87.3 Brief Grete David an Samek

Materialitätstyp:

  • Manuskript

Sender

Grete David
Herklotzgasse
Wien
Datum: 6.6.27

Empfänger

An: Herrn Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
I.
Seite von 9

Ehe ich zum positiven Teil inmeiner Antwort auf Ihre Zuschrift v. 2. dJ. übergehe, muß ich manches aus IhremBriefe berichtigen, das offensichtlich aufmangelhafter Eruierung der bestehendenTatsachen beruht.

Es ist nicht wahr, daß ich bei dermündlichen Vorsprache behauptet habe,den – gegenwärtig in Ihrer Haft befindlichen –, „erstenBrief“ nunmehr auf anderen Wegen HerrnKraus zukommen lassen zu wollen. Wahrist vielmehr – um auch dem Preß[¿¿]stil gerechtzu werden – daß mein Mann es nicht

als zur Sache gehörig und als seinerPerson zu viel vergebend betrachtet hat,irgend jemandem, zumal feindlich,zumindest aber gleichgültig gegenüber-stehenden von der weiteren Verfügungüber den mir eigentümlich zugehörigenBrief Rechenschaft abzulegen. MeinMann hat auf den Ausdruck der gän-gelnden Besorgnis seitens der betreffendenBeamtin hin: „Ich befürchte, daßSie es doch noch versuchen werden, Herrn Krausden Brief zukommen zu lassen“ aus-drücklich betont: „Ich sage weder ‚ja‘noch ‚nein‘. Das ist lediglich meine Sache,was mit dem Brief weiter zu geschehenhat, den zurückzugeben Sie bei der Entgegennahmeversprochen haben, im Falle er sichzur Übergabe als nicht geeignet erweisensollte.“

Ob Ihre zweite zu berichtigende Behaup-tung ebenso auf einer falschen Informa-tion Ihrer Person beruht, oder gar auf einemeigenen Übersehungsirrtum – gleichviel;sie ist beidenfalls irrig. Lesen Sie bittedie „auf jedem Heft der Fackel befindlicheausdrückliche Hinweisung“ aufmerksamdurch, und Sie werden finden, daßmein erster Brief zu gar keinerder dort angeführten Artikel paßt.Er ist weder „Drucksache, noch Ausschnitt,noch eine Einladung“; keine „Theater-,Vortrags- und Konzertkarte“; er istweder das Rezensionsexemplar eines Ein-senders, noch ein „ Tausch-, Probe- undRezensionsexemplar der Fackel“. Sondern E e r istvielmehr eine Zuschrift. Aber keinevon denen, „die das Abonnement oderdie Expedition betreffen“, sondern eine

an Herrn Karl Kraus – an ihn undnicht an den Verlag –, betreffend dasintimste privatissimum des Zuschrei-bers, welcher eine Bitte angehängt ist.Also meinetwegen eine Bittschrift. Aberbeileibe kein Manuskript, zu dem siedie gestrenge Cerbera des Herrn Kraus machen will und deren Meinung Sie,Herr Dr., sich angeschlossen zu habenscheinen.

In der zitierten Notiz nämlich,die in jedem Heft „der Fackel“ auf derEinbanddecke erscheint, ist wohl voneiner in keinem Falle erfolgendenNichtprüfung von Manuskripten“ dieRede, mit nichten aber von einer Nicht-prüfung von Bittschriften. Und ichhoffe, Herr Dr., daß Sie, als der Rechts-anwalt des immer und allerwege

das Recht verfechtenden Menschen –kat’ exochen, eines Karl Kraus,einen freilich – in Ermangelung leidereiner Schreibmaschine! – mit derHand geschriebenen Brief nicht zuetwas stempeln werden, was mangemeiniglich unter dem in der nicht-lateinischen Ära bestimmten undfestumrissenen „Manuskript“ versteht.Das Eine derartige Auslegung geschähe auf keinen Fall im Sinnevon Karl Kraus, Ihres Auftraggebers. –

Und nun, da ich Ihre und meineZeit schonen will, nur noch einige Wortezur eigentlichen Antwort:

Als Rechtsanwalt sollten Sie denin Ihr Fach einschlägigen, altehrwürdigen Volksspruchkennen und auch – vox populi vox dei –beherzigen: „Eines Mannes Rede ist keinesMannes Rede; man muß sie hören beede!“

– und doch gebrauchen wagen Sie ohne weitersdie strikte Behauptung, „das Fräulein imVerlag habe vollständig auftraggemäßgehandelt, als sie den Brief weder HerrnKraus übergab noch zurückstellte“. Wie-weit das rein formell zutrifft, habe ichIhnen oben bewiesen. Was jedoch diewesentliche Seite einer Antragsbefolgungbelangt, so muß ich Ihnen versichern,u.z. nicht dem Advokaten, sonderndem urteilenden Manne schlechtweg,daß Auftreten und Behandlungsweisedes Verlagsfräuleins mich hinlänglichdavon überzeugt haben, wes Geistesund Gemütes Kind sie ist und wiefernimstande, Zuschriften zu prüfen undzu zensurieren, die andere Dinge betref-fen halten, als etwa Abonnement undExpedition. Sie werden hoffentlich nach alledem

und dem aufmerksamen Durchlesendes ominösen Briefes – wovon ich Sie,[??] ob ich auch möchte, nicht abhaltenkann, da Sie nach Ihren eigenen Wor-ten seinen Besitz angetreten haben –doch begreifen, daß ich in einer An-gelegenheit für mich existenzbedeutendenSache es mir nicht einfallen lassenwerde, zwischen mir und Herrn Kraus eine kalte, tote Mauer zu dulden, nochauch diese Mauer mit dem Einrennenmeines Schädels beehren.

Und hier meine definitive Erklärung:

Ich werde ohne Ansehen jedwederPerson mit der Ausnahme des alleinzuständigen Herrn Karl Kraus und in Ansehen von Gesetz, Anstand undder Hochschätzung für die Person desoben Genannten – im Gegen teil satz zu Ihrer

Forderung – allerlei Versuche machen,Herrn Kraus von der Existenz unddem Wortlaute des an ihn gerichtetenBriefes in Kenntnis zu setzen. KeinStumpf- und Eigensinn von welcherSeite immer und einzig die persönlicheWeigerung des eigentlichen Empfängers,die ich als solche erkennen werde,kann und wird mich davon ab-halten. – Hiermit fällt die Mög-lichkeit einer Erklärung, zu der Siemich bewegen wollen, von selbst weg,umsomehr, als das corpus delictimein Eigentum ist (letzteres erhelltfür jeden Vorurteilslosen zur Genügeaus dem [??] bisher gesagten), dasich zurückfordere und um dessen Zurück-sendung an meine als des EigentümersAdresse ich Sie hiermit höfl. ersuche.

HochachtungsvollGrete David

KrausDavid 8. Juni 1927