68.52 „Prozess Tappert-Kempner (Kerr)“ von Sigismund von Radecki

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift
  • Oskar Samek, blauer Stift

Materialitätstyp:

  • Manuskript
Datum: 11. Oktober 1927
Seite von 15

Prozess TappertKempner (Kerr) Beilage 6)

Kleines Journal“ von Dienstag, dem 22. Juni 1897

Der mit so großer Spannung erwartete Prozess derMusikschriftsteller W. Tappert und W. Lackowitz wider den SchriftstellerDr. Alfred Kempner (Kerr) wurde gestern (21. Juni 1897) vor der 148. Abteilungdes hiesigen Schöffengerichts unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats Haack verhandelt. Den persönlich erschienenen Privatklägern stehenJustizrath Kleinholz und Dr. Schwindt zur Seite, der Beklagte wird vom R.A. Paul Jonas verteidigt. Letzterer hat eine großeZahl von Zeugen und Zeuginnen, welche der musikalischen Weltangehören, geladen; ein Theil von ihnen hat sich durch Abwesenheitvon Berlin entschuldigen lassen.

Im Sitzungszimmer herrscht großer Andrang.

Der historische Verlauf der Sache ist bekannt. Als der viel-besprochene Fall Liebling (LieblingLackowitz) sich ereignet hatte, besprach ihn Dr.Kempner in der „Frankfurter Zeitung“ und deutete dabei an, daßin musikalischen Kreisen behauptet werde, daß gewisse Kritikerder Bestechung zugänglich seien. Es erfolgte darauf die Erklärungder 23 Musikkritiker, welche den Vorwurf mit Entschiedenheitzurückwiesen. Dr. Kempner antwortete darauf und beschuldigteschließlich die beiden Privatkläger, daß sie den Geldspendenausübender Künstler zugänglich seien. Herr Tappert erließdarauf im „Kleinen Journal“ eine kurze Erklärung, in welcher erdie Behauptung Kerr’s für Lüge und Verleumdung erklärte.Diese Erklärung hat Dr. Kempner zum Gegenstande derWiderklage gemacht.

Als Sachverständige wohnen Professor Schulze, Prof. Krebs und Prof. Urban der Verhandlung bei.

Zum Wahrheitsbeweise erklärte R.-A. Jonas daß einegroße Zahl der von ihm vorgeschlagenen Zeugen zu seinem Bedauernausgeblieben sei und er sich bemüht habe, Ersatzzeugen zustellen. (Nun behandelt Jonas den Fall Lackowitz-Liebling) Besondersbedauert Jonas die Abwesenheit der Konzertagenten Sachs und Taussig ,da Letztere Beide ausübenden Künstlern gesagt haben sollen, daßes notwendig sei, Herrn Tappert und Herrn Lackowitz Geld zu geben,

und zwar Ersterem in der Form, daß sie bei ihm Stundennehmen.

Herr Tappert erklärt, daß er entschieden darauf bestehenmüsse, daß zunächst Herr Sachs und Herr Taussig ganz klareAuskunft darüber geben, aus welchem Grunde sie dazu gekommenseien, den Künstlern solchen Rath zu ertheilen.

Justizrath Kleinholz: Ich muß gestehen, daß mir die Beweis-führung des gegnerischen Vertreters absolut unklar ist. Es wirdvon der Gegenseite behauptet, daß meinem Klienten Geld gegebenwurde, vielleicht wird dies auch in dem einen oder anderenFalle bewiesen werden. Aber das Geldgeben oder Geldnehmen alleingenügt doch nicht, um daraus gegen meinen Klienten den Vorwurfder gemeinen Bestechlichkeit oder der Verletzung der Amts- undBerufspflichten zu deduzieren. Ich vermisse da das punctumsaliens in der Beweisführung.

Als erster Zeuge wird hierauf der Tenorist Syburg vernommen.(Er sagt aus, Herr Konzertagent Sachs habe ihm geraden, von seinemKonzert bei Tappert einige Stunden zu nehmen. Dashabe er getan, und Herrn Tappert in zwei Stunden für 50 Marksein Programm vorgesungen.)

