85.7 Brief Samek an Kraus

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

DR. OSKAR SAMEK
Schottenring 14
Wien, I.
Datum: 16. Mai 1927
Betreff: Kraus – Wipag
Diktiersigle: Dr.S./Sp.Fa.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Karl Kraus
Lothringerstraße
Wien
Seite von 5

Ich übersende Ihnen den gewünschtenBericht über die Verhandlungen und den Vertragsabschluss mit derWipag“.

Am Montag, den 2. Mai 1927 rief HerrMartin Jahoda im Namen der Firma Jahoda & Siegel die „Wipag“ tele-fonisch an, erkundigte sich nach den Plakatierungspreisen und nachdem Zeitpunkte, wann ein Mittwoch oder Donnerstag zu affichierendesPlakat spätestens der „Wipag“ übergeben werden müsse. Man gab ihmdaraufhin die Preise bekannt und sagte, dass die Uebergabe an dieWipag“ tagsvorher erfolgen müsse. Gleichzeitig fragte der am Tele-fon verhandelte Herr, als Herr Martin Jahoda ihn wegen der Anzahlder in Betracht kommenden Stellen befragte, nach dem Inhalt desPlakates, den Herr Martin Jahoda als politischen angab. Daraufhinverlangte man bei der „Wipag“, dass das Plakat vorher zur Ansichtvorgelegt werde.

Am 3. Mai 1927 war Herr Martin Jahoda mit mir Dr. Oskar Samek gegen 1/2 11 Uhr bei der „Wipag“, um Preis und Anzahl derzu affichierenden Plakate auszuhandeln und gleichzeitig die Zeitder Affiche festzusetzen. Es wurde uns ihnen bei dieser Gelegenheit die

Möglichkeit der Affichierung für Donnerstag Früh zugesagt, jedochwieder die Einsichtnahme in das Plakat verlangt. Ich Dr. Oskar Samek erklärte darauf-hin, dass ich er das Plakat erst unmittelbar vor der Affichierungsver-einbarung vorlegen könne und wolle und verlangte, weil der mit mir ihm verhandelnde Beamte erklärte, selbst darüber nicht entscheiden zukönnen, die Bekanntgabe einer Zeit, wann ich er den massgebenden Herrn der „Wipag“, der das Entscheidungsrecht habe, sprechen könne. Es wurde uns ihm mitgeteilt, dass dieser Herr am 4. gegen 11 Uhr Vormittag an-wesend sein werde. Zur angegebenen Zeit waren Herr Martin Jahoda und ich er zur Stelle und wollten das Plakat zur Einsicht vorlegen undabschliessen. Der uns sie empfangende Beamte, ein Herr Kopp, verlangtedas Plakat zu sehen. Als ich Dr. Oskar Samek ihn darauf fragte, ob er derjenige sei,der mir ihm auch gleich die Erklärung abgeben könne, ob das Plakat ge-bracht werde oder nicht, sagte er jedoch, der berechtigte Herr derDirektion sei gerade weggegangen, ich Dr. Samek möge das Plakat dort lassen. Ich Dr. Samek verweigerte dies unter Hinweis auf den diskreten Inhalt desPlakates und mit dem Ausdruck der Befürchtung, dass dritte Personenvon dem Inhalt dieses Plakates Kenntnis erhalten könnten und verlangtedie Bekanntgabe der Zeit, wann der massgebende Direktor zu sprechensei. Man sagte mir ihm , dies sei ungewiss, worauf ich vereinbart e wurde , dassHerr Martin Jahoda telefonisch verständigt werde, wann eine Be-sprechung mit dem massgebenden Direktor am Nachmittag möglich seinwerde, der dann wieder mich davon verständigen werde und dass wirbeide zur angegebenen Zeit wieder hinkommen werden. Auch bei dieserGelegenheit fragte ich Dr. Samek neuerdings, ob es genüge, das Plakat nach-mittags hinzubringen, wenn es Donnerstag den 5. Mai Früh affichiertwerden solle, was mir ihm bejaht wurde.

Herr Jahoda wurde dann telefonischverständigt, dass der massgebende Direktor nachmittags um 3 Uhrzu sprechen sein werde. Herr Jahoda verständigte dann mich Dr. Samek undbeide waren pünktlich zur Stelle. Der massgebende Direktor kam cca. 1/2 Stunde später. Der uns schon bekannte Herr Kopp er-suchte mich Dr. Samek , ihm das Plakat zu übergeben, damit er es demDirektor zeigen könne, was auch geschah. Der Direktor selbst empfing Dr. Samek und Herrn Jahoda nicht. Nach cca. fünf Minutenkam er Herr Kopp zurück und teilte mit, dass die „Wipag“ das Plakat affi-chieren werde, ich Dr. Samek möge bei der Kassa die Anzahl der Plakate be-kanntgeben und den Betrag bezahlen. Ich Dr. Samek begab m s ich nun zu demHerrn an der Kasse, mit dem ich er zuerst gesprochen ha b tt e und be-stellte die Affichierung des Plakates an hundert Tafeln undsechzig Säulen. Hundertsechzig Plakate waren bereits durch denDiener der Druckerei Jahoda & Siegel zur „Wipag“ gebracht worden,überdies befand sich in deren Händen das eine Exemplar, welches ich Dr. Samek zur Ansicht vorgelegt hatte, als Archivexemplar. Ich Dr. Samek fragtevorsichtshalber nocheinmal, ob der Anschlag Donnerstag Früherfolgen werde, worauf mir ihm der Herr bei der Kassa mitteilte, dassder Anschlag erst am Freitag erfolgen könne, weil bereits eine andere Einteilung getroffen worden sei. Als ich Dr. Samek deshalb aufbegehrte und energisch darauf hinwies, dass mir ihm die Affichierung für Donnerstag Früh zu-gesagt worden war und nunmehr mit dem massgebenden Direktor zu sprechen verlangte, sagtman ihm, dass der Direktor bereits wieder weggegangen sei, auchHerr Kopp sei nicht mehr hier anwesend . Der Beamte verpflichtete sich je-doch, die Affichierung an den Wänden schon Donnerstag um dieMittagsstunde, an den Säulen Freitag Früh vorzunehmen. Ich musstemich daher mit der Zusage der Affichierung an den Wänden für

