85.8 Klage von Karl Kraus gegen die WIPAG (Bezirksgericht für Handelssachen)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 28. Mai 1927
Stempel: Bezirksgericht für Handelssachen
Seite von 8

An dasBezirksgericht für HandelssachenWien.

Klagende Partei: Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII., Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3 durch:

Beklagte Partei: „Wipag“ Wiener Plakatierungs- und Anzeigen-Gesellschaft m.b.H., Wien I., Jasomirgott-strasse Nr. 2, zu Handen eines der Geschäfts-führer: Karl Pikolon, Dr. Karl Rusleitner,Kmzl. R. Johann Sagl.wegen S 169.– 2 fach1 Rubrik1 Vollmacht1 Beilage

Klage.

KrausWipag 2. Juni 1927

Die klagende Partei hat das bei-liegende Plakat 1) verfasst und Herrn Martin Jahoda, Ange-stellten der Firma Jahoda & Siegel und Herrn Dr. Oskar Samek ersucht, in seiner Vertretung das Plakat der beklagten Par-tei zum Anschlagen zu übergeben und mit ihr Preis und Zeitdes Anschlagens zu vereinbaren.

Am Montag den 2. Mai 1927 riefHerr Martin Jahoda im Namen der Firma Jahoda & Siegel dieWipag“ telefonisch an, erkundigte sich nach den Plakatierungs-preisen und nach dem Zeitpunkte, wann ein Mittwoch oderDonnerstag zu affichierendes Plakat spätestens der „Wipagübergeben werden müsse. Man gab ihm daraufhin die Preise be-kannt und sagte, dass die Uebergabe an die „Wipag“ tags-vorher erfolgen müsse. Gleichzeitig fragte der am Telefonverhandelnde Herr, als Herr Martin Jahoda ihn wegen der An-zahl der in Betracht kommenden Stellen befragte, nach demInhalt des Plakates, den Herr Martin Jahoda als politischenangab. Daraufhin verlangte man bei der „Wipag“, dass dasPlakat vorher zur Ansicht vorgelegt werde.

Am 3. Mai 1927 war Herr MartinJahoda mit Dr. Oskar Samek gegen 1/2 11 Uhr bei der „Wipag“,um Preis und Anzahl der zu affichierenden Plakate und dieZeit der Affichierung zu vereinbaren. Es wurde ihnen beidieser Gelegenheit von einem Herrn an der Kassa die Mög-lichkeit der Affichierung für Donnerstag Früh zugesagt, je-doch wieder die Einsichtnahme in das Plakat verlangt. Dr.Samek erklärte daraufhin, dass er das Plakat erst unmittel-bar vor der Vereinbarung vorlegen könne und wolle, und ver-langte, weil der mit ihm verhandelnde Beamte erklärte, selbstdarüber nicht entscheiden zu können, die Bekanntgabe einerZeit, wenn er den massgebenden Herrn der „Wipag“, der das

Entscheidungsrecht habe, sprechen könne. Es wurde ihm mit-geteilt, dass dieser Herr am 4. gegen 11 Uhr vormittagsanwesend sein werde. Zur angegebenen Zeit waren Herr Mar-tin Jahoda und er zur Stelle und wollten das Plakat zurEinsicht vorlegen und den Vertrag abschliessen. Der sieempfangende Beamte, ein Herr Kopp, verlangte das Plakatzu sehen. Als Dr. Samek ihn darauf fragte, ob er derjeni-ge sei, der ihm auch gleich die Erklärung abgeben könne,ob das Plakat gebracht werde oder nicht, sagte er jedoch,der berechtigte Herr der Direktion sei gerade weggegangen,Dr. Samek möge das Plakat dort lassen. Dr. Samek verweigertedies unter Hinweis auf den diskreten Inhalt des Plakates undmit dem Ausdruck der Befürchtung, dass dritte Personen vondem Inhalt Kenntnis erhalten könnten und verlangte die Bekannt-gabe der Zeit, wann der massgebende Direktor zu sprechen sei.Man sagte ihm, dies sei ungewiss, worauf abgemacht wurde, dassHerr Martin Jahoda telefonisch verständigt werde, wann eineBesprechung mit dem massgebenden Direktor am Nachmittag mög-lich sein werde, und dass beide zur angegebenen Zeit wiederhinkommen werden. Auch bei dieser Gelegenheit fragte Dr.Samek neuerdings, ob es genügt, das Plakat nachmittags hin-zubringen, wenn es Donnerstag den 5. Mai Früh affichiert wer-den solle, was ihm bejaht wurde.