Vorsitzender: Konnte denn Herr Tappert in den zwei Stunden,die er Ihnen gab, Ihnen nicht sehr bedeutsame Winke nachder Richtung geben, wie Sie die auf Ihrem Programme stehendenLieder speziell für den Geschmack des Berliner Publikums ambesten singen könnten? Welche Veranlassung haben Sie übrigens,anzunehmen, daß Herr Tappert die Sache so auffaßte, wie Sieund daß er Ihnen die Lektionen bloß deshalb gab, um dasHonorar von Ihnen anzunehmen?

Zeuge: Ich kann nur sagen, daß ich die 50 MarkHerrn Tappert nur deshalb gab, um ihn für mich günstigzu beeinflussen.

Vorsitzender: Ihre Anschauung stützt sich aber bloß darauf,daß in Ihren Kollegenkreisen so gesprochen wurde, oder ist Ihnen

vielleicht etwas dafür bekannt, daß Herr Tappert, wenner solche Geschenke nicht bekam, ungünstig rezensiert hätte?

Der Zeuge räumt ein, daß er dies nur von Kollegengehört habe, und erzählt dann weiter, daß Tappert verhindert gewesen sei, über sein erstes Konzert zu schreiben.Später habe er ein anderes Konzert gegeben, das sehr ungünstigausgefallen sei, sodaß Herr Tappert es vor seiner (des Zeugen)Solonummer verlassen habe. Er habe dann Tappert nocheinmal besucht und ihn gebeten, ihm etwas vorsingenzu dürften und von ihm zu erfahren, ob er Fortschrittegemacht habe. In einer Tappert’schen Kritik habe dann ganzin diesem Sinne gestanden: Er, der Zeuge habe Fortschritte gemacht.

Vorsitzender: Ja, sind Sie selbst nicht dieser Meinunggewesen? (Heiterkeit.)

Der Zeuge behauptet, daß er in dem betreffenden Quartett-Konzert nur einige Takte Solo zu singen gehabt habe undmeint daß aus diesen wenigen Takten unmöglich ein Fort-schritt zu konstatieren gewesen wäre.

Herr Tappert will sich mit dem Zeugen nicht in eineDebatte darüber einlassen, ob ein Kritiker in einemQuartett nicht herausfinden könne, was der Tenor leistet,selbst wenn er nur einige Takte Solo zu singen habe.Was die dem Zeugen gegebenen Lektionen anbelangt, sohabe er (Tappert) dem Zeugen gleich in der ersten halbenStunde gesagt, daß er in jeder Beziehung unvorbereitet sei,und ihm geraten, das Konzert zu verschieben. Darauf habeihm der Zeuge erwidert, er habe locker gelebt, braucheSubsistenzmittel und müsse daher trachten so bald als möglichmit einem Konzert herauszukommen. „Wenn ich mich nun“– fährt Herr Tappert fort – in meiner Gutmütigkeit dazu

bewegen ließ, einen solchen Künstler noch einmal zu empfangenund dann über ihn zu schreiben, er habe einige Fortschrittegemacht, so möchte ich denn doch wissen, wo da die Verletzungmeiner Berufspflicht gelegen haben soll?

Der nächste Zeuge, Konzertdirektor Stern bekundet,er habe niemals den jungen Künstlern, die hier Konzerte gebenwollten, gesagt, daß es notwendig sei, Herrn Tappert vorher ihrKonzertprogramm einmal vorzusingen oder gar Unterrichtbei ihm zu nehmen. Einem ausländischen Künstler, der hier einKonzert mit Orchester gab, was sehr viel Geld kostet, habe ergeraten, dem Kritiker Tappert einen Besuch zu machen undihn zu bitten, sein Konzert zu besuchen. Der Künstler habeihn aber nicht getroffen. Später habe er an mehrere KritikerBriefe weggeschickt, denen je 100 Mark beigepackt waren,die übrigen Kritiker haben die 100 M. zurückgeschickt, vonLackowitz und Tappert sei aber nichts zurückgekommen.Der Zweck des Besuches bei Tappert sei nicht gewesen,ihn in seiner Kritik zu beeinflussen, sondern lediglich,ihn zu ersuchen, das Konzert überhaupt zu besuchen. Ab und zu sei ihm gesprächsweise allerdings zu Ohrengekommen, daß junge Künstler Sendungen an Tappert abgehen lassen, persönlich habe er nur den einzigenFall erlebt.

