten (und Kraus in die Nähe politischerLinksparteien gerückt) war, der zeitweilige Vorsitzendeder österreichischen Nationalversammlung, Herr Bürger-meister Seitz, ihm zum zwanzigjährigen Erscheinen derFackel“ gratuliert und geäussert, Kraus habe zur Rei-nigung, Versittlichung des öffentlichen Lebens in Wien beigetragen usw. Besonders der Kampf gegen den Krieg seiverdienstlich gewesen … Nun, den haben Viele gekämpft,ohne ihr Land zu beschimpfen.

Herr Seitz hat dem Herrn Kraus nachher auchzum Geburtstag gratuliert (in Österreich schicken Behör-den zum „Jubiläum“ einer Zeitung Glückwünsche). DerselbeBürgermeister Herr Seitz spricht sogar mit offiziellerÜberschwänglichkeit von einem Drama des Kraus, das erunsterblich“ nennt usw. Es ist ein Glück für HerrnKraus, dass jemand, der ein schiefes Urteil über dieDinge hat, zufällig Bürgermeister ist. In jedem Fall wurdeHerr Seitz nie von Herrn Kraus verleugnet verleumdet ; er hatte niemalseinen Anlaß, sich gegen ehrabschneiderische Verdächtigun-gen zu wehren. Das Gesamturteil des guten Bürgermeisters

fiele sachlich anders aus, wenn er genauer unterrichtet;im Ton anders, wenn er unwahrhaftige Manöver des Kraus an sich selbst erfahren hätte.

Die besseren Kenner des Herrn Kraus haben dasRecht, als mindestens gleichwertig neben diesem freundli-chen Beamten zu stehn. Zumal wenn es die berechtigteWahrnehmung ihrer eignen Ehre gilt.

IX.

Die Gesinnung des immer moralisierenden HerrnKraus: verletzte [¿¿¿] Eitelkeit in Verbindung mitHaß, zeigt sich in der folgenden Tatsache. Einer seinerVorträge in Berlin war von der „Deutschen Tageszeitungabfällig glossiert worden. Da schreibt Kraus aus diesem,diesem, diesem Anlaß wörtlich („Fackel“, Juli 1920,S. 19):

Wie der deutsche Gott Bomben auf Nürnberg regnenliess, so lügen und fälschen sie wie eh und je. Wieihre Generalstabsberichte so ihre Darstellungenvon einem Vortrag …

Alles in allem geht meine Ansicht dahin, dassdie Entente halbe Arbeit geleistet hat“ –

– sagt er wörtlich wegen einer abfälligen Besprechungseines rezitatorischen Auftretens. Ein sympathischer Mora-list.

X.

Da Herr Kraus von meinen im Krieg verfaßtenGedichten eine tendenziöse Auswahl gibt, scheint es mirnötig, einige, die zum Teil schon in die Schulbücherübergegangen sind, hier beizufügen – mit der wiederholtenVersicherung, dass ich sie niemals um des Herrn Kraus willenhergesetzt hätte, sondern dass es für die Richter ge-schieht.

Mobilmachung.(Erschien am 2. August 1914)

Wir wollen in den TagenDer steilsten LebensfahrtNicht säumen – und nicht fragen,Wie alles ward.

Wenn auf des Hauses PfostenDie Sonne morgens scheint,Schaut sie in West und OstenDen Feind.

Sie spürt ein WipfelbebenUnd hört ein Flügelwehn.Deutschland kämpft um sein Leben.Es wird nicht untergehn.

Es geht eine Schlacht … (Erschien am 12. September 1914)

Es geht eine Schlacht … mit schwerem Gang.Am Weichselfluß? Am Wasgenjoch?Die Stille redet. Tagelang.Wir wissen’s nicht. Und wissen’s doch.

Es rinnt ein Ruf. Durch Frühlichtgrau’n.Durch alle Nächte. Heimatwärts.Es schwillt ein flüsterndes GeraunVon Eurem Blut in unser Herz.

Es schallt ein Schrei. Es hallt ein Schuss.Er trifft uns in die eigne Stirn.Es zieht ein heimlich steter FlussVon Eurem Hirn in unser Hirn.

Es weht der Allerseelenwind.Wir schreiten alle Einen Schritt.Und die wir fern vom Felde sind,Wir kämpfen mit; wir sterben mit.

Er schleppte sich (Erschien am 23. Oktober 1914)

Er schleppte sich an ein Gehölz.Nacht war’s, und ferne Stimmen schrien.Zwölf Stunden streuten die Schrappnells.Erst nach zwei Tagen fand man ihn.

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Er ißt und trinkt im Lazarett,Gesund ist das durchschossne Bein,Nur sitzt er nachts auf seinem BettUnd glaubt in einer Schlacht zu sein.

Die Wärter kommen leis daher …Dann schläft er bis zum Tageslicht,Erwacht in Frieden still und schwer –Und weiss es nicht. Und weiss es nicht.

Im frischgerollten LinnenhemdLiegt er, das Aug ins Licht gewandt.Der Blick ist froh – nur etwas fremd.Die Mutter hält des Jungen Hand.

+ + +

Oft schläft er ein. Er schläft sich satt.Sie hört ein Lallen schlummerfern …Und was er je gelitten hat,Erscheint in ihrem Augenstern.

1918.

Die Wende hat begonnen.Deutschland in Not und Drang?Es leuchten tausend SonnenAuf Deinen letzten Gang.

Nicht Feindesmacht verderblich,Nicht Hasses Kraft bezwingt,Was durch die Welt unsterblichIn Ewigkeiten klingt.

Das Letzte laßt uns geben!Ein Wunder muss geschehn!Deutschland ringt um sein Leben.ES … DARF … NICHT … UNTERGEHN.

XI.

