75.1 Brief Gina Kaus an Kraus

Materialitätstyp:

  • Manuskript

Sender

Gina Kaus

Empfänger

An: Karl Kraus
Lothringerstraße
IV., Wieden
Seite von 2

Lieber Herr Kraus,

ich fühle mich verpflichtet Ihnen Folgendes mitzuteilen: Dr.Alexander Bessmertny, der hier eine Autographen-Zeitschrift herausgibt,erzählte mir unlängst, daß ihm ca. 400 Briefe von Ihnen zum Ankaufangeboten wurden. Da er Sie schätzt und annimmt, daß Ihnen ein solcher Handelmit Ihren Briefen unsympathisch sein dürfte – B. kommt ja bloß als Wieder-verkäufer resp. Vermittler in Frage – möchte er das Geschäft für seine Personablehnen. Verhindern kann er es aber nicht, daß die Briefe an andere skrupel-losere Leute weitergegeben werden oder daß Sie in einer Autographen-Auktionauftauchen. Den Namen des Verkäufers durfte er – weil er ehrenwörtlich gebun-den war –, nicht nennen, doch brachte ich immerhin heraus, daß der Empfängerein Mann ist, vermutlich mit dem Verkäufer identisch und daß die Briefe,selbst in Händen Bekessys, sich zu keinem erpresserischen Vorstoss verwendenliessen. Es scheint sich um rein literarische Mitteilungen etc. zu handeln.

Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Da es sich keineswegs um eine erpresserische Mitteilunghandelte (ich hatte Bessmertny ganz zufällig getroffen, das Gespräch kam ganz zufälligauf Sie) riet ich ihm, die gleiche Mitteilung an Lanyi zu machen, weil ich mir dachte,wenn der unwürdige Empfänger die Briefe schon wirksam verkaufen will, so ist esbesser, wenn sie wenigstens in würdige Hände übergehen, die sicher unter Lanyis Kundschaftzu finden sind. Bessmertny versicherte mir, daß er aus dem Verkauf der Briefe keineswegsirgend einen Gewinn ziehen will (ich möchte bemerken, daß ich mit B. niemals persönlichschlechte Erfahrungen gemacht habe, daß ich auch nichts abträgliches über ihn gehört habe,daß ich ihn aber trotzdem nicht für ganz zuverlässig halte – das ist aber bloßmeine unverantwortliche Impression.) –

Gestern erzählte mir Stefan Grossmann, daß Bekessy mit Scherl(!) wegeneines Engagements verhandelte, daß Scherl ihn sehr gerne übernommen hätte, aber

erfahren hatte, daß man Bekessy, sobald er sich in Deutschland publizistischzu betätigen gedenke, ausweisen würde. Bekessy hatte das erfahren und sich beiihm (Grossmann) durch einen Mittelsmann (vermutlich Kuh?) nach der Wahrheiterkundigt und mußte erfahren, daß man wirklich hier nicht daran denke, ihmeine längere Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. –

Fischer, den ich hier sehr lieb gewonnen habe, ist nach München abgereist.Viertel wird heute auch Düsseldorf zurückerwartet. – Leider bin ich noch immer anBerlin gefesselt ich wäre so gerne schon wieder in Wien! Otto schreibt mir – er kann schonso gut schreiben! – entzückende Briefe. Zum Beispiel: „Du weißt, daß Du meine liebeMutter bist und ich habe Dich auch sehr lieb. Aber weißt Du auch daß ich gestern einenrömischen I. bekommen habe?

Bitte grüssen Sie Frau Helene sehr herzlichst von mir. Und seien Sie aufs Bestegegrüßt von IhrerGina Kaus