Vorsitzender: Ist Ihnen aus der Zeit, da Sie nochin der Konzert-Agentur Wolff waren, ein Fall bekannt,daß an Tappert oder an einen anderen MusikkritikerGeld geschickt wurde?

Zeuge: An Tappert gewiß nicht.

Tappert: Er habe bis dahin von dem betreffendenGeiger nichts gewußt gehabt. Sein alter Freund Wilhelmy

habe ihm den jungen Mann empfohlen, und ihn gebeten, überdiesen Paganini-Spieler eine Rezension zu schreiben, damitdiese gedruckt und in England und Amerika veröffentlichtwerden könne. Das habe er getan; er habe in seiner Bespre-chung ganz objektiv der Leistungen des jungen Mannesund seines Lehrers gedacht, eine Verlesung der Kritik werdeergeben, daß er keineswegs mit Superlativen herumgewor-fen habe. Er habe in diesem Falle durchaus nicht gegenseine Pflicht gefehlt und sich nicht bestechen lassen.

Theateragent Sanftleben soll bekunden, daß von derFrau des Kammersängers Götze dem Kläger Tappert Geld zugewendet worden sei um ihn zu beeinflussen.R.-A. Jonas behauptet, Kammersänger Götze sei über diestets ungünstigen Kritiken Tapperts sehr nervös gewesen, unddeshalb habe sich seine Frau an Sanftleben mit der Fragegewandt, wie dies zu ändern sei. Sanftleben habe daraufgesagt: „Das kostet 100 M.“ Das Geld sei gezahlt worden,und seitdem hätten sich die Kritiken über Götze gebessert.

Zeuge Sanftleben : So verhalte es sich nicht. Frau Götze habe ihm einmal gesagt, daß ihr Mann gerade jetzt vortrefflich beiStimme sei, und besonders den Wunsch ausgesprochen, daßHerr Tappert den derzeitigen 6 Gast-Vorstellungen beiwohnen möge.Er (Sanftleben) habe dann den Vorschlag gemacht, an Tappert zu schreiben, und ihn zu bitten, die 6 Vorstellungen bei Kroll zu besuchen. Nach seiner Ansicht aber konnte man nichtverlangen, daß Herr Tappert die Kosten für die Billetts, Spesen,Droschken usw. aus eigener Tasche entnahm, und so seidann für die 6 Vorstellungen der Betrag von 100 M.dem Briefe beigepackt worden. Herr Götze habe von derganzen Sache nichts gewußt bis zu dem Momente, wo

Herr Kempner sich in unangenehmer Weise an seineFrau herangedrängt habe, um von ihr etwas darüber zuerfahren. Da erst habe Frau Götze ihrem Manne denganzen Sachverhalt gestanden.

Kläger Tappert: Er habe auch hier keineswegs seinePflicht verletzt, sondern ganz objektiv kritisiert. Über das ersteAuftreten des Herrn Götze habe er ein Nachtreferat schreiben,eine Droschke zur Druckerei benutzen, außerhalb seines Hausesspeisen müssen usw. Er habe sich darauf beschränkt, das heroischeTimbre des Herrn Götze zu loben. (Andere Fälle, wo er durchausnicht gelobt habe, führt er aus einigen der übrigen 5 Kritiken an.)

Beklagter Kempner: Als er Herrn Sanftleben „auf Bureaugerückt“ sei, habe dieser gesagt: daß Tappert bestechlich sei,pfeifen die Spatzen von den Dächern.

Zeuge Sanftleben verweigert hierüber die Aussage.

