75.2 Brief Samek an Justizrat Viktor Fraenkl

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 10. Juli 1926
Betreff: Kraus – Lindner.
Diktiersigle: Dr.S./W.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Justizrat Viktor Fraenkl
Potzdamerstrasse 86b
Berlin W 57
Seite von 3

Sehr geehrter Herr Justizrat.

Sie hatten die Liebenswürdigkeit, Herrn RenéFülöp-Miller aus Wien, welcher vor einigen Tagen in derAngelegenheit des Herrn Karl Kraus gegen einen Herrn AntonLindner bei Ihnen vorsprach, zu empfangen und durch ihnHerrn Karl Kraus mitzuteilen, dass Sie bereit wären, seineVertretung in dieser Angelegenheit zu übernehmen. HerrKarl Kraus dankt Ihnen vielmals hiefür und hat mich beauf-tragt, Ihnen das Material zu unterbreiten und Ihnen für dieÜbernahme der Vertretung zu danken und seine herzlichstenGrüsse zu bestellen.

Da ich nicht weiss, ob Herr Fülöp-Miller seineInformation genügend präzise erteilt hat, erlaube ich mirIhnen in Kürze, den Sachverhalt darzustellen und Ihnen Ab-schriften der Briefe einzusenden, in denen sich Herr AntonLindner zur Herausgeber der Briefe des Herrn Karl Kraus ver-pflichtete. Es handelt sich hiebei um ca. 400 Briefe, dieHerr Karl Kraus Herrn Anton Lindner während der Gymnasial-und Studentenjahre geschrieben hat.

Im Jahre 1899 trafen beide ein Übereinkommen, einander dieBriefe zurückzustellen. Herr Karl Kraus kam dieser Ver-pflichtung nach, nicht aber Herr Anton Lindner. HerrKarl Kraus hat dann die Sache aus der Evidenz verloren,wurde aber vor kurzem durch eine befreundete Dame daraufaufmerksam gemacht, dass Herr Dr. Alexander Bessmartny,der in Berlin eine Autographenzeitschrift herausgibt,erzählt hat, dass ihm ca. 400 Briefe des Herrn Karl Kraus zum Ankauf angeboten wurden. Es kann sich hiebei nur umdie Briefe an Herrn Anton Lindner handeln und dadurch er-innerte sich Herr Karl Kraus an die seinerzeit eingegangeneVerpflichtung desselben, die Briefe zurückzustellen. Dadiese Verpflichtung in Wien übernommen wurde, dürfte nachmeinem Dafürhalten österreichisches Recht zur Anwendungzu bringen sein, nach welchem die Klage auf Rückstellungder Briefe noch nicht verjährt ist. Ob sie nach deutschemRecht bereits verjährt ist, kann ich nicht beurteilen, dochglaube ich, dass auch nach deutschem Recht die Klage nochmöglich ist. Nach österreichischem Recht wäre auch eineeinstweilige Verfügung möglich, die Briefe könnten in vor-läufige Verwahrung genommen werden, da die Gefahr besteht,dass Herr Lindner die Briefe während der Prozessführungverkauft und hiedurch die hiedurch die Exekutionsführungvereitelt würde. Bei oberflächlicher Beurteilung dünktmich, dass diese Möglichkeit auch nach § 935 Z.P.O. in

Deutschland besteht.

Ich ersuche Sie daher, mir Ihre Ansicht überden Fall mitzuteilen und, wenn Sie für die Einleitungdes Prozesses sind, zur Unterfertigung durch Herr KarlKraus ein Vollmachtsexemplar zu übersenden, ich werdeIhnen dann dieses und die Originalbriefe des Herrn AntonLindner, die Sie ja zur Prozessführung unbedingt be-nötigen, schicken.

In der Erwartung Ihres gesch. Antwortschreibenszeichne ich mit dem Ausdrucke der ergebensten kollegialenHochachtung

3 Beilagen in Abschrift,rekommandiert.