Herr Jahoda wurde dann telefonischverständigt, dass der massgebende Direktor nachmittags um3 Uhr zu sprechen sein werde. Herr Jahoda verständigte dannDr. Samek und beide waren pünktlich zur Stelle. Der massgeben-de Direktor kam cca. 1/2 Stunde später. Der schon erwähnteHerr Kopp ersuchte Dr. Samek, ihm das Plakat zu übergeben, da-mit er es dem Direktor zeigen könne, was auch geschah. DerDirektor selbst empfing Dr. Samek und Herrn Jahoda nicht.

Nach cca. fünf Minuten kam Herr Kopp zurück und teilte mit,dass die „Wipag“ das Plakat affichieren werde. Dr. Samek möge,bei der Kassa die Anzahl der Plakate bekanntgeben und denBetrag bezahlen. Dr. Samek begab sich nun zu dem Herrn an derKassa, mit dem er zuerst gesprochen hatte, und bestellte dieAffichierung des Plakates an hundert Tafeln und sechzig Säu-len. Hundertsechzig Plakate waren bereits durch den Diener der Druckerei Jahoda & Siegel zur „Wipag“ gebracht worden,überdies befand sich in deren Händen das eine Exemplar, wel-ches Dr. Samek zur Ansicht vorgelegt hatte, als Archivexemplar.Dr. Samek fragte vorsichtshalber noch einmal, ob der AnschlagDonnerstag Früh erfolgen werde, worauf ihm der Herr bei derKassa mitteilte, dass der Anschlag erst am Freitag erfolgenkönne, weil bereits eine andere Einteilung getroffen wordensei. Als Dr. Samek energisch darauf hinwies, dass ihm dieAffichierung für Donnerstag Früh zugesagt worden war und nun-mehr mit dem massgebenden Direktor zu sprechen verlangte, sagteman ihm, dass der Direktor bereits wieder weggegangen sei, auchHerr Kopp sei nicht mehr anwesend. Der Beamte verpflichtetesich jedoch, die Affichierung an den Wänden schon Donnerstagum die Mittagstunde, an den Säulen Freitag Früh vorzunehmen.Dazu wurde noch die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass beiUmdisponierung der Anschlag schon Donnerstag vormittags vorge-nommen werde. Gleichzeitig verlangte die „Wipag“ zwanzig Exem-plare des Plakates, wie sie angab, um etwa beschädigte ersetzenzu können. Diese zwanzig Exemplare sollten ihr Donnerstag Frühübersendet werden, was auch geschah.

Am Donnerstag den 5. Mai erschien dasPlakat nirgends. Dagegen erschien ein Artikel in der „Arbeiter-Zeitung“ über die Staatsbürgerschaft des Herrn Bekessy, ausdem klar ersichtlich war, dass das Plakat der Redaktion zur

Kenntnis gebracht worden war. Die klagende Partei beauftragtedaher ihren Anwalt Dr. Samek, einen Brief an die „Wipag“ zuverfassen, in welchem, unter Hinweis auf die Indiskretion unddie dadurch erfolgte Entwertung der Plakatierung, der Rücktrittvom Vertrag angezeigt werden sollte, wobei sich die klagendePartei die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vorbe-halte. Ehe dieser Brief aber noch geschrieben und abgeschicktworden war, erhielt der Verlag der Fackel am 6. Mai 1927 vor-mittags durch Boten ein Schreiben, mit welchem die „Wipagden Anschlag ablehnte und zwar mit der Begründung, weil ihrdurch die Bezeichnung des Herrn Bekessy als Schuft eine Ver-folgung wegen Mitschuld an der Ehrenbeleidigung entstehenkönnte, so dass „dem verantwortlichen Leiter dieser Unterneh-mung wohl nicht zugemutet werden könne, sich einer strafrecht-lichen Verfolgung auszusetzen.