Zeuge Konzertdirektor Wolff bekundet, er habe niemalsan Tappert Geld geschickt, und auch niemals einen derartigenAuftrag bekommen. In seinem Bureau werde über solche undähnliche Dinge natürlich mancherlei gesprochen, er wisse Positives aber nicht. Erselbst habe niemals jungen Künstlern den Rath ertheilt, vorihrem Konzert zu Herrn Tappert zu gehen und diesem gegenHonorar ihr Programm vorzusingen. Er glaube nicht, daßMarcella Sembrich durch Geld eine andere Form der Tappert’schen Kritik über ihre Leistungen erlangt habe. Auch über ihn,Zeugen, habe Herr Tappert sehr ungünstig geschrieben, dannaber plötzlich eine mildernde Tonart angeschlagen, ohnedaß irgend etwas dazwischen getreten wäre. (Heiterkeit).

Vorsitzender: Auch bezüglich des Falles Sembrich wissenSie nicht, dass Etwas wie eine materielle Beeinflussungdazwischen getreten wäre?

Zeuge: Ich weiß nur, daß Frau Sembrich, als dieSprache darauf kam, eine solche Beeinflussung auf das

Entschiedenste bestritt.

Kläger Tappert: Es wird sogar behauptet, daß HerrWolff mich für 6000 M. jährlich gekauft habe, um ihmdienstbar zu sein. Ich wünsche, daß der Zeuge sich über diesenPunkt äußert.

Zeuge Wolff: Das ist niemals der Fall gewesen.

Beklagter Dr. Kempner: Ist aber der Zeuge Wolff Herrn Tappert behilflich gewesen zur Erlangung seiner jetztgünstiger dotierten Stelle bei dem „Kleinen Journal“?

Zeuge: Das ist doch beinah kindisch, jedenfalls derreine Unsinn.

Justizrath Kleinholz: Auch der anwesende Eigentümerdes „Kleinen JournalsDr. Leipziger erklärt es für Unsinn.

Dr. Kempner verwahrt sich gegen dieses Wort.

Zeuge Bernkopf, Sekretär der Konzertdirektion Sachs, weißnichts davon, daß in dem Sachs’schen Bureau konzertierendenKünstlern der Rat erteilt worden sei, sich mit Geldspenden anKritiker heranzumachen oder dazu die Maske des „Unterricht-nehmens“ zu wählen. Nur in einem Falle weiß er, daß einerunter dem Namen Helene Sandow konzertierenden Gräfin, dievielfache Millionärin gewesen sei, geraten worden, HerrnTappert um einige Unterweisungen zu bitten, da dieKonzertgeberin Anfängerin war und großes Lampenfieberhatte. Er habe für die Sängerin auch einmal einenBrief an Tappert besorgt, in welchem vielleicht Geld lag.

R.A. Jonas: Es wäre gewiß interessant, wennuns Herr Tappert die Summe dieses Honorars nennenwollte.

Kläger Tappert: Dazu liegt garkein Grundvor. Es bemühen sich Viele, ihm sein bißchen Brot,welches er sich erworben, zu schmälern. Er sei doch nicht

dazu da, seine Zeit unentgeltlich fremden Sängerinnenzu opfern, und wenn er zu der betreffenden Sängerin ins Hotel gegangen sei und stundenlang sich zu ihrerkünstlerischen Abrundung zur Verfügung gestellthabe, so könne er dafür auch ein Honorar in Anspruchnehmen.

Nun werden die Sachverständigenvernommen. Prof. Schulze sagt, daß ein Kenner auchnach einmaligem Anhören eines Vortrages dem Vortragendengute Ratschläge und Winke geben könne. Herr Tappert seiein hervorragender Musiker und in der Lage, solchenutzbringende Ratschläge geben zu können. Er persönlich (Schulze)würde zwar solche Unterweisungen unmittelbar vor demKonzert nicht geben, und schon garnicht gegen Entgelt. Werdeaber viel dafür gezahlt, so sei das ebensowenig wunderbar,als wenn sich ein berühmter Arzt für die Konsultationhohes Honorar bezahlen lasse. Er nehme es niemandübel, wenn er sich (in solchem Falle) bezahlen läßt.