Ich wiederhole nach alledem: den Kernpunkt bildetfür mich der von Kraus wider besseres Wissen geschriebeneverleumderische Satz: dass ich während des Weltkriegsin Grausamkeit versiert war, in jener scheusslich ge-witzten Grausamkeit, die das eigne Leibeswohl hinter derSchanze eines Schreibttisches deckt“.

Ich wiederhole zweitens, dass ich meinen kurzen(inkriminierten) Abwehrsatz am selben Tage drucken liess,an dem ich von den hanebüchenen Beschimpfungsversuchendes Kraus Kenntnis bekam.

16.9.1927. Kerr

fehlerhafte Abschrift(Satz mit Original vergleichen!)

Abschrift.

links oben

petitAn dasAmtsgerichtCharlottenburg

Amtsgericht Charlottenburg Auf Anordnung:unles. UnterschriftKanzl. Sekr.

Schriftsatz in SachenKraus ./. Kerr 44 B. 222/27

Anm. f. d. Setzer:(Die unterstrichenen Stellenimmer spationiert!)

petit d (ganze Zeile,nicht eingezogen!)

Die Darlegungen der früherenSchriftsätze will ich durch die fol-genden Einzelheiten, auch vom Stand-punkte des Schriftstellers, er-gänzen.

Herr Karl Kraus in Wien, Be-sitzer der Zeitschrift „Die Fackelist (nach mehrfachen Verleumdungs-und Beleidigungsversuchen wider mich)gelegentlich ein „kleiner miesserVerleumder mit moraligem Kitschtonvon mir genannt worden.

Darauf hat Herr Kraus, obschoner Schriftsteller ist (und obgleichbeleidigende Angriffe das sind, wes-halb sein Blatt vorwiegend gelesenwird) die Beleidigungsklage widermich erhoben. Ich muss ihm auf diesemnicht literarischen Wege folgen.

Es ist bereits erwähnt, dassich den inkriminierten Satz am selbenTage schrieb, an dem ich das in Ber-lin selten zu sehende Blatt des HerrnKraus zu Gesicht bekam. Die (un-

regelmässig erscheinende) „Fackel“ kommt ungefähralle Vierteljahr einmal heraus. Als Beweis für das selte-ne Vorkommen der „Fackel“ in Berlin diene folgendeBekundung der „Neuen Zürcher Zeitung“ (März 1924):Von tausend Menschen an der Spree dürfte kaum einerdie ‚Fackel‘ auch nur dem Namen nach kennen, geschweigedenn, dass er sie je in der Hand gehalten hat.“ DasGericht wird mir glauben, dass unter solchen Umständensehr verspätet ein reiner Zufall mir das (im Selbst-verlag des Herrn Kraus erscheinende) Blättchen zu Ge-sicht brachte.

I.

Zur Sache. Nach meiner festen Überzeugung ist HerrKraus ein Verleumder. Ich habe nicht sowohl den juri-stischen Begriff der Verleumdung im Auge; sondern vor-nehmlich den Laienbegriff: dass ein Verleumder ist, werUnwahres gewissenlos zum Zweck der Herabsetzung ver-breitet. Aber auch der streng juristische Begriff derVerleumdung (die wider besseres Wissen verbreiteteherabsetzende Unwahrheit) ist in dem Tun des HerrnKraus erfüllt.

Ich sehe mich genötigt, zu meiner Verteidigung dasTreiben des Herrn Kraus und seine Persönlichkeit einerkritischen Prüfung zu unterziehen – und hierbei zurWahrung meiner Interessen nicht zu verschweigen, was undwie er nach meiner Meinung ist.

II.

1) Kraus behauptet (und das bildet für mich denKernpunkt), dass ich während des Weltkriegs „ in Grau-

samkeit versiert war, in jener scheusslich gewitztenGrausamkeit, die das eigne Leibeswohl hinter derSchanze eines Schreibtisches deckt“. Wahr ist jedoch,dass ich mich als Sechsundvierzigjähriger freiwilligzum Heeresdienst nach Kriegsausbruch gemeldet habe.Kraus hat von dieser Tatsache Kenntnis, er verleumdetwider besseres Wissen. Belege für die Meldung (alsSoldat, nicht als Dolmetscher) werden überreicht.

2) Herr Kraus zitiert Gedichte, die ich inder Monatsschrift „Neue Rundschau“ 1914 veröffentlichthabe, zwar wörtlich, indem er jedoch als Routinier durchdie Bemäntelung des Zusammenhangs den Eindruck hervorzu-rufen weiss, als ob ich diese Gedichte nicht selber miss-billigt hätte. Er zitiert später einiges davon ausdrück-lich so, als ob ich den Inhalt billigte. Er verleumdetauch hier wider besseres Wissen.

3) Er verleumdet, indem er behauptet, dassich im Kriege „die Scherlsche Livree“ trug. Er will mitder Bezeichnung „Scherlsche Livree“ den Eindruck wecken,als ob ich im Frondienst einer Firma auf deren Wunsch(weil die Leser es zum Frühstück verlangten, sagt er;Fackel“, Okt. 1926, S. 87) als „Kriegshetzer“ gewirkthätte. Er sucht also meine Beweggründe zu verleumden.Wahr ist jedoch, dass ich dieselben vaterländischen Ge-dichte, so das von ihm getadelte Ostpreussengedicht, inder (demokratischen!) „Frankfurter Zeitung“, andere inmeiner politisch vollkommen selbständigen Zeitschrift Pan“ veröffentlicht habe. Er betont selber, dass ichsog. Kriegsgedichte (d.h. Gedichte, die im Krieg entstanden)in der gar nicht Scherlschen, sondern fast zwischen-staatlichen MonatsschriftNeue Rundschau“ veröffentlicht

habe, – er verleumdet mich aber durch die Behauptung,dass ich „im Kriege die Scherlsche Livree trug“ undmeine Haltung nach den Wünschen Scherlscher Frühstücks-leser gerichtet habe. Er verleumdet abermals wider besse-res Wissen.