Donnerstag Mittag und er in Aussicht gestellten Möglichkeit be-gnügen Dazu wurde noch die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass bei Umdisponierung der Anschlag, schon vormittags vor-genommen werde. Gleichzeitig verlangte die „Wipag“ zwanzig Exem-plare des Plakates, wie sie angab, um etwa beschädigte ersetzenzu können. Diese zwanzig Exemplare sollten ihr Donnerstag Frühübersendet werden, was auch geschah.

Am Donnerstag den 5. Mai erschiendas Plakat nirgends. Da aus dem Artikel der „Arbeiter-Zeitung“ klar ersichtlich war, dass das Plakat dem Schreiber des Artikels zur Kenntnis gebracht worden war, habe ich am Freitag den 6. Frühgemäss der mir von Ihnen am Tag vorher erteilten Weisung einenBrief an die „Wipag verfasst konzipiert , in welchem ich unter Hinweis aufdie Indiskretion und die dadurch erfolgte Entwertung der Plakatierungden Rücktritt vom Vertrag anzeigte. Ehe dieser Brief aber noch ge-schrieben und abgeschickt worden war, erhielt der Verlag der Fackel am 6. Mai 1927 vormittags durch Boten ein Schreiben, mit welchem die „Wipagden Anschlag ablehnte und zwar mit der Begründung, weil ihr durchdie Bezeichnung des Herrn Bekessy als Schuft eine Verfolgung wegenMitschuld an der Ehrenbeleidigung entst ünde ehen könnte , so dass „dem verant-wortlichen Leiter dieser Unternehmung wohl nicht zugemutet werdenkönne, sich einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen.

Am Nachmittag des 6. Mai kam HerrKopp, der vorher schon im Verlag der Fackel gewesen und von dieseman mich gewiesen worden war, zu mir in die Kanzlei, um mir mitzu-teilen, dass die Wipag“ vom Rathaus beauftragt worden sei, dasPlakat anzubringen. Ich lehnte nunmehr die Plakatierung ab und zwarim Sinne der mir tagsvorher von Ihnen erteilten Information, wobei

ich Herrn Kopp auf den Kopf zusagte, dass die „Wipag“ eineIndiskretion begangen habe und das Plakat dem Schreiber desArtikels der „Arbeiter-Zeitung“ ausgefolgt habe. Herr Kopp antwortete darauf nur, dass er „von gar nichts wisse“, nichtaber, wie ich erwartet hätte, dass etwas derartiges bei derWipag“ unmöglich sei. Ich verlangte von Herrn Kopp, dassdie Plakate unverzüglich zurückgestellt werden. Als mich dieFirma Jahoda & Siegel einigemale verständigte, dass die Plakatenicht zurückgestellt worden seien, habe ich dann telefonischnochmals die „Wipag“ zur Rückstellung der Plakate aufgefordertund ihr sogar die Anzahl der übergebenen Plakate, 181 Stück,genannt. Die „Wipag“ stellte am 9. Mai der Firma Jahoda & Siegel nur 175 Plakate, also um 6 Stück weniger zurück, worauf ich siemittels rekommandierten Schreibens neuerlich aufforderte, diese6 Plakate unverzüglich zurückzustellen und in diesem Schreiben nochmals darauf hinwies, dass diese fehlenden 6 Plakate meinebereits Herrn Kopp mitgeteilte Vermutung bestätige, dass dieWipag“ die Exemplare, trotzdem wiewohl sie die diskrete Behandlungder Angelegenheit versprochen habe, was übrigens auch doch nur auch ohne Abmahnung selbst-verständlich wäre, dritten Personen gezeigt, ja sogar überlassenhabe. Ich machte die „Wipag“ darauf aufmerksam, dass sie sichdie Folgen dieses Vorgehens selbst zuzuschreiben haben werde.Mit Schreiben vom 13. Mai 1927 übersendete mir die „Wipagendlich die 6 Plakate fehlenden , ohne auf den ihr gemachten Vorwurf zu reagieren.

Hochachtungsvoll.

Zwar einmal weiter wird in Wien eine ganze Anzahl von PL.