Die nächsten Sachverständigen sind Prof. Krebs und Prof. Heinrich Urban, beide von der „Vossischen Zeitungsowie Musikdirektor Oscar Eichberg vom „Börsen-Courier“.Prof. Krebs kann nur prinzipiell aussagen, daß er es mitdem Amt eines Kritikers unvereinbar halte, von einem Künstlerden er bespricht, Geld zu irgendwelchen Zwecken in Empfangzu nehmen. Prof. Urban ist der gleichen Meinung, fügtjedoch hinzu, er kenne Herrn Tappert zwar als Lehrer nicht, alsMusiker jedoch gelte dieser etwas und habe sicher auchein allgemeines Urteil über die Kunstleistungen.

Sachverständiger Eichberg bespricht die FälleSembrich, Bötel, u.a. wo Tappert, noch anfang ungünstigeKritiken später „umgefallen“ sei.

Kläger Tappert: Wie oberflächlich selbst meine

Kritiken gelesen werden, zeigt sich auch hier wieder.Ich habe mich im tollsten Widerspruche mit meinensogenannten Kollegen befunden, da ich seinerzeit derErste gewesen bin, der auf das eminente Talent desHerrn Rosenthal (* Siehe den späteren Brief von Rosenthal an das „Kleine Journal“) hingewiesen habe. Ich habe mitihm tagelang studiert, mich auf’s Wärmste für ihnins Zeug gelegt und da soll ich ihn zuerst getadelthaben? Was aber Frau Sembrich anbelangt, so istdiese von mir nur als Liedersängerin getadelt worden,und sie hat diesen Zweig ihrer Kunst selbst verlassen.

Sachv. Eichberg: Bei Herrn Rosenthal bestand dieWandlung in einem Übergang vom Lob zum Tadel.Frau Sembrich ist auch in ihren dramatischen Leistun-gen scharf getadelt worden.

Justizrath Kleinholz meint, daß bis jetzt keinerleiTatsachen vorgebracht seien, die Herrn Tappert einesMißbrauches seines Amtes überführen könnten. Wasvorgebracht worden, seien nur allgemeine Redensarten.

R.-A. Jonas beantragt Vertagung undEinberufung weiterer Zeugen: Floersheim, Jules Sachs,Taussig und Bötel etc. etc.

Justizrath Kleinholz : Es ist mir wirklichunklar, zu welchem Zweck was die Gegenpartei mit der Vorladungneuer Zeugen bezweckt. Herr Kempner hat gewiß währendder letzten Monate überall dort „herumhausiert“, wo er hoffte,Belastungsmaterial gegen Herrn Tappert zusammenzu-bringen.

Dr. Kempner: Ich muß gegen den Ausdruck „hausierenprotestieren.

Der Gerichtshof beschließt, da von den Parteien auf weitere Zeugen nichtverzichtet wird, die Sache zu vertagen, einen neuen Termin nach den Gerichtsferienanzusetzen und die gen. Zeugen zu laden.

Mittwoch d. 22. Dezember 1897.

4 Die zweite Verhandlung bietet gegenüber derersten vom 21. Juni keine wesentlich neu hinzutretendenZüge. Doch erzeugte die gehäufte Feststellung von Honorarannahmen und die abfälligeren Gutachten der Sachverständigen anscheinend im Saal eine für Tappert ungünstige Stimmung. Es werden wiederum einige Zeugen vernommen, diekurz vor ihrem Berliner Konzert bei Tappert eine odermehrere Unterrichtstunden genommen haben, und entwe-der sagen, daß sie dies nur in Hinsicht aufgünstige Beeinflussung getan haben, oder aber versichern,daß ihnen Tapperts Ratschläge in diesen Sektionenkünstlerisch wesentlich geholfen hätten. Ein tatsächlicherFall von erfolgter Beeinflussung in der Kritik kannjedoch nicht festgestellt werden. Die Sachverständigen(dieselben vom 21. Juni) sagen wieder dasselbeaus. Tappert beteuert immer wieder, daß er fürverlorene Zeit, Spesen, usw. eben entschädigt wordensei, daß aber von irgendeiner Beeinflussung keineRede sein könne. Der Vorsitzende regt einenVergleich an. Die Verteidigung seitens Dr. Kempner erklärt als Basis dafür: „Beide Kläger nehmen ihre Klagezurück und übernehmen sämmtliche Kosten, Herr Tappert zieht die Behauptung seiner Erklärung, daß die Angabendes Beklagten freche Lügen und Verleumdungen seien,zurück, der Beklagte hält den Inhalt sachlich aufrecht,zieht aber die Widerklage zurück und kann höchstenszugeben, daß er sich hier und da in der Form vergessenhabe.“ – Die Vergleichsverhandlungen scheitern vorläufig.Es werden noch einige Sachverständige vernommen(Prof. Schulze, Prof. Urban, Dr. Paul Schlenther) dieungefähr dasselbe wie in der ersten Verhandlung aussagen.