4) Als ich im „Berliner Tageblatt“ (ineiner durchaus glimpflichen Besprechung seines BerlinerAuftretens als Rezitator) seine früheren Besuche beimir gestreift hatte, schrieb Kraus („Fackel“, Juni 1924,S. 80), er wisse, „dass ich mit ihm (Anm.: nämlich Kerr)nie, auch nicht 1897, in einer anderen persönlichen Ver-bindung gestanden bin, als dass ich ihn einmal, vor derscheusslichen Gerichtsverhandlung, durch die er dengreisen Musikschriftsteller Tappert um sein Brot brachte,einen Moment sah und dann angewidert nicht mehr kannte.(Nebensächlich ist, dass der Musikschriftsteller WilhelmTappert, dessen Bestechlichkeit damals durch das Gerichtfestgestellt wurde, garnicht um sein Brot kam, da seineZeitung, das „Kleine Journal“, es bei einer öffentlichenAbbitte des durch Geld bestochenen Musikkritikers bewen-den liess).

Aber kennzeichnend für das Verleumdertumdes Kraus ist die unwahre Behauptung, dass er mich nur1897 „einen Moment sah und dann angewidert nicht mehrkannte“, womit er eine gewisse Verächtlichkeit mir anzu-hängen meint oder versucht. Er spricht bewusst auch hierdie Unwahrheit. Wahr ist: a) Kraus hat mich nach 1897durch „freundschaftliche“ Besuche behelligt; er schreibtmir (drei Monate nach dem Prozess): „Die Ehrlichkeit,mit der Sie den frechen Schund annageln, hat mich wirk-lich gefreut“. (30.IX.97) Er bittet mich * col „Der Thaler is von mir, daß keine Irrung g’schieht“ (Knieriem in „Lumpazivagabundus“). Anm. d. Herausgebers. später „herz-

lichst“ mit ihm zusammenzukommen usw. c) Kraus hat michauch 1907 „lobend“ in der „Fackel“ erwähnt; d) Kraus hat1908 sogar mein Gedicht über den herrlichen DarstellerGirardi in der „Fackel“ mit rühmenden Worten abgedruckt –ohne mein Zutun; er hat also wiederholte Näherungen ver-sucht gegen einen verleumderisch als verachtenswert Hin-gestellten, den er „angewidert nicht mehr kannte“.Auch hier versucht er wider besseres Wissen mich verächt-lich zu machen.

5) Viktor Adler, der hervorragende öster-reichische Sozialistenführer, dessen unantastbar recht-schaffener Charakter von allen Parteien anerkannt wurde,den Kraus selber hochschätzt, sah sich gezwungen, Kraus öffentlich in einem Aufsatz Verleumder zu nennen.

6) Kraus ist in Österreich bereits im Beginnseiner Laufbahn wegen Verleumdung bestraft. –Als er einen literarischen Gegner, den Schrift-steller Hermann Bahr, unlauterer Handlungen be-zichtigte, (er behauptete, Bahr habe sich auf demWege der Korruption ein Grundstück schenken las-sen, woran kein wahres Wort gewesen ist), wurdeKraus vom österreichischen Gericht wegen Verleum-dung verurteilt.

III.

Soviel über die nachweislich bewusstenVerleumdungen; also Verleumdungen im Sinne desGesetzes.

Zur allgemeinen Kennzeichnung des Kraus undseiner verleumderischen Manöver, verleumderisch in derAuffassung des Laien, dienen fernerhin folgende Punkte.

Kraus hat die Verfasserschaft eines Gedich-tes, welches die in den Masurischen Seen Sterbenden ver-

spottet, wahrheitswidrig mir nachgesagt – und hierandie Schmähung geknüpft: „Vor dieser Scheusslichkeitbleibt wohl alles im Hintertreffen …“ usw. („FackelApril 1926, S. 55) Ich habe dieses Gedicht niemals ver-fasst. Ich habe niemals Grausamkeiten geäussert, wie die-ses Gedicht sie enthält, das qualvoll in den Tod Sinkendeverhöhnt. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass einsolches Verspotten Hinscheidender mir unendlich wider-strebt hätte. Herr Kraus hat bedenkenlos und prüfungslosdie Unwahrheit gesagt. Die wirklich im Krieg von mirverfaßten Gedichte hatten immer nur die Tendenz dem ei-genen bedrängten Lande zu helfen; sie waren oft satirisch-derb – aber wesensverschieden von diesem (willkürlich undauf gut Glück mir unter Schmähungen zugeschriebenen)Gedicht. Meine Verse waren oft derbste Abwehr und Auf-forderung zur Abwehr: aber nicht Sadismus gegen Sterben-de.

Ein grosser Teil meiner Gedichte war zuerstin der Zeitung „Der Tag“, mit der Unterschrift „Gottlieb“,einem Sammelnamen der Redaktion, erschienen. Begründerdes Sammelnamens „Gottlieb“ war Professor Dr. Franz Oppen-heimer; (Ordinarius für Volkswirtschaft an der Universi-tät Frankfurt). „Gottlieb“ bildete damals das Gemeinschafts-wort, unter dem Viele, fast immer in Versform, die StimmungAufrichtendes rasch in die furchtbare Zeit riefen – natür-lich zu Gunsten Deutschlands. Fast jeden Tag flog ein„Gottlieb“ hinaus. Die ästhetische Form konnte nicht immerersten Ranges sein.