Am Nachmittag des 6. Mai kam HerrKopp, der vorher schon im Verlag der Fackel gewesen und vondiesem an Dr. Samek gewiesen worden war, zu Dr. Samek in dieKanzlei, um ihm mitzuteilen, dass die „Wipag“ vom Rathaus be-auftragt worden sei, das Plakat anzubringen. Mein Anwalt lehn-te nunmehr die Plakatierung ab und zwar im Sinne der ihmtagsvorher von mir erteilten Information, wobei Dr. Samek Herrn Kopp auf den Kopf zusagte, dass die „Wipag“ eine Indis-kretion begangen und das Plakat der „Arbeiter-Zeitung“ ausge-folgt habe. Herr Kopp antwortete darauf nur, dass er „von garnichts wisse“, nicht aber, wie man erwartet hätte, dass etwasderartiges bei der „Wipag“ unmöglich sei. Dr. Samek verlangtevon Herrn Kopp, dass die Plakate unverzüglich zurückgestelltwerden. Als die Firma Jahoda & Siegel Dr. Samek einigemaleverständigte, dass die Plakate nicht zurückgestellt wordenseien, hatte er dann telefonisch nochmals die „Wipag“ zurRückstellung der Plakate aufgefordert und ihr sogar die An-

zahl der übergebenen Plakate, 181 Stück, genannt. Die „Wipagstellte am 9. Mai der Firma Jahoda & Siegel nur 175 Plakate, al-so um 6 Stück weniger zurück, worauf Dr. Samek sie mittels re-kommandierten Schreibens neuerlich aufforderte, diese 6 Plaka-te unverzüglich zurückzustellen, und nochmals darauf hinwies,dass dieses Manko der Exemplare seine bereits Herrn Kopp mit-geteilte Vermutung bestätige, dass die „Wipag“, wiewohl siedie diskrete Behandlung der Angelegenheit versprochen habe,was übrigens auch ohne Abmachung selbstverständlich wäre, dasPlakat dritten Personen gezeigt, ja sogar überlassen habe.Sein Anwalt machte die „Wipag“ darauf aufmerksam, dass sie sichdie Folgen dieses Vorgehens selbst zuzuschreiben haben werde.Mit Schreiben vom 13. Mai 1927 übersendete die „Wipag“ endlichmeinem Anwalt die 6 Exemplare, zu einer Zeit wo in Wien einegrössere Anzahl Plakate in Trafiken, Buchhandlungen und durchPostsendungen an Politiker verbreitet war, ohne auf den ihrgemachten Vorwurf zu reagieren.

Dadurch, dass die „Wipag“ das Plakatder „Arbeiter-Zeitung“ vor der Anbringung überlassen hatte unddiese in die Lage versetzt war, zwar ohne Nennung des Plakatesgegen dessen Inhalt zu polemisieren und deshalb beim späterenErscheinen des Plakates dessen Forderung als überholt hinge-stellt hätte werden können, ist mir ein Schaden entstanden undzwar so, dass die Druckkosten des Plakates in der Höhe vonS 62.– vergeblich aufgewendet worden sind und überdies dergleichzeitig erscheinende Separatabdruck des Plakates nur ineiner geringeren Auflage abgesetzt werden konnte, während an-derenfalls, besonders bei dem billigen Preis des Abdrucks, näm-lich 10 g, eine grössere Auflage verkauft hätte werden können.Verkauft wurden zirka 1.400 Exemplare, während bei auftragsge-mässer Durchführung der Plakatierung oder auch nur ohne dieIndiskretion der beklagten Partei, mindestens 6.000 Exemplare

verkauft hätten werden können, der Reingewinn wäre dadurchum S 107.– höher gewesen.Beweis: a) Ueber den Vertragsabschluss und die damitzusammenhängenden Vorgänge: Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt inWien I., Schottenring Nr. 14, Martin Jahoda, Wien III., HintereZollamtsstrasse Nr. 3, Herr N. Kopp, Angestellter der beklagtenPartei, Wien I., Jasomirgottstrasse Nr. 2 als Zeugen, Parteien-vernehmung.

b) Ueber die begangene Indiskretion der be-klagten Partei: Herr Nationalrat Friedrich Austerlitz, WienV., Rechte Wienzeile Nr. 97, Herr N. Kopp, Angestellter der be-klagten Partei, Wien I., Jasomirgottstrasse Nr. 2, der mitHerrn Dr. Oskar Samek verhandelnde Herr an der Kassa, dessenName und Adresse bekanntzugeben der beklagten Partei aufge-tragen werden möge, als Zeugen, Parteienvernehmung.

c) Ueber die Druckkosten und die Höhe des Ver-dienstentganges: Herr Martin Jahoda als Zeuge, Sachverständige.

Ich stelle daher durch meinen mitbeiliegender Vollmacht ausgewiesenen Anwalt das Begehren aufFällung desUrteiles:Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei den Be-trag von S 169.– samt 7% Zinsen vom Klagstage und die Prozess-kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Zwangsvollstreckung zu be-zahlen.

Karl Kraus.