70.38 Brief RA Botho Laserstein an Kampfausschuss gegen die Zensur

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte

Sender

Dr. jur. Botho Laserstein | Rechtsanwalt
Landsberger Allee 55,I
Berlin NO 18
Datum: 28. März 1929

Empfänger

An: den | Kampfausschuß gegen die Zensur | p-Adr. Schutzverband Deutscher Schrift-|steller
Bülowstr. 22
Berlin W
Seite von 2

Im Auftrage und in ausdrücklicher Vollmacht desVerlages „Die Fackel“ in Wien, Hintere Zollamtsstr. 3,teile ich Ihnen den folgenden krassen Fall eines Ver-suches mit, das Recht auf freie Meinungsäusserungim Wege einer privaten Zensur zu beseitigen. Ich nehmean, daß Sie dieser Fall um so mehr interessieren wird, als dererfolgreiche Unternehmer dieses Versuches der IhrerOrganisation angehörende Schriftsteller Alfred Kerr ist.

Das Reichsgericht stand, wie Ihnen sicherlich be-kannt ist, bis vor wenigen Jahren auf dem Standpunkt,daß Beleidigungen durch die Presse nur strafrechtlichverfolgbare sind, nicht aber im Wege einer zivilrecht-lichen einstweiligen Verfügung verhindert werden können.Seit einigen Jahren hat aber bedauerlicher Weise dasReichsgericht diesen Standpunkt aufgegeben. Diese neuePraxis, die jedermann in die Lage versetzt, eine zuerwartende unerwünschte Veröffentlichung schon vor demErscheinen abzuwenden und die das gedruckte Wort inWahrheit allen Gefahren einer Zensur preisgibt, hatsich nun Herr Alfred Kerr, ohne vorher das Strafgerichtangerufen zu haben, folgendermassen zunutze gemacht:

Anfang März d.Js. erschien ein Vorabdruck der

Fackel“ unter dem Titel „Der größte Feigling imganzen Land“. Dieser Titel, der ersichtlich nichtden geringsten Hinweis auf die Person des HerrnAlfred Kerr enthielt, wurde auch an den Berliner Anschlagsäulen plakatiert. Herr Alfred Kerr, dem esoffenbar gelungen ist, glaubhaft zu machen, daß sichdieser Titel auf seine Person beziehe, erwirkte nunmehrbeim Landgericht I, Berlin eine einstweilige Verfügung,nach der es sowohl der Plakatierungs-Gesellschaft Berek als auch dem Verlag „Die Fackel“ bezw. deren Heraus-geber Karl Kraus verboten wird, den Titel: „Dergrößte Feigling im ganzen Land“, dessen Beziehung aufeine bestimmte Person keinem Passanten zum Bewußtseinkommen konnte, zu plakatieren.

Der folgerichtige Ausbau dieser Methode würde esjedem polemischen Schriftsteller, der bereit und inder Lage ist, vor dem zuständigen Strafgericht den Be-weis für Behauptungen objektiv beleidigender Artanzutreten, unmöglich machen, von dem ihm durch die Ver-fassung gewährleisteten, bloss durch das Strafgesetzeingeschränkten Recht der freien Meinungsäusserung Ge-brauch zu machen.

Ich wäre dem Kampfausschuß dankbar, wenn er mirvon den Schritten, die er in dieser prinzipiell be-deutsamen Angelegenheit unternimmt, Kenntnis gebenwollte.

Ergebenstgez. Dr. Laserstein Rechtsanwalt.