Ich wies auf die Berechtigung dieser sozusagenfliegenden Verse noch während des Krieges offen in meinemHauptwerk „Die Welt im Drama“; dort hiess es im Hinblick

auf besinnungslose Nurpazifisten (1917):

col nicht eingezogenIch stehe bei diesem Schwarm in keinemguten Geruch, weil ich, als die überrumpeltenGeister sich schieden, in dubio die ParteiDeutschlands nahm. Deutschlands, das, vonallen Botokuden geächtet, von allen Busch-männern sittlich verdammt, von Tibetanernverworfen, von Feuerländern abgelehnt, von Eski-mos verklagt, von Boliviern bemängelt, vonPortugiserichen mißbilligt, von Alaskanerngeschnitten, – – das in solcher Lage, wenn es,wie Karl Moor, mit ein paar Genossen in dieböhmischen Wälder zieht, zu schützen eineWonne bleibt. Mit tausend Liedchen … oderwas der Einzelne sonst kann“.

Die Welt im Drama“, Bd. III, S. 160.(S. Fischer, Berlin, 1917).

Viele Gottlieb-Gedichte wurden von andren deutschen Zei-tungen nachgedruckt, nicht nur die Redaktionen wussten,dass unter den Gottlieb-Gedichten zahlreiche von mirstammten. Die Tatsache war allgemein bekannt. Auch HerrKraus bekennt, gewusst zu haben, dass durchaus nicht alleGottlieb-Gedichte von mir waren; er hat jedoch, ohne sichzu vergewissern, mir ein bestimmtes willkürlich in dieSchuhe geschoben – mit jener Bemerkung: „Vor dieserScheusslichkeit bleibt wohl alles im Hintertreffen …“ usw.

Herr Kraus nennt mich in diesem Zusammenhangeinen „Kriegshetzer“. Er gibt zwar nach seiner rabbuli-stischen Gewohnheit zu, dass ich vielmehr „zum Siegegehetzt“ habe. Doch er nennt das (S. 86) eine „Ordinärheit“;mich einen „Vorkämpfer des Bestialischen und der überal-terten Schmierigkeit“. (S. 73) Ich glaube: wer im Krieg(in der Überzeugung, dass sein Land überfallen ist) gegendiese Überfallenden auf- und für das eigne Land eintritt,den verleumdet man, wenn man ihn Kriegshetzer nennt.

Herr Kraus verleumdet fast jeden meiner Be-wegründe. Etwa so: Weil ich der Gast des deutschenBotschafters in Paris, Herrn von Hoesch, war, erklärt Herr

Kraus, ich habe den deutschen Gesandten um seiner Weinewillen zu den Wertvollen gezählt (S. 77). Oder: weil ich,zu zwei Vorträgen nach Paris eingeladen, nach dem Ge-spräch mit ausgeprägt deutschfreundlichen StaatsmännernFrankreichs (Painlevé, Daladier, de Monzie) schrieb,dass man mit diesen wohl auskommen könnte, sagt HerrKraus verleumderisch, dass ich „ihnen hineinkrieche“.

Ich war von der Pariser Universität und vondeutschfreundlichen, friedensfreundlichen Franzosen zuzwei Vorträgen eingeladen worden. Thema: 1) „Das deutscheDrama der Gegenwart“; 2) „Dramenkunst als völkerverbin-dendes Mittel“. Der Universitätsrektor, Professor Lapie,hatte mich amtlich auf dem Bahnhof durch den offiziellenVertreter der Sorbonne empfangen lassen und erschien zurfeierlichen Begrüssung mit den Dekanen der Fakultät beiBeginn meines Vortrags. Herr Kraus behauptet, um diesezwei Pariser Vorträge herabzusetzen – er saugt es sichaus den Fingern – ich sei von der „Firma Mosse“ hingesandtworden. Kein Wort ist hiervon wahr. Ich folgte der Ein-ladung auf eignen Wunsch und selbstverständlich aufeigene Kosten. Herr Kraus fabelt verleumderisch drauf los.(Er will eine Handlung, die eignen sachlichen Wünschenentsprang, als journalistische Geschäftsangelegenheit hin-stellen – indem er bedenkenlos Unwahres behauptet).

Dass er von dem Pariser Besuch auch sonst einenspaßhaft unwahren Bericht gab, sei nebenher bemerkt.

Wann erfolgten die hauptsächlicheren Verleum-dungen? Ich hatte die journalistischen Gewohnheiten desKraus im Lauf der Zeit gelegentlich belichtet. Ich hattezuletzt eine seiner Vorlesungen in Berlin durchaus mass-voll, aber nicht zustimmend im „Berliner Tageblatt“ kri-

tisiert. Von da ab setzten seine Angriffsversuche widermich intensiv und systematisch ein.

IV.

Ich habe Frankreich schon deshalb im Kriegeniemals in Versen oder Prosa angegriffen, weil ich inseiner Zusammenarbeit mit Deutschland ja den politischenAusweg sehe. Ich hatte vielmehr („Neue Rundschau“,September 1914) ausdrücklich betont, das „edle Frankreichsei von Russland überstimmt, ins Schlepptau genommen wor-den. Ich habe den „Führern“, wie es in dem, von mir übri-gens missbilligten, Gedicht hiess (nicht den Völkern,wie Kraus es hinstellt) – ich habe den „Führern bei derDeutschlandhetze“ jene humoristischen Krankheiten(„Rheumatismus im Popo“ usw.) gewünscht. Ich hatte sogarmitten im Krieg jenes (hier beigefügte) Versöhnungs-gedicht, das besänftigend für das Verhältnis zwischenDeutschen und Franzosen sprach, im (Scherlschen(!) „Tagveröffentlicht:

Begegnung.

col nicht eingezogen nur jeweils die 2. ZeileI.

