75.3 Brief Justizrat Viktor Fraenkl an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Viktor Fraenkl, schwarze Tinte

Sender

Justizrat Viktor Fraenkl
Potsdamer Strasse 86b
BERLIN W 57
Datum: 14. Juli 1926

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Schottenring
Wien
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege,

in der Sache des Herrn Karl Kraus gegen Lindner habe ich Ihregefl. Zuschrift vom 10. d.M. nebst 3 Anlagen am 12. erhalten.Ich danke Ihnen verbindlich und gestatte mir, Folgendes zu er-widern:

Es würde sich nach deutschem Recht um einen obligatorischenAnspruch aus einer Vereinbarung handeln; die Klage auf Rückgabe derBriefe würde also eine Vertragsklage sein, für welche nach deutschemRecht die Verjährung noch nicht eingetreten ist.

Man könnte gleichzeitig daran denken, eine einstweiligeVerfügung dahin zu beantragen, dass Lindner die Veräusserung derBriefe untersagt würde. Durch eine einstweilige Verfügung aberim Sinne des § 938 (nach der neuen Fassung der C P O.) eine Ver-wahrung zu erreichen, würde m.E. aber deshalb nicht möglich sein,weil die Briefe sich ja nicht mehr bei Lindner befinden.

Die Vollstreckung eines auf Rückgabe lautenden Urteilsgegen Lindner würde, wenn er die Briefe nicht mehr hinter sichhat, schliesslich auf eine Pfändung des Herausgabeanspruchs hinaus-laufen, welchen Lindner gegen denjenigen hat, in dessen Gewahrsamsich die Briefe dann befinden.

Für meine Zuständigkeit zur Prozessvertretung fragt essich natürlich, wo Lindner wohnt. Ich nehme an, dass die Kompetenzdes Landgerichts durch Bemessung des Streitwerts erreicht werdensoll.

Mit Herrn Fülöp-Miller hatte ich s.Z. auch darüber ge-

sprochen, dass ich mich ev. zunächst mit Dr. Bessmertny, dessenAdresse mir ebenfalls unbekannt ist, in Verbindung setzen solle.

Ich bitte Sie, sich auch hierüber gefl. äussern zu wollen.

Dass, falls die Briefe einen nach dem Urheberrechtschutzfähigen Inhalt haben, Herr Kraus urheberrechtlich gegeneine Veröffentlichung angehen kann, habe ich Herrn Fülöp-Miller auch gesagt.

Mit verbindlichen Empfehlungen an Sie und Herrn Kraus IhrVictor Fraenkl

KrausLindner 16. Juli 1926