Nach Beendigung der Beweisaufnahme

Beilage 6)

regt der Vorsitzende nochmals an, die Sache, die dochnun volle Aufklärung erhalten, durch Vergleich abzu-schliessen. Diese Anregung hat schließlich Erfolg.

Die Privatkläger nehmen ihre Klage zurückund übernehmen die Kosten des Verfahrens, Tappert auch die Kosten der Widerklage; Kempner nimmthierauf die Widerklage zurück und derGerichtshof erkennt auf Einstellung des Verfahrens.

Der alte Mann hat jedoch zwei mal andem Marterpfahl der Oeffentlichkeit gestanden,an welchen ihn sein jugendlicher Büttel Dr. AlfredKempner gezerrt hat; hohnlachend sind Neid undBosheit an dem grauhaarigen Gelehrten vorübergezogen,hämisch hat ihm die Schadenfreude in das runzeligeGesicht gegrinst. Nun sei es genug des grausamenSpiels! Der Freund und Vertraute eines RichardWagner hat gebüßt. Wir erachten es für unsereheilige Pflicht, den achtundsechzigjährigen Mann nunmehr seinen Peinigern zu entreißen und ihnauf dem Platze zu belassen, auf welchem er zuNutz und Frommen des gesamten Musiklebensin Deutschland seit langen Jahren Ersprießlichesund Segensreiches gewirkt und geschaffen hat.

Herr Tappert hat in seinem Leben keineReichtümer gesammelt. In einer kleinenWohnung im vierten Stocke eines Hauses in derBelle-Alliance-Straße führt er sein bescheidenesDasein und mühevoll ernährt er seine großeFamilie. Sein einziger Stolz ist seine Musik-bibliothek und die Liebe zu dieser Sammlungmag den alten Herren vielleicht zu denFehltritten verleitet haben, welche auch wiraufs Tiefste bedauern und beklagen. Und

nun breche der Entrüstungssturm des HerrenKollegen von der Feder über uns los! Mögen allediejenigen den ersten Stein auf uns werfen, welcheder Überzeugung sind, daß sie niemals menschlichgefehlt haben und niemals sündigen werden.Bald werden die Weihnachtsglocken läuten.Wir haben das Bewußtsein, recht zuhandeln, und beneiden Niemanden um dentraurigen Ruhm, einer armen Schriftsteller-familie zum heiligen Abend Sorge, Kummerund Not bescheert zu haben. Im zeichendes Friedensfestes sei der Fall „Tappertverziehen und vergessen!

In derselben Nummer des Kl. Journals auf der ersten Seite:

22. Dez. 1897Tappert

Wir erhalten von Herrn Tappert folgendes Schreiben:

An den Verlag des „Kleinen Journals

Hier.

Hierdurch bitte ich Sie, mich mit dem heutigen Tagevon meiner Stellung als Musikkritiker des „KleinenJournals“ entheben zu wollen.

HochachtungsvollWilhelm Tappert

Nach reiflicher Erwägung haben wir diesem Ersuchendes Herrn Tappert nicht stattgegeben . Wir verhehlen uns nicht,daß die Beweisaufnahme des gestrigen Tages höchstungünstig gewesen ist; wir sind uns mit dem Betroffenen darüber klar, daß er leichtsinnig und inkorrektverfahren ist; wir stehen nicht an zu erklären, daßseine Handlungsweise mit der Berufsehre eines vornehmenKritikers in bedenklichster Weise kollidiert.