Und als es vier Wochen gedauert hat,Waren sie krank und hundematt.Deutsche, Franzosen – im HöhlenhausFrierend. Manchmal brachen sie aus,Zerfleischten einander … mit schwankendem GlückDann schleppten sie sich in die Gräben zurück.

Und als es fünf Wochen gedauert hat,Waren sie still und hundematt.

col nicht eingezogen nur jeweils die 2. ZeileII.

Zwischen den Linien lagen die Leichen.Ein Holste hob die Schaufel, zum Zeichen;Von drüben kam einer stumm auf ihn los.Man grüsste sich herzlich. Da hat der FranzosIhm leis einen Bruderkuss aufgedrückt.Der Holste fand: das ist „verrückt“;Es kam „ein bischen unvermittelt“;Hat ihm doch stumm die Hände geschüttelt.Sie schwiegen. Und sannen im Leichengraus.lachten an Weib und Kinder zu Haus.

III.

Die Schützen haben still verharrt;Die Toten wurden eingescharrt.Jeder ging zu seinen Genossen.In der Nacht ward weitergeschossen.

(16. Dezember 1914)

Der Tag“.

V.

Die ganze verleumderische Tendenz des Kraus’schen Artikels vom Oktober 1926 geht dahin: vorzuspiegeln,als ob ich erst jetzt, erst hinterdrein mich als einenMenschen aufspielte, welcher die Kriegsgreuel verwirft.Das ist wieder bewusst unwahr. Denn ich habe dauernd meinenAbscheu vor der Institution des Krieges bekundet – dauerndwährend des Krieges. Ich lege zum Beweis den Aufsatz ausder „Neuen Rundschau“, September 1914, vor, (den Kraus gekannt hat) – der also kurz nach Kriegsausbruch geschrie-ben ist und meinen (im Kriege nie verlassenen) durchauskonsequenten Gesamtstandpunkt darlegt. Dieser Standpunktist: pazifistisch – aber nicht blöd-unpatriotisch. Kurzausgedrückt: gegen den Krieg – aber für Deutschland. Ichhabe niemals aus meiner deutschen Haltung im Krieg (nebender heftigsten Verdammung des Krieges als Einrichtung) einHehl gemacht. Dieser Dualismus war damals in jedem fühlen

den Menschen. Ich habe die rückständige Sitte des Kriegsauf das schärfste gekennzeichnet, – im Krieg. Im Kriegerschien mein fünfbändiges Hauptwerk „Die Welt im Drama“.Das Vorwort geisselt (noch im Krieg) das viehische„Begebnis“, „den elendesten Rückfall“. Ich vertrat alsodiesen Standpunkt nicht erst 1926 in Paris.

Somit: ich habe dauernd während des Kriegs,gegen die bestialische Torheit dieses menschlichen Atavis-mus gewettert. Aber es war mir selbstverständlich, dassman, in dem blutigen Dunkel von damals, ohne Schwankendie Partei des für bedroht gehaltenen Landes, Deutschlands,ergriff. Mir schien: der Krieg ist etwas Abscheuliches –aber da man plötzlich inmitten dieses Wahnsinns lebt, sowill ich wenigstens, dass meine Heimat nicht daran zuGrunde gehe. Ja, ich habe während des Krieges zwar offenalles den Krieg Verdammende, Widerlegende, seinen UnsinnBelichtende nachdrücklicher als Herr Kraus (blos nichtmit hämischen Worten – und nicht mit Worten gegen Deutsch-land) betont. Aber nachdem der Krieg ein Nichtzuänderndesgeworden war, habe ich nicht als einzige Beschäftigungdas Enttäuschtsein geübt, sondern den Wunsch gehegt: dassnun, wenn einer in dem elenden Verbeissungsknäuel siegensoll, es natürlich nicht die Andren sein mögen. Oder, wieich es später einmal ausgedrückt: Hätte Shaw damals alsDeutscher in Deutschland gelebt, er würde so getan habenwie wir: er hätte das Ganze verwünscht – aber sich gewehrt!Kurz: ich half mit meinen Mitteln: der ernsten Dichtungund der satirischen – nachdem ich es als Soldat nicht ge-durft.

Ich erinnerte damals (1914) an ein Wort Kleists,der seinen Hermann sprechen ließ: „Was brauch ich Latier,

die mir Gutes tun?“ Über dieses mir widerstrebende Wortschrieb ich („Neue Rundschau“ September 1914):

col nicht eingezogenIch kann es, wenn die Welt wahnsinnsfrei undvoll menschenwürdiger Ruhe lebt, nicht unter-schreiben. Denn es ist ja das Ziel unsrerEntwicklung: zu erkennen. Auch Gutesim Hass zu erkennen. Aber ich habe doch nichtFischblut genug, in der Sekunde, wo mir je-mand den Adamsapfel eindrücken will, seinevorteilhaften Züge … man soll nicht sagen:zu bemerken; (denn bemerken tu ich sie):aber sie zu verkünden. Ich werde meiner Naturfolgen … und ihn benachteiligen. Ich bin auchnicht Altruist genug (obgleich ein grosserTierfreund), um den Bazillen, die anihrer Fressgier unschuldig sind, meinen Leib hoch-ethisch darzubieten“. (1914)

Ich kämpfe, seit ich öffentlich eine Feder handhabe, fürdie (nach meinem Wort) „Zivilisierung der Menschennatur“.Ich erwarte noch heut das künftige Heil von der Wirksamkeitgeistig heller und tatentschlossner Gruppen in allenVölkern. Ich bin und war also Pazifist; aber nicht senti-mentaler Pazifist – ich halte keineswegs die rechte Backehin, wenn mich einer auf die linke schlägt. In summa: ichvertrat möglichst einen antikriegerischen Standpunkt, abernicht einen nurpazifistischen Idiotenstandpunkt.

Wie kommt ein Herr Kraus dazu, sich überhauptum meinen Standpunkt im Krieg zu kümmern? Ich glaube ge-zeigt zu haben, aus welchen Ursachen.

VI.

Folgende, für mich bindend gebliebene Leitsätzeschrieb ich (im ersten Kriegsmonat), eingedenk aller jähüber den Haufen geworfenen heilig-menschlichen Ethik:

col nicht eingezogenWir wollen helfen bis zum letzten Hemde; biszum letzten Fingernagel; bis zum letzten WurfSpeichel: aber nicht vergessen, was uns angeht –inmitten dieser Welträude“.

Ich fügte zu:

col nicht eingezogenDer Satz ist auch umzudrehen. Wir wollen er-worben Heiliges nicht in die Binsen tun …aber wir wollen helfen bis zum letzten Hemde; biszum letzten Knochen; bis zum letzten Hohnwort.Die Seelen zittern. Es gibt nur einen Herzschlagin dieser Stunde: Deutschland, Deutschland überalles.

(September, 1914„Neue Rundschau“).

Der Schriftsteller wagt es, Dinge von säkularemErnst: den drohenden Untergang des Geburtlandes, die Ver-zwergung seiner Möglichkeiten, den einsamsten Kampf einesüberraschten Volks und die seelische Teilnahme daran aus-zunutzen für Schmähungen und Verdrehungen, Verdächtigungenund Verleumdungen.

Ich habe dies alles nicht für seine unwesent-liche Person gesagt: sondern für das von ihm bemühte Gericht.

VII.

Herr Kraus ist zwar kein grosser Geist (sondernein fingerfertiger Journalist mit sicherer Beherrschung vonKleinmitteln) – doch er hat bestimmt genügend Einsicht, umseine Verleumdungen als solche zu erkennen; er verleumdetwider besseres Wissen. Er verleumdet mit einer kalten hand-werklichen Routine. Seine Verleumdung liegt manchmal nichtdarin, dass er Tatsachen erfände, sondern darin, dass erScheinbar-Wahres hinsetzt und ihm durch einen Kniff in derGruppierung schillernd-verleumderischen Inhalt gibt. Er kannsich im Wortsinn darauf berufen, „die Wahrheit“ gesagt zuhaben. Wenigstens manchmal. Es ist die weniger offene, wenigerfassbare, weniger mutige Art der Verleumdung.

Kraus lebt von der Methode: gedruckte Stellenauszuschneiden, einen so wiedergegebenen Text des Kerns zuentkleiden; zu entstellen. Es sind langjährig geübte Manöver– indem er ein Gewirr von verstümmelten Zitaten, Irreführungen,Wortklaubereien tätigt, bis ein verleumderisches Bild ent-steht.

Er spielt hierbei die entsetzlich trivialeRolle des edlen Tugendbolds, der alle untugendhaften vollEmpörung tadelt. (Was ich „moraligen Kitschton“ nannte).Um die Geschmähten herab- und sich in ein Licht zu setzen,verwendet Kraus Mittel, die man im abfälligen Sinn jour-nalistisch nennen muss – er betont aber dabei stets dieVerwerflichkeit des Journalismus. (Er „bekämpft“ übrigensdie Presse so – wie jemand wegen der Unfälle die Eisen-bahn „bekämpft“ …)

Kraus arbeitet – und das ist Kitsch – mit derbilligen Fiktion, als ob fast alle Menschen Affen undSchwindler seien, er beinah der einzige Nichtaffe, undbeinah der einzige Wahrheitssager … während er seineUnwahrheiten sagt. Ja, er wirtschaftet fast mit jedem„journalistischen“ Dreh. Seine Zeitschrift ist kein Revol-verblatt, das etwa Gold erzwänge; sondern sie sucht sozu-sagen mit dem Moralrevolver Geltung zu erzwingen. Fürseine eigene Moral ist er milder. Er hat österreichischeSchriftsteller des Plagiats beschuldigt, während er selbstPlagiate beging. Er „enthüllt“ beständig „Korruption“,die er breit erörtert und die ihm „Stoff“ für seine Zeit-schrift liefert. Er hat eine wohlfeile Methode, bei derenAnwendung es leicht wäre, noch die Bibel als ein lächer-liches Schundwerk hinzustellen.

VIII.

Wie verhielt sich Herr Kraus zum Krieg? – Aucher (nachdem er das Kriegsmanifest Franz Josephs anfangspanegyrisch gelobt und „erhaben“ genannt hatte) – auch erhat den Krieg verdammt, selbstverständlich; doch zunächstmit Spott gegen die eigne Umgebung und gegen die Schick-

salsgefährten. Kraus erblickt im Kriege das, worüber manwitzeln kann, – und sucht manchmal durch billiges Pathosder „ethischen“ Seite gerecht zu werden: in einem, älte-ren Vorbildern schlecht nachgemachten Stil. Das deutscheBedrohtsein war ihm weniger aufregend.

Er zitiert (im Kriege) solche DichtungenGoethes, die gegen die Deutschen zu sprechen scheinen. Unterdem Gesamttitel „Goethe und die Deutschen“ veröffentlichter sie. In dreien dieser Gedichte wird Unwahrhaftigkeitder Deutschen gestreift:

colSagt! wie könnten wir das Wahre … Niederlegenauf die Bahre.

So beginnt das erste der von Kraus vorgekramten Gedichte.Das letzte schließt;

colDeutsch oder teutsch – du wirst nicht klug“.

Was in Augenblicken des Missmuts Goethe widerseine Landsleute zwischendurch ärgerlich sprach: das hatHerr Kraus in der Stunde stärkster deutscher Gefährdungausgegraben und drucken lassen. („Fackel“, Januar 1917 S. 88).

Kraus spricht von „jener deutschen Taktik derverfolg t end en Unschuld, die einen Überschuss an Wehrhaftig-keit und ein Defizit an Wahrhaftigkeit zu einem …Ausgleich bringt“. („Fackel“, Nr. 484/498 S. 13, Okt. 1918).

Kraus druckt zwar (wie oft nun schon!) einvon mir im Kriege wider Rumäniens Überheblichkeit verfasstes Spottgedicht ab. Es war immerhin ein Versuch zur Abwehr.Doch was tat er selbst? Im Dezember 1917 trug er folgendesKuplet“ vor / das nicht gegen Rumänien, sondern gegenDeutschland gerichtet war!/, in dessen Einleitung er sagt:Das Kuplet erschöpft das Problem Deutschlands annäherndso sehr wie Deutschland die Welt.“ (Er fügt ein Notenbei-spiel zu und sagt: dies musikalische Nachspiel „stellt dasGelächter des Auslands dar“. Es ist ein Gejuchz in Sechzehn-

telnoten).

Lied des Alldeutschen“ ist es nach dieser Ein-leitung zwar betitelt, jedoch in Wahrheit nicht nur Parodieeines alldeutschen Gesangs, sondern allgemein ein kläglicherHassgesang gegen Deutschland. Künstlerisch ein kümmerlichesMachwerk. Darin heisst es:

col nicht eingezogenIm Frieden schon war ich ein Knecht,Drum bin ich es im Krieg erst recht …Leicht lebt es sich als Arbeitsviehim Dienst der schweren Industrie.

Was sich wohl nicht allein auf die Alldeutschen beziehenwird – denn die Arbeiter waren ja nicht alldeutsch.

Weiter:

col nicht eingezogen Ich geb mein deutsches Ehrenwort:Wir Deutsche brauchen mehr Export

Was also wieder kaum Alldeutsche betrifft. Dann:

wie oben Krieg dient uns, damit Waffen sind,Wir drehn den Spieß, wer wagt, gewinnt

Weiter:

wie oben Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für Eisenund laßt den deutschen Gott uns preisen!Gebt Blut – habt ihr das nicht gewusst? –für Mark: das ist kein Kursverlust!Darum erhofft Profit der Deutsche!

Das ist nicht nur „alldeutsch“. Kraus sagt ja auch einlei-tend: „Das Kuplet erschöpft das Problem Deutschlands an-nähernd so sehr, wie Deutschland die Welt“. Weiter:

wie oben Das wahre Glück bringt Schiessen nur,drum gaudeamus igitur.Ein muntrer Bursche bleibt der Deutsche!

Ein muntrer Bursche bleibt Herr Kraus, der es wagt, nacheinem solchen im Krieg öffentlich vorgetragenen Kuplet miranzukreiden, dass ich satirische Verse gegen die damaligenFeinde Deutschlands schrieb. Wenn schon im Krieg volkstüm-liche Verse gemacht werden, hab ich sie wenigstens nicht ge-gen die Nächsten und Bedrohtesten gemacht. Der Verfasserdieses Krams rächt sich darum an mir, indem er jene paargegen den Überfall Rumäniens gerichtete satirische Strophenwohl ein halbes Dutzend mal in seinem Blättchen abdruckt.

Von den Deutschen sagt er, im Krieg:

wie oben Der Endsieg unser Recht beweist:Die Welt wird von uns eingekreist!So muss und wird es uns gelingen,die Pofelware anzubringen.Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!

(„Fackel“, 484–498, S. 13ff.)

Als Herr Kraus dies mitten im Kriege gesungen,später im Druck veröffentlicht hatte, folgten die nachste-henden „Verse“ des Kraus (aus einem anderen „Gedicht“):

wie oben Von den deutschen Chemikalienscheint das Gas allein gediegen,während durch die Viktualiender, den’s trifft, sofort bleibt liegen.

Daran sieht man: Heine und die schrecklichsten Folgen. Erfährt gediegen fort: (was ich da zitiere, sind nicht Druck-fehler):

wie oben ’s ist wie einmal, da der Prahlhanswar der deutsche Küchenmeister;doch das Mahl nicht mal vom Schmalhans,denn die Sosz nicht mal ein Kleister.

Garantiert ohne Druckfehler. Die Gesinnung des Herrn Kraus erklärt zwar seinen Zorn über ein Rumänengedicht, aber dochnicht die Qualität seiner Verse. („Fackel“, S. 21, Nov. 1918).

Kraus behauptet, das „einzig wahre Wort“, das indiesen Zeitläuften gesprochen wurde, sei folgendes, das „einrussischer Minister am Kriegsbeginn gesprochen hat: dassdieser Krieg Österreichseine Keckheit ist“ – und er, Kraus,habe es

wie obennur durch die Feststellung ergänzt, dass dieserKrieg Deutschlands eine Frechheit ist, damit dasbundesbrüderliche Verhältnis zwischen Räuberund Dieb, Gehasstem und Verachtetem auch imPunkt der Kriegsschuld zur vollen Anschauungkomme“. („Fackel“, wie oben, S. 33).

Trotz alledem hat 1919, als diese Haltung des Kraus in Ver-gessenheit geraten (und Kraus in die Nähe politischer Links-parteien gerückt) war, der zeitweilige Vorsitzende der öster-

reichischen Nationalversammlung, Herr BürgermeisterSeitz, ihm zum zwanzigjährigen Erscheinen der „Fackelgratuliert und geäussert, Kraus habe zur Reinigung, Ver-sittlichung des öffentlichen Lebens in Wien beigetragenusw. Besonders der Kampf gegen den Krieg sei verdienst-lich gewesen … Nun, den haben Viele gekämpft, ohne ihrLand zu beschimpfen.

Herr Seitz hat dem Herrn Kraus nachher auchzum Geburtstag gratuliert (in Österreich schicken Be-hörden zum „Jubiläum“ einer Zeitung Glückwünsche). Der-selbe Bürgermeister Herr Seitz spricht sogar mit offi-zieller Überschwänglichkeit von einem Drama des Kraus,das er „unsterblich“ nennt usw. Es ist ein Glück fürHerrn Kraus, dass jemand, der ein schiefes Urteil überdie Dinge hat, zufällig Bürgermeister ist. In jedemFall wurde Herr Seitz nie von Herrn Kraus verleumdet;er hatte niemals einen Anlass, sich gegen ehrabschneide-rische Verdächtigungen zu wehren. Das Gesamturteil desguten Bürgermeisters fiele sachlich anders aus, wenn ergenauer unterrichtet; im Ton anders, wenn er unwahrhaftigeManöver des Kraus an sich selbst erfahren hätte.

Die besseren Kenner des Herrn Kraus haben dasRecht, als mindestens gleichwertig neben diesem freundli-chen Beamten zu stehn. Zumal wenn es die berechtigteWahrnehmung ihrer eignen Ehre gilt.

IX.

Die Gesinnung des immer moralisierendenHerrn Kraus: verletzte Eitelkeit in Verbindung mit Hass,zeigt sich in der folgenden Tatsache. Einer seiner Vor-träge in Berlin war von der „Deutschen Tageszeitung

abfällig glossiert worden. Da schreibt Kraus aus diesem,diesem, diesem Anlass wörtlich („Fackel“, Juli 1920,S. 19):

col wie obenWie der deutsche Gott Bomben auf Nürnberg regnen liess, so lügen und fälschen siewie eh und je. Wie ihre Generalstabsberichteso ihre Darstellungen von einem Vortrag …

Alles in allem geht meine Ansicht dahin, dassdie Entente halbe Arbeit geleistet hat“ –

– sagt er wörtlich wegen einer abfälligen Besprechungseines rezitatorischen Auftretens. Ein sympatischerMoralist.

X.

Da Herr Kraus von meinen im Krieg verfasstenGedichten eine tendenziöse Auswahl gibt, scheint es mirnötig, einige, die zum Teil schon in die Schulbücherübergegangen sind, hier beizufügen – mit der wieder-holten Versicherung, dass ich sie niemals um des HerrnKraus willen hergesetzt hätte, sondern dass es fürdie Richter geschieht.

Mobilmachung.col wie oben(Erschien am 2. August 1914)

Wir wollen in den TagenDer steilsten LebensfahrtNicht säumen – und nicht fragen,Wie alles ward.

Wenn auf des Hauses PfostenDie Sonne morgens scheint,Schaut sie in West und OstenDen Feind.

Sie spürt ein WipfelbebenUnd hört ein Flügelwehn.Deutschland kämpft um sein Leben.Es wird nicht untergehn.

col wie oben Es geht eine Schlacht … (Erschien am 12. September 1914)

Es geht eine Schlacht … mit schwerem Gang.Am Weichselfluß? Am Wasgenjoch?Die Stille redet. Tagelang.Wir wissen’s nicht. Und wissen’s doch.

Es rinnt ein Ruf. Durch Frühlichtgrau’n.Durch alle Nächte. Heimatwärts.Es schwillt ein flüsterndes GeraunVon Eurem Blut in unser Herz.

Es schallt ein Schrei. Es hallt ein Schuss.Er trifft uns in die eigne Stirn.Es zieht ein heimlich steter FlussVon Eurem Hirn in unser Hirn.

Es weht der Allerseelenwind.Wir schreiten alle Einen Schritt.Und die wir fern vom Felde sind,Wir kämpfen mit; wir sterben mit.

col wie oben Er schleppte sich (Erschien am 23. Oktober 1914)

Er schleppte sich an ein Gehölz.Nacht war’s, und ferne Stimmen schrien.Zwölf Stunden streuten die Schrappnelle.Erst nach zwei Tagen fand man ihn.

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Er isst und trinkt im Lazarett,Gesund ist das durchschossne Bein,Nur sitzt er nachts auf seinem BettUnd glaubt in einer Schlacht zu sein.

Die Wärter kommen leis daher …Dann schläft er bis zum Tageslicht,Erwacht in Frieden still und schwer –Und weiss es nicht. Und weiss es nicht.

Im frischgerollten LinnenhemdLiegt er, das Aug ins Licht gewandt.Der Blick ist froh – nur etwas fremd.Die Mutter hält des Jungen Hand.

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Oft schläft er ein. Er schläft sich satt.Sie hört ein Lallen schlummerfern …Und was er je gelitten hat,Erscheint in ihrem Augenstern.

col wie oben 1918.

Die Wende hat begonnen.Deutschland in Not und Drang?Es leuchten tausend SonnenAuf Deinen letzten Gang.

Nicht Feindesmacht verderblich,

wie obenNicht Hasses Kraft bezwingt,Was durch die Welt unsterblichIn Ewigkeiten klingt.

Das Letzte laßt uns geben!Ein Wunder muss geschehn!Deutschland ringt um sein Leben.ES … DARF … NICHT … UNTERGEHN.

XI.

Ich wiederhole nach alledem: den Kernpunktbildet für mich der von Kraus wider besseres Wissen ge-schriebene verleumderische Satz: dass ich während desWeltkriegs „in Grausamkeit versiert war, in jenerscheusslich gewitzten Grausamkeit, die das eigne Leibes-wohl hinter der Schanze eines Schreibttisches deckt“.

Ich wiederhole zweitens, dass ich meinenkurzen (inkriminierten) Abwehrsatz am selben Tage druckenliess, an dem ich von den hanebüchenen Beschimpfungsver-suchen des Kraus Kenntnis bekam.

16.9.1927. Kerr m.p.